Heinrich Laube
Reisenovellen - Band 2
Heinrich Laube

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Goethe.

Wenn ein Teutscher nach Italien reis't, so denkt er an Goethe. Es hat noch kein Schriftsteller das Land so treu geschildert als er, er hat es portraitirt. Goethe war das größte historische Talent was wir besessen haben, seine Augen waren so unbefangen, wie das Sonnenlicht: er sah nicht mehr und nicht weniger als da war, und in diesen Augen beruht seine Größe, wenn er Geschichte oder Reise schreibt. Die Gelehrten nennen solche Augen Objektivität.

Goethe ist für den Teutschen ein Stück Italien, und da er hier am Gardasee gesessen, und über seine Iphigenia nachgedacht hat, so darf ich nicht am San Vigilio vorüberfahren, ohne Goethes Namen in mein Buch zu schreiben. Nebenbei glaub' ich wie die Römer an heidnische Winke und Vorbedeutungen: ich war kaum vom Wagen gestiegen, welcher mich aus Italien wieder nach Leipzig gebracht hatte, da 247 begegnete mir mein Herr Verleger, und sagte, es wäre gut, daß ich wieder da wäre, ich müßte sogleich eine Lebensbeschreibung Goethes aufsetzen, er brauchte sie nothwendig, und der Druck warte schon vierzehn Tage auf mich. – Das schien mir der Finger Gottes, nach Italien ein Kapitel Goethe zu verlegen, zumal meine Reisenovellen teutsch geschrieben sind; denn Goethes Leben ist die wichtigste Novelle der teutschen Literatur.

Ich habe Goethe nie geliebt, selbst dann nicht, als ich es einsah, daß er unser größter Dichter sei. Es geht ein egoistischer Zug durch sein Gesicht und sein Leben, welcher für mein Herz die Liebe ausschließt, mag es auch, wie Heine sagt, der egoistische Zug um den Mund des Jupiter sein. Ich habe auch den Jupiter nie geliebt.

Als die bürgerliche Entrüstung losbrach über unsre Hofpoeten, als man mit donnernder Stimme all' unsre poetischen Schläfer aus ihren faulen Sorgenstühlen aufschreckte, und sie daran erinnerte, über dem feisten Mittagstische nicht die wenigen Interessen und Güter der Menschheit zu vernachlässigen, Notiz davon zu nehmen, wie es in der wirklichen Welt aussähe; als Ludwig Börne anfing, die langen Sündenzettel der teutschen Autoren zu veröffentlichen, da kreischte auch ich mit gegen den Geheimenrath Wolfgang von Goethe. Er hat nie etwas von jener humanen, schönen 248 Begeisterung empfunden, mit welcher die besten Menschen der Weltgeschichte gestorben sind.

Und seine Partei, welche man in der teutschen Geschichte Koraxe nennt, war ganz geeignet, diesen Zorn zu steigern. Oft ausgezeichnet durch seine Bildung, kultivirten Geschmack, war sie doch immer eine thatlose Gesellschaft, arm an energischem Genie, an gewaltiger, überwältigender Kraft. Mit einer Art kleinlicher Sorgfalt und Aengstlichkeit schaarten sie sich um ihn in jenen für sie so drangvollen Jahren, und die kompromittirtesten Bürger unsers Vaterlandes gehörten zu ihnen. Sie gaben der Poesie das Ansehn, als sei sie nur ein Spielzeug des Despotismus.

So geschah's, daß eine förmlich fanatische Verfolgung hereinbrach über alles Goethesche Wesen, daß man lange vor seinem Tode sagte, er sei gestorben; daß man den achtzigjährigen Greis mit unbändigen Schimpfnamen belegte, ja daß man Häckerling über das Grab des großen Todten warf. Die Nachricht seines Todes, die zehn Jahre früher wie ein Donnerschlag über Teutschland hingerollt wäre, schlich leise durch die Städte, und nur die officiellen Blätter, und die Goetheschen Beamten erhoben eine verworrene Todtenklage. Ich habe damals die fatalen Worte gehört: Wieder ein herzloser Aristokrat weniger! Die wilde Jugend rief sogar den Fluch des Vaterlandes auf seine Asche herab, und klagte ihn 249 des einem Dichter unnatürlichsten Verbrechens an, die freie Volksentwickelung aufgehalten, die Knechtschaft besungen zu haben. –

Dabei bin ich schweigend zurückgetreten, und ich protestire hiermit feierlichst gegen solche Weltgeschichte des Augenblicks. Wolfgang Goethe hat einen so weisen Blick in die Dinge zwischen Himmel und Erde gehabt, und seine Worte über das, was er gesehen, sind so tief in das Innre unsrer Nation gedrungen, daß er das teutsche Wesen mehr als tausend Andre fortgebildet hat. Seine Poesie ist so wahr und ächt, wie das unzweifelhafte Gold in der Erde Schooß – laßt uns anhalten, wenn wir auf dem historischen Wege an seinen Namen kommen. Nicht von heut zu morgen gehen die wichtigsten Saamenkörner auf – es werden noch Blumen und Bäume seines Geistes und Herzens aus der Erde wachsen, wenn die Stätte nicht mehr zu finden sein wird, wo man seinen Sterbetag in Stein gegraben hat.

Unser Zorn war gerecht, ich werde mich seiner niemals schämen, und er hindert mich heute noch, den weimarischen Todten zu lieben. Aber man soll den Zorn, auch den gerechten Zorn einer Epoche nimmer auszeichnen als einen welthistorischen Haß.

Goethe ist wie eine Geschichtsperiode nicht nach Einzelheiten zu beurtheilen, sondern als ein sich entwickelndes Ganze. Man wird alsdann leicht die innre 250 Nothwendigkeit seines Wesens erkennen, sein Leben schuf seine Werke, und nicht diese allein, sondern seine Werke und sein Leben bilden seine Geschichte.

Und Goethes Leben ist eine welthistorische Reisenovelle.

Goethe nützte der Menschheit schon als er todt auf die Welt kam. Weil es von Ungeschicklichkeit der Hebamme herrührte, so wurde sogleich ein Hebammenunterricht in Frankfurt eingerichtet. Er ward in Behaglichkeit aufgezogen, und diese ist ihm denn auch nie untreu geworden. Sein Vater, der Schultheiß von Frankfurt, ein sich fühlender, bürgerlich teutscher freier Reichsbürger, ein Mann von lakonisch ernstem Pedantismus mit großer Lern- und Lehrbegierde, sorgte mit großer Gewissenhaftigkeit für alle Studienanfänge des Knaben. Die Mutter, ein höchst liebes Wesen, war die Morgenröthe seines Glücks, sie pflegte ihn mit heitrer Sinnigkeit und poetischer Mutterliebe. Alles Zarte und Weiche, Alles Bestechende seines Wesens ist ihm aus den lieben Augen und Lippen seiner Mutter gekommen. Die Großmutter schenkte ihm ein Puppenspiel, und mit seiner zärtlichen Schwester Cornelia führt er seine ersten knabenhaften dramatischen Einfälle auf. Homer mit den langen Helden erfreut ihn sehr, er opfert seinem Gotte an einem frühen Morgen Räucherkerzen, die er mit seinem Brennglase anzündet, lies't Mährchen 251 und alte Geschichten, kurz führt ein sinniges träumerisches Knabenleben hinter den heitern Gärten Frankfurts. Bei seiner Tante, die einen Materialladen besitzt, kuckt er neugierig in Kasten und Schübe, und fragt und flüstert in allen Winkeln herum, bis ihn die Schwester an's Fenster ruft und sie neugierig hineinsehn in die bunte, vorüberwogende Menschenmasse, vorzüglich zur Zeit der Messen. Er lies't und lernt die teutschen Poeten und plappert sie her wie ein Vogel, dem man die Zunge gelös't, ja er trägt schon Verlangen, solche zu lesen, die der Vater ausschließt. Dieser liebte zum Beispiele Klopstock nicht, weil er ungereimt geschrieben, aber durch Vermittelung der Mutter kam er dem Wolfgang doch in die Hände, und die zartesten und heftigsten Stellen wurden nun auswendig gelernt. Aber eines Sonnabend Abends, als Goethes Vater sich eben einseifen ließ, um zum morgigen Kirchgange fein rasirt zu sein, saß der kleine Wolfgang mit Cornelien hinter dem Ofen, und sie wisperten mit einander die wilde Scene zwischen Adramelech und dem Satan. Sie werden dramatisch hitzig, lauter, bei einem wilden Wort erschrickt der Barbier und übergießt den Papa Goethe. Aufstand, Untersuchung, neue Verbannung Klopstocks. Da bricht der siebenjährige Krieg aus und bringt neue Beschäftigung, neue Neigungen. Der Graf von Thorane, Lieutenant du Roi, ein großer Freund der 252 Künste, wohnt im Goetheschen Hause. Es werden Maler beschäftigt, der kleine Wolfgang interessirt sich sehr dafür, gibt vorlaut eigne Sujets an, verräth Geschmack, lernt französisch und beginnt viel andre Sprachen mit großer Leichtigkeit. Um sich dies bequemer zu machen, schreibt er ein Stück, worin sieben Geschwister in sieben Sprachen mit einander reden. Das französische Theater nimmt seine Aufmerksamkeit auf's Lebhafteste in Anspruch, er macht Bekanntschaft mit einem dabei betheiligten Knaben, kriecht hinter den Kulissen herum, fängt die erste, sehr kurze Liebschaft mit des Knaben Schwester an, und erträgt geduldig den Unwillen des Papa, der seinen täglichen Besuch des französischen Schauspiels höchlich mißbilligt. Wolfgang will ihn versöhnen, und schreibt ein französisch Stückchen, in dem lauter mythologische-ovidische Figuren aufmarschiren, und was er dem Vater sauber abgeschrieben übergiebt. Die Franzosen machen es ihm gewaltig herunter, und er studirt deshalb eifrig »Corneille« über die Einheiten, Moliere und Racine. Die Lust hebräisch zu lernen führt ihn in die kühle Bibliothek zum Rektor Albrecht im Barfüßerkloster. Dort sitzt er in den Sommerabenden bis es dunkel wird über einer englisch glossirten Bibel, Moses mit dem Morgenlande ziehen ihm durch den kleinen Kopf und er diktirt schon so früh eine Geschichte Josephs. Der Vater erhält damit den ersten 253 Quartband. Wolfgang bezeigt sich auch dadurch artig, daß er Sonntags in die Kirche geht, und die ganze Predigt nachschreibt. Diese Beschäftigung wird ihm indessen bald langweilig. Ein wichtiges Ereigniß stört ihn später auf: die Krönung Josephs II., aber die Bekanntschaft mit Gretchen geht ihm bald über Krönung und Kaiser; stürmisch und völlig dringt die Liebe in den funfzehnjährigen Knaben. Zart trennen ihn die Eltern von dem niedriger gebornen Gretchen, eine stürmische Verzweiflung bemächtigt sich seiner, er wird krank. Eine traurige Oede dünkt ihm nach halber Genesung seine Vaterstadt, kaum tröstet ihn seine mitfühlende Schwester. Auf Drängen seines Vaters nimmt er wieder seine juristischen Studien vor, und geht Michaelis 1765 auf die Universität Leipzig. Nur halb hergestellt betrat er die Stadt, und noch zerrütteter verließ er sie später. Aus der Feuerkugel am Neumarkt, wo er wohnte, geht er Anfangs regelmäßig in die Collegien, da ihm Böhme große Angst vor der Schwierigkeit des juristischen Studiums beigebracht hatte, bald aber sieht er den hohlen Pedantismus ein, seinen gesunden Sinn ekeln die leeren Förmlichkeiten der akademischen Wissenschaftlichkeit an, er geht zu Madame Böhme und lies't ihr Gedichte vor. Sie verleidet ihm den Gottsched, und andre weibliche Bekanntschaften verleiden ihm seinen reichsbürgerlichen zierlich steifen Frankfurter Anzug. Sein 254 Vater pflegte zu seinen Bedienten nur Schneider zu nehmen, damit sie die nöthigen Kleidungsstücke mit anfertigen könnten. Mit dem Werke eines solchen Bedienten, mit dem übervollen oberteutschen Dialekte, den Mund voll Gleichnissen und sprichwörtlichen Redensarten ging er denn anfänglich, ein hübscher kleiner Philister, in Leipzig umher. Beim Hofrath Ludwig aß er zu Mittag in Gesellschaft von Botanikern und Medizinern, diese neuen Gegenstände des Gesprächs gaben ihm eine Art neuer Anregung, da ihm die Poesie eben nicht die mindeste gewährte. Der gute leere Gellert war ihm bald fade, das steife Allongen-Paradepferd Gottsched, bei dem er eine höchst burleske Audienz hatte, machte ihn lachen – er verzweifelte an all diesen Dingen und verbrannte an einem schönen Mittage all' seinen derartigen Vorrath. Sein Landsmann Schlosser richtet ihn ein Wenig auf, und es bildet sich allmählig eine literarische Mittagstafel. Noch weiß er aber immer nicht, wie Poesie eigentlich beschaffen sein solle, der leere Schwulst, die pomphafte leere Steifheit widern ihn an, nur die eben mehr und mehr aufkommenden englischen Muster führen ihn zu einigen halben Ansichten, daß man konciser, gedrängter werden müsse. Der kursirenden französischen Form weiß er sich aber doch nicht zu entäußern, nur bemerkt man eine gewisse feine Ironie, die wie ein unruhiges Kätzchen über den glatten Boden hin und 255 herfährt in den Sachen, die er damals schrieb. In dem Hause, wo er aß, hatte er nämlich eine kleine Liebesgeschichte mit Annetten begonnen, seine Laune war aber meist so unerquicklich, seine fortwährende Eifersucht so lästig, daß sich das Mädchen von ihm abwendet und trotz vieler Versuche nicht wieder zu gewinnen ist. Bald darauf hatte sich Goethe in ein sehr muntres, rasch wechselndes Leben gestürzt, er war ein Wenig lüderlich geworden, und als Bekenntnisse jener Verhältnisse war »die Laune des Verliebten,« waren »die Mitschuldigen« und manche Gedichte entstanden, welche in oben erwähnter Form sich bewegten. Er fand noch keine Regel und schrieb und dichtete Zustände. Mit Berisch, einem seiner Genossen verlegte er sich jetzt auf satirische Possen, verspottet den Professor Clodius und manchen Andern in leichten, muntern Versen, und wird nur plötzlich durch Oesers Zeichenstunden auf ein andres Terrain gebracht. Er studirt viel über bildende Kunst, lies't Lessings Laokoon mit dem größten Interesse, reis't mit der gelben Kutsche nach Dresden und beschäftigt sich lebhaft mit Kunst und Kunstinteressen. Er ätzt Kupferstiche und athmet dabei viel schädliche Dünste ein, lebt unregelmäßig, trinkt viel Kaffee und starkes Merseburger Bier – wird melancholisch, und bekommt eines Nachts den Blutsturz. Nur halb geheilt, an Leib und Seele krank, kommt er nach 256 Frankfurt, und schwankt eine Zeitlang ziemlich elend dort herum. In seinem väterlichen Hause war ein stilles, gottseliges Leben, die Familie neigt sich zu den sogenannten »Stillen im Lande.« Das wirkte wie Dämmerung auf Goethe, er kränkelt trübsinnig fort und macht in dieser Stimmung die Bekanntschaft des mystischen Fräuleins von Klettenberg, der wärmsten Freundin seiner Mutter. Auch sie kränkelte und badete sich in Frömmigkeit, und aus ihren Unterhaltungen und Briefen sind »die Bekenntnisse einer schönen Seele« entstanden. Diese ganze Richtung führt ihn auf das Studium chemischer, alchymistischer Werke. Auf seinem Giebelzimmer errichtet er ein Laboratorium und liegt über Wellings opus mago-cabalisticum, über dem Paracelsus. Als er sich zur Kirchen- und Ketzergeschichte Arnold's wendet, ist er schon ein Wenig geläuterter, die Ketzer interessiren ihn schon am meisten. Aus dem mystischen Grunde seines jetzigen Wesens baut er sich ein wunderliches neuplatonisches Wohngebäude auf, mit Säulen und Schnörkeln der heiligen Kabbala verziert. Der junge Student lebt wie ein ägyptischer Priester, der sich für die Wüste vorbereitet. Beim Verbrennen der Ketzer kommt er auch auf das Verbrennen seiner Manuskripte und außer der »Laune des Verliebten« und den »Mitschuldigen« verkohlt das Meiste. Aus der Kabbalistik windet er sich aber doch allmählig heraus bis zum rein 257 wissenschaftlichen Studium des Boerhave. Sein Vater hatte indeß immer den Juristen im Auge, er will seinen Sohn als wohlbestallten Rathsherrn sehn, und Wolfgang Goethe wird nach Straßburg gesendet. Hier erneuert sich denn wieder die ganze französische Einwirkung, welche so durchaus an Goethe zu finden ist. Seine Tischnachbarn sind wiederum Mediziner, er hört Collegien über Chemie und Anatomie, ja besucht sogar die Klinik, und versäumt die Jurisprudenz ganz. Auch für seine halbgläubige Richtung findet er in Jung-Stilling einen Repräsentanten. Still ruhen die Künste in ihm, bis er eines Tages an der Treppe des Gasthofs zum Geist einen schwarz gekleideten Mann trifft, den er zu kennen glaubt und anredet. Ein langer seidner Mantel war hinten in die Taschen gesteckt, das Haar war fein gepudert, unter der hohen Stirn und den starken schwarzen Braunen sahen kohlschwarze Augen weit hervor, über die angenehmen Lippen sprangen scharfe, spitze Worte. Goethe hat sich nicht geirrt, es war Herder, und obwohl ihn dieser vielfach maltraitirt, so ist er doch von wesentlicher Einwirkung auf ihn geworden, hat viel Pedantisches aus dem Sohne von Goethes Vater herausgetrieben, und sein inneres frisches Leben aufgeregt. Herder litt damals sehr an den Augen, und war überhaupt auch sonst ein Mann der Bewegungskultur, der dem betrachtenden jungen Goethe vieles verleiden mußte. Er hat diesem mancherlei weggespottet, und Goethe hat ihm nie etwas von seiner mystisch, kabbalistischen Chemie erzählt; bei allem Zorn über Herders oft zu herbes Wesen hat ihm dessen Verstand und Bildung doch immer gewaltig imponirt, er bewahrte sogar immer eine gewisse Scheu vor seiner Handschrift. Nie war er frei von einer leisen Furcht seines Innersten vor diesem gewaltigen Geiste des rastlosen Fortschrittes. Durch ihn wird auch Goethe mehr hineingeführt in die Richtungen der teutschen Literatur, er sah aus seiner hebräischen Poesie und aus alle dem, was er über Volkspoesie sagte, daß die Dichtkunst nicht das Ergebniß sein gebildeter Formen einzelner Nationen sei, sondern daß eine Welt- und Völkergabe existire, die man Poesie nenne. Eben so führte ihn Herder in die glänzenden Säle der italienischen Maler, er schloß ihm hohe, weite Gegenden des Geschmacks auf, und er und Shakespeare, den er später auch in Straßburg kennen lernt, geben einem Theile seines Wesens eine völlig andere Richtung. Und zwar ist diese Richtung fast durchweg die erquicklichste seines Wesens geblieben, die uns allein die französische Förmlichkeit genießbar gemacht hat. Nach Herders Weggange fiel ein solcher Abschnitt, wo er sich ausschließlich mit Franzosen, namentlich Diderot und Voltaire beschäftigte. Wie ein milder Regen fällt Goethes Verkehr mit der Pfarrerstochter aus 259 Sesenheim, Friderike, dazwischen. Das Herz geht ihm langsam, aber völlig auf, und es findet sich auch in seinem »Wahrheit und Dichtung« nicht leicht ein andrer Abschnitt mit so warmer, bewegter Hand so herzlich und einfach beschrieben. Um diese Zeit kam Wielands Uebersetzung von Shakespeare, von dem Goethe in Leipzig nur einzelne Bruchstücke gesehn hatte. All' sein Streben, das leere, steife Zeug, in das seine weite und tiefe Naturanschauung sich nicht drängen ließ, ward ihm klar und klarer. Er sah, wie natürlich man sein kann, und wie gewaltig und groß dabei. Das unermeßliche Feld, was Alles Poesie sein könne, ward ihm mit einem plötzlichen Sonnenblicke erleuchtet, er fühlte, soweit er die Arme streckte, Raum. Die Wohlgerathenheit seiner Faust Empfängniß zwischen den Leipziger Wissensgittern ward ihm klar. Er übersah den Raum, wo er im Dunkeln nach einem Ausgange herumgetappt war. All' seine poetischen, religiösen, natürlichen Bestrebungen empfingen plötzlich das große Siegel der Wahrheit und Poesie, der ganze Plunder, der ihn vorher immer noch beängstigt hatte, purzelte zusammen. Die Erkenntniß Shakespeares war Goethes poetischer Geburtstag, an welchem er zum erstenmale sein Leben verstand. Wichtig war es auch, daß er zu gleicher Zeit jenen kleinen, blonden, sonderlichen Liefländer, Lenz, kennen lernte, der seinem Humor die unbändigsten 260 Dinge erlaubte, und vielleicht Shakespeares bester komischer Uebersetzer ist. Es arbeitete um diese Zeit Alles daran, Göthes Wesen zu befreien. Nothgedrungen muß er nun endlich seine juristische Promotion abmachen. Immer mehr bildet sich das rein Poetische im Gegensatz zum Spekulativen an ihm heraus. Sein Dissertationsthema geht dahin, daß der Gesetzgeber verpflichtet sei, einen Kultus festzusetzen. Eben so sieht er ein, daß eine rasche Trennung von Frideriken nöthig ist, da sein Abgang von Straßburg naht. Er reicht ihr vom Pferde noch einmal die Hand, und reitet schmerzlich erregt und tief betrübt von dannen. Da kommt einer der wenigen Augenblicke in seinem Leben, wo er sich dem romantischen Versinken völlig hingiebt: es bedünkt ihm, sein Ebenbild in einem hechtgrauen Kleide mit etwas Gold komme ihm entgegen. Er hatte nie ein solches Kleid getragen, und ohne daß er wieder darauf geachtet, ertappt er sich bei einer Besuchsreise nach Sesenheim in spätern Jahren in einem hechtgrauen Kleide mit etwas Gold. – Er kehrt nun nach Frankfurt zurück; aber schon in Straßburg hat er Götzens Lebensbeschreibung von Frank v. Steigerwald gelesen, und der alte teutsche Ritter hatte sich ihm zwischen Herz und Kopf gelagert. Er begann, an ihm zu bauen. Gesunder, aber aufgeregter, excentrischer, strebender als je kam er in's väterliche Haus zurück, und die 261 Mutter hatte viel zu beschwichtigen beim ordentlichen, reichsbürgerlichen Papa, daß er nicht sehr unwirsch wurde über seinen Sohn. Göthe hat sicher anfänglich vieles geschrieben, wo er den lesenden Vater im Hintergrunde hatte, dem er gefallen wollte. Da wurde Manches pedantischer eingerichtet, und in den besten Werken ist hie und da diese steife Reichsbürgerlichkeit der Form in einzelnen Redewendungen geblieben. Am meisten zeugen seine Briefe davon. – Es findet sich unterdessen in Frankfurt und der Umgegend eine muntre Gesellschaft junger Köpfe zusammen. Sie gründen die »Frankfurter gelehrten Anzeigen« und gehen wild in's Zeug hinein. Zum Unterschiede von dem Göttinger zarteren Vereine, der sich an Klopstock anschloß, und in welchem Hölty, Bürger, Voß, die Stollberg, Boie &c. webten, werden die Frankfurter die Rheinischen Kraftmänner genannt. Um diese Zeit erhält er einen peinlichen Abschiedsbrief von Frideriken. Das Herz ist ihm schwer, er reitet, fährt Schlittschuh, wird Vertrauter in allerlei Verhältnissen, wandert in der Umgegend umher, sogar oft durch Frankfurt, wo er im Wirthshause auf der Fahrgasse speis't, und von wo er weiter zieht, und Sturm- und Wanderlieder dichtet. Nie aber kann er sich einer Vergangenheit anders bemeistern, als wenn er sie objektiv im Gedicht darstellt. Namentlich seine Gedichte sind Beichten an die Poesie, 262 und Beichte sind seine wichtigsten Werke: der Werther, Faust, Tasso sogar, und Meister. Von seinem Vater gedrängt, tritt er in ein juristisches Geschäft in Wetzlar, schließt sich an viel neue Bekanntschaften, verkehrt mit den alten Freunden, namentlich dem galligten Merk, tritt auch mit den Göttingern in Berührung. Ihre nordische Mythologie mit den Nebelbildern ihrer Götter, die ohne Fleisch und Blut sind, hat ihn aber immer angefröstelt. Um jene Zeit lies't er wieder den Homer, und das ist die letzte Pforte, durch welche er heraus in die Oeffentlichkeit tritt. Kleiner theologischer Kram, pedantisch wilde Recensionen, und ähnliche Kleinigkeiten, die er damals geschrieben, kann man kaum in Anrechnung bringen. Die Zeit naht aber nun mit Riesenschritten, wo die Periode seiner Vorbildung zu Ende geht, die verschiedenartigen aufgehäuften Massen einen Ausweg finden, und seine erste schriftstellerische Epoche anhebt. Merk hat ihm die Angst vor der Oeffentlichkeit vertrieben, seine Schwester stachelt ihn zur Vollendung des Angefangenen, er schreibt endlich in sechs Wochen den Götz. Es war sonderbar, daß er eben einen Gegenstand zum ersten Auftreten herausfand, welcher in einer schlaffen, ausdruckslosen Zeit das teutsche Volk so auf's Aeußerste ansprechen mußte – es war Glück. Denn von Jugend auf lagen dem Göthe Volksinteressen immer fernab; aus 263 unersprießlicher, unklarer Bewegung entwickeln sie sich zu Tage, und berühren ihn schon darum unangenehm. Die Form des Götz gehörte seinem gesunden, natürlichen Sinne, seiner Einfachheit und den letzten Eindrücken Shakespeares und Homers. Auch der Münster in Straßburg hatte das Seinige beigetragen, das Mittelalter in gewaltigen Formen seinem Herzen einzuprägen. Wenn Göthe namentlich in diesem Götz v. Berlichingen, im Werther, und vor Allem in seinen einfachen Gedichten den teutschen Grundton so richtig traf, dann darf man nicht voreilig patriotisch sein Wesen grundteutsch nennen – er war es hie und da durch Gewohnheit, aber eine Intention der Art war seinem Wesen ganz fremd. Nur kurzsichtige Verehrer beengen ihn mit diesem Epitheton. Er hat von früh an das größte Talent gezeigt, baar und rein aufzufassen, was ihn umgab; so hat er auch das teutsche Wesen aufgefaßt, und es natürlich wiedergegeben. Aber all' seine Liebe, sein Dank für ältere Poesie, die ihn erquickt, drängt sich in diesem Götz zusammen. Es ist noch eine große Breite, viel vom Hauptgange ablenkendes Nebenwerk in diesem Stück, aber auch dies bekundet die glücklichste Hand, und das Ganze war ein gewaltiger Wurf. Also ritterlich geharnischt, die Teutschen an ihren letzten, gewaltigsten Freien erinnernd, trat Göthe auf, und diese unerhörte Art, durch ein Buch zu den Schwächen, Neigungen, und 264 Wünschen eines Volks zu sprechen, ward mit dem größten Jubel aufgenommen. Die unzähligen Nachahmungen, alle die Ritterschauspiele, welche von dort datiren, bürgen dafür. Es war im Jahre 1773, als Göthe den Götz auf seine Kosten drucken ließ, nachdem er ihn beim Umschreiben geändert hatte. Dreißig Jahre später hat er ihn wieder überarbeitet. Während der Sensation, die diese Erscheinung hervorbrachte, litt Göthe stark an Geldmangel, und seine Leere von Sesenheim her war durch die Weiber im Götz noch immer nicht ausgefüllt. Er hatte nicht Raum genug gehabt, all' jene von so vielen Begegnissen aufgehäufte Sentimentalität auszuströmen. In Wetzlar hatte er die verlobte Braut eines Bekannten lieben gelernt, er hatte sich von dieser Neigung zu Lotten nur mit großer Aufopferung losmachen können. In Frankfurt überrascht ihn jene Sophie la Roche, die er auf seinen Reisen kennen gelernt hatte, mit einer zärtlichen Zuneigung. Sie war verheirathet, und wollte sich durchaus nicht in ihr Verhältniß fügen. Dazu war Göthes Gewissen wegen Friderikens auch noch nicht beruhigt, er hatte noch keine genügende poetische Beichte dafür abgelegt. Er mußte sich auch bei jener Liebe für Lotte in Wetzlar der Thorheit erinnern, daß er allnächtlich einen Dolch auf seinen Nachttisch gelegt, und versucht habe, wie tief er stechen, und ob er sich wohl das Leben nehmen 265 könne. All' diese Dinge bedrängten seine Seele, der durch ähnliche Leidenschaft herbeigeführte Selbstmord des jungen Jerusalem giebt dem Suchen seines Geistes nach Form und Gestalt die Richtung, er schließt sich in sein Zimmer, und schreibt binnen vier Wochen den sentimentalen Roman »Werthers Leiden«. Hatte Götz wie ein überraschender Donner die Aufmerksamkeit Aller auf Goethe gelenkt, so schlug Werther wie ein Blitz in alle Herzen. Die schmuckloseste und doch feinste Wahrheit war mit sichrer Hand aus der tobenden, leidenschaftlichen Brust gezogen. Eine tiefe, historische Richtigkeit liegt all' den Dingen zum Grunde, welche den Ton einer ganzen Epoche angeben, welche Vorbilder, Mode werden. Werther erzeugt die sentimentalen Romane. Um ein überschauliches Bild Goethes zu entwerfen, kann man nicht genug darauf dringen, daß sein Leben einfach erzählt wird; es ist der beste Kommentar seiner Werke, weil er gegen sich immer ehrlich war, und seine Werke der Ausdruck dieser Ehrlichkeit sind. – Nach Vollendung des Werther athmete er wieder auf, ein großes Stück heftiger Vergangenheit war dadurch verarbeitet und abgemacht. Um diese Zeit schließt sich ihm der tolle früh verstorbne Lenz wieder an, er verkehrt mit Wagner und Klinger. Auch Basedow, der Dreieinigkeithasser, der taktlose, unsaubre Raisonneur, dem es nicht an Geist, aber an Grazie und Schönheit gebrach. 266 Er macht eine Rheinreise mit Goethe, und quält ihn vielfach durch den Dampf seines schlechten Tabaks, sein Biertrinken und sein Raisonniren am unrechten Orte. Auf dieser Reise kommt er nach Cöln, das einen tiefen Eindruck auf ihn macht, und den »König von Thule« gebiert. Fritz Jacobi lernt er kennen, und wird nach Spinoza und den Philosophen lüstern gemacht. Zu Düsseldorf findet er den feurigen Heinse, welcher sich enthusiastisch an ihn anschließt, und mit Begeisterung den schönen Goethe seinen Freunden schildert. In der nächstfolgenden Zeit producirt er meist kleinere, unbedeutendere Sachen, »das Jahrmarktsfest« – den »Prolog zu Bahrdts neusten Offenbarungen«, er beginnt aber bald darauf eine Komposition, die von seinen Biographen immer zu wenig gewürdigt worden ist – den »Mahomet«. Wir haben nur eine Hymne und den Hauptplan davon. Mahomet betet unter dem einsamen, arabischen Nachthimmel, und mit dieser Stille wechselt später das laute Treiben einer zu gründenden und zu verbreitenden neuen Religion. Die Furcht, welche aus Goethes Plane schüchtern heraussieht, daß die Handlungen zu gleichförmig, massenhaft werden dürften, würde gerade Goethes bedeutendes Geschick, das Allgemeine im Einzelnen, in der Persönlichkeit bestechend auszudrücken, vernichtet haben. Es konnte das schönste Seitenstück zu seinem späteren westöstlichen 267 Divan werden, wo er die sinnliche, spielende Behaglichkeit Asiens schildert. Der südlich glühende Sturm, die geheimnißvollen Nächte, die geisterhaft sprechende Natur arabischer Flächen und Sterne – welch' ein Feld gewährte das Alles seiner bewundernswerthen Natur-Intuition. Damals braus'te die frischeste Heldenjugend in ihm, die großen Tragödien Mahomet, Prometheus, Faust bestürmten sein Herz, er war jung und liebenswürdig über und über. Es ist wie Vieles bei ihm nur Anfang geblieben, was zu seiner sonstigen Ganzheit gar nicht stimmt. Dieser Mangel an Ausdauer ist aber vielleicht das schönste Stück Dichterei wechselnder Empfänglichkeit an ihm, ein Vermächtniß seiner poetischen Mutter. Um so schneller vollendete er damals den Clavigo. In einer Abendgesellschaft war der Stoff aus Beaumarchais Memoiren mitgetheilt worden, schon auf dem Heimwege ordnete er die Akte, und in wenig Tagen war das Stück fertig. Es hat in seiner baaren Natürlichkeit, mit dem Schwindsuchtstode der Marie, dem plumpen, tollen Beaumarchais, dem mehr denn wankelmüthigen Clavigo den Kunstkritikern viel zu schaffen gemacht, und wird doch immer alle die bestechenden Vorzüge jener einfachsten Richtigkeit jenes meisterhaft unveränderten Lebemanns Carlos, jenes ganzen, täuschend wahren Hergangs der Dinge geltend machen. Wichtig für Goethes Leben wurde die kleine Satire 268 »Götter, Helden und Wieland«, welche er bald darauf schrieb. Sie ging auf das Modernisiren der griechischen Götter, welches sich Wieland namentlich in seiner»Alceste« erlaubt hatte, und machte zuerst den Erbprinzen von Weimar auf Goethe aufmerksam, der ihn, als er bald darauf zur Regierung gekommen war, 1775 nach Weimar einlud. Als er den Clavigo geschaffen, war er liebelustig, und liebte alsbald in einem benachbarten Städtchen ein schönes Kind der Natur, Lilli benannt und überfüllt mit den schönsten Götheschen Gedichten. In Offenbach genoß er, und in Frankfurt schuf er Genüsse, wie den letzten Wurf seiner Revolutionsjugend, den Egmont. Doch trennte er sich darauf von Lilli, weil er fürchtete, diese schöne Blume aus ihrem Klima zu tragen, und weil er sich in das ihre nicht einbürgern mochte. Er war reif für Weimar, wohin ihn alsbald Glück oder Unglück trug. Auch zum Egmont hatte ihn sein Vater eingesperrt, Wolfgang lief fortwährend herum. Hinterher war aber der Papa so erbaut von dem Stücke, daß er den wunderlich gerathenen Sohn unter den Arm nahm, mit ihm in Frankfurt herumstrich, und ihm Wein und Naschwerk kaufte. Ganz irreligiöse Dinge für den gewesenen soliden Stadtschultheißen. Zu Weimar lebte Goethe anfänglich ein muntres, bewegtes Leben, die Form nicht eben ängstlich beachtend, der Gesellschaft 269 sich hingebend, aller früheren, ihn oft beängstigenden Verhältnisse harmlos vergessend, aller Rücksichten los und ledig, der frischen, augenblicklichen Eingebung folgend, liebenswürdig in Wort und Wesen wie zu keiner andern Zeit. Er schreibt leichte, farblose Singspiele, mit denen sich schwer was anfangen läßt, gebiert die wunderliche Stella, deren Unordnung und heiße Leidenschaft deutlich verräth, wie zerstreut der Poet in neuer Gesellschaft und Umgebung herumflatterte. Er durchstreift zu Pferd und zu Fuß den Thüringer Wald und den Harz – »die Harzreise im Winter« zeugt davon, seine jugendlich joviale, muntre Zeit stiegt auf in den »Vögeln«, ja, er löst sich plötzlich mit einem lachenden Spott, im »Triumph der Empfindsamkeit«, den er gegen die Wertherhelden schreibt, völlig von seiner früheren Sentimemalität los. Somit schließt er selbst die zweite Periode seines Lebens, die erste seiner schriftstellerischen Thätigkeit. Der neue Abschnitt beginnt mit seiner italienischen Reise 1786, die er über Carlsbad antritt. Allerdings sind die Pläne zu Iphigenia und Tasso nicht erst auf der Reise gefaßt, aber die Werke gehören streng erst dieser Zeit an. Sie sind die Produkte eines befriedigten schöngeistig sinnlichen Wesens, was die Leidenschaft hinter sich hat, und mit klarem, schaulustigem Auge in ein neues Land, eine neue Welt der Kunst und 270 Schönheit tritt. Auch seine Vorliebe für's Studium der Natur-Einzelnheiten drängt sich immer mehr hervor, schon bei Bologna sucht er Schwerspath. In Rom verkehrt er mit Tischbein, und gewinnt immer lebendigeres Interesse für bildende Künste, ja, der Egmont ist bereits geschrieben, und Goethe ist noch zweifelhaft, ob er nicht mehr für bildende Künste berufen sei. In Rom verkehrt er auch viel mit Moritz, und dieser Umgang ist in metrischer Hinsicht für die Iphigenie wichtig geworden, die er dort vollendete, nachdem er sie am Gardasee überarbeitet hatte. Moritz beschäftigte sich eifrig mit prosodischen Forschungen, und war ein so großer Verehrer von Goethe, daß er nur à la Werther im blauen Frack und gelben Unterkleidern einherging. Die Iphigenia spricht in ihrer Einfachheit die teutschen Freunde nicht recht an, Goethe beharrt aber dabei, den Tasso ähnlich zu schreiben. Er geht nach Neapel und Sicilien; noch halb seekrank überarbeitet er in der Kajüte liegend den Tasso. Er war weichlicher, nebelhafter angelegt und in Prosa geschrieben, Rhythmus und Form rafften ihn zusammen. Auch Tasso soll ganz aus seinem Leben sein. Man erzählt im Stillen, daß Goethe eine Prinzessin geliebt habe, und mit Mühe dieser Leidenschaft Herr geworden sei. An den sicilianischen Küsten befängt ihn Meer und Ufer mit homerischen Armen: er will eine Tragödie Nausikaa 271 schreiben. Der Plan ist sehr schön, und es ist sehr zu bedauern, daß Goethe plötzlich auf andere Gedanken gekommen ist. Er sieht, daß Homers Gleichnisse, so poetisch sie scheinen, natürlich sind, und er wird von da noch natürlicher im Ausdruck, was freilich beim Mangel sicilischer Umgebungen später oft Nüchternheit wurde. Goethe sucht in Sicilien die Urpflanze, und sammelt Stoff zu seiner»Metamorphose der Pflanzen.« Bei seiner Rückkehr findet er in Teutschland eine große kritisch philosophische Aufregung, durch Kant hervorgebracht. Seine ganze kontemplative Lebensansicht hatte sich unterdeß mehr und mehr abgerundet, und wie jede Störniß hält er diesen Kriticismus eine Zeitlang von sich ab. Ja Schiller, der wilde, geniale Kantianer, stößt ihn lange Zeit ab, Goethe vermeidet ihn absichtlich. Eines Tags treten sie zu gleicher Zeit aus einem naturwissenschaftlichen Vortrage in Jena, und Schiller redet ihn an. Sogleich in eine Polemik mit einander gerathend, vertiefen sie sich, und Goethe kommt bis auf Schillers Zimmer, ihm seinen Realismus demonstrirend. Allmählig knüpft sich das Verhältniß enger, und die sechs Bände Briefwechsel, die wir erhalten haben, bekunden, wie groß ihre gegenseitige Theilnahme, ihr gegenseitiger Einfluß auf einander geworden ist. Es ist keinem Zweifel unterworfen, daß Goethe's Einfluß auf Schiller außerordentlich war, 272 jenem idealen hochfliegenden Himmelsstürmer war das mit starker Hand geordnete irdische Element Goethes ein vortrefflicher Boden. Es ist dies nirgends sichtbarer als in den ersten Akten des Tell und im ganzen Wallenstein. Aber auch in Goethe's Seele warf Schillers glänzende Sonne warme Strahlen, und ein gewisser Glanz der Sprache ist an den Produkten damaliger Zeit durchaus nicht zu verkennen. Stürmischen Eindrücken war die Goethesche Natur nie ausgesetzt, denn er war allmählig und tief aus dem Kern des Stammes gewachsen wie ein Baum. Sein ganzes Wesen war das Ergebniß einer historisch entwickelten Nothwendigkeit. Es bleibt darum auch immer thöricht, Einzelnheiten an ihm zu rügen, man muß die kritische Hand an den ganzen Goethe legen, oder ihn gewähren lassen. Daß alle menschheitliche Bewegung aus seiner ganzen Bildung ausgeschlossen wurde, daß früh eine gewisse Reizbarkeit der geistigen Nerven und später eine inhumane Bequemlichkeit ihn alles stürmisch sich Entwickelnde mit harter Hand von sich abhalten ließ – das bleibt zur Aufzeichnung einer unbestechlichen Geschichte vorbehalten. Es bleibt aber auch ihre Aufgabe, den andern Maaßstab für seine Größe, den des tiefen, langsamen Einwirkens getreulich aufzusuchen. – Es erscheint nun auch neben Egmont und Tasso der Faust, das größte Werk 273 Goethes, der Titanenkampf des Menschen mit Form, Natur und Gottheit. Schon in der frühen Bildungsperiode hat er daran gearbeitet, in der ersten sentimentalen Kraftperiode, die wir von Götz bis zum Triumph der Empfindsamkeit datirt haben, die Arbeit fortgesetzt, und in diesem seinem dritten Abschnitte, der Epoche seiner Schönheit, vollendete er ihn, wenigstens das, was wir bisher immer unter dem Namen des Goethischen Faust verstanden haben. Er hat später noch einen Abschnitt »Helena« hinzugeschrieben, und unter seinen nachgelassenen Schriften hat sich der Schluß dieses Gedichts befunden. Ich komme in der später folgenden allgemeinen Beurtheilung darauf zurück. – 1790 reis't er zum zweiten Male nach Italien, schreibt bald darauf seine Epigramme, und übernimmt dann die Direktion des Weimarschen Theaters. Die Halsbandgeschichte veranlaßt ihn zu der komischen Oper: »Der Großkophta,« aus welcher ein prosaisches Lustspiel wurde. Es ist in Intention und Allem verfehlt, eine mystische Spielerei, die nirgends anzufassen, und an welcher noch weniger irgend etwas zu genießen ist. Es ist bereits bemerkt worden, daß er kein Empfangsorgan für historische Entwickelung der politischen Volks- und Privatbildung hatte, er ließ sich aber auch sogar verleiten, sie verspotten zu wollen. Das war etwas, wozu ihm die Musen völlig den 274 Beistand versagten, sein »Bürgergeneral« fiel total durch und bestand einen traurigen Rückzug. Auch besaß er keineswegs die zu solcher Persifflage nöthige Schärfe. Die neuere Zeit ist jener sogenannten klassischen Periode bei weitem an Witz überlegen. Der Witz bildet sich überhaupt immer erst aus, wenn die Grundelemente alle geordnet sind. Er ist der Duft auf den reifen Früchten, und hat's nie mit der Blüthe zu thun. Weder Schiller noch Goethe waren witzig. Viel Gelungenes dagegen findet sich in den Nachbildungen ausländischer Produkte, »den Unterhaltungen der Ausgewanderten.« Um diese Zeit wandert Goethe selbst aus, und zieht mit zur Belagerung von Mainz. Für solch' unerquickliches Geräusch, solch' tobende Bewegung war ihm aber, wie schon gesagt, nicht einmal eine Auffassung gewährt. Während jener Belagerung denkt er über Farbenlehre nach. Von da macht er Besuche bei Jacobi in Pempelfort, der Fürstin Gallizin und in Heidelberg bei Schlosser, der seine Schwester geheurathet hatte. Der Großherzog hat ihm unterdeß ein neues Haus im italienischen Stiel erbauen lassen, und Goethe kommt nur eben noch zurecht, die letzte Hand anzulegen und sich häuslich einzurichten. Das erste, was er darin machte, war die Nachbildung des Reinecke Fuchs nach Heinrich von Alkmans humoristischem Gedichte: Rayneke de Voß. Alsdann ging er an die Vollendung des schon so lang begonnenen Romans »Wilhelm Meister.« Er enthält die Begebenheiten eines lernbegierigen jungen Mannes, der unselbstständig, viel raisonnirend, ohne Genie aber mit Enthusiasmus für die Kunst in allen Verhältnissen herumbewegt wird. Nach Goethes eignem Ausdrucke müßte er eigentlich Wilhelm Schüler heißen. Dies ist übrigens dasjenige Buch, worüber er am meisten mit Schiller verkehrt hat, und es ist nicht zu läugnen, daß Schiller durch den großen Eifer, die Feinheit und Intuition, womit er an das Manuskript ging, durch seine ausführlichen Auseinandersetzungen, die er an Goethe durch die Botenfrau schickte, den Wilhelm Meister sehr hat fördern helfen. Aus jenem Wetteifer mit Schiller entspringen auch die schönen Goethischen Balladen «die Braut von Corinth,« und »der Gott und die Bajadere,« denen mehr als allen andern Goethischen Sachen Schillersche Gluth und Pracht anzusehen ist. Aber sie gehen auch darin aus dem Goethischen Genie heraus, daß sie noch etwas andres wollen, als Gedichte sein. Sie haben eine zu derbe Art didaktischen Beigeschmacks, namentlich die Braut von Corinth. Das findet sich sonst bei Goethe's Gedichten nicht, und darin unterscheidet er sich von den Meisten. Seine Gedichte sind sich Selbstzweck, sie sind Individuen, die als solche ohne weiteren Bezug 276 sich geltend machen. Mit ihnen schließt sich aber auch seine zweite schriftstellerische Periode, die Periode der Schönheit, und es beginnt die der bloßen Eleganz, bei welcher der poetische Genius wenig mehr zu thun hat. An diesem Scheidepunkte von seiner schöpferisch poetischen Schönheit bildet sich seine reinste, klarste Prosa, die sich durch große Einfachheit, den Mangel aller Kontraste, durch große Klarheit und Durchsichtigkeit, aber auch durch Mangel allen Glanzes auszeichnet. Sie besteht darin, die trockensten Worte mit höchster Sauberkeit und Eleganz aneinander zu reihen. Darum ist sie auch nur in Goethe's blühendster Zeit schön, in den früheren und späteren Tagen erinnert sie zu deutlich an den Pedantismus seines Vaters, an die gemessenen Wendungen des Frankfurter Patriciersohns und Weimarischen teutschen Großherzoglichen Hofmanns, dem es keineswegs an Geschick, wohl aber an Geschmeidigkeit fehlt, der allen sonstigen französischen Beigeschmack verläugnet. Es stört je zuweilen sogar in seiner besten Schreibart, wo der Stil wie eine klare Welle durchsichtig über den harten Kiesboden rollt, es stört sogar oft da, wenn plötzlich eine pedantische automatische Wendung in die Harmonie hineintritt. Es ist sogar in dem schön geschriebenen »Meister« nicht selten, daß der schönste Gang plötzlich mit den Worten weiter lahmt: »Und sie 277 sprachen Folgendes.« – Es ist eine unvorsichtige Forderung, welche man zuweilen an unsere modernen Schriftsteller macht, sie sollten einfache, schmucklose Goethesche Prosa schreiben. Ihre Gedanken bewegen sich in der stürmischen Entwickelung neuer Dinge, und der bunte Sturm gehört zu ihrem Kleide. Sie bilden eine Durchgangsepoche zu neuen Zuständen, und man muß erst reizen, ehe man fesseln kann. Es ist ein schwächlicher Glaube, daß jene Einfachheit der Darstellung verloren gehe: leichter ist's, langsam und schön einherzugehen, als rasch und schön, und es liegt mehr Kunst und ein andrer Zauber in der bewegten Darstellung. Eine der schönsten Erscheinungen aus dieser Epoche ist aber noch zu erwähnen, ein Kind des nordischen Poeten, was er in warmen Nächten mit der schönen Roma erzeugt – das sind seine »Elegieen.« Sie sind die Darstellung der heitersten abenteuerlichen Liebe auf antikem Hintergrunde. Sie sind ein Kuß, den der Teutsche mit heißer Lippe dem schönen Alterthume beut.

Zu den Horen, welche Schiller damals herausgab, lieferte Goethe unter Andern auch die Uebersetzung des Benvenuto Cellini, und einen großen Theil der Xenien, welche in damaliger Zeit so wichtig wurden.

Um diese Zeit erschien nun auch vermehrt mit der Bündniß- und Kerkerscene der völlig 278 abgeschlossene erste Theil des Faust. Als er sich an die Uebersetzung des Voltaireschen Mahomet und Tancred machte, mußte man glauben, seine Kraft sei versiegen gegangen. Und doch war es fast dieselbe Zeit, in welcher er, seinen Faustmythus wieder aufnehmend, das Zwischenspiel »Helena« komponirte. Er wollte den Faust von der »bisher kümmerlichen Scene ganz entheben, und einen solchen Mann in höhere Regionen durch würdigere Verhältnisse durchführen.« Die alte Legende erzählt nämlich auch davon, daß Faust von Mephistopheles den Besitz der schönen Helena von Griechenland verlangt, und dieser ihm endlich gewillfahrt habe. Diese Hochzeit des modernen Mannes mit der reizendsten Antike ward von ihm dargestellt und erschien in der damals neuesten Ausgabe seiner Werke ungefähr von 40 Bänden, die Goethe schon 1823 zu ordnen begann. – Jene Xenien nun haben allerdings ein großes historisches Interesse, in sofern sie eigentlich kurze literaturhistorische Expektorationen der beiden größten teutschen Poeten waren. Als solch' ein kritisches Monument müssen sie auch gewürdigt werden. An sich können sie auf keine große Würdigung Anspruch machen, obwohl sie ihnen eigentlich in Teutschland immer Auktoritäts halber gewährt worden zu sein scheint. Sie enthalten einmal zu viel persönliche und zu wenig objective Animosität, leiden ferner an einer größtentheils sehr 279 mangelhaften, ja holprigen Form, sind für den Witz nicht scharf, für Ironie nicht koncentrirt genug, und ermangeln fast alle der Grazie. Betrachtet man sie dagegen nur als Zeichen eines kecken, muthigen Kampfes, so bilden sie trotz ihrer Unbeholfenheit eine wohlthuende Erscheinung. – Um diese Zeit, es war das Jahr 1798, wo Goethes neue Periode mit Herausgabe der »Propyläen,« eines Kunstblattes, anhebt, reicht er noch einmal seiner schönen Zeit eine Hand hinüber und schreibt »Herrmann und Dorothea.« Ein homerischer Nachhall, das einzige größere Epos, was wir von Goethe haben. Es ist keine Leidenschaft, aber schöne Wahrheit darin, und der rasche dramatische Gang wird mit vollendetem Geschick durch den kriegsartigen Hintergrund motivirt, welcher Unterlassung oder rasche That erheischt. Wären die Verhältnisse größer, so hätten wir vielleicht darin das größte dem Homer verwandte Gedicht, seit die Odyssee gesungen worden ist; denn es existirt kein Kunstwerk, was so volksmäßig einfach gehalten und zugleich so künstlerisch geläutert ist. Im folgenden Jahre entwirft er den Plan einer Trilogie, zu der ihm ein französischer Roman die erste Veranlassung gegeben. Es ist dies »die natürliche Tochter,« welche mit allen Vorzügen ausgerüstet, dennoch wie ein fremdartig Wesen durch alle Stände schreitet, nirgends eine Hütte des Glücks bauen kann, weil sie 280 außerhalb der bürgerlichen Ordnung geboren ist. Goethe hat das Stück nicht vollendet, weil es eine kalte Aufnahme fand. Sie ist mit den wenigen Worten eines bekannten Kritikers vollkommen beurtheilt: »marmorschön, aber auch marmorkalt.« Es sind lauter Begriffe da, aber kein Blut, kein warmes Leben, die reinste Form, aber todt für ein Auge, das auch im Kunstwerke eine Seele sucht, der höchste Ausdruck seiner eleganten Periode. Um diese Zeit fällt auch die Uebersetzung eines nachgelassenen Werks von Diderot, welche Goethe unter dem Titel: »Rameau's Neffe« nach einer Kopie des Originalmanuskripts lieferte. Bald darauf starb Schiller, und mit ihm Goethes anregendster Freund. Dazu kamen die politischen Stürme, der Kampf in den Weimarschen Straßen nach der Schlacht bei Jena, und obwohl Goethe's Haus sogleich von einer französischen Schutzwache besetzt und er selbst überall unangetastet war, so berührte ihn doch das Ganze mit seinem unerquicklichen Lärm auf das Störendste. Dazu war der Fürst, der ihn liebte, das Land, dem er jetzt angehörte, in der bedenklichsten Lage. Damals heurathete er eiligst, und zwar die Schwester des Jenaischen Bibliothekars Vulpius, der den berühmten Rinaldo Rinaldini geschrieben. Goethe war 57 Jahr alt, als er sich auf einmal zu diesem Schritte entschloß. Man erzählte, es sei so 281 eilig geschehen, weil Napoleon Goethe's Frau habe sehen wollen. Indeß ist es wahrscheinlicher, daß er es gethan, um seinen Sohn vollständig zu legitimiren. – Auch als jene Stürme ausgetobt hatten, fehlte ihm alle Elasticität der Poesie, er flüchtete sich wieder zur Natur und seinen derartigen Untersuchungen. Es kamen seine »Ideen über organische Bildung,« und sein Werk »Zur Farbenlehre,« in welchem er Newtons Theorie vom farbigen Lichte bestritt, die Farben dem Gesetze der Polarität unterwarf, und somit den Satz aufstellte, daß Licht und Nichtlicht einander sich wechselseitig bedingen und einschränken, und daß dadurch die Farbe entstünde, die also ein verdüstertes Licht oder ein erhelltes Finstre sei. Ueber die Beurtheilung dieser Theorie appellirt er feierlich an die Nachwelt, und nur an die Nachwelt. Seine naturhistorischen Bemühungen haben weit mehr in Frankreich, namentlich bei der Pariser Akademie Anerkennung gefunden. Es sind in seinen letzten Jahren – um 1831 – noch nachträgliche Aufschlüsse zu seinen naturwissenschaftlichen Studien erschienen, ja ein Aufsatz der sich über den merkwürdigen Principienstreit zwischen Geoffroy de St. Hilaire und Cuvier verbreitet und wo sich Goethe nach vielfachen Studien der vergleichenden Anatomie dem St. Hilaire anschließt, ist wahrscheinlich die letzte Schrift, welche er geschrieben 282 hat. Um jene Zeit kritisirten und kämpften die Gebrüder Schlegel eifrig, ja fanatisch für die romantische Schule, und um Goethe für sich zu gewinnen, der ihnen wenig christliche Veranlassung dazu gegeben hatte, opferten sie ihm wie dem Brahma. Er neigte sich ihnen aber doch wohlgefällig zu, und lächelte friedlich ihrem Bestreben, ihn berühmt machen zu helfen. Ihren Forderungen nachgebend, schrieb er an seinem fortgesetzten Faust. Dergleichen Romantik und Geisterschau drängte sich damals auch mit geheimnißvoller Beziehung in seine Studien, und es entstanden plötzlich »die Wahlverwandtschaften,« in denen er ein merkwürdiges Naturgeheimniß magnetischer Korrespondenz enthüllte, aber selbst wie erschreckt davor zurücktrat. Bald darauf fordert ihn ein Freund auf, sein Leben mitzutheilen und er beginnt die Herausgabe seines »Wahrheit und Dichtung aus meinem Leben« und »die Italienische Reise.« Zwischen Beiden liegt ein langer Zeitraum, welchen erst ein Band seiner nachgelassenen Schriften ausfüllte. Seine eigne lyrische Kraft ruht ermattet, aber er reproducirt in liebenswürdiger, harmloser Unbefangenheit sein eignes Leben, und giebt in einfacher Darstellung ein höchst interessantes Buch, wo die buntesten Interessen in gemessenem Schritt harmonisch mit einander einhertanzen. Hie und da nur, wo ihn die Naturforschermanier überkommt, wo er vor Steinen und Pflanzen keine 283 lebendige Natur sieht, wird er in gar zu großer Simplicität zerfließend, abstrus. – Die Schlegel trieben ihm indessen ihr Wesen zu weit. Er schrieb ein »Kunst und Alterthum,« einen Artikel»Ueber die christlich patriotische neu-deutsche Kunst.« »Mit diesem Artikel« – sagt Heine – »macht Goethe gleichsam seinen 18. Brumaire in der teutschen Literatur, denn indem er so barsch die Schlegel aus dem Tempel jagte, und viele ihrer eifrigsten Jünger an seine eigne Person heranzog, und von dem Publikum, dem das Schlegelsche Directorium schon lang ein Gräuel war, akklamirt wurde, begründete er seine Alleinherrschaft in der teutschen Literatur.« Hiemit schließt er aber auch auf dem Throne seine poetischen Thaten; er ist am Ziele. Nur noch einmal wirft er später einen wollüstigen Selam »den westöstlichen Divan« herunter, und verschließt sich dann mit seinen ruhigen Weltbetrachtungen in seinen goldnen Pallast. Er tritt in seine vierte und letzte Periode. Man muß bedenken, daß er bereits ein sehr bejahrter Mann war, an dem auch selbst die ununterbrochene reproductive Thätigkeit staunenswerth blieb. Das Didaktische, was, außer den Gedichten, wie ein schmaler Fluß durch sein Leben rauschte, trat jetzt klarer als sonst hervor. Seine Weltbetrachtung und Lebensweisheit fängt an, in seinen Aeußerungen dogmatischer, exclusiver zu werden, und man ist nicht wenig verwundert, als plötzlich 284 1809 ein so behaglich Buch »der westöstliche Divan« erscheint. Der Osten ist darin zum Spiegel unsrer Dinge gemacht, die schönsten Studien über den Orient flechten sich in stille Annehmlichkeiten und bequeme Gedanken des Lebens. Als er daran geschrieben hatte, war die Welt voll Krieg, Goethe aber voll Ruhe und Befriedigung gewesen, und da hat er es für gut gehalten, den Leuten im Gegensatz zu ihrem Treiben die ewige Heiterkeit solchen Zustandes zu schildern. Es ist dasjenige von den besten Büchern Goethes, das am wenigsten anerkannt worden ist, weil es wenige objektiv hinnehmen und hinnehmen wollten. Der Geist der eben pulsirenden Geschichtsepoche tadelte Goethe hart, daß er zu einer Zeit, wo die wichtigsten Lebensfragen der Völker schwankten, mit orientalischen Spielereien tändelte, statt hineinzutreten, wie er es gekonnt, gleich einem Gott in den Kreis der Fragen, und als Teutschlands größter Dichter ein Lied zu singen, von dem, was ihm die Gottheit eingegeben über Welt und Menschen. Das sind indeß Dinge, die nur Goethe, nicht aber seinen westöstlichen Divan treffen. Es ist das einzige, aber größte Unglück Goethes gewesen, daß er mit seiner ruhenden, forschenden, betrachtenden Sinn- und Denkweise, welche tausend Embryonen streute, aber nicht das schwächste Kind der schnellen That erzeugte, daß er mit dieser Weise in eine Geschichtsperiode gerieth, wo der Gedanke geflügelt, die 285 That alltäglich, nothwendig war. Er ist wie eine Geistererscheinung vorübergegangen, hat gelebt wie ein Gott unter uns, ohne daß wir noch wußten, er habe Fleisch und Blut. Seine Worte haben nie gehandelt, sie sind nur wie schöne Sternbilder vorübergezogen, und der schöne Eindruck den sie machten, das war allein ihre Handlung. Er hat nicht wie die größten Männer aller Zeiten im Mittelpunkte der Geschichte gestanden, einsam, isolirt, ein Individuum, stand er zu Weimar, ein Jupiter, der Donner und Blitz nur chemisch untersucht, und seinen Adler mit süßem Backwerk füttert. Dies Mißverhältniß zu seiner Zeit hat einen Theil seiner großen Wirksamkeit und seiner eminenten Vorzüge zerstört – die Weisheit seines Worts ist bei dem Lärm nur von den Wenigsten vernommen worden, und nur mit den Produkten seiner Befangenheit hat er allgemeinen, unmittelbaren Einfluß gewonnen, mit Götz, Werther und Faust. Seine bequeme Kontemplation hat ferner außer den feinsten und wahrsten unsrer Leser jenen Troß von thatlosen, unfruchtbaren Gourmands um ihn versammelt, welche ihre Furcht und ihren historischen Egoismus in seinen Schriften verherrlicht fanden, und nun ein unersprießliches Jubelgeschrei anhuben. Sie haben mehr denn Alles Andre beigetragen, ihn während der letzten Zeit in so großen Mißkredit zu bringen, seine Freunde haben ihm mehr geschadet als 286 seine Feinde. Jener fanatische Haß, den man auf Goethe warf, gehörte nur dieser Goethischen Partei – Goethe und seine unbefangenen Verehrer müssen außerhalb solcher periodischen Wallungen stehen. – Das Buch, worin er sich den untersuchenden Gesellschaftsfragen seiner Zeit näherte, was eine Art socialer Spekulation enthielt, war eins seiner letzten und, wie zu erwarten stand, eines seiner schwächsten – »Wilhelm Meisters Wanderjahre.« Ein unerquicklicher Schematismus ohne Frucht und Blüthe, ja ohne Grün. Außer einigen sehr »zahmen Xenien« gestattete er seiner Produktivität ein immer größeres Vertrocknen, beschäftigte sich mit der Natur und ästhetischen Begriffen, und nahm ein großes Interesse an den Dichtern des Auslandes. So verkehrte er brieflich mit Manzoni und Lord Byron. Eine schwere Krankheit geht gefahrlos an ihm vorüber, es ist als ob bald darauf seine alte Kraft noch einmal erwachte, er schreibt den 4. Band seines Lebens. Da trifft den alten glücklichen Mann ein entsetzlicher Schlag – sein einziger Sohn, an dem er mit gewaltiger Liebe hing, stirbt zu Rom. Er bewältigt nach seiner gewöhnlichen Art den ungeheuersten Schmerz, aber all seine innersten Kräfte sind erschüttert. Auch ihm war das Unglück einmal nahe an den Scheitel getreten, und in einer Art von religiöser Erhebung und wie im letzten zuckenden Aufflammen der Poesie schließt er den 287 zweiten Theil seines Faust, legt ihn wie eine Offenbarung unter sieben Siegel, und erwartet heiter wie ein griechischer Weiser auch seinen Tod. Ueber der Lektüre des doktrinairen Salvandy überrascht er ihn sanft und freundlich, ein Bruder des Schlafes, wie er ihn immer geliebt hatte. Nach einem dreitägigen Katarrhalfieber stirbt er am hellen Mittage um halb zwölf Uhr am Stickflusse. Es war der 22. März 1832, wo der große teutsche Weise 82 Jahr 7 Monate alt zu Weimar verstarb. Glücklich wie er lebte, starb er. – Nach dieser Uebersicht seines Lebens und der Entstehung seiner Werke noch einige Worte über Beides. Es grenzt an's Unglaubliche, und ist noch bei keiner Erscheinung in irgend einer Literaturgeschichte da gewesen, daß kein einziges Feld der schriftstellerischen Thätigkeit übrig ist, in welchem Goethe nicht etwas Bedeutendes geleistet hätte. Das Lyrische zieht sich wie ein silberner Strom durch all seine Perioden. Es ist empfindsam spielend – nirgends eigentlich witzig, weil das Trennende des Witzes nicht in seiner schaffenden und erhaltenden Natur lag, aber fröhlich, heiter, durch und durch voll von dem schönen Elemente des Liedes. Darin ist Goethe ein unzerstörbarer Typus geworden, und reizend verliert sich diese Volkspoesie auch in seine kleinern epischen Dichtungsarten wie in den »König von Thule,« »den Erlkönig« &c. Die besten dieser Sachen sind Volkssagen entnommen, 288 und dies wirklich Seiende verklärt sich auf eine zauberhafte Art in seiner klaren Natur. Weil ihm Alles schön war, sind seine Idyllen so schön. Dieselbe Wahrheit geht geklärter und noch schmuckloser in die Prosa seiner epischen Schreibart, in den langsamen, geregelten Schritt seiner Romane. Die drei, welche wir von ihm besitzen, sind völlig von einander verschieden, und umspannen die Hauptphasen seines ganzen Lebens. Im Werther giebt er uns seine Jugend mit ihrer Leidenschaftlichkeit. Aber er giebt sie erst, als er ihrer Herr wird, und kündigt somit gleich in dieser einfachen Geschichte seine Objektivität an – im Meister bringt er uns den Schüler des höheren geselligen Lebens, er zeigt uns das thörichte Haschen nach Künstlerschaft, daß nur Wenige eine reine Kunstbildung erlangen können, Alle aber vorzüglich nach praktischer Ausbildung trachten sollen. Es giebt Millionen nützlicher Menschen, die man schätzen muß, ehe man einen schönen findet. Wenn auch trocken, wie psychologisch fein sind seine »Wahlverwandtschaften« geschrieben. Wenn auch ein flaches Beet, aber welche wunderbare geheimnißvolle Blume blüht darauf. Wenn auch ein dürrer, fast unschöner Styl, wie klar und durchsichtig ist er doch. Wie viel Kunst verbirgt sich in jenem homerischen Bruchstücke »Achilleis« im naiven Reineke Fuchs, in den Weissagungen, den Fragmenten eines romantischen Epos, vor Allem 289 in den »Erzählungen der Ausgewanderten.« Wahrlich, seine wunderbare Ruhe hat sich erhaben episch ausgeprägt. Sie hat ihm eine Einfachheit und Wahrheit bewahrt, mit der es allein möglich war, die bewegten Theile des Dramas so mannigfach zu beherrschen. Außer dem kleinen Lustspiele »Erwin und Elmire« außer den Singspielen »Lila – Jery und Bätely – Künstlers Erdenwallen und Apotheose – Paläophron und Neoterpe – Was wir bringen« – ist Alles erwähnt. Wie ununterbrochen förderte er ferner seine Naturstudien, welch' tiefen Einfluß gewann er durch seine oft erwähnten kritischen Sachen. Er ist die Hauptursache, daß die Aesthetik der Mittelpunkt des geistigen Lebens wird, die weichliche Moral aus Gellerts Zeiten allmählig verschwindet, und an die Stelle des sogenannten Guten das Schöne tritt. Schiller hat die Schönheit und den Sinn dafür popularisirt, Goethe hat das Lessing'sche Bestreben aufgenommen und sie nach allen Richtungen gefördert. Ihm verdanken die Teutschen den feinen, griechischen Schönheitssinn. Darum haben sich aber auch die Moralisten mit aller Schwere auf ihn geworfen, und er ist in die merkwürdige Stellung gerathen, von zwei Extremen angegriffen zu werden, wegen moralischer Principien. Die äußerste biblische Rechte und die junge menschenrechtliche Linke hat ihn mit gleicher Heftigkeit befeindet. Sie haben gewiß von ihrem 290 Standpunkte beide recht. Menzel hat sich eigentlich bei seinen Angriffen in der »teutschen Literatur« auf die Verbindungslinie zwischen beiden gestellt, und darum den tiefsten Eindruck gemacht. Schubarth, der ein schlechtes Buch voll tiefgedachter Kombinationen über Goethe geschrieben hat, wird gemeinhin von der Goethischen Partei als Menzelscher Gegensatz, als Vertheidiger von Goethes Moralität angeführt. Sie befinden sich aber dabei in einem wunderlichen Irrthum. Schubarth, der Goethe sehr innig und ganz aufgefaßt hat, sagt mit großem Bedauern, Goethes Weg sei der, daß er das Wahre am Irrthum entwickle, und zuerst immer recht entschieden geirrt haben müsse, um zu erkennen, was Wahrheit sei, deshalb nennt ihn auch Schubarth einen unsittlichen Charakter; denn nicht das Wissen sei das des Menschen würdige Ziel, sondern das Vollbringen, was über alle Kontroverse des Wissens erhaben sei. Aber diese sogenannte ethische Seite ist ganz von der Hand zu weisen, sobald es sich um den Dichter handelt, denn es sind immer nur kleine Modifikationen von dem Thema, den Dichter nach dem Katechismus zu richten. Der Dichter producirt die Schönheit, und die Schönheit ist immer sittlich, producirt er sie aber nicht, so ist er kein Dichter. Handelt es sich von der historischen Erscheinung überhaupt und von seinem Einflusse auf die Zeitgenossen, dann spreche man 291 davon, das ist ein weiterer Begriff von Sittlichkeit. Um zu dieser Art Moralität durchzudringen, ist es nöthig, daß ein Mensch sich dem andern füge, und diese Blüthe der Humanität – das Opfer, worin auch die moderne revolutionaire Tugend ruht, diese urchristliche Sittlichkeit kennt Goethes Persönlichkeit gar nicht. In seinen Werken fehlt sie nicht. Darin ruhen aber alle Vorwürfe gegen ihn, die ihm die neue Zeit gemacht, darin ruht der Mangel an Begeisterung in ihm, der Mangel jeder Spur von Hingebung. Darum bleibt es ein historisches Unglück für ihn, daß er in eine Zeit herüber gereicht hat, welche gerade diese Gegend der Menschlichkeit in's Sonnenlicht kehrte und alle andern Phasen in Schatten hüllte. Und die christlichen Moralisten haben eigentlich gar nichts mit ihm zu schaffen: Goethe ist christlicher als sie glauben. Seine Sachen gehen immer auf Beschränkung der Leidenschaften und Wünsche aus, er erweitert nie die Aussicht, sondern verengt, koncentrirt sie – weil er durch und durch unspekulativ ist. Er erfindet nie neue Zustände, er rechtfertigt die alten, da er seine Versuche scheitern läßt. Er ist, seine kleinen Gedichte ausgenommen, durch und durch didaktisch, er lehrt viel mehr, als man von der Poesie verlangt. Die meisten seiner Sachen sind plastische Darlegungen seiner eignen Irrthümer. Es giebt aber noch eine Art von Unsittlichkeit, deren man ihn 292 zeihen konnte, die im Wilhelm Meister, und am stärksten im Tasso ausgedrückt ist. Er mißbraucht die Poesie zu kleinbürgerlichen Gedanken, er läßt das Schöne vergebens anstreben gegen hölzerne Mauern, ja er verkauft es im Tasso an die Etikette. Seinem kleinen Hofleben in Weimar, wo er früher den ungestümen Tasso gespielt, opfert er in seinem Spiegelbilde das rein Menschliche. Aus lauter Konvenienz zertrümmert er den Tasso. Aber es ist im Allgemeinen ein Unrecht, Goethe nach dem Maaßstabe der Gattung zu beurtheilen, er war selbst eine Gattung. Wenn man die allgemeinen Fehler gerügt hat, daß er sich nicht human akklimatisirte, daß er allein blieb, so muß man zu den übrigen Konsequenzen schweigen. Er gab sich ganz seiner Natur hin wie eine Pflanze, und fügte sich nur ihrem Gewähren – ein An- und Ablernen, Akkommodiren und dergleichen, was wir zur Bildung rechnen, konnte darum gar nicht bei ihm gesucht werben. Er war ein Ganzes vom Scheitel bis zur Zeh, man muß ein neues Maaß an ihn legen. Er wollte betrachten und die Welt wollte handeln. Daher das Mißverhältniß. Dies Streben nach Ganzheit hat ihn auch zu dem Mißgriffe veranlaßt, den Faust, jene ewig blühende Tragödie der unvollkommenen Menschheit, deren Poesie dies Unfertige ist, zu vollenden. Dieser zweite Theil findet sich unter seinen nachgelassenen Schriften. Außerdem sind 293 jetzt noch 6 Bände vertrauten Briefwechsels mit Zelter erschienen. Das Buch von Johannes Falk, was ihn am richtigsten von seinem innigen Verhältnisse zur Natur aus schildert, ist zur klaren Erkenntniß seines Wesens sehr zu empfehlen. Die Döring'sche Biographie enthält zwar einzelne grobe Fehler, ist aber doch mit viel Fleiß und Geschick gesammelt. Goethes Aeußere ist in den meisten Bildern getroffen, er hatte ein freies, edles Göttergesicht, und die Augen des Jupiter. Seine Figur war hoch und schön, die Bewegungen erschienen gebildet. Aber diese, ja fast alle seine Sachen behielten Momente der pretiösen Wendung, die an den Frankfurter Patriziersohn erinnerten. – 294

 


 


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