Joseph Lauff
Pittje Pittjewitt
Joseph Lauff

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VIII.
In der Gnadenkapelle

Von breitwipfeligen Linden eingekeilt, die über und über ihre rahmweißen Blüten aufgetan hatten, lag die Kapelle mit dem wundertätigen Holzstock der allerseligsten Jungfrau Maria inmitten eines räumigen Platzes, der, nach drei Seiten hin von niedrigen Häusern umschlossen, in westlicher Richtung einen Fernblick auf die unabsehbare niederrheinische Ebene gewährte. Herzblattförmige Schatten fielen auf den mit spärlichem Graswuchs ausgestatteten Boden. Die hohen Baumkronen drängten sich dicht aneinander, so daß von dem kleinen Gotteshaus nur das Schieferdach und der auf demselben hockende, langaufgeschossene Dachreiter die Vergünstigung des freien Ausblicks besaßen. Dafür schmorten sie aber auch in der brennenden Sonne, deren Hitze sich vibrierend und zitternd auf den blauschwarzen Schiefertafeln bewegte. Nur dem schmiedeeisernen Hahnen schien es pudelwohl in der glutenden Schwüle zu sein. So schön wie heute hatte er noch niemals gelichtert. Neuvergoldet sah er blitzend und feurig-glühend über die regungslosen Lindenkronen dahin, begrüßte das falbe Grün der Roggenfelder und gab sich optische Zeichen mit den Turmknäufen des Xantener Domes, der sein tiefblaues Profil mächtig aus dem weiten Flachland emportrieb.

Die kleinen Häuser des räumigen Lindenplatzes drängten sich wie Schwalbennester dicht aneinander. Mit Ziegeln gedeckt und mit weißem Kalk verschmiert, boten die niedrigen Dächer nur wenig Abwechslung, während die Frontseiten in fast allen Farben des Regenbogens erstrahlten. Die Tünchermeister dortiger Gegend lieben derlei Kulören. Mennigrote Töne wechselten ab mit blauen und gelben, die, in schreienden Wasserfarben gehalten, friedlich nebeneinander standen und sich den Kuckuck darum scherten, ob ein empfindliches Auge sich hierdurch beleidigt fühlte. Wirtshaus bei Wirtshaus! – von denen ›Der fromme Pilgersmann‹ und dasjenige ›Zum saftigen Ferkel‹ die vornehmsten waren. Hinter den kleinen Fensterscheiben in weißangestrichener Holzumrahmung standen allerlei Kolonialwaren und gebrannte Wasser zum Kauf ausgeboten. Die eckigen Kristalle des Brustzuckers hingen an Wollfäden kopfüber, kopfunter; weitbauchige Gläser mit Kaffeebohnen, Zichorien, grellilluminierten Bonbons, Tonpfeifen, Süßholzstangen und Waschbläue gefüllt, standen dazwischen, flankiert von allerlei Karaffen, die unter der Flagge selbstgefälliger Etiketts ›Ruhrperlen‹, ›Dornkat‹, ›Ollen Klaren‹ und ›Kümmel‹ anpriesen. Ein intensiver Geruch nach Schnaps, gekochtem Wasser und gebrannten Kaffeebohnen drang aus den zweischlägigen Türen, auf deren Schwellen die Herren Gastwirte in Hemdsärmeln standen, bereit, die wegemüden Pilger und Pilgerinnen durch Korinthenwecken, Butterschnitten, Bier und Branntwein und zwar gegen klingende Münze tatkräftig unter die Arme zu greifen. Besonders fiel der Besitzer ›Zum saftigen Ferkel‹ ins Auge. Jedenfalls war er kein Temperenzler; sein mit einer weißleinenen Schürze bekleideter Spitzbauch lockte mehr wie sein Wirtshausschild die braven Wallfahrer an, und seine ausgesprochene Neidhammelei auf den Inhaber ›Zum frommen Pilgersmann‹ war bis jetzt auch nicht imstande gewesen, ihm die Pfingstrosen von dem feisten Antlitz zu nehmen.

Gerade seiner Kneipe gegenüber reihten sich Buden an Buden. Ein fieberhaftes Treiben herrschte schon jetzt zwischen den leichtgebauten Zeltwänden, wo die Verkäufer damit beschäftigt waren, ihren Krimskrams zu ordnen und in die rechte Beleuchtung zu stellen. Rosenkränze aus Glasperlen und Pockholz verfertigt, zu hunderten aufgereiht, zu hunderten übereinander gestapelt, geweihte und ungeweihte, solche mit heiligen Partikeln und solche ohne dieselben, aber alle sorglich verteilt, standen in den meisten Läden zum Kauf ausgeboten. Kruzifix bei Kruzifix, in allen Sorten, Formen und Preislagen! In Holz geschnitzte, aus Gips hergestellte und solche, die aus Porzellanmasse gepreßt waren, paradierten auf rotausgeschlagenen Stellagen und lockten, in Verbindung mit Amuletts, Heiligenbildchen und groben, buntbedruckten Papierfähnchen, auf denen sich ein Abbild der Gottesmutter befand, die frömmelnde Menge. Blauer Dunst, Betrug und Wahrheit reichten sich hier einmütig und in aller Feier die Hände. Die Augen flirrten vor all diesen Sachen und Dingen. – Weiter zur Linken dufteten Waffeln und niederrheinische Moppen. Lebkuchen und verzuckerte Mandeln, Spekulatius und Printen fanden hier ihr Absatzgebiet, während man an dritter Stelle die berühmten Marienplätzchen feil hielt: Bäckergebilde aus fadem Lebkuchen und von kreisrunder Form, speckartig glänzend, dünn wie Oblaten und mit dem Konterfei der allerseligsten Jungfrau Maria versehen. Mit einer scharfen Holzform war es aus der lederzähen Teigmasse herausgepreßt worden. Überall das Wahrzeichen der glorreichen Mutter! –

Hier in Marienbaum auf geweihter Stätte geschahen schon seit alters her Zeichen und Wunder. Wer blind geboren und den Holzstock mit seinen toten Augen berührte, ward sehend. Lahme gingen ohne Krücken und Stöcke, Lungensüchtige wurden geheilt, Taube genasen, und wer ein schweres Herzeleid mit sich herumtrug, er brauchte nur eine pfündige Wachskerze zu opfern, um von seiner Seelenpein auf immer befreit zu werden. Wie alles im Bannkreis der kleinen Kirche an Zeichen und Mirakel gemahnte, so war auch der wundertätige Bildstock durch ein Mirakel an diese Stätte gekommen. – Eine Meile von hier, in unwirtlicher Gegend und auf endloser Heide, die sich im Spätjahr zartvioletten beblümte, als wäre das Abendrot darüber gefallen, stand vor langem eine mächtige Linde. Der Stamm klaffte schon längst, die breitausgelegten Äste waren zerspellt, und die einst üppig grünende Krone trieb nur noch wenige Sprossen. Zwischen Borke und Splint stockten die Säfte. Da geschah das Wunder! Just an der Stelle, wo der Stamm schon angekränkelt und halbvermorscht war, begann es sich plötzlich zu regen. Ein knorriges Astwerk schob sich empor, wuchs und streckte sich und nahm schließlich Form und Gestalt an, aus denen ein gläubiges Herz schon jetzt ein menschenähnliches Gebilde herauswittern konnte. Hals und Kopf waren deutlich erkennbar; Arme und Füße sprangen heraus, und seitwärts des mächtigen Knorrens bildete sich im Laufe der Tage ein kleinerer Auswuchs, der mit einem Kinde Ähnlichkeit hatte. Regenschauer und Sonnenschein gingen darüber hin, und der Heidewind geigte zu Ehren des göttlichen Zeichens. Mit Riesenschritten ging es in den Hochsommer hinein. Schwere, milchfarbige Wolken ballten sich am tiefen Horizont auf und nahmen groteske Figur an. Die weite Heide glühte im violetten Schein; sie hatte sich ihr Hochzeitsgewand um die Schultern geworfen.

Der alte Schäfer Mathias, der Zeit seines Lebens die Schafe auf diese Stätte getrieben, verfolgte mit heimlichem Grauen und stiller Verzückung das Wachsen des Bildstocks. Eines Tages war es ihm, als glaubte er menschliche Laute zu hören. Regungslos stand er auf einsamer Scholle. Der Sommerwind strich ihm die eisgrauen Haare in das verwitterte, braune Gesicht. Nur Gestrüpp ringsum, die morsche Linde und blühende Weiten! – Die Gestalt des uralten Mannes schien in den Himmel zu wachsen. In scharfen Linien ruhte sein Schattenriß auf den milchweißen Wolken. Die gerunzelte Hand hatte er vor die Augen geschoben. Wie gebannt bohrten sich seine Blicke in Richtung der Linde. Da wieder die Stimme – süß, verheißend und selig. Er hatte deutlich gehört.

»Jes, Marja, Josep ...!« Er konnte nicht irren. »Onbefleckte Moder – erbarme Dich onser!«

Mit großen Schritten ging er dem zunächst gelegenen Dorf zu. Dort trommelte er die Leute zusammen; hierauf zog er mit ihnen zur Stelle, wo sich das Wunder begeben. Alle fielen auf die Kniee, küßten den Boden und beteten aus tiefstem Grund ihrer Seele. Die Luft erzitterte unter dem Einfluß des eintönigen, steten Gemurmels. Und Gott der Herr ließ aus den weißen Wolken schwarze herauswachsen. Die nahmen Sturmschritt über Land, schoben sich über- und untereinander, legten violblau Gewand an, das sich mit schwefelfalben Säumen verbrämte – und Gottes Licht und Gottes Stimme war in den rollenden Wolken. Der Donner des Herrn ging über die bangenden Lande und schreckte die Menschheit. Nur die Beter auf einsamer Heide achteten nicht auf das zuckende Feuer, auf Hagel und Schloßen und nicht auf die gewaltige Sprache und die greifbare Finsternis, die alles wie mit dunklen Floren umhüllte. Sie streckten die Hände, beteten, jubilierten und sangen.

»Onbefleckte Moder – erbarme Dich onser!«

»Christe, erbarme Dich onser!«

»Ave, ave, Maria!«

Nicht lange darauf stand ein leuchtender Regenbogen am Himmel. Heitere Reflexe zitterten über die Erde. Regentropfen blinkten an allen Halmen und Rispen; die blühende Heide atmete auf in jugendlicher Frische und lieblicher Anmut. – Und noch immer das Beten und Raunen:

»Onbefleckte Moder – erbarme Dich onser!« »Christe, erbarme Dich onser!«

Aber der Bildstock war aus der Linde verschwunden. Lichte Engel waren gekommen, hatten ihn mit sich geführt und an die Stätte gebracht, wo nach höherem Willen seines Bleibens sein sollte für ewige Zeiten. Und brave Werkler kamen und bauten aus den Almosenpfennigen, die von allen Seiten wie Manna regneten, ein Kirchlein, pflanzten Bäume darum und setzten auf den engbrüstigen Dachreiter einen stattlichen Gockelhahn. Und fromme Jungfrauen kamen und schneiderten ein steifes, bauschiges Kleid, das sie mit silbernen Bordüren und sonstigem Flitter benähten, zogen es dem Bildstock an und setzten ein goldenes Krönlein der Muttergottes aufs Haupt. Die also Gekrönte stand von nun an auf einem freien Postament in der Kirche, so daß alle hinzutreten konnten – und tat übernatürliche Dinge und Zeichen. Und die Linden wuchsen heran, wurden stattliche Bäume und klopften mit ihren grünen Zweigen gegen die bleiverglasten Scheiben des Kirchleins. Im Schatten derselben aber schossen die Wirtshäuser und Kneipen auf, wie Pilze in schwüler Sommernacht – und der Inhaber des Gasthauses ›Zum saftigen Ferkel‹ stand mit seinem Spitzbauch und der weißleinenen Schürze auf der Türschwelle, sah scheelsüchtig nach der Spelunke ›Zum frommen Pilgersmann‹ hinüber und harrte der gläubigen Schafe, die er gründlich über die Ohren zu hauen gedachte. Alle sollten bei ihm schwer in Zeche genommen werden; sie sollten den Hammelsprung machen. Ja, das wollte er – alles zur höheren Ehre Gottes und der allerseligsten Jungfrau. Vergnüglich rieb er jetzt die patschigen Hände zusammen, schob die seidene Schirmmütze zurück und kraute den Spitzbauch.

Gebimmel, Gebimmel ...!

Ave Maria! –

Kurze Zeit bevor noch die kleinen Glocken der Gnadenkapelle zum dritten Male mit ihrem schneidenden, nadelscharfen und fast beleidigenden Beiern und Läuten begonnen hatten, stand der Kaplan Nikodem Peerenboom an den Stufen des Hauptaltars, über dessen Predella sich eine kahle Fläche erhob, die nun schon seit geraumer Zeit des malerischen Schmuckes harrte. Nackt und mit einem kalten Grau überzogen stierte sie disharmonisch in die mit allerlei Flitterkram, Amuletten, Kronleuchtern und minderwertigen Bildern überladene Kirche hinein. Nur die blaßgelben Schäfte der Wachskerzen, an deren Dochte kleine, unstete Flämmchen zitterten, gaben dem bunten Raum einen behaglichen Anstrich; aber auch sie vermochten es nicht, über das Unwirtliche, Steife und Unfertige des Hochaltars gänzlich hinwegzutäuschen.

Nikodem hatte sich bereits mit Röckling und Chorkappe gerüstet und harrte mit seinem Freunde Ull Koßmann, der gestikulierend sich an seiner Seite befand, der frommen Pilger, die jeden Augenblick eintreffen mußten.

Langaufgeschossen, von blasser Gesichtsfarbe, semmelblond und mit eingefallenem Brustkasten behaftet, war er von dem Begriff einer gesunden Konstitution und dem Ideal berückender Männerschönheit so weit entfernt, wie die Bewohner des Mars von dem irdischen Dasein. Hierzu kamen noch bläuliche, verwässerte Augen, eingekniffene Lippen und scharfumgrenzte Sommersprenkel, die vornehmlich Stirn und Nase bedeckten, so daß es fast den Anschein hatte, als sei das Semmelblonde des Haares auch über diese Stelle des Kopfes gesickert. Nikodem war das gerade Gegenteil seiner blühenden Schwester. Neben dem stattlichen Ull Koßmann, dessen Erscheinung das Urwüchsige, Kräftige und Berückende des alten Germanenstammes innewohnte, gepaart mit dem Brutal-Sinnlichen der leuchtenden Augen, machte Nikodem eine klägliche Figur, die durch das Ungelenke der Bewegung, das Scheue in den asketischen Blicken und das spezifisch Geistliche in der Art und Weise seines Sichgebens noch einen merklichen Zuwachs erhielt. Die hohe Stirn aber deutete auf scharfes Sinnen und Denken. Der junge Kaplan war mit dem ganzen Rüstzeug des theologischen Wissens versehen. Bibelfest, in der Kirchen- und Dogmengeschichte bewandert, war er auch trefflich in der systematischen Theologie beschlagen, stellte den ethischen Wert des christlichen Heils in seinem Zusammenhange mit allen sonstigen Lebensgütern der Menschen als das höchste Gut hin und wußte in überzeugender Weise die eigentümlichen Gesetze religiöser Erkenntnis, die sogenannte theologische Prinzipienlehre, meisterhaft zu entwickeln und darzutun. Trotz seiner großen, wahrhaften Frömmigkeit, seiner Selbstverleugnung und dem Bestreben Gutes zu wirken, hatte er aber bis jetzt in seinem Berufe als amtierender Seelsorger und auf dem Gebiete der praktischen Theologie kaum nennenswerte Erfolge zu verzeichnen gehabt. Er verstand es nicht, sich in dem Ideenkreis der geringen Leute zu bewegen, sich in denselben hineinzudenken und daraus seine Folgerungen und Schlüsse zu ziehen. Selbst rücksichtslos und unerbittlich gegen seine eigene Person, unermüdlich in Andachtsübungen und der Kasteiung seines sterblichen Leibes, drang er mit unnachsichtiger Strenge darauf, diese seine Prinzipien auch auf die ihm anvertraute Herde zu pfropfen, selbstverständlich ohne dabei den genügenden und brauchbaren Nährboden zu finden. Ihm fehlte der praktische Blick und die Lebenserfahrung des geistlichen Hirten. Fremd und in sich gekehrt, seine Blicke nur dem Jenseits zugewendet, blieb er fremd unter Menschen. Auf dem Monde vielleicht – aber hier auf Erden war er entschieden nicht heimatsberechtigt.

Da war sein Freund, der Kunstmaler Ull Koßmann, doch aus anderem Holze geschnipselt! Das war Leben in ihm, heißes, glühendes Leben, und dieses Leben war durchsetzt von dem Wunsche, Großes auf seinem Gebiete zu leisten, von sich reden zu machen und den Becher des Sinnengenusses bis auf den letzten Tropfen zu leeren. Radikal in seinen Anschauungen, leidenschaftlich, begeisterungsfähig, klar und bestimmt in seinem Wollen und Können, dem Weibe und seinen Reizen ergeben, duckte er sich doch unter den Schuh der Kirche, denn seine Kunst war mit dieser verknüpft, und zwar so innig verknüpft, daß ein Losreißen aus ihrem Banne für ihn in dem Bereich des Unmöglichen wurzelte. So trefflich er sich auch als Künstler gerierte, so Bedeutendes er auch bereits geschaffen, seiner Kunst waren enge Schranken gesetzt, über die er bis jetzt nicht hinwegzuspringen vermochte. Ull Koßmann war Heiligenmaler und auf diesem Gebiet ein Meister vom Fache, obgleich er stets einen Hauch seiner sinnlichen Veranlagung selbst denjenigen Bildern verwebte, die bestimmt waren, in Kirchen und Kapellen auf das Gemüt der gläubigen Menge zu wirken. Verzückung und Leidenschaft sprachen aus seinen Gemälden, sie berührten die Traumwelt und packten dennoch wieder mit ursprünglicher und gesättigter Lebenskraft, ein Umstand so recht geschaffen, dem Künstler bei Klerikern und Laien das beste Ansehn zu geben. Ein niederrheinisches Kind, gebürtig in der Nähe von Moers, mit Nikodem im Alumnat erzogen und groß geworden, hatte er seine Studien auf der Düsseldorfer Schule gemacht und vollendet. Ull Koßmann war bis zur Zeit unbeweibt geblieben; nicht etwa, daß er aus irgendeinem Grund unter die Cölibatäre gegangen. Er löste vielmehr diese brennende Frage ohne die Zeremonien von Kirche und Standesamt. – Sein Künstlerstern befand sich im Aufstieg. Mehrere Orte am Niederrhein, vornehmlich Kevelaer, besaßen schon Werke von seiner Hand, Grund genug für Nikodem, die Aufmerksamkeit des Kirchenvorstandes der Gemeinde Marienbaum auf diese Berühmtheit zu lenken. Der junge Kaplan hatte nicht vor tauben Ohren gepredigt, und so war Ull Koßmann berufen worden, der kalten, schreienden Fläche über der Predella des Hochaltars Farbe und Leben zu geben. Gerne war er dem Ansinnen gefolgt, aber mehr seinem Jugendfreunde zuliebe, denn der klingende Verdienst konnte hierbei für ihn nicht bedeutend in die Wagschale springen, zumal die Gemeinde nicht allzu begütert erschien, und die Opferfreudigkeit der einkehrenden Prozessionen in den letzten Jahren merklich nachgelassen hatte. Vorstudien halber weilte er daher schon seit einigen Tagen in hiesiger Gegend und hatte seine Zeit vornehmlich dazu benutzt, im Dom des nahegelegenen Xantens die Manier der alten Meister gründlich kennen zu lernen. In antiker Weise gedachte er dieses Mal Gewandung und Stoff zu behandeln.

Nikodem hatte seine sommersprossigen Hände in die weiten Ärmel seines Röcklings geschoben. Neben ihm ruhten bunte Reflexe auf den gemusterten Fliesen des Bodens. Ein grellroter Strahl spielte mit den Silberschnallen seiner niedrigen Schuhe.

»Nun, Koßmann, wie gefällt Dir die Stelle?«

»Nicht übel; 'ne gute Beleuchtung.«

»Also doch; ich hatte schon meine Bedenken wegen des Reliquienschreines.«

»Der?!« entsetzte sich Ull. »Selbstverständlich in eine andere Ecke mit ihm. Nicht des Lichtes wegen, aber dieses Neuruppiner Geschmier auf demselben, das knallt

ja bis auf Rufweite hinaus und macht die subtilste Farbentechnik zunichte.«

»Gut, Ull; ich werde deshalb vorstellig werden.«

»Und dann – Herrgott, Nikodem! – hier dieser ganze unkünstlerische Wust von Medaillen, Papierrosen, Fähnchen und Fahnen ...«

»Aber man sollte doch meinen ...«

»Unmöglich! – Wahre Kunst will allein genossen sein. Jedes Drum und Dran, jedes unnütze Beiwerk, besonders wie es sich in dieser rohen, ich möchte sagen fast kindischen Weise aufdrängt, muß jedes Genießen illusorisch machen.«

»Wir sind eben auf dem Lande,« suchte der Kaplan begütigend einzulenken, »und daher mehr oder weniger gezwungen ...«

»Rücksicht auf bäuerlichen Geschmack und Unverständnis zu nehmen,« ergänzte der Maler.

»Allerdings.«

»Und da sollte ich – mit meinem Kunstwerk – in dieser Umgebung – zwischen diesen Emblemen des Ungeschmackes ...?! – Nein und abermals nein, mein verehrter Kaplan – lieber Schieferdecker hoch oben, als unter den Sparren sich als Künstler vergeben.«

»Aber diese geweihten Sachen ...«

»Alles recht schön, und ich bin auch der letzte, der derlei Gegenstände gläubigen Herzen entziehen möchte. Im Gegenteil: sie sind notwendige Requisiten, nützliche Dinge und so erforderlich zum täglichen Leben wie Speise und Trank für den armen Kadaver. Verstehe mich recht, Nikodem! – Ich verlange nichts Ungebührliches und will im besonderen keinen ungerechten Zwang ausüben. Aber, ich bitte Dich – schafft diese Dinge auf eine andere Stelle, denn nochmals gesagt: jedes Kunstwerk und besonders ein solches, was sein Entstehen mir zu verdanken hat, will individuell behandelt sein, will seine passende Umgebung haben, seine richtige Stimmung, Licht, Luft und die goldene Freiheit, denn nur so und nicht anders kann es seinen geheimnisvollen Zauber entfalten, die der Künstler mit Aufbietung seines ganzen Ichs hineingelegt hat.«

»Dann will ich also versuchen ...«

»Tue das,« fiel der Maler dazwischen, »und sei versichert, ich setze hier ein Werk hin, an welchem sich selbst die krassesten Heiden erbauen sollen. Ha! – wie will ich mich strecken und dehnen, wie will ich schaffen und wirken! – aber weißt Du, so ganz anders wie es die Nachtreter und Nachbeter der nazarenischen Schule vermögen. Im Sinne der alten Meister natürlich – aber diese Eigenart will ich mit meinen Sonderideen sättigen und durchtränken. Gewandung in der Manier der altkölnischen und kalkarschen Schule, knitterig, bauschig – und in diese Gewandung setze ich pulsierendes Leben, keine blutarmen Wesen und ätherischen Leiber; Freuden und Entzückungen müssen hinein, die die Sinne bewegen und in einen ekstatischen Taumel versetzen. Das wird anders, ganz anders, mein Junge, als wenn ein gemalter Schemen, ein komponiertes Unding aus dem Rahmen heraussieht. Tiefernste Frömmigkeit – selbstverständlich, mein werter Kaplan, und dennoch müssen dieser gemalten Frömmigkeit Freude am Dasein, heimatlicher Erdgeruch und Rasse entströmen. Verlaß Dich auf mich. In großen Linien liegt schon alles fertig vor meinen geistigen Blicken. Und der heimatliche Erdgeruch ...? Dieser Erdgeruch soll sich durch das Bildnis der Gottesmutter selber verkörpern. Und darum ist nötig ein Modell zu finden, dem dieser anhaftet, und ist es gefunden – Herrgott noch mal! – dann kann die Arbeit beginnen. Ich hungere und giere gleichsam darauf, aber ohne Modell bleibt alles öde, kalt, schal, ein gefühlloser Schatten. Du, Nikodem, laß mich nur machen.«

»Und dieses alles«, begann der Kaplan nach einigem Zögern, »gedenkst Du gegen diese karge Honorierung ...« »Natürlich,« entgegnete ihm lachend Ull Koßmann. »Zweitausend Taler – allerdings ein Lakaien-Douceur; aber Dir zuliebe, Kaplänchen, Dir zu Gefallen, mein Junge ...«

»Guter Mensch,« lächelte Nikodem, »ich kann nicht umhin, Dir meine Bewunderung zu zollen, namentlich in gegenwärtiger Zeit, wo ideale Anschauungen so dünn und spärlich gesät sind wie wahrhaft gläubige Seelen, und ich werde nicht verfehlen, diese Deine betätigte Großmut höheren Orts und bei meiner vorgesetzten Behörde...«

»Kaplänchen, schon gut,« erwehrte sich Ull seines begeisterten Freundes, legte ihm beide Hände auf die Schultern und meinte: »Nun aber sage mir mal, und zwar so recht von der Leber herunter, wieviel habt Ihr denn eigentlich bis jetzt in Eurem Klingelbeutel zusammen?«

»Rund eintausend Taler ...«

»Ach, ne! – also gerade die Hälfte.«

»Aber wir hoffen zu Gott,« fuhr Nikodem mit salbungsvoller Betonung fort, »daß der Opferstock mit dem heutigen Tage ein Erkleckliches abwirft, und wir somit in die angenehme Lage versetzt sind, der bereits vorliegenden Summe weitere hundertundfünfzig Taler beifügen zu können.«

»Und das hoffst Du von dem frommen Sinn der eben anrückenden Pilger?«

»Allerdings.«

»Auch unter der Berücksichtigung, daß diese voraussichtlichen Geber und Spender in dem gesegneten Orte beheimatet sind, wo sie Euch schlankweg im Stadtrat die üblichen Birken verweigert, und ein gewisser Herr Pittje Pittjewitt noch höhnende Worte als Bene hinzutat?«

»Auch unter Berücksichtigung dieser leider beklagenswerten Umstände, glaube ich an meiner Meinung festhalten zu können, zumal ich es für meine Pflicht erachte, stets das Beste über meine Brüder in Christo zu denken. Aber Du lächelst ...«

»Gestatte mir dieses kleine Privatvergnügen, Kaplänchen. Es ist lediglich die Folge Deiner soeben aufgestellten Prämisse.«

»Ich verstehe nicht recht.«

»Das ist es ja eben, weil Du zu unerfahren bist in derlei praktischen Dingen. Aber ich bitte Dich, Nikodem, wie kannst Du nur annehmen, daß diese Banausen ...«

Er wurde unterbrochen.

Die Glocken setzten zum dritten Male ein; Küster und Ministranten erschienen. Ein dumpfes Gemurmel von betenden Stimmen drang von dem lindenumsäumten Platz in den stillen Frieden der Gnadenkapelle. Die Prozession war in den Bannkreis der heiligen Stätte gekommen. Ein buntes Gewirr von abgerackerten Menschen, überragt von brennenden Kerzen und schlaff herabhängenden Kirchenfahnen, schob sich unter stetigem Beten vorwärts und drängte näher und näher. Männer und Weiber, jetzt alle durcheinandergewirbelt, wanken der gnadenbringenden Schwelle entgegen. Grelle Streiflichter zittern durch das dichte Lindengezweig. Unter ihrem Einfluß flirren die aufgetriebenen Staubpartikel wie blitzende Mücken. Und immer dasselbe Bild, immer dasselbe: erhitzte Gesichter, streifige Wangen, gebückte Nacken, müdes Schlurfen und Schlurren, Rosenkränze und staubige Schuhe, gepuderte Haare und das einschläfernde Raunen und Lallen:

»Herr, erbarme Dich unser!«

»Christe, erbarme Dich unser!«

Schon drängen die ersten über die ausgetretenen Fliesen, andere folgen – da mit einem Schlage tönt es mächtig durch die exaltierte Menge herüber, hinüber:

»Meerstern, wir Dich grüßen –
O Maria, hilf!
Wir fallen Dir zu Füßen –
O Maria, hilf!
Hilf uns Sündern allzumal
Hier in diesem Jammertal!«

Lawinenartig kommt der Sang der Muttergottes gefahren. Hunderte beten zu ihr, hunderte schreien nach ihr; unter Knüffen und Püffen dringen hunderte ein, während die große Mehrheit sich gezwungen sieht, draußen zu harren, die Hälse zu recken und sich mit den Zehen zu heben, um nur mit einem raschen Blick über die Stätte huschen zu können, wo der wundertätige Bildstock zwischen weißen Papierrosenkränzen und brennenden Kerzen sich aufhebt. Die Glocken verstummen; sie holen Atem in der glühenden Hitze. Der Weihrauch steigt; mit einer fast meckernden Stimme beginnt die kleine Orgel zu spielen. Ein scharfer Hauch nach dampfenden Menschen ist unter dem niedrigen Sterngewölbe ausgetan, aber der Weihrauch betäubt ihn. Blitzend winkt das goldene Krönlein der Muttergottes herüber. Wie sie murmeln und auf den Knieen rutschen – die gläubigen Seelen! Wie sie beten und stöhnen! – Nikodem ist mit etlichen Ministranten am Hochaltar tätig. Ganz in Andacht versunken, dem Irdischen entrückt und mit schauerndem Gefühl liest er dort für den erkrankten Pfarrer die heilige Messe. In feierlicher Weise klingt bereits das Offertorium über die große Gemeinde.

»Dominus vobiscum!«
»Et cum spiritu tuo!«
›Oremus...!‹

Kathje, die in einer der vorderen Bänke Platz genommen hatte, folgte in stummer Betrachtung der frommen Handlung ihres geistlichen Bruders. Das Tuch war ihr vom Kopfe gefallen. Der festanliegende Stoff ihres schmucklosen Kleides ließ das Ebenmäßige in ihrer ganzen Figur wirksam hervortreten. Und dieses kastanienbraune Haar, das Madonnenhafte des vorgeneigten Kopfes, die schimmernde, bräunliche Haut – wie sich das alles dem Licht der einfallenden Sonne ahnungslos preisgab! Die Schauer der Kirche traten hinzu und verstärkten die Reize des Mädchens auch in mystischer Hinsicht. Und diese Mystik, diese eigenartige und faszinierende Schönheit – einer begriff sie und fühlte instinktiv heraus, was unter dem schwarzen Tuchkleidchen lohte und brannte. Und dieser duftige Flaum, der, unter der Junisonne bei der Heuernte und unter dem Einfluß des heutigen Tages gezeitigt, fast honigfarben über Gesicht und Nacken sich breitete – das war ein weicher, gesättigter Farbenton, der an den Pinsel eines Murillo gemahnte! Ull Koßmann war ein gewiegter Kenner von Farben und Formen. Was er suchte – hier schien es vereinigt: ein weiblicher Körper, dem heimatlicher Erdduft entströmte, glühendes Leben und Durst nach Genüssen, die außerhalb der Sphäre lagen, in welcher Kathje erzogen und groß geworden. Und diese verhaltene Flamme, die in ihren Blicken ruhte! Ull Koßmann verstand sich darauf. Er wußte, daß es nur der Anregung bedurfte, sie ins helle Flackern zu bringen. Überhaupt dieser blonde Teutone mit dem kerngesunden Gesicht und dem prächtigen Spitzbart: trotz seiner religiösen Kunst, in der er Großes geleistet und die er beherrschte wie nur wenige auf diesem Gebiet – wie wußte er in die Mysterien einer Frauenseele zu dringen und ihre zartesten Schwingungen zu deuten, die ihm kaum merklich entgegenzitterten! – Und er vertiefte sich darin; er konnte sich nicht mehr losreißen von dem Anblick des nicht weit von ihm knieenden Mädchens.

Kathje mußte die Augen fühlen – und sie fühlte sie wie leuchtende Flammen, die sie schmerzlich berührten. Sie beugte sich nieder und betete lange.

»Sursum corda!«

»Habemus ad Dominum!«

Präfation und Wandlung gingen vorüber. Das ›Agnus Dei‹ wurde gesungen. Kathje Peerenboom hörte und sah nicht mehr. Ein scharfes Klingeln ging über die Menge. Alle knieten nieder und berührten mit ihrer Stirn den Boden. Wieder ertönte das Muttergotteslied; Nikodem wandte sich um und breitete segnend die Hände.

»Ite, missa est!«

»Deo gratias! – Amen!«

Das heilige Amt war vorüber. In langen Reihen und unter Orgelbegleitung defilierten nunmehr alle Männer, Frauen und Jungfrauen an dem wundertätigen Bildnis vorüber, berührten mit scheuen Händen das vergilbte Gewand oder preßten ihre Lippen inbrünstig auf die unteren Partien des ragenden Holzstockes. Über die Schwelle des westlichen Portales schlurfend, unter stetem Geschiebe die gotische Halle durchmessend, verließen sie am Südportal wieder die Gnadenkapelle, um von hier aus wegemüde, hungrig und durstig in die benachbarten Kneipen zu fallen.

»Angtree, angtree!« lächelte der Besitzer ›Zum saftigen Ferkel‹ und pries in hyperbolischen Worten seine Waren an, daß den meisten, im Hinblick auf die kommenden Genüsse, das Wasser im Munde zusammenlief.

»Schmalzschnitten, Ruhrperlen, Boonekamp und Puffbohnen mit geräuchertem Speck! – Angtree, meine Damens und Herrens!«

»Rosenkränze! – Marienplätzchen! – Hierher: frische Waffeln und Brezeln!« klang es von anderer Seite herüber. Ein ohrbetäubender Lärm, ein Feilschen und Handeln ...! – und die alten Linden schüttelten ernsthaft die Köpfe und wußten nicht, was sie sagen sollten zu diesem Wandel der Dinge. – Inzwischen hatte sich Nikodem in die Sakristei begeben. Die Meßgewänder waren beiseite gelegt; er stand bereits in Hut und Soutane und gedachte heimwärts zu gehn, als zwei Männer unter tiefen Bücklingen bei ihm vorsprachen.

Er kannte die beiden.

»Herr Terlinden, Herr Pierentrecker!« lächelte der junge Kaplan. »Also die Herren befinden sich nicht im gegnerischen Lager, woselbst man bedauerlicherweise der heiligen Kirche die ortsüblichen Birken verweigert?«

»I!« machte Aloys, »das wäre denn doch ...! Im konträren Gegenteil, Herr Kaplan. Wir haben gekämpft wie die Helden, beispielsweise wie die brüllenden Löwen. Aber es war eben 'ne verlorene Sache.«

»Leider,« grunzelte der säbelbeinige Bäcker und legte dabei die rechte Hand in die Gegend der Herzgrube, als wolle er hierdurch konstatieren, daß sein Freund die lauterste Wahrheit gesprochen. »Aber, Herr Kaplan,« fügte er erläuternd hinzu, »gegen so 'ne liberale Blase kann selbst die beste Karre Mist nur schwer anstinken. Wir haben uns die größte Mühe gegeben, aber ...«

»Ich verstehe,« meinte Nikodem und versuchte das Gespräch in andere Bahnen zu lenken. »Hm! – dann sind die Herren wohl erschienen, mir über die traurigen Verhältnisse in meinem elterlichen Hause, die sich allerdings durch einen glücklichen Zufall in den letzten Tagen merklich gebessert...«

»Herr Kaplan,« schnitt ihm Aloys das Wort ab, »in solch einer delikaten Privatsache ist beispielsweise eine andere Stunde geboten. Nein, Hochwürden, wir sind aus einem wichtigeren Grunde gekommen.«

»Ja – das sind wir,« bestätigte Henne Terlinden, legte in Erwartung der kommenden Dinge die gefalteten Hände über sein angemästetes Bauchlein und vergnügte sich damit, flirrende Rädchen mit den Daumen zu schlagen. »Aloys, schmiere Dich nicht.«

Und nun erzählte Aloys, was er unter dem ominösen Spriegeltuch gesehen haben wollte, und zwar in so übertriebenen Farben, daß es dem jungen Kaplan eiskalt über den Rücken herabrieselte. Entsetzt fuhr er sich über die tonsurierte Stelle des Kopfes.

Aloys ließ sich nicht stören.

»Und statt wie fromme Pilgersleute im Schweiße ihres Angesichtes zu beten,« also schloß er seinen Bericht, »oder sich wie wirkliche Marode fahren zu lassen, saßen die beiden beispielsmäßig sehr gemütlich, ich möchte fast sagen mehr wie gemütlich, unterm Spriegeltuche zusammen und schienen von weltlichen Dingen zu sprechen.«

Nikodem verfärbte sich.

»Und das ist der Wahrheit gemäß?« fragte er mit heiserer Stimme.

»Hier mein Freund ...«

Aloys deutete auf Henne Terlinden.

»Herr Kaplan,« bestätigte dieser, »ich, als Henne Terlinden und ehrsamer Bäckermeister, kann das beschwören.«

Wiederum führte der Säbelbeinige zur Bekräftigung dessen die rechte Hand auf die linke Brustseite und senkte in stiller Ergebung den biederen Kopf auf das zerknitterte Schemischen.

»Aber, Herr Kaplan,« fiel Aloys dazwischen, »was auch gesagt ist: nur aus purer Nächstenliebe, nur zur höheren Ehre Gottes sind wir zu Ihnen gekommen und wollen unter keinen Umständen ...«

»Nein – das wollen wir nicht ...«

Nikodem hatte sich inzwischen gefaßt.

»Ich danke Ihnen, meine Herren, und werde Remedur eintreten lassen. Wie dem auch sei: jedenfalls wurde Ärgernis gegeben, und daher ersuche ich Sie, Herr Pierentrecker, kraft Ihres Amtes als Vorbeter und Kirchenvorstand, die leider so weltlich Gesinnte nach der Vesper in meine Wohnung zitieren zu wollen und zwar mit dem Bemerken, daß nicht der Bruder zur Schwester, sondern der Seelsorger, zum verlorenen Schaf sprechen wird. Also, meine Herren, bis später. Dominus vobiscum

Nikodem machte das Zeichen des Kreuzes.

» Et cum spiritu tuo – Amen!« respondierte Aloys. Hierauf verließen die beiden Getreuen die Sakristei und begaben sich, schmunzelnd wie die Auguren, in die Gastwirtschaft ›Zum saftigen Ferkel‹.

»Mein Gott, mein Gott ...!« stöhnte der junge Kaplan auf. »In der Sünde gezeugt, in der Sünde geboren ...!« Dann rang er die Hände, kniete nieder und betete aus inbrünstigem Herzen für das Seelenheil seiner verlorenen Schwester.


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