Heinrich Laube
Reisenovellen - Band 2
Heinrich Laube

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Eine Tyroler Geschichte.

In diesem Lande müssen recht traurige Geschichten passiren können, dacht' ich in meinem stillen nächtlichen Sinn, und sah nach den schwarzen Felsmassen in die Höhe, die bei der Finsterniß kein Ende nehmen, und nach dem ebenfalls unendlich schmerzhaften Gesichte des Mädchens. Das arme Kind riß sich das Busentuch heraus, als ich so in die Höhe blickte, und trocknete sich damit die Augen, obwohl die Augen gar nicht weinten. Eine alte Erinnerung mochte ihr wohl sagen, daß sie eigentlich weinen sollte, und sie wollte die harte Natur ergänzen. Ihr weißer Busen sah kalt und unempfindlich in die Nacht, und es bedünkte mich, als glich er einem Marmordenkmale, was auf dem Grabe heiliger Todten ruht.

Es war gar zu auffallend, denn die Tyrolerinnen sind keusch und schamhaft, es mußte nicht recht richtig mit dem Mädchen sein.

118 Ach, es war auch nicht recht richtig. In diesem Lande passiren wirklich recht traurige Geschichten, denn die Bildung hat noch keine Leidenschaft in Baumwolle gewickelt, sie äußern sich in baarer, wilder Naturkraft, und frei sind die Tyroler auch nicht, wenn sie sich auch so stellen.

Das Mädchen war einmal recht glücklich gewesen, sie hatte geliebt. War sie nicht eigentlich zu beneiden? Wißt Ihr es wohl, ihr stumpf glücklichen Menschen, die Ihr gedankenlos in der Fülle Eures Behagens hinlebt, wißt Ihr es wohl, daß diese lachende goldne Sonne Menschen bescheint, welche niemals, ach das Herz bricht mir bei dem Worte – niemals glücklich gewesen sind, niemals nur den Mantelsaum des fliegenden Glücks gesehen haben!

Manchmal macht es mich irre an der Liebe Gottes, die durch Alles rauscht, was da ist, daß es wirklich Menschen giebt, welche nie die Liebe empfunden haben, nie die Liebe empfunden – – Herr des Himmels, es giebt solche Menschen! Machtest du sie über Nacht klug, sie liefen auf die Thürme, und stürzten sich herab, um die trostlose Brust zu zerschmettern. Und es sind das nicht immer bloß alte Kaufleute, die nur ihr Geld, alte Edelmänner, die nur sich lieben, alle Jungfern, die ein Herz von Sohlleder gehabt haben; es sind mitunter ganz anständige Leute.

Wie ein Platzregen würde es auf sie herabstürzen, 119 wenn sie plötzlich ihr Unglück erführen. Es ist eine traurige, entsetzliche Poesie um einen Menschen, der da sieht, wie Alles überwältigend die Liebe bei allen Menschen ist, und der niemals selbst etwas davon erfahren hat.

Ich meine, es sei der unglücklichste Mensch unter der Sonne, unglücklicher als der größte Verbrecher.

Elsi, dein Unglück war eine Kleinigkeit daneben, obwohl es gar nicht klein war.

Elsi hatte in einem artigen Häuschen bei ihrem Vater und ihrer Mutter gewohnt, beim Hause war ein Gärtchen, im Stalle stand eine Kuh, der Altan, welcher bei den meisten Tyroler Häusern angebracht ist, war erst vor sechs Jahren blank und fest ausgebessert worden. Im Sommer zog der Vater mit Fußteppichen und Handschuhen nach Teutschland, im Herbste kam er wieder, und den Winter über hatten sie Holz genug, saßen fein warm, das Dach war gut erhalten, es drang kein Schnee durch, und das Ersparte reichte auch hin, in der Woche zweimal Fleisch zu essen.

Es ging der Elsi wirklich recht sauber, besonders als der Sepperl immer regelmäßig des Abends vorbeikam, im Frühjahr wenn sie oben auf dem Altan hinter den beiden Blumentöpfen saß, die ihr der Sepperl geschenkt hatte, und wenn der Sepperl immer freundlicher sagte: Elsi, guten Abend. Denn der Sepperl 120 war ein blitzhübscher Bube, er schoß die meisten Gemsen von allen Schützen im Dorfe, und hatte den schwärzesten schönsten Knebelbart. Als der Vater schon einen Monat fort war, hinaus in's Reich, da trat der Sepperl einmal wirklich ein in's Haus, und schüttelte Elsi's Mutter die Hand und der Elsi auch und setzte sich.

Elsis Mutter war unten aus Welsch-Tyrol, und hatte stechende schwarze Augen, und Sepperl gefiel ihr, und wenn sie die Tochter hinausschickte, so streichelte sie ihm die Backen und den Knebelbart. Das gefiel dem Sepperl, und da Elsis Mutter noch eine rüstige, hübsche Frau war – Elsi war erst 15 Jahr– so streichelte er sie wieder, er war jung, sie war aus Welsch-Tyrol, sie wurden warm mit einander.

Die arme Elsi merkte nichts, denn Sepperl gab ihr immer die Hand, wenn er kam und wenn er ging, und Sonntags tanzte er mit ihr wie die andern Burschen mit ihren verlobten Dirnen. Es that ihr nur leid, daß die Mutter immer des Abends so viel zu schicken hatte, wenn der Sepperl kam.

So verging die Zeit, bis der Wind schon wieder rauh von Baiern her über die Berge herunterfiel, und das Laub von den Bäumen blies. Da kam eines Abends Elsis Vater aus dem Reich zurück, und er wunderte sich, daß es noch dunkel in seinem Hause war, machte leise die Stubenthür auf und 121 blieb stehen. Hinten vom blauen Himmelbett her vernahm er Geräusch, als wenn zwei Leute schön mit einander thäten, und sich küßten. Er schüttelte unwillig den Kopf, daß Elsi solchergestalt die Sitte hintansetze, kehrte flugs um, und ging zum Pfarrer, für seine Tochter die Hochzeit zu bestellen; denn er hatte es schon im Frühjahr gesehen, daß Sepperl ein Auge auf sein Mädel hatte. Unweit des Pfarrhauses aber begegnete ihm Elsi. Sie grüßte ihn schön und gab ihm die Hand; er fragte sie aber bloß, wer denn eigentlich daheim in der Stube sei, und als Elsi antwortete: »die Mutter und der Sepperl,« da sagte er: Elsi, geh' zum Herrn Pfarr, und warte auf mich, ich werde auch gleich hinkommen.

Sie ging, er kehrte um, und trat stumm in seine Stube. Das Weib saß mit entblößter Brust auf dem Bett, Sepperl sprang hastig auf die Seite. Elsis Vater trat an sein Weib heran, und fragte, ob sie ihn kenne. Der Mond kam eben hinter den Bergen hervor, und fiel mit seinem blassen Schein über Beider Gesicht. Das Weib war todtenstill; er griff nach seinem Messer an der Seite und stach es ihr tief in die offne Brust. Sepperl schlich langsam aus der Stube; er sah's aber noch, wie das Blut emporsprang und das Weib auf's Bett zurückstürzte.

122 Es hatte Niemand ein Wort gesprochen, aber Sepperl mußte wohl später geschwatzt haben, denn am andern Tage war die Geschichte ruchbar. Elsi hatte bis spät in den Abend im Pfarrhause auf ihren Vater gewartet. Als er gar nicht kommen wollte, ging sie heim, und da unten Alles finster und still war, dachte sie, die Eltern schliefen schon, und ging hinauf in ihre Kammer, und schlief bis an den frühen Morgen. Im Hause selbst schlief aber Niemand mit ihr als die todte Mutter.

Als Elsi früh in die Stube trat, begann ihr Unglück: die Mutter fort, der Vater fort, das Messer mit seinem Namen bei der Leiche, und Sepperl – – die Nachbarn erzählten ihr schonungslos, was sie wußten, und was sie nicht wußten.

Elsi war alt genug, ihr Unglück zu übersehen: Vater und Mutter verloren, und was mehr sagen will: den Geliebten, und was noch mehr ist: die Liebe, und Alles in einer Nacht – es war Unglück genug, um den Verstand zu verlieren. Elsi verlor ihn auch.

– Aber wer nie geliebt hat in seinem Leben, ist doch noch schlimmer dran.

Von Elsis Vater hatte man nie wieder etwas gehört, aber Sepperl hatte Soldat werden müssen. Elsi saß still in ihrem Häuschen, legte den Tag über die Hände in den Schooß, und sang die alten glücklichen Lieder; sie putzte sich sorgfältig, weil sie glaubte, 123 der Mangel an Schönheit sei Schuld gewesen, daß sie Sepperls Liebe nicht gewonnen. Die Nachbarn brachten ihr Essen, und sie aß mit großem Appetite, war still und sanft, und that Niemand etwas zu Leide.

Eines Abends saß sie wieder im Dunkeln allein, unweit des blauen Himmelbetts, in welchem jetzt Niemand schlief; denn sie ging immer noch hinauf in ihre Kammer, obgleich der Schnee jetzt durch das verwahrlos'te Dach hereindrang. Sie summte leise ein altes Lied, da ging die Thür auf, und Elsi sprang in die Höhe und rief jauchzend: »Sepperl.« Sie hatte ihn am Tritt erkannt. Es war Sepperl, der von Wien desertirt war; sie schien ganz vernünftig zu sein, so lange sie mit ihm redete. Er stellte ihr vor, wie man ihn verfolge, und daß kein andrer Ausweg übrig sei, als auf's Gebirg zu fliehen, denn wenn man seiner habhaft würde, erschösse man ihn. In diesem Augenblicke sei er halbtodt gehetzt, und bedürfe einer stärkenden Ruhe, im Gebirge sei's noch kalt und rauh, Elsi solle ihn vier und zwanzig Stunden beherbergen.

Elsi nickte mit dem Kopfe, er verschlang hungrig ein Stück Brot, was auf dem Fensterbrett lag, dann fiel er todtmüde auf jenes Bett, wo das Unglück geschehen war; er hatte keine Zeit und keine Kraft zum Schauder; der Schlaf sank bleiern auf seine Augen. Elsi ging, und riegelte die Thür zu, dann legte sie 124 sich angekleidet neben ihn auf's Bett, und schlief nicht, sondern sah den Schläfer an mit offnen Augen, obwohl sie wenig an ihm sah, denn die Nacht war dunkel.

Als der Tag graute, erwachte Sepperl, sah das Mädchen neben sich halb aufgerichtet sitzen, sah seine Lagerstätte, und fuhr entsetzt in die Höhe. Er wollte fort. Elsi umklammerte seine Kniee, er möge bleiben. Sepperl wußte nichts von Elsis Wahnsinn; er wollte noch einen Tag bleiben, um sich einzurichten für seinen Aufenthalt auf den Bergen.

Als es Morgen ward, kam die Nachbarin, und brachte Elsi das Frühstück, Sepperl kroch hinter den Ofen, und Elsi schob den kleinen Schieber am Fenster auf, und nahm den Topf der Nachbarin ab.

»Der Sepperl ist wieder da,« sagte sie.

Sepperl erschrak des Todes in seinem Versteck.

Die Nachbarin aber, gewohnt, sie von Sepperl sprechen zu hören, achtete nicht darauf, sondern ging, sich bekreuzigend wieder von dannen. Jetzt kam dem Sepperl zum ersten Male der Gedanke von ihrem Irrsinn, aber wenn sie sich zu ihm wendete, sprach sie unverwirrt.

Es war ihm doch unheimlich in der schlimmen Stube zu Muthe; er machte sich indeß zu thun, suchte den Stutzen und Pulver und Blei von Elsis Vater zusammen, putzte das Gewehr, und machte sich 125 reisefertig. Der Elsi verbot er, wenn die Nachbarin wiederkäme, seinen Namen zu nennen; als sie aber kam, sagte Elsi wiederum: Der Sepperl ist da, ich darf's aber nicht sagen.

Nun blieb ihm kein Zweifel mehr über ihre schreckliche Lage; er sah auch, daß sie nichts that, und sich wie eine Kranke von außen her ernähren ließ. Ihn verlangte angstvoll nach dem Abende, er schmachtete nach den Bergen, Schuld und Unglück lastete wie Verdammniß mit der niedrigen Stube auf seiner Brust.

Elsi war unterdeß lieb und zärtlich gegen ihn, und sprach kein thöricht Wort.

Es ward Abend, und er machte sich reisefertig. Elsi that's auch. Er fragte. Sie wolle ihn bis ans Ende der Wolken begleiten, und wenn's weiter ginge, weiter. Als er's ihr abschlagen wollte, weinte sie bitterlich.

Sepperl suchte sie zu beruhigen, und streichelte ihr zum ersten Mal die Wangen, und küßte sie flüchtig auf den Mund. Da fuhr's wie ein Feuerstrahl durch ihr Antlitz und ihre Glieder, die Augen leuchteten, und sie preßte ihn küssend und wieder küssend, so heftig an sich, daß es ihn schmerzte.

Er steckte so viel Brot, als im Hause zu finden war, in die Jagdtasche, und sie gingen; was er mit ihr beginnen sollte, wußte er selbst noch nicht.

126 Es war Abend. Sie schlüpften zwischen Häusern und Zäunen hin. Plötzlich hörte Sepperl Fußtritte, und kauerte sich hinter einen Zaun. Als Elsi dies bemerkte, waren die Männer, deren Fußtritte Sepperl gehört, schon da, und fragten sie, wohin sie bei so später Zeit noch gehe.

»Ich geh mit dem Sepperl auf die Berge, sie wollen ihn todtschießen.«

Eiskalt überlief es den Sepperl, denn er hörte Waffen klirren; es waren österreichische Militairs, die ihn verfolgten. Er huschte so leise als möglich auf der Erde hin, und fiel in eine Grube, duckte sich zusammen und regte sich nicht.

»Sie ist nicht klug,« sagte ein Tyroler, welcher dabei war, aber Elsi setzte hinzu: Hier hinter dem Zaune sitzt er.

Man trat hinzu. Ein Soldat näherte sich der Grube. Sepperl spannte seinen Stutz, der Hahn knackte, der Soldat trat näher und rief: »Antwort oder ich gebe Feuer.«

Es fällt ein Schuß, es fliegt ein Mann über den Zaun, Schüsse knallen hintendrein, man setzt ihm nach, nur der Tyroler und Elsi bleiben bei dem blutenden Soldaten. Elsi ruft ängstlich nach Sepperl.

Aber Sepperl war ein gewandter Bursche und kannte alle Wege und Stege – erst ein Paar Jahre nach diesem Vorfalle ist ihm oben auf dem höchsten 127 Gebirge ein Gemsjäger begegnet. Sepperl hat sehr mager und alt ausgesehen, sein Haar ist grau gewesen, und auch ein langer Bart, der ihm unterdeß gewachsen. Er lebt nur von Gemsenfleisch, und es sollen noch mehrere solche Unglückliche da oben im Gebirg herumirren, welche der Konscription entflohen sind. Sie wagen sich auch nach vielen Jahren nicht herunter, denn das Gouvernement ist unerbittlich. Man erzählt, daß einer von ihnen altersschwach mit sechzig Jahren herabgekrochen sei, verhoffend, man habe sein vergessen. Aber man vergißt nichts, hat ihn eingefangen und an Leib und Leben gestraft. Wie bei den Türken und Persern existirt auch das Heimfallsrecht bei solchen Personen: jener Mann hat 90,000 Gulden besessen, welche dem Gouvernement verfallen sind. –

– Der Tyroler, welcher mir die Geschichte mit Elsi und Sepperl erzählte, als er mich so betrübt und verwundert über ihren Anblick sah, setzte hinzu, man wisse nicht, ob sie mit dem Sepperl wohl zusammenkomme. Sie werde oft des Nachts hoch oben auf den Felsen gesehen, und hasche begierig nach Zunder, Pulver und Blei, womit sie wahrscheinlich den Geliebten versorge. Sie spreche übrigens kein Wort mehr, trockne sich aber immer die trocknen Augen, wenn sie hinaus nach den Bergen sehe.

Der Tyroler erzählte mir Alles in ihrer 128 Gegenwart, sie hörte aber nichts, sondern leuchtete uns schweigsam wie ein Marmorbild über die schmalen Balken, welche man in die brausenden Bergwasser geworfen hatte, um die Kommunikation herzustellen. Als ihre Fackel zu Ende ging, verschwand sie plötzlich auf der Seite, wo die Felsen in die Höhe laufen, um ihren Sepperl zu suchen. 129

 


 


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