Heinrich Laube
Reisenovellen - Band 2
Heinrich Laube

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Wien.

Die Stadt sah schön, sehr schön aus, wie das Vergnügen selbst. Und wenn man bereits einen Begriff von Wien hat, so ruft man gewiß aus: diese Stadt gehört in diese Gegend, es paßt Alles zusammen, Wien kann nirgends anders stehn, es ist an seinem Orte, und hier ist gut sein, hier muß man sich amüsiren.

Dies Wort ist für Wien erfunden. Die Wiener selbst sagen »unterholten – nu ie hoff', daß Sie sich gut unterholten.«

Ja, ja, so mußte Wien aussehen, ich hatte mir's so vorgestellt – ein weites behagliches Thalbecken, rings mäßige, grüne Berge, überall frischer, lichtgrüner Rasen, frisches lichtgrünes Laub, inmitten die bequem hinschlendernde Donau, blitzende weiße Häuserreihen, Bäume dazwischen, und wieder Häuser und Bäume bis in die Berge hinein. Man knöpft sich die Weste auf, um die behagliche Wiener Luft an die Brust zu lassen. Und es paßte Alles so vortrefflich: es war ein frischer, üppiger Septembermorgen, die Sonne schien vortrefflich, ein warmer Nachtregen hatte Alles erquickt, und da unten blitzten die tausend Fenster. Na, dacht' ich, hier wird's einmal Vergnügen geben, und tausend Fenster, in die ich hineinkucken will, sind viel zu wenig, und, und – ja ich 540 wußte nicht, was ich sagen sollte, aber es war mir ganz charmant zu Muthe.

Die Hausknechte fegten die Straßen, es war noch früh am Tage, die Stubenmadl schlüpften an den Häusern hin: und gaben sich nicht viel unnütze Mühe, die blanken Schultern zu bedecken, das Tüchlein war doch zu schmal, die Backen waren roth geschlafen, die Pantoffeln klapperten unter den weißen, glatten Strümpfen, und wenn man sie ansah, da lachten sie. Es war Alles richtig, die ganze Atmosphäre war amüsant, man sah's den Häusern an: hier giebt's lauter Vergnügen, sie haben so etwas onkelartiges, so etwas von einem guten alten Hausfreunde, der immer nur Vergnügen zu machen trachtet, der niemals über schlechte Zeiten klagt.

Die Städte haben wirklich ausdrucksvolle Physiognomien: wer könnte z. B. nach Berlin hineinfahren und den vornehmen Straßen die hochteutsche Sprache, das vornehme, verständige Wesen, die protestantische Abgeschmacktheit nicht ansehen, wer kommt nach Hanover, und sieht nicht in den leeren, glatten Gassen das leere, förmliche Adelthum mit den blanken gescheuerten Spuckkästchen und den blank gescheuerten Hirnkästchen – jedes Haus in Wien sieht fidel aus, Alles lächelt. Es ist allerdings jenes Lächeln bei ältlichen Personen, die sich noch gern amüsiren, es ist kein junges, modernes Lächeln, aber es ist ein behagliches Lächeln. Sogar die versteckten Regierungsgebäude imponiren nicht etwa, sie zucken ein Wenig die Achseln und sprechen »'s muß holt a Ordnung sein,« aber sie lächeln auch. Kurz, man sieht's den Häusern und Menschen an, daß sie sich nur des Tags über »a Bisserl« beschäftigen, daß aber das Vergnügen die Hauptsache ist, der Zweck, auf welchen Alles hinausläuft, man sieht's, daß der Handwerker drauf wartet, das Werkzeug, der Soldat, die Flinte wegzustellen, damit 's losgehe. Ich zappelte in meinem Kabriolet, mich unter die hin und her trippelnden Leute zu begeben, und mit zu fragen: 541 »wie unterhalten wir uns heute?« Denn bis der Wagen in die Mitte der Stadt kam, war Alles lebendig geworden, und die alten schmalen Gassen wimmelten immer lauter von Menschheit. –

Ich war noch nicht in meinem Gasthofe angekommen, und ich wußte es schon wie das hier gehen würde. Ganz Wien drückt sich beim ersten Anblicke aus. Die ganze Lage der Stadt, nicht glänzend schön, aber pittoresk, aber reizend, üppig, weich, der wärmere Himmel, die kugelrunde Sprache, die fleischigen, saftigen Körper der Wiener, die Sitten und Gebräuche, Alles liegt sich so materiell selig in den Armen, daß man selbst die Arme öffnet. Und in Wien öffnet sie Niemand umsonst. Wien ist sehr menschenfreundlich und liberal.

Und hier sollt' ich ja auch Maria finden, Maria, das blanke, schöne Mädchen! Und wie paßte sie hierher.

Ich werde nimmer jenes Wiener Morgens vergessen. Wie wunderlich, wie thöricht kam mir das ganze Leben vor, das hinter mir lag mit all' seinen Wissenschaften, seinen Theorieen, seinen rastlosen Gedanken, seinen Freiheitsbestrebungen. Mein Gott, dacht' ich damals, wozu all' diese verworrenen Dinge, hier ist Griechenland, hier ist Klassik, der Augenblick gilt, die Sachen sind das, wornach sie aussehen, sie sollen und wollen weiter nichts bedeuten, sie wollen genossen sein, hier ist das ächte Erdenglück, zieh dir den Sammtrock und die weißen Beinkleider an, und geh hinaus auf die Straße, und küsse die Menschen und iß gebackne Hohnerl – was geht mich denn der Weltlauf an.

Bon gelebt ist wohl gethan!

Die Bücher ruiniren den Unterleib, die Gedanken stören den Schlaf und die Karrière, ich stieg in's Bad, um den alten Menschen abzuwaschen, dann setzt' ich mich zum Frühstück, und nun, dacht' ich, bist du wie Alexander in Babylon angekommen, jetzt beginnt das Leben mit seinen Freuden.

542 Das Frühstück in Wien ist die Vorrede zu einem jener schönen Romane, deren wir so viele in der Jugend genossen haben, z. B. zu den zwölf schlafenden Jungfrauen: man freut sich kindisch auf all die Dinge, welche der Tag bringen wird. Dann kommt der Barbier, eine wichtige Person in Oesterreich – dies Geschäft wird in Norddeutschland mit sträflicher Oberflächlichkeit getrieben, der Wiener Barbier verrichtet es mit Andacht und niemals ohne Supplementstriche. Wie manches gute Alte ist hier auch das epische Talent dieser Leute noch in Uebung, sie erzählen noch, was sich begeben hat und sich begeben könnte, welche homeridische Tugend in den sogenannten feinen Städten leider immer mehr verschwindet. In Wien helfen die Barbiere den Staat konserviren.

Nach hinausgeworfenem Barbier, um mit dem versiegelten Bürgermeister zu reden, verfügte ich mich an die nächste Straßenecke, um den Catalog des laufenden Tages einzusehen. Dort schreien und jubeln die rothen, blauen und grünen Zettel, und verkünden wie die allen lieben Marktschreier, was den Tag über in Wien geschieht. Denn in Wien geschieht nichts als Vergnügen, es ist die Schlaraffenstadt der Kindermährchen. Wo Kinder sind, fehlen auch die Mährchen nicht, und in Wien sind ihrer so viele hunderttausend.

Ich war ein Glückspilz: in feuerrothen Buchstaben brannte es an der Rothenthurm-Bastei. »Sperl in floribus – Sperl in floribus« murmelte jeder Vorübergehende, und das Vergnügen sprang wie ein Gassenbube über sein Gesicht – »Sperl in floribus« lief es von Mund zu Mund, von Gasse zu Gasse, wo zwei Leute mit einander sprachen, da drückten sie sich die Hände, und sagten. »Heut ist der Sperl in floribus es war eine Vergnügungsemeute, welche mit den Worten »Sperl in floribus« neben mir herlief von der Ferdinandsbrücke bis hinaus auf die 543 »Wieden,« es war eine Gesichterillumination durch ganz Wien.

Und ich lief hinter her über den Stephansplatz, die Kärthnerstraße hinauf bis draußen in den Volksgarten, und von da wieder hereinwärts auf die Bastion. Es ist hier im Volksgarten und auf dem nahen Walle ungemein sauber, weiß, schön und glatt. Ein eben so saubres, großes Gebäude steht dicht am Walle, es sieht aus wie glänzendes Kanzleipapier mit zierlichen Buchstaben beschrieben.

Das ist Metternichs Haus.

Eine kleine Brücke führt auf den Wall, zehn Schritte davon ist die Burg, und über diese Brücke und jene zehn Schritte sieht man oft den Fürsten kommen mit dem Portefeuille der europäischen Konservation in der Hand.

Der Volksgarten ist wunderlich genug sehr nahe dabei. Ich mußte mir aber zugestehen, daß ich mit vielem Glück sogleich die Hauptpersonen einer Stadt zu finden wußte: nach Metternich ist der Sperl die wichtigste Person in Wien. Jener ist Minister des Auswärtigen, dieser Minister des Innern.

Ich werde mich später eines Breitern über Sperls System erklären. 544

 


 


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