Heinrich Laube
Reisenovellen - Band 2
Heinrich Laube

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Il Rialto.

Es war ein stiller liebenswürdiger Abend, ich saß wieder auf dem Marcusplatze im Kaffeehause, vor mir lockte wieder der schöne heimathliche Nacken der Venetianerin, draußen spielten die Austriaci teutsche Walzer, in den Schultern meiner Schönen zuckte hie und da eine lockende Passage der schwelgerischen Militairmusik. Es waren immer viel junge Venetianer um die Dame her, sie mochte sehr schön sein. Ein alter gelber Herr mit einer ehrwürdigen Nasenruine und unbeweglichen Nobiliaugen saß stets neben ihr. Cavaliere oder Marito? ich wußte es nicht. Es kostete mich drei Schritte, so konnt ich das Antlitz der Schönen erblicken, aber ich wollte die drei prosaischen Schritte nicht machen; dieser schöne Nacken war mir genug. Nur das Glück sollte mir ein Angesicht bringen, auf welches meine Augen harrten.

Da schlug es zwölf; mich rief die Pflicht. In 468 einer schönen Kirche hatte ich die Bekanntschaft einer Dame gemacht, welche Antonia hieß, la bella Antonia, und welche heut nach zwölf Uhr über den Rialto ging. Zwischen den glänzenden Boutiken der Merceria eilt' ich hin, athemlos kam ich auf den Rialto, der ebenfalls von Boutiken bedeckt ist. Sie waren geschlossen, und es war still und todt auf der Brücke. Niemand zu sehen. Hie und da geschäftig Vorübergehende. Der Mond lag weiß wie eine Wolke auf dem großen Canale, dem welthistorischen Canale grande, wo Pallast neben Pallast steht, wo einst die Könige des Meeres in langer Reihe dicht neben einander wohnten, die Dandoli, Foscari, Pesari, Contarini, lauter Namen, vollwichtig wie goldne Kronen –

Es sind Palläste darunter, deren Rost aus eitel Cederstämmen besteht.

Nicht weit von mir lehnte eine schwarze Frauengestalt an der steinernen Brückenlehne, ihr schwarzer Schleier flatterte im Nachtwinde. Ich trat nahe an sie heran. Das konnte Antonia nicht sein, Antonia war nicht so groß.

Wir standen lange neben einander. Starr wie eine Bildsäule sah sie den Kanal entlang, auf welchem die weißen Mondesstrahlen sehnsüchtig hin- und herwogten. Der Mond ist das Licht des Unglücks, 469 alte Liebe und alte Größe muß man im Mondschein besuchen.

Wir standen immer noch stumm da. Es war mir nie so feierlich venetianisch zu Muthe. Unten legte eine Gondel an, die schwarze Dame ergriff mich bei der Hand, wir stiegen hinab, setzten uns, öffneten die Fenster der kleinen Kajüte und fuhren langsam den großen Kanal entlang. Sie hatte ihren Schleier zurückgeschlagen und sah mit großen stillen schwarzen Augen an den Pallästen auf und ab. Antlitz, Schulter und Busen war weiß wie Mondschein, und jetzt erhob sie die Stimme, und nannte mir die Palläste, und die Schicksale ihrer Herren. Es war eine wollüstige, berauschende Stimme.

So kam es, daß mir der große Kanal die eigentliche Romantik Venedigs wurde. Bald hier, bald dort sieht man eine Dogenmütze an den Pallästen, und darüber stiere, glaslose Fenster, oder mit Brettern verschlossene – alte Dogensärge. Vor einem der stolzesten Häuser hielt der Gondolier einen Augenblick – er stützte sich auf sein Ruder, meine Begleiterin rief lebhafter: ecco!. Es war der Palazzo der Pesari. Als die Franzosen nach Venedig gekommen sind, da hat der letzte Pesaro seinen Pallast verlassen, und hat Venedig für immer Ade gesagt. »Fischer waren wir, Fischer werden wir« sind seine letzten 470 Worte gewesen, vor drei Jahren ist er im Auslande gestorben.

Um diesen schönen Stolz sollt Ihr die Aristokraten beneiden, sagte das Weib.

Sprich, heißest Du wirklich Antonia, fragte ich sie, als wir wieder in der Nähe des Rialto waren.

Und sie lächelte wunderbar vornehm, und die Schönheit rollte wie fließendes Gold über Antlitz, Busen und Hüfte. Ich breitete die Arme aus nach dieser zauberhaft lockenden Schönheit.

Ihr habt alle zu wenig Muth, Ihr Poeten einer neuen Zeit, sprach sie, und ich weiß nicht, war es mehr Spott, oder war es mehr Scherz, was um ihre Lippe flog, der Mondschein glich es aus zur Ungewißheit. Ihr wagt es nur zu vermuthen, was Ihr vermögt. Ihr stehlt Eure Freuden, und laßt die Welt glauben, Eure unchristlichen Dinge seien kleine, frivole Unarten. Ihr wagt es nicht zu bekennen, daß diese Unarten Euer System sind. Ihr wollt ein christliches Heidenthum, und wagt es nicht zu gestehn, Ihr wollt das Fleisch, die Sünde emancipiren, und schämt Euch vor der Sünde, kokettirt mit der alten verdorrten Tugend, weil Ihr Autoritätsmenschen seid. Komm, umarme mich, Du furchtsames teutsches Blut, halt still, Andrea, hier ist Lord Byrons Haus, Venedig ist ein Grenzstein der Poeten: hier seht Ihr mit einem 471 Blicke in die katholischen Kirchen, aus denen der geheimnißvolle lateinische Gesang tönt, mit dem andern in den wollüstigen Orient, welcher des Leibes Schönheit genießt bis in die feinste Faser, hier seht Ihr die Trümmer von allerlei Größe, aus welchen die romantischen sehnsüchtigen Worte wachsen, und Ihr seht den frischen Genuß Alles dessen, was noch lebt, was sich auf den Trümmern umarmt – Venedig ist jener Don Juan, der sich freut, bis ihm die Seele ausfährt, Venedig ist der lustige Kirchhof moderner Poeten, komm, piccolo Enrico, in diesem Hause hat Lord Byron seinen Don Juan empfangen und geschrieben, komm.

Weib, wer bist Du!

Sie legte sich mit dem weichen Sammtärmel auf meine Schulter, lächelte, und sprang auf mich gestützt, behende aus der Gondel auf die Stufen des Pallastes. Ich hob eben den Fuß, um ihr nachzueilen, da stieß der Gondolier den Kahn ab, umsonst war mein Rufen und Befehlen.

Das schöne Weib stand mit ausgebreiteten Armen an der Schwelle des Palazzo, der Sammt fiel zurück von den weißen, lockenden Armen, und die Mondesstrahlen legten sich schwelgerisch in die Umarmung.

»Sehne Dich nach mir! sprach sie, »das ist ein 472 christlicher Rest von Poesie, an dem ich hänge – sehne Dich, und Du wirst dichten.«

Ecco Venezia! murmelte der Gondolier in den Bart.

Sie verschwand, und der Kahn rauschte blitzschnell nach dem Rialto hin, ich versucht' es nicht einmal den Gondolier zur Rückkehr zu zwingen. Und wenn ich ihn fragte, wer die Dame gewesen sei, so richtete er sich auf, sah stolz umher im Mondscheine des Canale grande, und sprach: Ecco Venezia.

So kamen wir wieder an den Rialto. Diese Brücke, die in einem Bogen über den breiten Kanal springt, ist ein Bild aus meiner Kindheit. Darum war sie mir jetzt zu klein. Und die ökonomische Benutzung ihres Rückens zu Boutiken war mir ein Gräuel. In den Zeiten des venetianischen Glanzes lag wenigstens Gold und Silber darauf ausgebreitet, jetzt fletscht Einem das rohe Fleisch, es fletschen Einem die blutigen Fleischer entgegen. –

Aber in diesem Augenblicke flog der Rialto still und schweigsam, es lag eine feierliche Geschichtsstunde Venedigs auf den weißen Pallästen und Lagunen, und diese letzteren athmeten seufzend auf, die Palläste neigten sich, als wären sie todesmüde, und als wollten sie die steinernen 473 Glieder endlich, endlich ausstrecken auf den weichen Lagunen.

Und doch ist's noch Venezia la dominante – mein ganzes Herz sehnte sich nach Byrons Hause, aber ich fand keinen Schiffer mehr, ach es war zu spät. 474

 


 


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