Heinrich Laube
Reisenovellen - Band 2
Heinrich Laube

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Montebello.

Es war immer noch klarer Mondschein, als ich auf der Station ankam. Der Postillon blies ein altes Reiterlied, ich dachte an die Schwadronen Latour-Maubourgs in dem Franzosenkriege, dachte an Reiten, Reiten, ich dachte, ob man nicht aus der Welt reiten könne. Beim Mondscheine fällt mir gar zu oft Bürgers Lenore ein, da reiten sie auch gespenstisch zum Teufel.

Vor dem Posthause hielt ein eleganter Reisewagen. Eben spannte man frische Pferde davor. Ein Mann stand an der Thür, es schien der Reisende aus jenem Wagen zu sein. Der Mond beschien ihn hell; er hatte jenes wunderbar Anziehende, was wir Poesie nennen. Die schmalen Lippen waren geschlossen, große, sehr schön große graue Augen sahen starr nach dem Monde, und regten sich nicht. Die langen schwarzen Wimpern machten nicht die geringste 347 Bewegung, der Mann hatte ein feines Gesicht, dessen Farbe ganz blaß war. Ein schmaler Bart flog leicht über die Oberlippen. Ich hielt ihn für einen Militair, und es lag gewiß nicht bloß am Mondscheine, daß er mir so leidend, romantisch, interessant vorkam.

Wunderlich genug konnte ich den Gedanken nicht los werden: der Mann hat sehr unglücklich geliebt, oder ist öfter am Rande des Todes gewesen, was im Grunde einerlei ist.

Wir bemerkten es Beide nicht, daß ich ihn unverwandt anblickte. Da kam man fragen, ob und wohin ich weiter fahren wollte.

Ja, erwiderte ich, nach Montebello.

Bei diesen Worten sah er mich an, es schien mir, als freue ihn mein Anblick. Ich grüßte ihn; er nahm keine Notiz davon, bot mir aber einen Platz in seinem Wagen an, da er auch nach Montebello reise.

Da mich kein eigner Wagen hinderte, so nahm ich's an.

Lieben Sie den Marschall Lannes? fragte er mich.

Sehr, mein Herr, er war einer der frischesten Paladine Napoleons.

Nicht wahr? sprach er, und drückte mir flüchtig die Hand. Ich fahre eigentlich zu ihm auf's Schlachtfeld, wenn Sie nichts dagegen haben.

348 Der Bediente des Reisenden sah mich scheu und wunderlich an, als ich in den Wagen stieg.

Die Straße zwischen Verona und Vicenza ist eine breite, sehr breite weiße Chaussée. Es könnten vier Wagen neben einander fahren.

Mein neuer Bekannter sprach nicht; ich glaubte also, Schweigen sei ihm angenehmer, und schwieg auch. Da bat er mich aber sehr liebenswürdig, fast rührend, ich möge sprechen; er habe eine große Sehnsucht nach Menschenstimmen, namentlich nach teutschen Worten.

Ich weiß selbst nicht, wie es kam, wir hatten teutsch mit einander gesprochen.

Der Postillon schlief ein, die Pferde gingen sacht, die Nachtluft flog leise und sanft wie ein müder Vogel an unserm offnen Wagen hin, die weiße Straße leuchtete gespenstisch, es war so still – warm – italienisch, ich dachte an Boccaccio, der in solchen lauschenden Nächten seine schönsten Novellen geschrieben hat. Ich hätte gar zu gern eine Novelle gehört. Wenn es so schweigsam ist, da flechten sich die kleinen Begebenheiten, die Charakterzüge, die Augen und all' die einzelnen Theile so bescheiden und fleißig in einander, sie verschränken ordentlich gegenseitig die Arme, und eh' man sich's versieht, ist die Vorarbeit erfüllt, und die Katastrophe überrascht uns selbst wie kleine Kinder, welche langsam das Grundblatt ihres 349 Kartenhauses weggezogen haben, und nun erschrecken, daß es plötzlich zusammenstürzt.

Mein Begleiter nickte sehr lebhaft mit dem Kopfe, und als ich ihn fragte, ob er gern Novellen höre, da nickte er noch fort, nahm meine Hand, faßte sie fest, und sagte: ich werde Ihnen selbst eine erzählen. Sagen Sie mir offen, mein Herr, würden Sie sich erschießen, oder besser, könnten Sie sich erschießen, wenn Sie grenzenlos unglücklich wären? Aber, ich bitte Sie recht schön, ganz, ganz offen, als sprächen Sie mit sich selbst? nichts von der falschen Muthpoltronerie, bitte, bitte – –

Ich sagte ein Wenig betroffen über die Querfrage, bei der Leben und Tod auf seinem Gesicht stand, und bei der er in die Wagentasche nach einem Pistol griff – es knackte, er zog den Hahn auf – ich sagte offen und ehrlich, daß ich's schwerlich könnte. Es gehöre gewiß der größte Aufwand von Muth dazu, wenn man nicht Paroxysmen ausgesetzt sei, und das Geschwätz von Feigheit, wenn sich Einer erschieße, sei eben ein Geschwätz der Feigen, die sich nimmer erschießen könnten. Man habe es aus Vorsicht zur religiösen Formel gemacht, den Selbstmord Feigheit zu nennen. Das Leben sei Alles.

Sein ganzes Gesicht strahlte vor Freude, er schoß die Pistole in die Luft, und umarmte mich stürmisch. Der Postillon fuhr hoch in die Höhe, und peitschte 350 maschinenmäßig sogleich in die Pferde hinein, einen Räuberanfall fürchtend, das bedenkliche Gesicht des Bedienten bog sich in den Wagen.

Mein Begleiter sagte mir leise in's Ohr. Ich kann's auch nicht.

Und als er die Worte gesprochen, ward er wieder sehr ernsthaft. – Die Pferde gingen wieder langsamer, der Postillon schlief wieder ein. Ich hatte nichts mehr gesagt, und nach einer langen Weile sprach mein Nachbar noch einmal leise vor sich hin: Ich kann's auch nicht, und dann fing er unaufgefordert folgende Erzählung an.

Es giebt in Teutschland ein kleines Herzogthum, das heißt Braunschweig, und seine Hauptstadt heißt eben so. Dort lebte während eines kalten teutschen Winters ein junger französischer Officier. Er war aus dem früheren Burgund, und war wie alle modernen Burgunder von tiefer, melancholischer Reizbarkeit, hatte weniger Lebhaftigkeit, aber mehr innere Beständigkeit und Ausdauer, als die Franzosen sonst haben. Dieser Mann war eines Abends auf einem Hofballe im Schlosse. Weil er nicht viel tanzte, stand er in einer Fenstervertiefung mit übereinandergeschlagenen Armen, und sah dem bunten, hüpfenden Treiben zu. Da tanzt eine hohe, schlanke Dame vorüber, ihr Auge weilt einen Moment fragend auf ihm. Sie war sehr schön, und Alexandre sieht ihr 351 neugierig nach. Die zweite Runde bringt sie wieder in seine Nähe – die Augen begegnen sich. Es war ein tiefer Himmel in diesem dunkelblauen Auge – Alexandre ging in den Saal, die Dame zu suchen, sie kennen zu lernen. Ein Bekannter sagt ihm, es sei eine reiche Engländerin. Sie tritt eben zum Kontretanz an. Ihre Figur war von jener lyrischen Weichheit, welche die Engländerinnen so reizend macht, von jener luftigen Schlankheit, um welche ein volles, zartes Fleisch spielt von zauberhafter Inkarnation. Viele gescheidte Leute halten die Engländerinnen für die schönsten Weiber.

Sie hatte lichtbraunes Haar, eine feine goldne Kette schimmerte darin. Eben fing sie den Kontretanz an, und die schöne, wiegende Figur schwebte vor ihm her, ihre schönen, entblößten Arme tanzten langsam mit wie ernsthafte Grazien. War es die goldgestickte rothe Uniform Alexandres, war es sein entzücktes, loderndes Auge – die englische Dame sah oft nach ihm hin, aber nicht mehr mit jenem ersten unbefangenen, forschenden Blicke, sondern mehr eilig, vorüberfliegend.

Gleich nach dem Kontretanz war sie verschwunden, Alexandre suchte sie umsonst; er harrte, sie kam nicht wieder. Er warf sich in den Wagen, er fuhr durch die Straßen, hinter jedem erleuchteten Fenster vermuthete er sie, und schwelgte mit ihrem Bilde.

352 Es verging eine Woche; er fand sie in keiner Gesellschaft. Eines Abends glaubte er sie in einer Loge des Theaters zu sehen, und es schien ihm, sie zöge sich zurück, als sie ihn erblickte. Aber warum das? Er warf den Gedanken fort. Othello wurde gegeben. –

– Am andern Morgen fand er einen Brief auf seinem Nachttisch. Darin fragte man ihn, ob er des Mohren Eifersucht übertrieben fände. Den Kopf voll England schrieb er drunter: »yes«, und versiegelte den Brief wieder, wie es verlangt worden war, und gab ihn seinem Bedienten, bei dem er abgeholt werden sollte. Er hatte für nichts Sinn; heut war er bei Hofe zur Tafel, und wußte, sie werde auch da sein.

Sie war nicht da. Erst acht Tage darauf begegnete er ihr zu Pferde. Sie war keck genug, ohne einen Geleitsherrn auszureiten, und hatte nur einen Jokey hinter sich; er war dreist genug, sich auf der Landstraße selbst vorzustellen, und zu ihrem Beschützer anzubieten. Die Dame war wirklich ein Wenig verlegen, aber Alexandre war ein gewandter Mann. – Sie ritten auf Nebenwegen nach der Seite des Harzes zu. Er erzählte ihr von Frankreich und von Paris.

Paris, sagte sie, gefiele ihr, und sie werde hinreisen.

353 »Wann, Milady?«

»Bald – morgen«.

Und sie bestellte beim Jokey die Reiseangelegenheiten, und jagte ihn im Karriere nach der Stadt. Alexandre war in der peinlichsten Unruhe; die Lady stumm, aber schön, überaus schön. Die Sonne flog mit einem leichten Winde über ihr Antlitz, und die fliegenden hellbraunen Locken. Der aufgestülpte schwarze Sammthut mit der wogenden Feder, das weite Reitkleid gaben ihr etwas Fabelhaftes, das Antlitz war nämlich übergossen mit jenem englischen Nebelreiz, der gleich dem rosigen Reif eines Pfirsich wie Himmelssammt auf den schneeweißen Wangen liegt.

Alexandre bat sie dringend, den Vorsatz ihrer schnellen Abreise aufzugeben. Umsonst. Er schüttete ihr sein ganzes Herz aus, gestand ihr seine glühende Liebe. Sie hielt ihr Pferd, sah ihm lange, durchdringend, voll Innigkeit, voll Staunen, voll Freude, voll Zweifel in die Augen. Der Blick war eine ganze Novelle.

Dann wandte sie plötzlich ihr Pferd und sagte: »du bist galant«, und jagte pfeilschnell nach der Stadt. Alexandre holte ihren englischen Renner nicht ein.

In ihrer Wohnung ward er nicht vorgelassen – Alles packte an den Reisewagen.

Am andern Morgen fand er wieder ein Billet auf seinem Tisch, darin stand. »Als ich dich zum ersten Male auf dem Balle in der Fenstertiefung stehen sah, 354 liebte ich dich. Du hast jenes Antlitz, was meine Seele sucht, deine Augen hab' ich von Jugend auf in meinem Herzen gesehn; mit ihnen hab' ich Shakespeares Liebesscenen gelesen. Aber ich liebe wie der Tod bis zur Vernichtung; ich wich dir aus, weil ich dich ausschließender Liebe nicht fähig hielt, ich vermied dich, als du mir schriebst, Othello's Liebe sei übertrieben, ich fliehe dich, da ich deine süßen Worte gehört. Du bist zu schwach, meine Liebe würde dich unglücklich machen.«

Jenny.    

Alexandre war außer sich, er flog zu ihrer Wohnung – vor Sonnenaufgang waren die Wagen davon gefahren. Nachreisen durfte er nicht, es fesselten ihn Dienstgeschäfte. Nach zweien Tagen unterlag er der Last der Sehnsucht, eilte zum Herzoge, erzählte ihm sein unglückliches Glück, bat um einen Brief nach Paris, daß man einen Andern an seine Stelle schiebe.

Der Herzog lachte und gewährte. Nach endlosen vierzehn Tagen waren die Angelegenheiten in Ordnung, und Alexandre reis'te nach Paris.

Er wußte nicht, wo er Jenny finden sollte, und ließ gleich am Tage seiner Ankunft Aufforderungen für sie, ihm ihre Adresse mitzutheilen, in alle Journale rücken. Die Journale brachten keine Antwort. Alexandre flog drei Tage durch alle Salons, durch alle Theater, und fand sie nicht. Am vierten Tage 355 wurde in der großen Oper Rossini's Othello gegeben. Da jauchzte er auf, dort mußte er sie finden. Sie saß mit einem schönen jungen Manne allein in einer Loge. Sie war ganz weiß gekleidet, und sah wie der Frühling aus. Ihr Begleiter hing mit den Augen an ihrem Antlitze, und sprach viel und eifrig mit ihr. Neben sich hörte er: »Voyez la belle Anglaise et le duc« – –

Die Eifersucht Othello's schien ihm heut natürlich, und er eilte voll Glück und Zweifel in ihre Loge. Sie empfing ihn wie einen alten Bekannten, aber kühl und gewöhnlich, und ließ sich in ihrer Theilnahme an der Oper nicht stören. Erst am Schluß derselben brach sie auf, sagte ihm: »bon soir«, und ließ sich vom Herzoge an den Wagen geleiten. Alexandre war bestürzt bis zum Verstummen. Kaum ermannte er sich noch zu rechter Zeit, um den Bedienten nach der Adresse zu fragen. Er fuhr nach ihrer Wohnung, fest entschlossen, sie zu erwarten, und wenn sie erst gegen Morgen aus der Gesellschaft zurückkehre.

Sie war zu Hause, und allein. Unangemeldet drang er in ihr Zimmer. Auf einem kleinen Tabouret saß sie im Winkel eines matt erleuchteten Zimmers, und bemerkte sein Eintreten nicht. Den weißen Hut hatte sie abgelegt, und den Shawl, der ihr 356 die Schultern bedeckt hatte, die Hände ruhten ihr im Schooße.

Nach einer kleinen Weile trunkenen Anschauens sagte Alexandre mit leiser Stimme: Desdemona, Othello hat Recht.

Ach, rief sie eben so leise, und fragte mit weicher Stimme: «Yes?«

»Yes«,sprach Alexandre, fiel vor ihr nieder, und drängte sein Haupt in ihre warmen Hände, in ihren Schooß.

Darauf hob sie ihm den Kopf in die Höhe, ihre Augen waren voll Thränen, und sie fragte ihn noch einmal ernsthaft, ob er einer solchen nichts duldenden, grenzenlosen Liebe sich hingeben könne. Ob er nichts, aber auch nichts, nichts außer ihr lieben wolle. Und als er bejahte, da stieg ein unendlicher Jubel auf, und ein Küssen und Kosen begann, daß ihr seidnes Atlaskleid völlig zerknittert, und das goldne Kettchen im Haar zerrissen wurde.

Am andern Morgen verband sie der Priester, und sie lebten wie die Engel im Himmel.


Einige Tage darauf reis'ten sie in dem großen, bequemen Reisewagen der Lady nach Italien, zwischen Verona und Vicenza kauften sie eine Villa, die in 357 der Nähe des Schlachtfeldes von Montebello liegt, und sie waren sehr glücklich.

Eines Tags hatten sie eben gefrühstückt, und sich geküßt, als der Kammerdiener eintrat, um den Service abzuräumen. Er benahm sich ein wenig ungeschickt dabei, und Alexandre schärfte ihm ein, die große goldne Tasse, aus welcher er täglich trinke, ja in Acht zu nehmen, denn er habe sie außerordentlich lieb. Jenny trat zu dem Kammerdiener, um noch etwas auf den Teller zu stellen, der Teller geräth in's Schwanken, die Mundtasse Alexandres fällt an die Erde, und ist zerbrochen.

Er ist verdrießlich, und will ausreiten, um es zu vergessen, was ihn ärgert. Sein Kanarienvogel schmettert ihm ein lustig Abschiedslied, und er bittet Jenny, den Vogel ja in Acht nehmen zu lassen, er habe ihn so gern. Jenny war hoch schwanger, und die kurze Trennung auf einige Stunden war immer sehr zärtlich. Als Alexandre zurückkam, begrüßte ihn sein Vogel nicht mehr, er eilt zum Bauer: man hat ihm die Füße abgeschnitten. Außer sich eilt er nach den Zimmern Jennys, und erzählte ihr die boshafte That, sie ordnen sogleich eine große Untersuchung an, aber es ergiebt sich nichts, Niemand will im Zimmer gewesen sein.

Unmuthig ruft Alexandre bei Tische aus: Es fehlt nur noch, daß man den Hektor, meinen 358 getreuen Jagdhund, und die Zulma, meine schöne Stute, die Du mir aus England kommen ließest, Jenny, daß man diese beiden Thiere noch verstümmelte, dann wär ich doch all' meiner Lieblinge baar. –

Wenige Tage drauf war der Hektor verreckt und die Zulma lahm. Aber Jenny lag in Kindeswehen, Alexander hatte keine Zeit für seinen Grimm. Sie gebar ein reizendes Mädchen, und Alexander war unaussprechlich glücklich; er herzte und küßte das Kind ohne Ende –

Du hast wohl die Kleine sehr lieb, Alexander,« fragte Jenny.

»»Außerordentlich««

»Wohl lieber, als mich, Alexander?«

»»Wie kannst du so thöricht fragen.««

Alexander geht auf sein Zimmer. Bald darauf hört er ein kreischendes Geschrei. Es ist die Amme, welche ihm die schreckliche Kunde bringt, die gnädige Frau habe eben das kleine Kind ersticken wollen. Sie habe es mit Mühe gerettet; die gnädige Frau müsse schwer krank sein.

Entsetzt eilt er zu ihr, sie liegt bleich auf dem Bett, und erklärt ihm mit matter Stimme, er möge sie verlassen, wenigstens auf einige Zeit verlassen, sie liebe ihn so grenzenlos, daß sie darüber zu Grunde ginge. Aus Eifersucht habe sie die Tasse zerschlagen, den Vogel verstümmelt, den Hund vergiftet, seinem 359 Pferde eine Flechse zerschnitten, aus Eifersucht habe sie eben ihr Kind tödten wollen. Sie könne nichts um ihn dulden was er liebe.

Und er reiste ab von der schönen Villa, ging über die Alpen nach Teutschland, er reis'te ohne Zweck und Plan, es war ihm wüst und traurig zu Muthe, vor seiner schönen Jenny empfand er einen unheimlichen Schauder. Zufällig kam er wieder nach Braunschweig.

Jenny ging von Montebello nach Paris. Sie schrieben einander kurze Briefe, und so verging ein Jahr. Ihr Kind war an der Bräune gestorben. Alexander konnte sich nicht mehr denken, daß er an Jennys Seite ruhn, daß er ihren Mund küssen könne!

Ein weiches, teutsches Mädchen kam ihm in Braunschweig mit vieler Liebe entgegen, und er entschloß sich, Jenny die Scheidung vorzuschlagen, da ihnen zusammen doch kein Glück blühen könne. Er erzählte ihr, daß er ein Mädchen gefunden, die ihn mit ihrer sanften Liebe beglücken werde. Jenny antwortete ruhig und ganz zufrieden damit. Auch sie habe eine weniger heftige Neigung gefunden, sie sei vollkommen einverstanden mit seinen Gründen. Eins nur verbäte sie sich. Er möge sie Tag und Stunde seiner neuen Hochzeit wissen lassen, damit sie zu gleicher Zeit ihre Vermählung feiern könne.

360 Das geschah, und einige Wochen darauf ward Alexandre in der Kirche zu Braunschweig getraut. Seine neue Frau war nicht aus Braunschweig, und sie hatten beschlossen, sogleich am andern Tage zu ihren Eltern zu reisen.

Es war noch sehr früh am Tage, man öffnete erst hie und da die Hausthüren, als Alexandre die Treppe herabstieg nach dem Flur, um etwas in den Reisewagen zu legen, der schon bereit stand.

Da sieht er mit Staunen Jennys Jockey eintreten, denselben, der damals ihre Abreise nach Paris bestellt, der ihm in der Oper die Adresse gesagt hatte, der mit ihnen bei Montebello gewesen war. Er berichtet dem ahnenden Alexandre, daß seine Herrin gestern Morgen in Braunschweig angekommen sei. Gestern Abend habe sie ihm den Brief gegeben, und ihm aufgetragen, mit dem Frühesten ihn abzuliefern. Voll trüber Besorgniß erbrach ihn Alexandre hastig. Er lautete folgendermaaßen:

»Ich mußte deine neue Frau sehn, ich war in der Kirche. Meine Heirath war nur ein Vorwand, dich nicht zu stören. Die Liebe zu Dir, mein Alexandre, ist noch so unsäglich wie sonst. Die heutige Nacht kann ich nicht überleben. Wenn du diesen Brief erhältst, ist dein Liebesgespenst todt. Sieh', das wußte ich Alles damals, als ich dich zum ersten 361 Male in Braunschweig sah – Gott wollte es aber, daß der Othello noch einmal erfüllt würde.«


»Questa è 'la campagna de Montebello« sprach der Postillon, und hielt die Pferde an.

Der Wagen stand am Ufer eines ausgetrockneten Flusses, in welchem lauter trockne Steine lagen, der Mond sah bleich darauf herunter.

Schweigsam stieg mein Begleiter mit mir aus, er stützte sich auf meine Schulter, und wir gingen in das Flußbett hinab. Ein lauer Wind strich darin entlang. Der Bediente kam, um uns Kissen zum Sitzen unterzulegen. Wir setzten uns aber auf die Steine, und mein Begleiter sagte: das ist der unglückliche Jockey, das Einzige, was mir geblieben.

»Sie haben mich still angehört, mein Herr, fuhr er fort, »und am Schluß nichts Unnützes gesprochen. Halten Sie mich nicht für wahnsinnig, wie Manche thun, ich bin's leider nicht, und ich kann mich auch nicht erschießen – nicht wahr, mein Herr, das ist ein Unglück. Wahnsinn ist ein Irrthum, und das Unglück ist ein Kind des Irrthums, und böse Kinder werden immer schlimmer als ihre Eltern; denn sie werden immer größer. – Wollen Sie mir einen Dienst erweisen?

»Ja.«

362 Er führte mich eine Strecke in dem Flußbette hinauf, bis an eine dunkle Stelle, wo sich die Bäume neugierig über das Ufer legten. Dort trat er mit mir in's Düstre, zog einen Dolch aus der Tasche, und bat mich, ihn zu erstechen. »Ich schäme mich vor Jenny;« sagte er, »machen Sie meiner Schaam ein Ende.«

Der Jockey war uns nachgeschlichen und stand hinter ihm.

Ich sagte ihm aber, das Leben sei die Hauptsache, den Tod könnten wir nicht verantworten, aus Gefälligkeit und hergebrachter Konvention mitsterben, sei nur in veralteten Trauerspielen Mode. Er solle eine Fußreise nach Spanien machen, da würden ihm die Grillen vergehn, er solle die Geschichte alle Tage Jemand erzählen, da würde sie ihm bald gleichgültig vorkommen. Im nächsten Jahre um dieselbe Zeit hoffte ich ihn am südlichen Thore von Sevilla wiederzufinden.

»Topp!« sagte er –

Topp, sagte ich – trinken Sie viel frisches Brunnenwasser und gehen Sie viel zu Fuß; dabei vergißt sich Alles.

Und er ging. Bald hörte ich den Wagen rollen, immer weiter, weiter auf der harten Heerstraße. Mein schön gestickter Tabacksbeutel steckte in der 363 Wagentasche, ich hätte ihn gern wieder gehabt, denn ein französisches Mädchen hatte mir ihn gestickt in stillen nächtlichen Stunden. Der arme Alexander! Er braucht viel Klugheit, um seinen Jammer zu betäuben, und erschießen kann er sich nicht, und ich fürchte, der Jammer wird alle Tage wachsen. Am südlichen Thore von Sevilla werd' ich ihn schwerlich finden, und nach meinem Tabacksbeutel fragen können.

Es war ein schlimmes Omen, daß er sich auf der Campagna von Montebello eine Villa kaufte. Ja, hier schlug er zwar seine schönste Schlacht, der schöne, stattliche Lannes; hier ward er durch sein Schwert ein Herzog von Montebello. Aber jener stattliche Lannes, jener Duc de Montebello war just so unglücklich wie Alexander. Und auf diesem Boden müssen lauter solche Geschichten spielen. Er liebte die Freiheit wie Brutus, aber er konnte dem göttlichen Auge Napoleons, des fränkischen Jupiter, nicht widerstehen. Er sah die Tyrannei, und den Jammer, und die mörderischen Kugeln, er sah Alles das voraus, aber er stürzte sich ihm in die Arme wie Jenny dem schönen Alexander mit dem süßen, melancholischen Gesichte.

Napoleon war ein kluger Mann, und er wußte wohl, wie viel der ritterliche Lannes ihm opferte, wie jene Siege, welche er so wild mit erfechten half, 364 sein Herz immer mehr zerrissen. Napoleon wußte es wohl, daß der Duc de Montebello mehr war als ein ritterlicher Soldat, und als bei Eßlingen die Kanonenkugel seinen Leib zerschlug, da beugte sich jener unbeugsame Kaiser in bitterm Schmerze über den blutenden Lannes und rief: Es ist nicht möglich Lannes, daß Du stirbst – denn der ergebne Freund, der unsre Schwächen kennt, ist mehr werth, als der thöricht ergebne.

»Il est impossible, Lannes, que tu meurs.« – –

Lannes aber starb, und seinen letzten, brechenden Blick wollte der Kaiser nicht verstehen – er ging bloß hinein in sein Zelt und weinte bitterlich, und schrieb an des Lannes Frau, und bat ihr das Unglück ab.

Wenn wir's sonst nicht wüßten, daß Napoleon ein großer Mann gewesen sei, die Männer, jene ehernen Freunde, die rings um ihn fielen, weil sie ihn anbeteten, würden's uns sagen. An Rolands Liebe habe ich Karl den Großen erkannt.

Es war so mondeinsam auf dem Schlachtfelde, ich saß im Flußbett unter einer langhaarigen Weide und dachte an die nächtliche Heerschau vom Freiherrn von Zedlitz, und an »die blutigen alten Schwadronen,« die »trapp – trapp – trapp« vorüberritten, und an die marmornen bärtigen Garden, welche 365 vorübermarschirten, »eins – zwei – eins – zwei.« Regungslos sahen alle Augen links her, da stand Er, und wo eine Bärmütze stürzte, da trat eine andre ein, und die Augen blieben immer links her gerichtet, ob er sie auch sähe. So tanzen junge Mädchen, deren Geliebter an der Seite steht, und dem Tanze zusieht, sie sehen nur nach ihm. So tanzten die allen Garden im Paradeschritt zum Tode durch den Kugelregen, und erst dicht vor dem Feinde fällten sie das Bajonett und ohne einen Laut drangen sie tödtlich ein, vor diesem gespenstischen, marmornen Stillschweigen aber liefen die Feinde heulend davon. Denn der schweigsame Muth ist der Heldenmuth. –

– Und all' das hat dir nichts geholfen, unkeusche Italia. –

Mit diesen Worten wachte ich auf unter der Weide am Schlachtfelde von Montebello. Die Sonne schien mir in's Gesicht, der ganze Leib schmerzte mich, ich hatte auf Steinen geschlafen. Ja, man bettet uns hart.

– Ich hinkte nach der Brücke, über welche die Straße führt – da kam ein Einspänner hergetrabt, drinn saß mit seinem Tubus der Archivarius, und als ich unter seinem Glase erschien, schlug er die Hände zusammen und rief: Sie werden sich noch einmal schön erkälten.

366 Ja wohl, sagte ich, und stieg zu ihm in den Wagen.

»Wo sind wir denn jetzt?«

Wir fahren über das Schlachtfeld von Montebello. 367

 


 


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