Joseph Lauff
Pittje Pittjewitt
Joseph Lauff

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II.
Der Puppenspieler

Anno domini 1857. »Prrr! – Prrrrr!«

Die gekröpfte Welle schnurrte, die Spindel drehte sich wie rasend, und das scharfe Messer raspelte mit einem schrillen Ton gekräuselte Spänchen von dem rotierenden Holzklotz, der allmählich die Form einer stattlichen Pastorenbirne annahm.

Prrr! – Prrr! – Prrr! – wie das schnurrte und sauste!

Das Geräusch drang aus dem geöffneten Fenster eines mit roten Pfannen gedeckten, einstöckigen Hauses, das als letztes der kleinen Stadt an der Straße gelegen war, die nach Hanselaer und von dort zum Rhein führte. Nach der Stadtseite zu hing es mit den übrigen Häusern zusammen, während sich links ein Gärtchen anschloß, dessen Zwetschenbäume und Goldlackrabatten sich in einem Flüßchen spiegelten, das sich am Südende der Stadt bereits geteilt hatte, dieselbe umströmte, im Norden sich wieder vereinte, hier zwei alte Wassermühlen trieb, um dann unter dem Namen ›Kalkflack‹ durch die endlosen Wiesen zu schleichen, die sich mit ihren Kolken und Hecken, mit ihren Kappweiden und kanadischen Pappeln bis nach Holland erstreckten. Beiderseits waren die Ufer des langsam fließenden Wassers mit mächtigen Deichen bewehrt, von denen der rechtsseitige die klobigen Mühlen passierte, das in der weiten Ebene gelegene Dorf Wissel umzirkte und dann als ein breitbasiges, sich nach oben verjüngendes Ungetüm durch das saftige Wiesenland weiter nach Grieth kroch.

Unmittelbar bei dem putzigen Häuschen, in welchem die Drehbank schnurrte und raspelte, führte ein steinerner Brückenbogen über das mit dichten Rohrbeständen eingefriedete Wasser. Jenseits desselben und dem Laufe des Deiches folgend, reihte sich Pappel an Pappel, in deren breitästigen Kronen sich's die Elstern mit ihren Kugelnestern bequem gemacht hatten.

In das schrille Geraspel der Drehbank tönte zuweilen das Gegecker der Elstervögel hinein. Es klang wie ein Helles, höhnisches Lachen. Jetzt verstummte dasselbe, aber die Drehbank arbeitete und rasselte weiter.

Gravitätisch kam in diesem Augenblick ein finster dreinblickender Mann mit Spucklocken, die an den Schläfen zu einer ›Sechs‹ gedreht waren, und mit einem à la Sergeant gestutzten Schnurrbart die Hanselaerstraße herauf, ein Uniformierter, den man seinem Waffenrock, den blankgeputzten Knöpfen, dem goldenen Portepee, dem Füsiliersäbel und den karmesinroten Ausschlägen nach als Polizeidiener ansprechen konnte. Er sah weder rechts noch links, und die Amtsmiene, die er aufgesetzt hatte, zeigte deutlich genug an, daß er nicht als Mensch, als einfacher Bürger, sondern in Kraft des Gesetzes, im Namen und Auftrag einer höheren Gewalt seinen Rundgang vollführte. An vereinzelten Fenstern schoben sich erstaunte Gesichter vor und sahen ihm nach.

Vor der grün angestrichenen Tür des kleinen Ziegelhäuschens machte er Halt, zog eine lederne Brieftasche zwischen dem zweiten und vierten Rockknopf hervor, entnahm derselben ein gestempeltes Schriftstück, entfaltete es und drückte vier rote, vorher mit Speichel angefeuchtete Oblaten auf die Rückseite des ominösen Papiers. Mit vier kräftigen Schlägen fühlte sich alsbald das Schriftstück an die Planken geheftet. Oberhalb der Türklinke paradierte es mit seinem bläulichen Stempel.

»Von Amts wegen,« brummte der Herr Polizeidiener Brill, drehte sich forsch auf den Absätzen herum und ging weiter des Weges.

Kurz darauf schien die Drehbank einschlafen zu wollen. Sie schlurfte und schlappte noch etlichemal, dann verstummte sie gänzlich. –

Es war ein warmer Juniabend. – Jenseits des Deiches rauschte die Sense, und ab und zu tönten die scharfen Wetzer des Dengeleisens dazwischen. Wie Weiße Punkte, beständig die blanke Sense führend, gingen die Mähder in gerader Linie vor und warfen die mit bunten Blumen durchsetzten Grashalme zu Boden. Ein wohliger Heuduft entstieg den Wiesen, breitete sich aus und kroch bis in die äußersten Winkel der kleinen Stadt hinein. – Die Sonne war untergegangen. Nur die Wipfel der höchsten Pappeln erstrahlten noch in einem mattrosigen Schein. Über denselben aber lag der Himmel tiefblau, in unendlicher Klarheit, während am Horizont, mehr dem Rhein zu, weiße Wolken auftauchten, die wie mit der Schere abgeschnitten erschienen. Es hatte das Aussehen, als seien dort kreidige Segeltücher ausgespannt worden, um auf der großen Himmelswiese zu bleichen. Das intensive Licht des heißen Sommerabends ließ noch keine eigentliche Dämmerung aufkommen. Es zitterte in den Abend hinüber, klar und durchsichtig, und dachte nicht daran, jetzt schon absterben zu wollen. Eine eigentümliche Helle flutete über Wiesen und Stadt hin und ließ noch alles in Tagesfarben erscheinen.

Träumerisch säuselten die alten Pappeln herüber. Ihre langgestielten Blätter waren in steter Bewegung, wobei sie bald die oberen, bald die unteren Seiten in die rechte Beleuchtung stellten, ein artiges Spiel, welches jedesmal ein rieselndes Silberschauern über die stattlichen Bäume verstreute.

Die Elstern waren wieder munter geworden. Ab- und zufliegend revierten sie mit ihren Stumpfflügeln und den schillernden Schwänzen durch die ruhige Luft – geckernd und lachend. Wie abgedrehte Bälle sahen ihre Kugelnester aus der dünnen Belaubung.

Auch die Drehbank hatte ihre Arbeit wieder aufgenommen.

»Prrr! – Prrr! – Prrr!« klang es aus dem geöffneten Fenster, ein Geräusch, das jetzt von jubelnden Kindern begleitet wurde, die sich gaffend vor dem geheimnisvollen Schriftstück aufgepflanzt hatten. Plötzlich zeigten Jungen und Mädchen in Richtung des Fensters, fummelten an ihren Stubsnasen herum, steckten lachend ihre schmutzigen Hände unter die abgeknabberten Schürzen und sangen mit krähenden Stimmen:

»Bier en Kümmel lößt de Ohm,
Kirsch en Pomeranze –
Liewen Onkel Peerenboom,
Laut de Pöppjes danze.
    Hier 'ne Penning, dor 'ne Penning –
    Voran, Baas! –
    Jantje Klans – Jantje Klaas!«

»Murrgen...!« sagte eine fette Stentorstimme mit jovialer Betonung. Sie kam aus dem Häuschen, wo die Drehbank rumorte und schnarrte.

Mit einem schallenden Gelächter wurde das ›Murrgen‹ beantwortet. Alle zeigten mit höhnenden Fingern auf den beschriebenen Bogen, streckten die Zungen, hakten die Hände zusammen, schlössen einen Kreis, tanzten und begannen wieder zu singen:

»Bier en Kümmel lößt de Ohm,
Kirsch en Pomeranze –
Liewen Onkel Peerenboom,
Laut de Pöppjes danze.
    Hier 'ne Penning, dor 'ne Penning –
    Voran, Baas! –
    Jantje Klans – Jantje Klaas!«

»Murrgen ...!«

Fast gleichzeitig schob sich ein Kopf aus der Fensterumrahmung. Es war ein Gesicht wie aus Holz geschnitten, eckig, kantig, von eisgrauen, spärlichen Haarsträhnen eingeschlossen – und dieses Gesicht war weinrot, in welcher Färbung die fidelen, schnapsseligen Äugelchen wie zwei trunkene Traubenkerne im Most schwammen. Ein struppiges Zickenbärtchen schloß das vorgeschobene Kinn ein. Die schmalen Lippen waren aufeinander gepreßt. In den linken Mundwinkel hatte er einen schwarzen Zigarrenstummel geschoben, der ständig und wie in Erregung auf und nieder wippte.

»Murrgen in vier Wochen ...!« schrie das weinrote Gesicht und es wurde noch roter denn sonst. Die Zähne blieben hierbei geschlossen, nur der Zigarrenstummel wippte noch ausgelassener. Seine ungewollten Bewegungen glichen dem quecksilberigen Treiben eines Bachstelzenschwänzchens.

»Jantje Klaas – Jantje Klaas!« schrieen die Kinder.

»Zaperlöter noch mal – murrgen in vier Wochen, auf Kirmes tanzen die Puppen!«

Aber die tolle Schar hörte nicht darauf. Sie schlug Purzelbäume und höhnte: »Jantje Klaas – Jantje Klaas!«

»Da soll doch ein heilig Gewitter ...!«

»Hier 'ne Penning, dor 'ne Penning ...!«

»Hundegesellschaft ...!«

»Voran, Baas ...!«

»Hammelherde ...!«

»Jantje Klaas – Jantje Klaas ...!«

»Himmel und Motten ...!«

Das dunsige, weinrote Gesicht war verschwunden, aber statt dessen schob sich eine kräftige Faust vor; ein handfester Knüppel wurde mitten in den lustigen Ringelreigen gepfeffert. Heulend stob die ganze Gesellschaft von dannen, gefolgt von dem hellen Gelächter des Knüppelwerfers.

Dann ward's stille da draußen; nur noch das Dengeln der Sensen, das Blättersäuseln und das Plaudern des Schilfrohrs hallte melancholisch herüber. Fürsorglich legte Jan Peerenboom den Zigarrenstummel, dessen Mundstück quastenartig auseinandergekaut war, beiseite, langte eine Schnapsflasche ans der Seitentasche, tat etliche herzhafte Züge, daß es gluckste und kullerte, stöpselte zu und begann weiter zu drechseln.

Jan Peerenboom, genannt ›Jantje Klaas‹, war ein starkgebauter, etwas vornübergebeugter, muskulöser Sechziger, Drechslermeister und Puppenspieler in einer Person, ein todguter Kerl, in dessen Männerbrust sich die heterogensten Gefühle und Eigenschaften zu einem närrischen Gemengsel vereinten. Etwas Großzügiges lag in seiner ganzen Natur. Grotesk-pathetisch in seinem Verhalten, hafteten ihm die Merkmale des Freizügigen, Vagabundierenden an. Im Prahlen und Aufschneiden tat er es dem fettesten Bauer der Niederung gleich, und wären äußere Glücksgüter sein eigen gewesen, in seinem Größenwahn hätte er Banknoten zu hinterlistigen Zwecken verwendet. Ein Bombastikus in seinem äußeren Wesen, konnte er weinen wie ein Kind, wenn empfindsame Saiten bei ihm ins Klingen gerieten. Die Gesten eines gefeierten Kanzelredners und das florumwehte, bittersüße Verhalten eines Leichenbitters liefen bei ihm harmonisch zusammen. Bei dem Kerl langweilte man sich nicht. Geradaus wie er war, verschmähte er die schüchternen Schleicher, ließ leben, was nach Leben sich sehnte, vegetierte ins Blaue hinein und kümmerte sich den Kuckuck um die drohenden Sorgen der kommenden Tage. Bei all seiner nichtsnutzigen Faulheit, die nur abgelegt wurde, wenn es Sommer geworden und mit ihm die Kirmestage anrückten, hatte er ein goldenes Herz, Humor und den Drang, in seiner Eigenschaft als Puppenspieler das Höchste zu leisten. Er gehörte nicht in die Kategorie der gewöhnlichen Menschen. Er war ein Künstler. Anch' io sono pittore! – und um dieses Künstlertum auch äußerlich in die Erscheinung treten zu lassen, war er stets mit einer abgelebten Sammetjacke bekleidet. Mit enganliegenden, großkarierten Hosen, die unter den blankgewichsten Rheinkähnen durch Lederstrippen gehalten wurden, vervollständigte er das Pompöse seiner ganzen Erscheinung; und wenn auch diese Großkarierten sich sehr fragmentarisch ausnahmen, fadenscheinig, geflickt und an den Rohrenden mit stattlichen Fransen und Fasern behaftet waren – was scherte sich ein Künstler wie Jan Peerenboom darum! – Das gehörte dazu, das war ein notwendiges Übel, dem sich schwer beikommen ließ; aber die Strippen, die waren sein Stolz, die liebte er wie Schnapsflasche und Zigarrenstummel, und hätte er barfuß gehen müssen – gut! – er wäre barfuß gegangen, aber mit Strippen. Holla – heda! – und was das Köstlichste war: um den ganzen äußeren und inneren Menschen, um das Joviale und Gutmütige, um Sammetjacke, Lederstrippen und den weinroten Holzkopf legte sich allzeit eine geheimnisvolle, greifbare Dunstwolke, eine nebelartige Atmosphäre, unter deren Einfluß die verschleierten, fidelen Äugelchen sich in eine Art von Ekstase versetzt fühlten und mit einer ergebungsvollen Verklärung unter den schmalen Brauen hervorsahen. Kein Zweifel: Jan Peerenboom war mit dem sanften und milden Schein einer Schnapsaureole begnadet. –

Auf seine Eigenschaft als Drechslermeister gab Jan Peerenboom keinen Pfifferling mehr. Sie war ihm zu minderwertig, zu wenig, zu unkünstlerisch; er benutzte sie nur als Mittel zum Zweck, als eine melke Privatkuh, um mit ihrer Hilfe seinen artistischen Bestrebungen die richtige Basis zu geben. – Während der Wintermonate feierte Jan überhaupt; dann lag er in den Wirtshäusern herum, nahm den Leuten im ›Schafskopf‹ und ›Sechsundsechzig‹-Spiel die Kastemännchen ab oder zeigte den erstaunten Spießbürgern die gewagtesten Dessins auf dem Billard. Im Frühjahr trieb er Botanik. Während dieser Jahreszeit war er stets auf den Wiesen zu finden, stichelte dort den Kettensalat unter den Maulwurfshügeln hervor, fahndete auf blühende Weidenkätzchen, mit denen er sein Künstlerheim schmückte, und spionierte dem jungen Salbei nach, dessen Blättchen, in die Schnapsflasche gebracht, dem ›Ollen Klaren‹ ein würziges Aroma verliehen. Neben diesen botanischen Studien wußte er aber auch die Vorteile der Fauna zu schätzen. Durch kunstgerecht geworfene Kiesel, von denen er stets eine große Anzahl in den Hosentaschen verbarg, machte er die zwischen den Kühen herumzirkelnden Stare für die Küche tributpflichtig, fing ab und zu eine Ralle oder ein unvorsichtiges Wasserhühnchen in den klug ausgelegten Pferdehaarschlingen, ein Jagdverfahren, dem er, falls die Beute wenig ergiebig ausfiel, durch den Fang von Fröschen auszuhelfen verstand. Mit einer kurzen Manipulation wurden hierbei die schwarzgetupften Hüpfer abgetan und die saftigen Schenkel als zierliche Braten nach Hause getragen. Sobald aber das Korn in Wogen stand, und die Roggenähren wie graues Katzenfell schimmerten, dann trat Jan Peerenboom in das Stadium, wo in ihm der Künstler sich regte. In dieser Periode wurden für die außer Kurs gesetzten Puppenköpfe birnenförmige Holzklötze gedreht und geraspelt, um sie späterhin durch Schnitzmesser, Pinsel und Farbtopf menschenähnlich zu machen. Seine Tochter Kathje, die im Nebenamt Plätterin war und sowohl für die Geistlichkeit wie für die Honoratioren der Stadt eine vielbegehrte Persönlichkeit abgab, hatte dann vollauf zu tun, Kleider zu schneidern und allerhand Putzwerk für die hölzernen Komödianten zusammenzustutzen. Bei dieser Arbeit gab es kein Feiern – denn ahnungsvoll dämmerte schon der Sommer herauf, wo Jan Peerenboom hinaus mußte, um in den benachbarten Ortschaften aus Kirmessen und Kirchweihen die Puppen agieren und tragieren zu lassen. Hier, umgeben von Spekulatiusbuden und Tanzzelten, ging ihm das Herz auf. – Das Gekreisch der tanzenden Weiber, der Pfefferkuchenduft und das Flimmern der Karussels taten ihm wohl. Inmitten des Jahrmarkttrubels, bei seinen Marionetten und Faxen warf er sich in die Künstlerbrust, ließ die Raketen seines Geistes steigen und fühlte sich so wohl und behaglich, wie die Assel unterm modrigen Regenfaß. Und diese Kirmeszeit sollte bald losgehen! –

Die Späne spritzten und flogen, die Drehbank schlurrte und schlappte, und der birnenförmige Holzklotz ging seiner Vollendung entgegen. Jetzt war er schnitzreif geworden.

Mit einer raschen Handbewegung hemmte der Puppenspieler den Schnurlauf, zwängte die gedrehte Birne in eine Holzklemme und begann damit, fingerfertig in das Rohmaterial menschliche Züge zu graben. Mit gewandten Schnitten brachte er eine mächtige Nase zutage, formte die Glotzaugen, ließ Kinn und Backenknochen herauswachsen, denen er ein geschlitztes Maul hinzufügte, welches sich bis zu den beiderseitigen Ohren erstreckte. Putzig-grotesk grinste alsbald der werdende Holzkopf unter dem eifrigen Messer.

»Murrgen in vier Wochen, mein Junge ...!« triumphierte Jan Peerenboom und schnipselte weiter.

In dem wonnigen Vorgefühl der kommenden Kirmeszeit schlug er die grimmigen Sorgen in den Wind, die ihn bereits wie bissige, hungrige Ratten umstanden, die weißen Nagezähnchen fletschten, die klebrigen Schwänze bewegten und jeden Moment bereit schienen, ihm an die Kehle zu springen. Keinen Ziegel des Mauerwerks, keinen Balken, keine Dachpfanne konnte er mehr sein eigen nennen. Das ganze minderwertige Häuschen mit Grund und Boden war der Hypothekenbank in Kleve verfallen, und diese hatte bereits Zwangsvollstreckung in Aussicht gestellt, falls nicht binnen einigen Wochen eine Abschlagszahlung von tausend Talern und der Eingang der restierenden Zinsen erfolge. Hierzu kam noch, daß er sein ganzes Mobiliar von der Bodenluke herab bis zum Keller herunter, mitsamt dem kompletten artistischen Material, um lumpige achthundert Taler an den ehrsamen Stadtrat und Mitglied des hiesigen Kirchenvorstandes Aloys Pierentrecker verpfändet hatte, der des langen Wartens müde, und so nebenher noch aus einem anderen Grunde, sich in die Lage versetzt sah, dem saumseligen Künstler die Daumschrauben fühlen zu lassen. Die Anknüpfung dieses fatalen Geldverhältnisses datierte schon viele Jahre zurück. Wahrend dieser Zeit hatte der schleichende und frömmelnde Aloys keine Liebesmüh gescheut, seine rechtlichen Ansprüche entweder so oder so geltend zu machen und zu einem befriedigenden Abschluß zu bringen. Allein allem und jedem setzte Jan Peerenboom seine heroische Männerbrust und seinen philosophischen Gleichmut entgegen, ließ Gottes Wasser über Gottes Land laufen, machte in Botanik und Fauna, kloppte Karten und versenkte sich in die Mysterien des alleinseligmachenden Fusels, bis Aloys es schließlich über bekam und dem jovialen Schuldner von Amts wegen und mit dem heutigen Tage den preußischen Kuckuck auf die Tür kleben ließ. Durch die gütige Vermittelung des Herrn Polizeidieners war dieses Geklebe mit lautem Hallo vor sich gegangen, und selbst der insichgekehrte Jan Peerenboom hätte den Anflug des preußischen Vogels hören müssen, wäre das Amtsgeräusch nicht im Rasseln der Drehbank für ihn spurlos verklungen. Er hatte somit auch keine Ahnung von dem verderblichen Walten der Nemesis, die ihm in wenigen Tagen den Stuhl unterm Sitzfleisch fortzunehmen gedachte, denn draußen stand auf dem Stempelbogen also geschrieben: »Im Namen des Königs und in Sache des Herrn Aloys Pierentrecker, Schnittwarenhändler allhier, gegen Jan Peerenboom, Drechsler und Puppenspieler, ebenfalls in hiesiger Stadtgemeinde domiziliert, sollen laut Urteil des königlichen Friedensrichters in Goch die nachstehenden Mobilien, als da sind: Möbel, Geschirre, Haus- und Küchengerät, Puppen nebst Marionettenkasten, eine trächtige Yorkshire-Bache und andere Gegenstände öffentlich und zwar am 24. des Juni im Hause des Beklagten gegen Barzahlung an den Meistbietenden zugeschlagen werden. Von Rechts wegen und im Namen des Königs.«

Also – da stand es, klipp und klar und in lakonischer Kürze. Jedes Tifteln und Deuteln war so gut wie ausgeschlossen. Der stumpfsinnige Finger des Unglücks hatte brutal an die Künstlerpforte geklopft – und dabei saß der Schnapsidealist mit dem jovialsten Gesicht und dem fidelsten Gewissen von der Welt in seiner Behausung, ließ sich von der hoheitsvollen Muse die Stirne küssen und hatte keinen blassen Schimmer davon, daß draußen bereits der preußische Adler seine Fänge streckte, um ihn stuhl-, tisch-, bett- und schweinlos zu machen. – Der Ärmste ...!

Schon nahmen die Dämmerungen an Stetigkeit zu. Leise Schatten krochen über die Dielen und verloren sich bei den Möbeln und in die Ecken der geräumigen Stube. Aus dem Nebenzimmer hallte das rhythmische Geklapper eines Plätteisens herüber. Statt sich abzukühlen, zeitigte der Abend eine immer stärker werdende Schwüle. Auch der Heuduft machte sich intensiver bemerkbar.

Dem Puppenspieler triefte der Schweiß von der Stirne. Er gönnte sich keine Ruhe. Immer eifriger hantierte er mit Raspel und Schnitzmesser. Der Holzkopf war nahezu fertig geworden.

Im Nebenzimmer ließ sich das Plätteisen lauter, lustiger und heller vernehmen. Es zischte und puffte und plapperte wie eine geschwätzige Schere.

»Fleißiges Mädchen, die Kathje,« brummelte Jan Peerenboom zwischen der Arbeit, als sich die Flurtür in ihren Angeln leise bewegte und die Gestalt eines knirpsigen und ganz in Schwarz gekleideten Männchens fast lautlos ins Zimmer hineinwutschte.

»Tag, Jan! – Gelobt sei Jesus Christus!«

»Himmel Sapperment noch mal!« ereiferte sich der Puppenspieler. »Tag, Schellfisch.«

»Jan, da draußen...« lachte das hastige Kerlchen.

»Was denn?«

»Der preußische Kuckuck...!«

»Wer?«

»Der preußische Kuckuck...!« kam es zum zweiten Male mit spitzer Stimme zurück.

»Was will der?« fragte Jan Peerenboom und reckte sich auf.

»Je – was soll der wollen, der preußische Vogel?! – Am vierundzwanzigsten heißt das: zum ersten, zum zweiten, zum dritten und letzten...! – Im Namen des Königs.«

»Da schlage doch ein heilig Gewitter...!«

In mächtigen Sätzen war Jan Peerenboom aus der Stube und nach draußen gesprungen.

Aloys Pierentrecker, genannt der Schellfisch, seines Zeichens Schnittwarenhändler, Stadtrat und ausschlaggebendes Mitglied des Kirchenvorstandes an Sankt Nikolai, sah dem Davoneilenden mit großen Augen nach, machte alsdann das Zeichen des heiligen Kreuzes, faltete die Hände und sagte: »Lieber Gott, bekehre das Herz dieses Sünders und gebe ihm von wegen Kathjes ein besseres Einsehen.« Aloys war ein gottwohlgefälliger Mann, ein eifriger Kirchenfreund und ein Frömmler, der es sich nicht nehmen ließ, an allen Prozessionen teilzunehmen und, mit Medaillenstange und Rosenkranz bewaffnet, inmitten der Wallfahrer den glaubensstarken Vorbeter abzugeben, was ihn aber nicht abhielt, Blicke und Gedanken bei passender und unpassender Gelegenheit auf üppige Frauen- und Mädchenreize, wenn auch nur verstohlen, zu werfen. In seiner Lage als respektabler Witwer hielt er dieses sinnliche Schnüffeln als nicht gegen den Sittenkodex verstoßend, zumal er hierbei lediglich die ehrlichsten und lautersten Zwecke im Auge hatte und nur darauf ausging, bei den Töchtern des Landes gründliche Studien zwecks einer abermaligen Heirat in die Wege zu leiten. Aloys Pierentrecker konnte Ansprüche machen. Hinsichtlich seiner Fähigkeiten als Mann hielt er sich, in Kraft Wahrung berechtigter Interessen, für die erste Steuerklasse prädestiniert, eine Überzeugung, die gebieterisch eine Wiederverlobung erheischte, ein Weib begehrte, um hierdurch sich eine kraftstrotzende Lebensgefährtin, seinen Kindern eine gütige Mutter und seinem einträglichen Geschäft die geeignete Stütze zu geben. Und so war es gekommen, daß die Blicke des lüsternen Männchens, die wie die Augen eines toten Schellfisches in dem bleigrauen, schwammigen Antlitz hafteten, sich gern mit einem Mädchen beschäftigen, um das nicht er allein, sondern auch andere mit verliebten Nasenlöchern scharwenzten. Die unumstößliche Tatsache bestand: Herr Uloys Pierentrecker war auf Kathie verfallen – und Kathje...

»Himmel Sapperment noch mal...!« Jan Peerenboom war wieder auf der Bildfläche erschienen. In der Rechten hielt er den Stempelbogen, den er von der Tür gerissen, zerknüllte ihn und warf ihn mit einer pompösen Geste in eine Ecke des Zimmers.

»Um Jesu Christi willen!« sagte der Schellfisch, »der Herr Polizeidiener Brill hat den preußischen Kuckuck mit eigenen Händen ...«

»Ist mir egal, ist mir gänzlich egal!« donnerte Jan und versuchte mit seinen schnapsseligen Äugelchen Blitze zu schießen. Aber dieses Stadium des Zornes währte nicht lange; als vielseitiger Mann ging er alsbald in das Gebiet des Pathetischen über, setzte das linke Bein vor, wobei er nicht unterließ, den richtigen Sitz der Großkarierten und der Lederstrippen zu mustern, schob mit einer gewissen Grandezza die Hand zwischen Sammetjacke und Weste und sagte: »Aloys, das ist Dein Werk – das mit dem Kuckuck ...! – Wisse daher: Dein schnödes Verhalten schmerzt mich bis in die innerste Seele. Pfui über Dir aber auch!«

»Je,« machte der Schellfisch.

»Stille bist Du. – Hättest Du nicht warten können? – Murrgen in vier Wochen tanzen die Puppen, da gibt's Putt-Putt, klingende Münze, und ich hatte Dich abgelohnt bis auf den letzten Heller und Pfennig.«

»Faule Äppel!« warf ihm der Kleine entgegen, wobei das schwammige Gesicht sich noch tiefer in die schwarze Halskrawatte zurückzog, »schon seit fünf Jahren ...«

»Aloys, schweige. Murrgen in vier Wochen hätte ich in den Kastemännchen geschwommen, und da hast Du die Stirne gehabt, mir heute den preußischen Vogel ... Ja so – Krämerseele, Du hast es gewagt! – Mir als eingeborenen Vater, als Marionettenspieler und Künstler gedenkst Du den Stuhl unterm Hintern zu nehmen, gedenkst Du mir die selbsterzeugte und großgezogene Sau aus dem Stalle zu pfänden und mich nackt hinzustellen zur Blamation meiner würdigen Freunde und Bürger?! – Aloys, wo habe ich die Gründe Deiner Handlungsweise zu suchen?«

»Nur um Jesu Christi willen,« heuchelte Aloys, wobei er salbungsvoll die Hände zusammenlegte.

»Wieso?« fragte Jan.

»Beispielsweise zur Läuterung Deiner unsterblichen Seele.«

»Wieso?«

»Durch Unglück wird die kranke Seele geläutert, sagt der Herr Pastor. Und in diesem Falle ist die Pfändung ...«

Aloys schwieg und schlug die bleigrauen Augen zu Boden.

Der Puppenspieler ging bei diesen Worten vom Pathetischen in das Rührselige über. Er hoffte; breitete im Überschwange seiner Gefühle die Arme und lallte: »Das hat er gesagt – unser lieber, guter Herr Pfarrer?! Und, Aloys, Du?! – Nur aus diesem Grunde, mein Freund? – Aloys, ich appelliere an Dein weiches Gemüt. Läutere meine Seele durch ein anderes Malör.«

»Um Jesu Christi willen, das geht nicht!«

»Nicht?« erstaunte sich Jan und rückte wieder in die Linie des Pathetischen ein. »Warum nicht?«

»Du bist dem Schnapsteufel in die Arme gefallen.« »Kein Wort mehr! – Schnapsgott wolltest Du sagen. Ich bin ein Künstler und muß mir Begeisterung trinken.«

»Je,« machte der Schellfisch, »da ist der Herr Pastor anderer Meinung. Strafe muß sein, Pfändung muß sein – und denn: ich muß mein Geld wieder haben, sonst verkümmelst Du auch noch Deine Möbel, Deine Yorkshire-Sau und die anderen Sachen, wie Du es beispielsweise mit meinem Darlehn gemacht hast und denn: prosit die Mahlzeit – ich habe das Nachsehen.«

Der Puppenspieler machte eine große Handbewegung.

»Söldner im Gefolge Deines blöden Unverstandes,« predigte Jan. »Verkümmelt, sagst Du – ich hätte Deine Talers verkümmelt?! – Unsinn! – Ich habe mir nur Begeisterung getrunken unter Zuhilfenahme der sauerverdienten Groschen, die ich mir als strebsamer Künstler erworben. Hierfür habe ich gestrebt und gerungen. Aber Deine Talers sind für das Studium meines eingeborenen Sohnes Nikodemus verwendet. Schweige und verkenne die Tatsache nicht. Deine Talers und die Lasten, die zugunsten der Hypothekenbank in Kleve auf meinen Dachziegeln ruhen, haben es mir möglich gemacht, ihm das Studium der Theologie zu verstatten. Ehre sei Gott in der Höhe! – Murrgen werden es zwei Jahre, daß er als Kaplan in den Gnadenort Marienbaum eintriumphierte – arm wie Hiob, aber den Heiland im Herzen und die Tonsur auf dem Kopfe. Und zu diesem gottgefälligen Werke ...«

»Ja, aber ...« wagte Aloys Pierentrecker schüchtern einzuwerfen.

»Aloys, schweige. – Und zu diesem gottgefälligen Werke habe ich diese reinen Hände geboten. Ehre und Preis sei mir dafür – und Du wagst es, hier von Verkümmelung zu reden und mir die verfluchte Pfändung auf die Tür drucken zu lassen?«

Jan schlug beide Hände über den Kopf zusammen und ließ wieder die rührseligen Saiten anklingen.

»Nikodemus, was muß ich leiden um Dich! – Ah! – Ah! – Ah...!«

»Aber der Schnaps!« nörgelte der Schellfisch, und so 'n schadenfrohes Licht perlmutterte über die stumpfgrauen Augen.

»Der Schnaps und immer wieder der Schnaps!« – polterte Jan auf.

Er hatte sich in die öden und steinernen Gefilde des Hasses und des Zornes begeben. Lavaströme kochten unter seiner Sammetjacke.

»Schellfisch, Du wagst es, dieses ergraute Haupt zu verlästern?! – Schnaps?! – Allerdings – oder glaubst Du, ich hätte den Sprit des Geistes nicht nötig, wäre geneigt ein Lämmerdasein zu führen?! – Nein, und abermals nein! – Alltägliche Menschen wie Du – ja. – Aber ein Künstler wie ich ... Menschenskind, Du bist wohl...«

Der Puppenspieler ließ die Lavaströme verlöschen und pustete den Vulkan seines heiligen Zornes wie ein erbärmliches Kerzenlicht aus. Er steuerte wieder den abgeklärten Gefilden des Pathetischen zu, wiegte sich in den Hüften und meinte: »Ha, Du! – sieh mich nicht an wie ein Kanin, wie ein giftiges Kanin mit hängenden Ohren. Ruiniere mich nicht, breche mich nicht, knicke mich nicht wie eine Lilie des Feldes. Schellfisch, greife in Deinen kalten Busen hinein, laß den öden Mammon schwimmen, scheuche das Gespenst des preußischen Kuckucks und tilge die Forderung der lumpigen Talers – schenke sie mir. Das ist groß und bedeutend und würdig eines edlen Menschen wie Du.«

Eine helle Träne perlte über die weinrote Wange des Sprechers. Glücklich war er jetzt in das Fahrwasser des Sentimentalen gekommen.

»Edler Mensch, Du bist baff! – Ich fühle es deutlich. – Ja – Du schenkst mir die achthundert Talers. – Murrgen in vier Wochen wird Dir mein Lohn. – Ich nenne das neue Stück, das meine Seele beherrscht: ›Schellfisch, der Menschenfreund‹. – Ein Königreich für diese Idee! – Laß mir die Yorkshire-Sau, laß mir mein behagliches Künstlerheim und denke dabei an mich, an Nikodem und meine eingeborene Tochter.«

»Das letztere ließe sich machen,« meinte Aloys, legte den Kopf auf die Seite und schmatzte mit den eingekniffenen Lippen. Das Perlmuttern seiner Schellfischaugen nahm dabei einen sinnlichen Glanz an.

»Also Du könntest...?«

Jan Peerenboom war im Begriff dem Menschenfreund in die Arme zu fallen.

»Ja,« erwiderte Aloys, »und das wegen Kathje.«

»Was?« prallte der Puppenspieler zurück.

»Wenn Kathje...«

»Ich höre.« »Sieh mal,« begann Aloys mit lauernden Blicken, »ich erkenne Deine Bußhaftigkeit an.«

»Schön,« sagte Jan.

»Dein Deputat an Pomeranz und Kümmel will ich täglich bezahlen.«

»Einverstanden,« lächelte der Puppenspieler, »man weiter.«

»Die Zwangsvollstreckung wird rückgängig gemacht.«

»Seele von Mensch,« stammelte Jan mit inniger Rührung, »man weiter, Aloys, immer man weiter!«.

»Die achthundert Taler werden in den Schornstein geschrieben, wenn Du Dich entschließen könntest...«

Aloys Pierentrecker schwieg für einige Augenblicke. Den eingezogenen Kopf drehte er langsam zwischen den schmalen Schultern herum, rieb die Hände wie unter dem Einfluß geheimer Schauer zusammen und richtete die bleigrauen Augen begehrlich auf die Tür des Nebenzimmers, hinter welcher das emsige Plätteisen noch immer rumorte und sein klapperndes Spiel trieb.

Sprachlos sah ihn der Puppenspieler an.

Aloys wandte sich, zeigte mit dem Daumen über den Rücken hinweg und lächelte wie ein Fuchs, der einen Gänsestall auf seiner Streife entdeckte: »Um Jesu Christi willen! – ja – gestrichen und in den Schornstein geschrieben, wenn Du Dich entschließen könntest, mir die da zu geben.«

»Kathie?!« fuhr Jan auf.

»Ja,« sagte Aloys Pierentrecker mit ruhiger Stimme.

Da war's alle mit Jan. Erst schien er sprachlos zu sein und schnappte nach Luft wie ein Karpfen, der, aus dem kühlen Wasser gefischt, auf den trockenen Sand kommt. Alles Pathetische, Sentimentale, Lavawutartige – kurz alles, was sonst seinem Künstlerherzen je nach den obwaltenden Umständen entströmte, war mit einem Male in alle Winde verflüchtigt. Das rein Menschliche, der reinmenschliche Zorn, aber fest und kompakt, war an deren Stelle getreten.

»Meine eingeborene Tochter, meine Kathie – Dir?« brüllte Jan. »'nen Knüppel, 'nen Knüppel...!«

Stieren Auges sah er sich nach einem handfesten Stock um.

»So 'n Krawattenmensch, so 'n Halsabschneider, so 'n Pietist von Halunke...! – Also nur darum und deshalb...?!«.

Mit einem grimmigen Fluch hatte er die Flurtür aufgerissen.

»Raus! – Raus...!«

Wie das sündige Gewissen drehte sich der lüsterne Dunkelmann durch die geöffnete Tür.

Draußen aber reckte er den Kopf aus den Schultern und höhnte: »Zum ersten, zum zweiten, zum dritten! – Mit Haut und Haaren frißt Dich der preußische Kuckuck! – Adjüs!«

»Raus!« donnerte der Puppenspieler noch einmal, dann sank er verzweifelt auf einen Stuhl bei der Drehbank nieder.

Das wütige ›Raus‹ mußte in der Nebenstube gehört worden sein, denn die Tür wurde heftig aufgemacht, und ein schönes Mädchen, das der großen Hitze und der Arbeit am Plätteisen halber nur mit Unterrock und einem grobleinenen Leibchen bekleidet war, war ins Zimmer getreten.

»Kathje,« meinte Jan Peerenboom, »der Schellfisch war hier.«

»Na,« sagte Kathje und stemmte ihre nackten Arme auf die gerundeten Hüften, »was wollte der Kerl denn?«

»Dich haben.«

Ein schallendes Gelächter kam als Antwort zurück. Glockenhell drang es aus dem frischen Munde des jungfräulichen Weibes, das kaum die Mitte der zwanziger Jahre erreicht haben mochte.

Lachend umarmte sie den Puppenspieler. Sie beugte sich vor. Ihr Leibchen öffnete sich, und ihre jungfräuliche Brust kam zum Vorschein: hart und klein und von einer zarten Bräune umflogen.

Aber draußen sangen die Kinder von neuem, und in diesem Kindersingsang war die Stimme des Schellfischs deutlich erkennbar.

»Ha – ha – ha...!« sangen Mädchen und Jungen.

»Bier en Kümmel lößt de Ohm,
Kirsch en Pomeranze –
Liewen Onkel Peerenboom,
Laat de Püppjes danze.
Hier 'ne Penning, dor 'ne Penning –
Vöran, Baas! –
Jantje Klaas – Jantje Klaas!«

»Aus!« sagte Jan mit bitterer Stimme. Dann versank er wieder in sein finsteres Brüten. Es war mittlerweile dunkel geworden. »Ich will Licht holen,« meinte Kathje.

»Schellfisch verdammter!« polterte Jan auf.

»Laß ihn,« lächelte Kathje, und mit hellem Gekicher ging das stämmige Mädchen in die Nebenkammer zurück.

»Aus! – Schellfisch, verdammter! – Zum ersten, zum zweiten, zum dritten! – Hahahaha...!«

Der Puppenspieler griff in die Sammetjacke und gönnte sich ein herzhaftes Schlückchen.

»Kluck – kluck – kluck – kluck!«

Das Fläschchen verstummte. Jan Peerenboom war abermals in sein stumpfes Brüten verfallen.


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