Heinrich Laube
Reisenovellen - Band 2
Heinrich Laube

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Der Garda-See.

Ich dachte an einen der größten Männer Teutschlands, an Herrn Vulpius, Goethes Schwager, als wir nach dem Garda fuhren. Es ist schrecklich, wie undankbar die Teutschen von Haus aus sind, sie genießen ohne Geschichte: sie wissen nicht, woher sie die Kartoffeln haben, und wenn sie's wissen, so lügen sie dabei. Ich hörte einmal einen Schulmeister seine Weisheit auskramen, daß Franz Drake aus Osterode stamme und einen dicken Kopf und Leib gehabt habe vom vielen Genuß seiner Entdeckung. Ein andrer Schulmeister, der leider keine Anstellung hatte und darum desto eifriger lehrte, setzte einst eine große Damengesellschaft in Kenntniß, daß der Rinaldo Rinaldini das frühste Werk Klopstocks gewesen sei, und daß er sich später nur aus Buße in eine erhabene gottgefällige Richtung geworfen habe. In unbewachten Stunden habe er oft mit einer Art 186 Heimweh »In des Waldes tiefsten Gründen« gesungen. So verläumdete der Schulmeister mit einem Satze Klopstock und Vulpius.

Vulpius ist aber ein Genie, und es ist schrecklich, daß er darüber gestorben und schon lange gestorben ist, und daß es noch immer Niemand weiß. Er ist ein Genie, weil ich sogleich an den Rinaldo Rinaldini dachte, als ich in die rauhen Thäler kam, welche zum Garda führen. Seit meinem achten Jahre hatte ich den Rinaldo nicht mehr gelesen, bis zu meinem vierzehnten Jahre sehnsüchtig vergeblich gewartet, ob nicht Rinaldo noch einmal erscheinen werde in sechs Bänden. Ich hatte den Bibliothekar in meinem kleinen Vaterstädtchen so oft darnach gefragt, daß ich bloß noch den Kopf zur Thür hineinstrecken durfte, um die Antwort zu hören: »Kein neuer Rinaldo da!« Wenn ich nämlich hineinkam, so jagte er mich hinaus, ich war ein kleiner kritischer Tausendsappermenter, und brachte seine Bibliothek bei meinen kleinen Genossen in Mißkredit, weil ich sagte, er habe ein einziges Buch – den Rinaldo. Deshalb hatte er früher Versuche gemacht, mich hinter's Licht zu führen: er hatte mir den Mazarino und Aranzo, den furchtbaren Räuberhauptmann, gegeben, und hinzugesetzt es seien Milchbrüder des Rinaldo, aber ich hatte ihre Unächtheit gar bald erkannt, sogar des dicken, weitläufigen, großköpfigen 187 Cramer »Dohmschütz und seine Gesellen« mit den kapitalen teutschen Flüchen und Redensarten hatte mich nicht getäuscht. Es fehlte mir die »Tiecksche Waldeinsamkeit« – ich blieb der kleine Tausendsappermenter und ruinirte dem blassen Herrn Stiller – so hieß der Mann – die braun geles'ne Bibliothek.

Alles das fiel mir auf dem Wege zum Garda ein, ich erkannte, welch' große Intuition Vulpius besessen, denn Italien besuchten damals die Romanschreiber nicht, einmal weil es sich nicht schickte, zweitens weil's zu weit war, drittens weil es die Phantasie störte und viertens weil man die Banditen fürchtete. Dieser Treffer des Rinaldoschen Kolorits war also reine Intuition.

Ich ward traurig, daß auch Vulpius sterben mußte, daß Rinaldo verkannt wurde und Herr Stiller nicht mehr hinter dem blechernen Syrupkasten in seinem Materialladen saß, und seine Krücke gegen mich aufhob, wenn ich die Thür ein kleines Stückchen öffnete. Er verbreitete nämlich die Kultur nur nebenbei, und in einer verborgnen Nische seines kleinen Ladens standen die satt gelesenen Klassiker hinter einem grünen Vorhange. Ach dieser Vorhang verdeckte mein Allerheiligstes, dieser grüne Vorhang war das Kolorit meiner schönsten Romantik. Wie oft schlich ich beim schlechtesten Schnee- und Regenwetter an den gläsernen Ladenthüren des Herrn 188 Stiller vorbei, wenn er eben tief in einem seiner Bücher steckte, und zum Zeichen davon mit seinen blassen Händen das schwarze Sammtkäppchen hin und herschob auf seinem dünnen, dunkeln Haare. Sein blaßgelbes aufgedunsenes Gesicht sah dann wie Marmor aus. Er war ein gewissenhafter braver Bibliothekar, der alle Winter seine ganze Bibliothek durchlas; das that nicht einmal Lessing in Wolfenbüttel, und der ist doch sogar berühmter geworden als Herr Stiller hinterm blechernen Syrupkasten. Er war oft so wacker vertieft in seine Lektüre, daß er gar keinen Syrup verkaufte, wenn auch Leute kamen; daß er sagte, er habe keinen vorräthig, und gar nicht aufsah von seinem Buche. Ich erinnere mich, daß ihm der grobe Gerichtsdiener, der so unverschämt brandenburgisch sprach, einst, als ich wieder auf der Lauer stand, den Laden zumachte, damit er ganz ungestört lesen könne.

Ach, es war ein wollüstiger Tag: der Schnee flog dicht in feuchten weichen Flocken, meine Mutter hatte mir zu Weihnacht einen kleinen Blüchermantel geschenkt, wie ihn die Alliirten an der Katzbach getragen, und womit sie die Franzosen überwunden hatten. Es waren martialische Mäntel, die in einem Stück Tuch von oben bis unten fielen, keinen Absatz machten und eine Art Pyramide auf dem Körper bildeten, meine kleinen Freunde sagten, es seien 189 Radmäntel. Ich sah komplett wie ein kleiner Bandit aus, Rinaldo's jüngster Sohn; eine Mütze führte ich nie, wofür hatte ich Haare – und so stand ich wollustschauernd in dem scharmanten feuchten Schneewetter an der zurückgelehnten Banditenthür halb im Rücken des Herrn Stiller, meines Sehnsuchts-Stiller, und sah mit unendlicher Sehnsucht und Romantik nach dem grünen Vorhange, und schwelgte in all' den nächtlichen Herrlichkeiten eines neuen Rinaldini, und putzte mir die unromantische Nase, die für Kälte und Schnee empfindlich war, mit den kleinen Händen. Später sah ich mit ähnlicher Sehnsucht nach dem Blumenfenster des ersten Mädchens, in das ich mich verliebte, der Banditenmantel von der Katzbach war längst zu einem unternehmenden Fräcklein zerschnitten, Stillers Laden war geschlossen – aber meine Sehnsucht nach dem grünen Vorhange war romantischer, historischer, mittelalterlicher, duftiger und so weiter. Ach, wenn ich damals den Gebrüdern Schlegel in die Hände gefallen wäre, was hätte für ein ächter Burgmondschein aus mir werden können. Ich kannte keinen beneidenswerthern Menschen als einen kurzen, schmutzigen Bäckermeister, der den ganzen Tag auf seiner warmen Ofenbank lag und las und las in lauter braun gelesenen, klebrigen Stillerschen Büchern. Und auf der Ofenbank schlief er ein, und wenn er 190 aufwachte, las er weiter, und nur einmal in der Woche schob er Brot in den Ofen, und das Essen setzte man ihm auf einen Schemel an die Ofenbank, und während er seinen Leib sättigte, las er immerfort.

Ich habe später den Napoleon nicht so beneidet, und jetzt fuhr ich zum Gardasee, und machte mir gar nichts aus dem Lesen, und der Zauber des grünen Vorhangs war historisch geworden. Da dacht' ich lebhaft an die Bewegung der Welt und warf Vulpius und den Rinaldini und Herrn Stiller aus dem Gedächtnisse und sah mich um. –

Die einfachste Wahrheit sieht so unscheinbar aus. Die Erde bewegt sich und mit ihr die Menschen und die Bildung, und man muß Geist und Herz immer geschnürt haben wie ein Handwerksbursche sein Ränzchen, wenn man nicht zurückbleiben soll. Es ist das harmlose Geheimniß wohl konservirter Frauen, immer jung zu bleiben. Wie man bis zu 24 Jahren fleißig an die Majorennität denkt, welche das Vermögen und die Unabhängigkeit bringt, so muß man von da ab an die Minorennität denken, die uns übereilen könnte, wenn man ihrer vergäße. Die Jugend ist die persönliche Gefälligkeit Gottes, sie ist immer da, wenn man an sie denkt, das Alter ist der feinste Weltmann, es tritt nicht ein, wenn man nicht herein ruft. Man bleibt jung, wenn man 191 jung bleiben will – man bleibt jung, wenn man fortwährend der Natur treu bleibt, und sich täglich nach ihrem Befinden erkundigt. Man muß die Mode in jeder Art menschlicher Thätigkeit erkennen, ihr in's Auge sehn, jedes Neue ist wichtig, aber man muß sich nie bis zum Todtschießen verlieben, und darüber neue Erscheinungen vergessen. Man muß nie fertig sein und die Bude des Geistes und Herzens zuschließen – die Natur ist nie fertig, und nur wer zuschließt wird alt. Wer immer strebt, dem bleibt die Jugend.

Das liegt Alles in jener Romantik des grünen Vorhanges. Faßte damals, als ich im Blüchermantel über den Syrupkasten hinweg nach Rinaldo schmachtete, irgend ein jugendverderblicher Lehrer mit einer schnurgeraden Richtung der Bildung meine kindische Romantik beim Schopf, und ließ mich der konsequente Mann einige Jahre lang nicht los, so gehörte ich heut zu der Klique romantischer Faseler, die mit den übernächtigen Mondscheinsentiments lächerlich gemacht werden. Starre Konsequenz schadet der Entdeckung so viel wie schnurgerade Straßen. Man reis't durch das Land dieses Lebens, und hat am Ende nichts als eine Chaussee gesehn. Laßt die Jugend laufen, quält sie nicht in Richtungen, lehrt ihnen Geschichte und kleidet sie modern, damit sie Vergangenheit und Gegenwart verstehen.

192 Ich sah modern und unbefangen die rauhen, kahlen Felsen an, bei welchen wir vorüberfuhren, und hatte es doch nicht verlernt, uranfänglich, historisch und romantisch mit ihnen zu spielen.

Die Gegend von Roveredo bis zum Gardasee hat einen eigenthümlich grauen räuberartigen Anstrich. Der erste Spitzbub nämlich, den ich in meiner Vaterstadt sah, als er auf's Rathhaus vor »die Herren« geführt wurde, trug einen blaugrauen Blüchermantel und einen breitkrempigen Filz wie die Banditen auf dem Theater; natürlich dacht' ich mir alle Räuber so, weil ich sie für eine organisirte Klasse Romantiker hielt, was sie denn auch eigentlich sind.

So grau räuberhaft sind die trocknen, kahlen Felsen an jenem Wege, die Schluchten und Gründe sind nicht tief, die Berge nicht hoch, aber es ist Alles einsam, unfruchtbar – man sieht's der Gegend an, daß man stehlen muß, um hier zu existiren. Nirgends ein Haus, eine Hütte, hie und da einmal ein kleiner malkontenter See, der grämlich und unzufrieden mit seinem unbedeutenden Loose die feuchten Augen zusammengedrückt hat. Binse und kleines Schilf wächs't struppig um sein Haupt. Aber es liegt ein eigner Reiz der Einsamkeit über der Gegend, eine unheimliche Rinaldinische Heimlichkeit – unser kleiner Wagen hielt still, damit sich das Pferdchen verschnaufen könne, es schwieg Alles, als wenn 193 ein wichtiges Romankapitel anheben sollte, ich horchte gespannt, ob kein Bandit pfeifen würde. Der Starost sah mich schweigend an, nahm mit der einen Hand die Pfeife aus dem Munde, knöpfte mit der andern die Strippe auf, und senkte die Goldbörse in den Stiefel. Es war ein feierlicher Augenblick, ich dachte auch an Steffens und die Flötzgebirge, und ihr einsames, schauerliches Schnarchen, und das eiserne Kreuz in seinem Knopfloche, das Denkmal seiner Tapferkeit, was dabei zittert, und gewiß gern sprechen möchte. Der Archivarius unterbrach mit leiser Stimme das Schweigen und meldete, daß vorgestern bei Trient die Post angefallen worden sei. Nach dieser topographischen Notiz schwieg wiederum Alles; der Kutscher war abhanden gekommen, wahrscheinlich um das Signal zu geben. Meine Gedanken kehrten von Steffens zum Rinaldini zurück, und ich dachte darüber nach, wie ich ihn anreden sollte. Ich konnte nicht mit mir einig werden, ob es gerathen sei »Großer Sterblicher« oder »Großer Unsterblicher« zu sagen. Meine helle Stimme schlichtete plötzlich Alles romantisch, ohne mein Zuthun fing sie unerwartet an zu singen:

»In des Waldes tiefsten Gründen,
Und in Höhlen tief versteckt.«

In Italien ist auch das Vieh musikalisch, unser kleines Pferdchen spitzte die Ohren, und ging hastig 194 den Berg vollends aufwärts. Ich sang immer stärker: »Rinaldini ruft sie schmeichelnd,« das Pferdchen arbeitete immer eifriger, ich sang stolz wie Orpheus. Plötzlich stockten wir beide: die Höhe des Berges war erreicht, die Schluchten öffneten sich weithin, ein frischer Wind flog als Bote über unser Gesicht – der Gardasee lag unter uns. – 195

 


 

Ich hatte nie etwas so Schönes gesehen; wie bürgerlich und ordinair erschienen mir daneben unsre Landseen, diese übergetretenen oder zurückgebliebenen Flüsse, von denen jeder eben so gut wo anders, an deren Stelle eben so gut etwas Andres sein könnte. Die steil aufsteigenden Ufer an beiden Seiten des Garda sahen ernst und gebieterisch aus wie stolze Diener eines reichen Herrn, man sah ihnen an, daß der Herr zu Haus in seinem Pallast sei, Signore Garda il primo. In schmalem Bett, ungefähr so breit wie zwei breite Hauptströme geht der See eine Strecke weit hin und her, dann wirft er sich die Locken aus dem Gesicht, schiebt die Zeltvorhänge und seine Dienerschaft beiseite und geht breit und fliegend tief in's Land hinein, und feuriger und fröhlicher senkt sich seine Lippe zum Kusse in das sonnenhelle Antlitz der Lombardei. –

Ein feiner Schleier von blauem Duft hing über 196 dem Antlitze des Garda; er ist einer der altitalischen Götter, und die Götter erscheinen dem Menschen nie unverhüllt, und die großen historischen Ereignisse flüchten sich in ihren Schooß, um sich dem dreisten Auge eines frivolen Geschlechts zu entziehen. Es ist viel Poesie in dem Kultus derjenigen Völker, die einen See oder einen einzelnen hohen Berg anbeten, sie glauben dabei auch das Archiv ihrer Geschichte zu verehren und die unsterblichen Thaten ihrer Vorfahren, die darin verborgen ruhen. Es wollte mich bedünken, als ich von da oben die blauen Wellen des Garda sich kräuseln sah, die Cimbern und Teutonen tanzten mit klirrenden Waffen unter ihnen, und ihre melancholisch gewordnen Kriegsgesänge bewegten die Wellen von unten auf. Ich bedauerte nur, daß ich nicht teutonisch verstünde, und zum ersten Male ward mir's leid, daß ich Jahns Volksthum und Merke, und die Akten des Wiener Kongresses nicht genauer studirt hätte. – Der Doktor aber belehrte mich, es sei durchaus nicht erwiesen, ob sich die Cimbern oder die Ambronen, oder die Tiguriner oder die Teutonen im Garda gebadet hätten – das schlug mich sehr nieder und ich gab meine ganze historische Poesie auf, mit welcher ich in Gestalt einer Note bei den teutschen Universitäten mein Glück machen konnte.

Wir sprangen aus dem Wagen, und stiegen auf höchsteignen Füßen abwärts zum Garda, und meine 197 Gelehrsamkeit ließ ich zurück, mich aber ließ ich gehen, und nun sah ich mit unverfälschten Augen, wer der Garda eigentlich sei. Mit der wichtigsten Entdeckung begann ich: er ist kein Masculinum sondern ein Femininum. Er ist die erste italische Jungfrau, welche dem blöden, blonden Germanen, der von den Alpen heruntersteigt, mit dunklem südlichen Blicke in's Herz hineinsieht, mit jenem Zauberblicke, von dem die Poeten erzählen, man vergäße ihn nimmer wieder, und wenn man in späten Jahren daran denke, so wende sich das Herz noch um vor süßem Schmerz. Daher stamme die teutsche Sehnsucht nach Italien. Damit man aber den Blick versteht, denn das teutsche Herz ist bisweilen etwas hartnäckig, fliege noch jener nordische Reif um die Schläfe und Wimpern der Signora Garda, der uns heimathlich befängt und verlockt.

Und wirklich, der Gardasee ist das Kompendium Italiens für den Teutschen, aus dem er die Anfangsgründe italischer Schönheit in einem Sommermorgen erlernt. In saphirblauen Smaragd ist es gebunden, und mit sonnengoldnem Schnitt geziert. Man glaubt in Teutschland nicht daran, daß Wasser so schön aussehen könne, unser Wasser ist bleich, farblos, charakterlos, höchstens einmal traurig dunkel, acherontisch – schon in Tirol wird das Wasser lebendig, und im Gardasee liegt es vor uns wie eitel Schönheit im 198 blau glänzenden Seidengewande, was auf und nieder schillert, aus dem die Aeuglein locken mit lachenden Thränen. Die Sagen von Wassernixen sind mir immer unglaublich gewesen, wer wohnt an der Spree oder Pleiße und traut irgend einem göttlichen Wesen den schlechten Geschmack zu, in dem schmutzigen Wasser zu hausen! Aber hier am Garda sieht man den Fischerknaben sitzen, die warme Sonne über ihm, das wollüstige Wasser geheimnisvoll plätschern zu seinen Füßen, mit seinem erfrischenden Schmeicheln »kühl bis an's Herz hinan« sich drängend. Hier oder nirgends glaubt man an Wassermährchen, denn geheimnißvoll prächtig öffnen die geschäftigen Wellen ihren blauen Schooß und der Blick drängt sich hastig und sehnsüchtig hinein und verfolgt stürmisch die tiefabgleitende schimmernde Schönheit – da schließt sich die neidische, kokette Woge, und eine andre kommt, und dasselbe Spiel beginnt, und Kopf und Herz wird irr und schwankend und die phantastische Welt bedeckt uns mit ihren weichen, dichten Gewändern. –

– Ich hatte die Augen nicht abwenden können von dem verführerischen See, wenn mir die Gegend ihn versteckte, schloß ich sie, und so war ich nach Torbole gekommen, und stand auf dem Molo, und setzte mich auf seine Steine, der See ging hoch, die Wellen schlugen mir bis an die Füße, meine Augen waren den Wellen anheim gegeben, ich träumte meine 199 erste italienische Novelle, und ich weiß nicht, wer in mir die Worte hörte: »Lassen wir ihn, er kann ja schwimmen und Wasser macht wieder nüchtern.« –

Aus meinen Träumen weckte mich plötzlich ein lautes Freudenschrei, und der gellende Ruf: »Alphonso – Alphonso.« Ich sah in die Höhe, seitwärts stand ein Haus, noch tiefer in den See hinaus gebaut, der Molo lief an seinem Grunde weiter. Da stand im weit offnen Fenster des ersten Stocks eine Frauengestalt, die rief lauter lebendige Worte zu mir hin und breitete die Arme aus und ihr Taschentuch flatterte wie Rezia's Flagge. Noch war ich wirr von meinen Träumen, richtete mich auf und eilte auf das Haus zu. Sie kam mir entgegengeflogen, riß mich an ihre Brust, küßte, herzte, drückte mich mit wildem Feuer und männlicher Kraft. Ich ließ mir Alles gefallen, es war ja hübsch. Dann drängte sie mich einen Augenblick von sich und betrachtete mich von oben bis unten, und als ich lachte, da rief sie: - si - si - si, und eine Menge anderer Worte; ich konnte aber noch nicht italienisch und verstand bloß ihre Augen und ihre Mienen, und freute mich, daß sie sich freute. Sie nahm mich beim Arme, und stürmisch ging's in's Haus hinauf in jenes Zimmer, und dabei sprach sie fortwährend und liebkos'te mich ohne Ende. Ich fand mich allmählig in meine Rolle, und dachte nicht weiter darüber nach, das konnte ja in Italien so 200 Mode sein und zur Schönheit des Gardasees gehören. Umwälzung alter Sitten war nicht der Zweck meiner Reise, namentlich Volksgebräuche acht' ich immer hoch; ich fing an, ihre Liebkosungen lebhafter zu erwidern. Wir standen am Fenster, und sie erzählte mit unglaublichem Eifer eine lange Geschichte, von der ich natürlich nichts verstand, wenn sie zuweilen fragend inne hielt, antwortete ich – si Signora, und küßte sie auf den Mund und wir tanzten einmal in der Stube herum. Das Mädchen hatte ein schmerzhaft edles Gesicht, große thränenweiche Augen und die feinen Mundwinkel waren wie vom Schmerze ein Wenig nach unten gedrängt, selbst die Freude, welche jetzt über das ganze Gesicht verbreitet lag, konnte diesen Ausdruck nicht ganz zerstören, aber sie machte das braungelbe klare Antlitz doppelt reizend. Es war ein warmer Tag, und sie hatte sich auf das Leichteste gekleidet, nur ein dünnes braunes Kleid bedeckte sie, und um die offnen vollen Schultern flog ein leichtsinniges, gelbes Tüchlein. So stand sie vor mir, lehnte sich auf meine Schulter, hatte den Arm um meinen Hals geschlagen, und sah mit mir über den See hinaus. Das war der erste Moment, in welchem sie schwieg, und in welchem ich mein »no capisco« anbringen, und ihr begreiflich machen konnte, daß ich noch gar nicht wisse, was es für eine Bewandniß mit uns Beiden habe. Sie sah mich mit 201 weiten, verwunderten Augen, und ein Wenig geöffnetem Munde an. –

– Da kamen meine Gefährten aus dem Wirthshause, wahrscheinlich um mich zu suchen. Ihre Blicke schweiften umher, da sie mich nicht am Strande, wo sie mich verlassen, fanden, bald entdeckten sie mich, und machten verwunderte Gesichter. Sie waren auch schon romantisch genug, um keine Konvenienz zu beachten und kamen eiligst zu uns auf's Zimmer. Meine Signora ließ sich nicht im Mindesten befangen, und stellte mich als ihren endlich gefundnen Geliebten vor, den ihr zärtlichst scheidender Alphonso zu senden versprochen, und auf welchen sie nun schon 15 Monate am Gardasee gewartet habe. –

Die Sache wurde nun klar, da der Starost ihre Worte übersetzte. Sie war aus Livorno gebürtig, und gehörte dort einer vornehmen Familie an. Eines Abends, als sie eine Lustfahrt auf dem Hafen gemacht, sei das Meer unruhig geworden, und ein junger Mann, der sich allein in einem kleinen, schlechten Nachen gerudert habe, sei plötzlich in ihr größeres, wohlbemanntes Boot gestiegen, sein unsichres Schifflein den stürmischen Wogen überlassend, und sich flüchtig bei ihrer Gesellschaft entschuldigend: Er sei der Meerfahrt unkundig, und habe nicht Lust zu ersaufen. Dieser Fremde, welcher einen reinen toskanesischen Dialekt gesprochen, sei von hohem schönen 202 Wuchs gewesen, blonde Haare seien um das erhitzte edle Gesicht geflogen, keck und dreist habe er mit Allen sich bekannt gemacht, vorzüglich mit ihr, unsrer eifrigst erzählenden Hortensia. –

– Es waren zu wenig Stühle im Zimmer, nur der Starost saß hoch zu Gericht auf einem stuhlähnlichen Gerüst, Hortensia auf dem Fenstertritt, vor ihr wie die Jünger zu Gamaliels Füßen der Archivarius und ich an der platten Erde. Das Mädchen sah schön aus. Der Eifer des Erzählens hatte ihre dunkle Wange leicht geröthet. –

– Als die Barke gelandet, habe er sie auf den Strand gehoben, und ihr dabei drängend tief in die Augen gesehen. Wie eine bunte neckische Welt sei es in jenem Augenblicke in ihrem Innern aufgesprungen, es sei ein Jubel, ein Sehnen, ein Entzücken in ihrem Wesen laut geworden, wie sie es nie vorher gekannt. – Der blonde Mann habe ihren Arm genommen und sie nach Haus geleitet, weil aber der Regen allzu stark geworden sei, hätten sie in eine Kirche eintreten müssen. Dort wäre in einer dunklen Ecke ein breiter Beichtstuhl, der habe offen gestanden, und sie hätten sich hineingesetzt, und das Ende des Regens abgewartet. Der Regen habe aber lang gedauert, und der fremde, blonde Mann habe sie unterdessen küssen gelehrt, und glühend heiß und glühend wohl sei sie 203 erst bei einbrechender Nacht vor ihrer Eltern Hause angekommen. –

– Der Starost fragte Hortensien, ob sich die Eltern ihrer späten Heimkehr nicht gewundert hätten, aber Hortensia erwiderte ernsthaft: Ich sagte ihnen, daß ich einen Sturm erlebt, und sie beruhigten sich bald, und ich küßte innig meinen Vater und meine Brüder. Des Nachts schlief ich nicht, sondern träumte, und als es Morgen wurde, warf ich meinen Schleier über und eilte nach dem Beichtstuhle. Meine Mutter begegnete mir, und sie dachte sich's alsbald, daß ich mit ihr zur Kirche gehen wollte, meinem Schutzpatron für das Glück im gestrigen Sturme zu danken. Bis nach Monte Nero gedachte sie zu pilgern, denn sie wollte ein Opfer bringen für meine Rettung, ich sagte ihr aber, daß ich meinem Heiligen, dem ich gestern nur flüchtig gedankt, versprochen habe, heute wieder zu kommen. Darauf ermahnte sie mich, mein Versprechen zu halten, wir zogen unsere Schleier über das Gesicht, und sie ging mit der Dienerin nach Monte Nero, ich aber zu meinem Heiligen. –

– In unserm breiten Beichtstuhle saß ein alter, magrer Mönch mit strengem apostolischen Gesichte, der wartete auf Sünden und Sünder. Ich kniete zu seinem Ohre hin, und beichtete ihm, daß ich nichts zu beichten wüßte, wenn es nicht eine Sünde sei, sich sehr glücklich zu fühlen. Darauf erzählte ich ihm, 204 was mir den Tag vorher Fröhliches widerfahren, und daß ich an seinem Platze gesessen und eine andre Beichte gehört habe. Während ich aber so sprach, sah mein herumschweifendes Auge den blonden Fremden an eine nahe Säule treten, und mit den Augen mir lauter Küsse winken. Da erzählte ich noch eifriger und feuriger, bis mich plötzlich der Pater mit strengster Stimme unterbrach. Das Glück sei allerdings eine Sünde, und ich sei eine tiefe verworfene Kreatur, die er nicht absolviren könne. Und mehr dergleichen sprach er, und schrieb mir die Bußen vor, ich hing aber an des Fremden Lippen und vor dem Küssen hört' ich nichts mehr von des Paters Worten. Als er seinen Zorn beendigt, schloß ich die Falte meines Schleiers, welche ich nach der Säule zu geöffnet hatte, stand auf, ging an dem blonden Manne vorüber, hinaus in's Freie bis vor die Stadt an's Meeresufer. Und er folgte mir Schritt für Schritt. 205

 


 

Die Sonne war eben aufgegangen, und es war sehr schön. Wir setzten uns auf einen überhängenden Felsen, und sahen in's Meer hinaus. Aber es dauerte nicht lang, und wir sahen einander nur in die Augen, und die Seligkeit wurde so groß, daß ich auch die Augen schloß. Der Fels schützte uns vor der Mittagshitze, und als es Abend ward, gingen wir über die Gli sparti, wo die Leute spaziren gehen, und setzten uns noch einmal nieder auf dem englischen Gottesacker unter einem Monumente, um Abschied zu nehmen bis zur ersten Stunde der Nacht, wo er durch den Garten über den Balkon in mein Zimmer kommen wollte.

Es war wiederum Nacht, als ich zu Hause ankam. Unsre ganze Familie war im Saale versammelt, und Alle fuhren mir mit den heftigsten Reden entgegen; man hatte ihnen erzählt, ich sei am frühen 206 Morgen außerhalb der Stadt gesehen worden, und ein Mann sei hinterdrein gegangen, mein jüngster Bruder wollte mich des Abends auf den Gli sparti am Arme eines Mannes promeniren gesehen haben. Meine Mutter weinte, mein Vater fragte, nur mein älterer Bruder schwieg und sah mich zuweilen nachdrücklich an. Ich hatte wenig Aufmerksamkeit für all' die Dinge, und sagte, ich sei von den gestrigen Anstrengungen und der schlaflosen Nacht erschöpft in der Kirche eingeschlafen, und erst spät am Abende erwacht. Man möge mir zu essen geben, denn ich hungerte sehr. Meine Familie verließ den Saal, nur mein älterer Bruder blieb noch eine Zeitlang sitzen und sah mir schweigend zu, wie ich eifrigst aß. Dann stand auch er auf und ging schweigend fort. Er war mir der liebste von meinen Geschwistern. Das Mädchen leuchtete mir auf mein Zimmer und ich legte mich ruhig schlafen, denn ich war müde. Der Blonde kannte genau den Weg zu mir, und ich freute mich, von ihm geweckt zu werden.

– Ein Geräusch aus dem Vorsaal weckte mich auf; ich wußte nicht, wie tief in der Nacht es wäre. Ein Flüstern gedämpfter Stimmen dringt an mein Ohr, ich erkenne meines älteren Bruders Stimme, ich höre die Worte: »schamloser teutscher Ketzer« – aber keine Antwort. Feste, schnelle Fußtritte, die immer heftiger und eiliger werden, sich aber nicht von 207 der Stelle entfernen, deuten mir an, daß zwei Männer mit einander ringen. Nicht lange dauert's, so fällt etwas zu Boden, und es wird ganz still. Eine Weile darauf wird meine Thür geöffnet, ich fühle die heißen Küsse meines Geliebten. Ihn zu fragen, fand ich keine Zeit. Als die dichte Nacht ein Wenig zu weichen begann, hieß er mich meine Kleider anlegen und ihm folgen, in meiner Eltern Hause könne ich nicht bleiben. Schweigend that ich's, und er führte mich an der Hand zum Balkon. Es schien mir, als läge eine Gestalt am Boden, aber ich sah nicht genauer hin. Mein Geliebter hob mich über den Balkon so tief er konnte hinunter in den Garten – er war stark und gewaltig – so wurde mein Sprung abgekürzt, und ich kam unverletzt unten an. Er sprang mir nach, und wir schlichen uns durch den Garten. Mein Vater schlief den Sommer über im Gartenhause, bei welchem wir vorüber mußten. Es war Frühsommer, ich sah ihn in der Dämmerung schon am offnen Fenster stehen, und mir schien's, als sähe sein ernstes Gesicht noch ernster aus. Wir mußten langsam gehn, um kein Geräusch zu machen, vor dem Anblick schützten uns die Bäume, es schien mir aber doch, als sähe er uns, und winkte mir mit der Hand, zu gehen.

Wir eilten fort durch die Straßen bis an den Hafen. Hier sagte mir mein Geliebter, daß er 208 Alphonso heiße, und mich mitnehmen wolle an den Gardasee, wo wir uns des Himmels und der Erde freuen würden. So sind wir über das Meer gefahren und über die Berge gestiegen, und ich habe den Weg nicht beachtet und fände ihn nicht zurück. Hier in diesem Zimmer haben wir dann eine Zeitlang gewohnt. Alphonso sagte zwar, es sei eine lange Zeit gewesen, aber er irrte sich, es war nicht lang. Und eines Morgens trat er zu mir und sagte: Hortensia, wir müssen scheiden, in mein Vaterland kann ich dich nicht mit nehmen, dort ist's zu kalt. Aber ich will dir einen Freund schicken, der soll dich trösten und wärmen. Darauf sagte ich ihm, ich brauche keinen Trost, aber Liebe, und küßte ihn auf die Augen, und legte mich schlafen. Er aber ging. Und es ist schon funfzehn Monde her, daß er gegangen ist, und Viele sind gekommen, aber umsonst hab' ich auf den Freund Alphonso's gewartet. Wenn nicht die Sonne so schön geschienen hätte und der See so blau wäre, so wären die Tage sehr traurig gewesen. Aber jetzt ist er da, und nun ist die Welt noch einmal so schön.

Und wenn wir sie fragten, woran sie mich erkenne, so sagte sie: am Herzen. Damit meinte sie die Augen, und noch einmal: am Herzen! damit meinte sie die Stimme. Alphonso habe gerade so teutsch gesprochen wie ich.

209 Ich fand es nicht für nöthig, alle diese Angelegenheiten gründlich zu untersuchen. Wir ließen unsre Mittagstafel aus dem Wirthshause bei Hortensien aufschlagen, aßen Fische aus dem See, und weiße Polenta und tranken dunkeln Rothwein, und spielten homerische Helden, die kein Geld haben und keine Polizei kennen. Die Sonne ging vorwärts, wir aber saßen und schwatzten von Diesem und Jenem. 210

 


 

Am Garda erhält man den ersten Vorschmack von italienischem Volkscharakter. Man sieht schon überall die wohlgebildeten Männergestalten mit den scharf geschnittenen Formen und Zügen, das Stumpfe, Unklare, Verwischte im Aeußeren des teutschen gemeinen Mannes findet man nirgends. Jeder Einzelne hat ein Gesicht, während bei uns oft zehn dazu gehören. Die wärmere Sonne, das mildere Klima zeitigt und reift auch die Gesichtszüge mehr; bei uns werden wenige reif, darum fehlt uns das Ausgebildete. Der Italiener aber wird ausgebrütet bis die Eierschale trocken an ihm abfällt, er kennt den Ausdruck »Grünnase« gar nicht. Der Italiener hat nicht nöthig, gleich von früh aus seiner Erde ein sorgenvolles, arbeitsames Gesicht zuzuwenden, daß sie ihn ernähre und erhalte, die italienische Erde ist liebevoller und freigebiger, die Furcht vor dem Erhungern nistet sich 211 nicht in die jungen Gesichter, wie in Teutschland. Da gehen natürlich auch die Züge muthiger auseinander, und das Gesicht wird klar und klassisch, eine Hebamme der Romantik, die bleiche Sorge, ist völlig unbekannt. Die natürliche Entwickelung wird in nichts gestört, und Alles, was wild wächst, ist schön. Man findet schon unter den Schiffern vom Garda schöne Köpfe. Die Leute fangen auch nicht so früh an zu lernen, sie siedeln nicht die Altklugheit so zeitig auf den Lippen an, sie lernen später lesen und schreiben, aber dafür behalten sie bessere Augen und geschicktere Hände. Mit fünf Jahren geht ja bei uns schon der Teufel los, und die Herrschaft des Herrn Bakel beginnt mit aller Angst und Hast des Knaben. Da liegt der italienische Bube noch fünf Jahr in der Sonne, und sein Verstand übt sich in eignen Sprüngen, und wenn er dann in die Schule kommt, so ist er in einigen kräftigen Sätzen da, bis wohin wir uns bleich und kränklich gekrochen haben. –

Aber der Körper und die Lebensklugheit sind das Einzige, was sie voraus haben. In Allem Anderen sind sie ein depravirtes Volk, die christlichen Juden Europa's. Und es wären Bestien aus ihnen geworden, befänden sie sich schon so lange in einer so schauderhaften Sklaverei wie dies Volk aus Palästina. Die moralische Kraft des Italieners ist bereits gebrochen wie Binse – er ist nicht mehr tapfer. Er kann 212 mitunter noch eine tapfere Hand haben, aber das tapfere Herz ist durchlöchert. Er hat Feuer, Leidenschaft, er haßt mit durchdringender Kraft, aber der edelste dieser Affekte, der Zorn, ist ihm lange schon entwendet, der Stolz ist gebrochen und spreizt sich nur noch als Hochmuth.

Man ist gewohnt, sich den südlichen gemeinen Mann aus edleren Stoffen gebildet zu denken; weiß man auch, daß der teutsche Bauer von Nationalruhm und dergleichen nichts versteht, daß sein Streben nur von der Hand bis zum Munde reicht, so denkt man sich doch immer den Südländer idealischer. Und man hat ein Recht dazu, denn dieser bedarf nicht jenes harten Kampfs mit der Scholle Erde um das magre Brot, die Nahrung fällt ihm in den Schooß.

Die Schiffer von Garda sind nicht viel besser als unsere Bauern: wenn sie von der Herrschaft ihres Landes sprechen, so reden sie auch nur von den Steuern. Die Poeten sind ein trügerisch Volk, wenn sie von fremden Ländern reden, und doch ist's ein Glück, daß sie lügen. Die schöne Lüge und der goldne Traum bleiben das Beste an der Welt, und doch muß etwas Wahres an ihnen sein, wie kämen wir sonst zu Lüge und Traum. Wir erfinden nichts, nicht einmal dies. Wüßten wir nur erst, wer am richtigsten sieht, das Auge oder das Herz. Die 213 kritische Philosophie und die Naturphilosophie sind nicht so unwichtig mit ihrem Suchen nach Subjekt und Objekt, nur die Philosophen sind oft unwichtig. –

– Es war eine Volksscene, deren sich die Gracchen, wie Cato geschämt hätten, als wir die Zeche bezahlen, und uns einschiffen wollten. Im Hintergrunde des Saales standen wohl zwanzig Schiffer, im Vordergrunde eine unverschämte italienische Wirthin, uns gegenüber am Fenster saß unbekümmert um Alles, was vorging, Hortensia. Die Wirthin verlangte eine Summe für unser karges Mahl, als hätten drei Luculle bei ihr gegessen. Ich bat den Starost, ihr zu sagen, daß wir keine Engländer seien. Das nützte nichts. Er rapportirte, wir seien zwei teutsche Doctoren, die von Büchern lebten, und in Teutschland seien die Bücher sehr mager. Das ginge sie nichts an, und bei ihr hätten wir von schönen Fischen gelebt, übrigens habe sie bei Durchreisenden schon dicke und fette teutsche Bücher gesehen, und Signore – der Starost – sähe ja so golden und silbern aus, daß es ihm auf solch' eine Kleinigkeit nicht ankommen werde.

Dadurch war er aus dem Felde geschlagen, er drehte ihr lächelnd den Rücken und schlug Chamade.

214 Jetzt kam die Reihe an mich; denn der Archivarius hatte keinen Anstand dazu, den Leuten auf den Leib zu gehn. Er steckte zwar die Hände in die Taschen als mimische Andeutung, dort sei Alles unter Kuratel gelegt, hing den Kopf vor, sah das Banditenvolk unter den Augenlidern hervor spitzfindig an, sprach ein Paar sehr vernünftige Worte; aber er räumte immer nach einigen gelinden Streichen das Schlachtfeld. Ich räusperte mich also, und fragte den Starosten was auf Italienisch »niederträchtig und Himmel-tausend-Donnerwetter« heiße. Das Zweite wußte er nicht, ich gab's also teutsch, und sprach fünf Minuten lang in vermischten Sprachen alle Grobheit über eine unverschämte Rechnung durch. Dabei ging ich der Wirthin mit drohenden Geberden nahe; sie zog sich auf das zahlreiche Corps ihrer Landsleute zurück, was eine schweigende Sauvegarde bildete. Manch' teutsches Theater hätte was gegeben für zwanzig solche Statisten zur Stummen von Portici. Und doch waren die Kerle nicht einen Centesimo werth, sie öffneten der Wirthin eine Rückzugsgasse, ließen mich sogar hineindringen, ohne mich in Beschlag zu nehmen, duldeten, daß jene ihren Rückzug als vollkommene Niederlage in der Küche schließen mußte. Und zu dieser Landesverrätherei trieb sie nur die Gewinnsucht. Jeder von ihnen rechnete darauf, zu unsern Fährleuten zu gehören, Keiner wollte sich durch unnöthigen 215 Zorn verhaßt machen, die Geschichte von den dreißig Silberlingen hat einen tiefen Sinn. Ich feierte, wie die späteren römischen Imperatoren nach einem unblutigen Siege, wobei ich nur Heldenworte geliefert, einen glänzenden Triumph, und wir zogen ab, dem Dienstmädchen die uns beliebige Summe einhändigend. Unten vermißte ich den Starost, und ich fürchte heute noch, er hat es nicht über's Herz bringen können, daß der Anstand so verletzt und die Rechnung nicht ganz berichtigt wurde. Er war sehr delikat, und hat wahrscheinlich mein mühsam erobertes Terrain wieder aufgegeben.

Hortensia hing an meinem Arme, um ihre Schultern die kleine italienische Laute, sonstiges Gepäck hatte sie nicht, unsere Mantelsäcke lagen auf dem Molo in der Sonne. Die Assisenverhandlungen mit den Schiffern begannen. Der Jude verlangt das Doppelte für seine Waare, der Italiener das Dreifache. Kann solch' ein Volk stolz sein, kann eine Nation ohne Stolz etwas leisten? Die Licitation ging los. Bei solchen Gelegenheiten entwickelt der Italiener sein ganzes Erbtheil Cicero's und Dante's, er häuft rhetorische Figuren, detaillirt den Catilina bis auf alle möglichen Defekte in den Unterbeinkleidern, erfindet Höllen- und Himmelszustände. Er ist der geborne improvisatorische Redner und Dichter. Es ist aber Alles nur Renommisterei, sein Argument und sein 216 Gedicht, wenn der Teutsche sein ordinaires Talglicht dran hält, so verschwindet der leichte Spuk. Drum haben die Italiener auch nie anderswo etwas geleistet als in der dreisten Täuschung des Epos, sie sind geschwätzig wie die Spatze und lügnerisch wie die Gaskogner. Jedes Volk, das lügt, hat einen Grad lebhafter Phantasie, die auf den Bergen herumspringt, wenn sie sich auch niemals hineinwagt. Nur Dante macht eine Ausnahme, weil er ein welt- und himmelsgeschichtlicher Epiker war, man sieht ihn aber auch immer eisgrau unzufrieden mit seinen Landsleuten, darum halt' ich ihn auch nie für einen reinen Italiener. Dieser hat die trefflichsten Anlagen und Anfänge zu allen Dingen in sich, er ist vielleicht der reichste Embryo unter allen europäischen Völkern, aber er braucht ein Huhn, um seine Enteneier auszubrüten, er allein bringt nichts Großlebendiges zu Stande. Wenn man sich Mühe giebt, wird man die fremde Zeitigung bei allem großen Italienischen finden. Auch der Italiener Napoleone gedieh durch Frankreich. Ist solch' eine Hypothese auch wie im Latein die Regel, welche so reich an Ausnahmen sind, sie hilft doch ordnen und lernen.

Daß sich nicht öfter ein Tasso findet, liegt an den neueren Jahrhunderten, welche keine ordentliche neue Religion mit phantastischen Thaten, also auch keinen Glauben, keine Begeisterung mehr brachten für blau 217 und rothe Geschichten. Petrarka ist mir immer der redendste Beweis gewesen, daß es mager um die italienische Poesie stände, ein saubrer Drechslermeister kann nirgends anders so viel Glück machen, eine Putzblumenmacherin ist anderswo eine Putzblumenmacherin, aber keine Göttin, die Blumen schafft, auch wenn jene geschickte Person neue Blumen erfände. Nur in Italien wird ein Petrarka daraus. Die Italiener machen viel Geschrei, mitunter auch ein künstlich Geschrei, aber von den Urtönen der Menschheit, von der eigentlichen Poesie wissen sie nichts. Wenn wir ihnen auf ein Paar Jahre einen unsrer Romantiker, z. B. nur Herrn Novalis leihen – wir werden uns wundern, zu welchem kapitolinischen Helden herausstaffirt wir den wieder bekommen! Sie haben den Zauberborn der berauschenden christlichen Mythe in der Nähe gehabt, das ganze katholische Land war ein romantisches Gedicht, sie durften nur abschreiben – haben sie's wohl vermocht?! Wie feinfühlend sind statt ihrer die Teutschen jenen mystischen christlichen Nerven tastend nachgegangen, Teutsche, die in der Mark oder Lausitz wohnten, und auch die Anregung improvisiren mußten. Und da sie nun den Gefühlen keine Gedanken erfinden konnten, haben sie denn wenigstens bei dem Mangel an Romantik plastische Figuren erfunden, haben sie Dramen geschaffen?! Sind die Alfierischen 218 Marionetten-Republikaner, die im Draht auf und niedergehen, sind diese Menuettentänzer der Rede werth?

Was Auge und Ohr kitzelte, was Aufsehn und Lärm machte, war immer ihr Wesen, Töne und Farben haben sie erfunden, und das ist Alles. Und weil das schöne Dinge sind, so kommt uns noch heutzutag ihre Renommisterei so schön vor. Dazu sehe man Italien an, und frage: wie kommt ihr zu Farben? man höre das Volk sprechen und singen, und frage, wie kommt ihr zu Tönen?! Sie haben ein Land wie gemalt, und haben alle Stimmritzen für's Konservatoire in Wien. Der Herrgott muß bei Schöpfung Italiens fürtrefflich bei Stimme gewesen sein – der jämmerlichste Kerl jenseits der Alpen hat ein Organ voll Klang und Klarheit.

Aus dem Chaos von Stimmen und Vorschlägen sonderten sich endlich vier rüstige Ruderer heraus, Hortensia sprang in das breite, geräumige Boot, und machte sich und mir an seinem Haupte bequeme Sitze zurecht. Das Geschrei und Unterhandeln ward immer stärker, wir waren taub geworden, und antworteten nicht mehr darauf, die vier Ruder klatschten in den See, wir fuhren davon, ohne daß wir nach so vielem Geschwätz gewußt hätten, was wir eigentlich zahlen sollten. Im Zahlen ist der Italiener romantisch, diese Ungewißheit ist sein Element, da spintisirt er nun über die ungewisse Forderung oder Schuld. 219 Eine Art Ambition in Geldangelegenheiten habe ich nirgends gefunden. –

Hortensia hatte sich zu meinen Füßen gesetzt, und sah mit dem ruhigsten Gesicht von der Welt bald mich, bald das scheidende Torbole an. Der Archivarius saß neben mir, war aber eigentlich schon seit einer halben Stunde im Fenster eines Fruchthändlers, wo ein sehr braunes Mädchen ein Hemd nähte, und von Weitem mit ihm schäkerte. Der Spaß wurde ihm sehr dadurch erschwert, daß er ein kurzes Auge hat, und sich einer zerbrochnen, antiken Lorgnette bedienen mußte, zu deren Gebrauch viel Geschicklichkeit gehörte. Aber durch die schlechte Lorgnette wurde ihm das Mädchen wahrscheinlich interessanter – das Boot wendete sich, es ging an's Abschiednehmen mit der Fruchthändlerstochter, und nun ging die teutsche Romantik los. Beinahe einen Tag über hatte er sie in der Nähe gehabt, und sie war ihm reizlos gewesen, jetzt verlangte er, wir sollten ein Stück umkehren, er wolle telegraphische Geleitsvorschläge machen. Der Vorschlag ward mit allgemeinem Murren aufgenommen, und halb verdrießlich, halb lachend legte er sich auf den Rücken, und sah in den Himmel. Der Starost war durch die Ruderer total von uns abgeschnitten, und lag im jenseitigen Ende des Bootes, seine Türkenpfeife rauchend, und die Schiffer nach allerlei unnützen Dingen fragend. Der See ging 220 hoch mit seinen blauen, blauen, ach, so reizend blauen Wellen, der Archivarius lispelte mir etwas von möglicher Seekrankheit zu, ich widersprach nicht. Torbole, das Stürmische, verschwand mehr und mehr, Riva trat seitwärts vor die Augen. Die Kerle ruderten, als hätten sie Schmuggelwaaren. Hortensia griff leise über die Saiten hin. – 221

 


 

Ich bin es nie im Stande gewesen, mehrere Stunden lang ununterbrochen erregt, entzückt, begeistert zu sein – wenn's durchaus sein muß, so wird mir die schönste Sache langweilig oder komisch. Eben weil ich den Napoleon nur einmal als kleiner Bube gesehen, bleibt er mir ewig so interessant und groß. Die Gewohnheit kann lang dehnen, aber nicht groß machen. Sogar die Schönheit kann langweilig werden, drum giebt es immer noch etwas, was für unsre verwöhnten revolutionairen Sinne über die Schönheit geht, das ist die Jugend, ist der Reiz.

Der Eindruck des Garda war mir schon historisch geworden, Hortensiens Augen hatte ich vielfach geküßt – ich schlug die italienische Grammatik auf, und lernte konjugiren, die Beispiele lagen nahe, der Archivarius warf sich eifrigst zum Kollegen auf, es wurde in einer Viertelstunde so viel gelernt, daß wir 222 einen ganzen Tag davon leben konnten. – Da erhob Hortensia ihre klare Stimme, und griff voll in die Saiten, und ich war so erschrocken von dem schönen Tone, daß mir die Grammatik in den See fiel. Mit einer merkwürdigen Feierlichkeit beginnt die Italienerin ihren Gesang. Das kommt wohl zum Theil von der vollrunden, majestätischen Stimme, den vollen Vokalworten, mit denen sie anheben, und dem halbkirchlichen Rhythmus, der ihnen in seiner katholischen Weichheit eigenthümlich geworden ist. Sie sind alle weltliche Nonnen, und eh' sie heiß und lustig werden, ist Auge und Stimme erst feierlich. Das ist keine Koketterie, es liegt tiefer. Man könnte allenfalls sagen: hinter dem üppigen Sonnenscheinleben liegt eine dunkle Nacht, die aus Auge und Stimme heraus schlägt, wenn sie plötzlich sich erheben. Die italienischen Männer sind meist schlechte Männer für die Weiber, es ist wenig Zärtlichkeit in ihnen, und – sie sind Sklaven. Wenn sie's versucht haben, die Ketten zu brechen, so sind sie ausgelacht worden, weil sie keinen Muth bewiesen. Was finden die Weiber bei ihnen? Und die Weiber sind römischer geblieben, als die Männer; man findet es bei allen Völkern, daß das Grundelement der Nation bei den Männern eher verwittert; die Weiber werden weniger verwirrt durch viele Eindrücke, ihr Schatz ist kleiner, aber gedrängter.

223 Es ist noch heut etwas vom alten Rom, ein Gedanke Cornelia's, der Gracchenmutter, oder so etwas in Aug' und Stimme des italienischen Weibes. Ich sah und hörte staunend nach Hortensien hin. Sie sang ein Lied von Napoleone, dem imperatore grande, und die bärtigen Schiffer streckten die Rücken gerade, riegelten die Augen auf, und stimmten mit tiefen Stimmen ein. Es war ein Lied aus jener fabelhaften Zeit, wo der junge Bonaparte mager, wüstendürr und trockenbraun im Gesicht aus Aegypten und Syrien zurückkam, und das Auge ruhmeswollüstig überall herumirrte. Es ist dies immer die interessanteste Zeit in Napoleons Leben für mich gewesen. Damals brachte er sich den ersten Araber mit, er glich dem Cäsar auf ein Haar, und er hatte nur mehr Poesie und weniger Egoismus im Gesicht, als jener. In dem Auge lag noch die ganze Wollust des jungen Ruhms, die Züge waren noch durstig, die Haare noch lang, der Körper bog sich noch geschmeidig, seine ganze geistige Jugend stieg wie damals zu Pferde, als er mit den barfüßigen und barhäuptigen Sanskülotten von Montenotte und Millesimo, die jetzt Schuhe und Narben hatten, wieder nach Italien zog. Die Uniform war ihm weit, es sollte Alles erst erfüllt werden, es stand erst Alles auf dem Spiele – und das Fertige ist groß, das Werdende reizend. Wie ein zweifelhaftes arabisches Epos brachten seine Soldaten 224 damals die Geschichte von der Pyramidenschlacht nach Europa, man sah in dämmerndem Sonnenlichte auf der unabsehbaren trocknen Fläche das große Schauspiel, Turbane in endlosen Reihen und blinkende Säbel flogen im Galopp vorüber, »Allah, il Allah,« der alte fabelhafte Ruf, klang gespensterartig in das moderne: »Vive la republique,« augenlos, stumm sahen von fernem Horizonte die mährchenartigen riesenhohen Spitzsäulen zu, wie ein berittner junger indischer Bramine, der nur Geschichte studirt hat am Ganges, sprach der junge Bonaparte zu seinen Soldaten von den vierzig Jahrhunderten, die von jenen Spitzen ihnen zusähen, man schwieg vor Staunen über all' die wunderbaren Dinge. Die Pestkranken in Jaffa mit ihrem fürchterlichen einsamen Tode drängten sich auch in jene befremdlichen Tableaus, wo blaue und rothe Franzosen unter asiatischer und afrikanischer Sonne herumschritten. Wie ein Geist war der junge Held durch den Meeresnebel und Nelsons lauernde Schiffe zurück nach Frankreich geflogen. Man wartete begierig auf den neuen Feldzug, ob denn das Alles wahr sei. Napoleons ganze Herrlichkeit, die man schon zu ahnen anfing, stand auf dem Spiele, und aus Hoffen und Fürchten braut die Welt ihr Interesse.

Von jener glänzendsten Zeit des jungen afrikanischen Napoleon, und von den frühern galloppirenden 225 Siegen bei Lodi, Arcole, Castiglione und all' den Namen, die wie Goldstücke bei tollem glücklichen Glücksspiele, über einander stürzten, von jenen fliegenden, brausenden, jähen Thaten des jungen Genies, des olympischen Adlers sang das Lied. Es drängte alle Kraft auf den Moment zusammen, wo er zur Schlacht bei Marengo abging, wo Cäsar in den Kahn bei Brindisi steigt, und den Schiffer im Sturme tröstet. »Du trägst Cäsar und sein Glück.« Und es sang von dem emporgesprungenen Weibe Italia, das sich mit offnem Busen dem willkommen schönen Cäsar an die Lippen geworfen, dem er den heißen ägyptischen Kuß auf die geöffneten Lippen gedrückt habe. O, es sang das Lied wunderbar schöne Dinge von neuer Römerherrlichkeit, und als es zu Ende war, schwieg Alles und die Schiffer tauchten die Ruder leise und geräuschlos in den See.

Nach einer Weile fragte ich sie leise, ob sie wohl den Napoleon liebten, und wünschten daß er noch gebiete. Oh si Signore, sagten sie, aber er habe doch zwei große Fehler gehabt, erstlich hätten sie zu viel Steuern zahlen, und zweitens alle Soldaten werden müssen. Dabei reichte mir einer die Grammatik, die er aus dem See gefischt hatte, und erbat sich dafür einige Centesimi.

Wahrlich, es ist eine tief poetische Nation, und die Kerle hatten Köpfe, als kämen sie eben aus dem 226 Senate in Rom. Sie haben eine viel abscheulichere Prosa, als wir in Teutschland, weil sie umringt sind von schönen Veranlassungen. Wir lieben den Napoleon, obwohl er uns mit Füßen getreten, die Italiener hat er wiedergeboren, und sie fürchten ihn nur. Ich will indeß nicht ungerecht sein, und nicht vergessen, daß meine Helden Gardaschiffer, und daß die meisten Italiener, die ich gesehn, nicht von der vornehmsten Klasse waren. Aber es ist leider Alles, was man in jenem Lande sieht, von niedriger Art, denn offner oder versteckter streckt Jeder die Hand nach Geld aus. Man haßt in jenen Gegenden Oesterreich nur wegen des Kopfgeldes und des Tabaks, man liebt noch am meisten Baiern, weil es am wenigsten Steuern verlangt hat. Unsere honorige, intelligente Mittelklasse, die sich zur guten Stunde doch einmal für etwas interessirt, was über Essen und Trinken hinausgeht, existirt gar nicht. Und die höheren Klassen und die strebende Jugend halten sich den Mund zu, und lassen sich nicht sehen oder dürfen sich nicht sehen lassen. Ein Land der kleinen Konspiration hat viel kleine Menschen. Es ist gar zu viel Täuschung in diesem Lande; nur bei Privatangelegenheiten gilt ihnen das Leben nichts, bei öffentlichen Dingen sind sie feig. Der bessere Teutsche macht es doch umgekehrt, er ist humaner, und der Franzose hat privatim und öffentlich alle Taschen 227 voll Kourage. Wahrlich, es glaubt's kein Mensch, wenn er diese bedeutungsvollen Gesichter sieht. Wie ein gefallener Herrscher sah der vor mir sitzende Schiffer aus, vornehm schaute er auf die Arbeit, als erniedrige er sich durch sie, stolze Züge, große geheimnißvolle Augen, scharfgeschnittner Mund, die edelste Nase, ein krauser dichter Backenbart, eine starke, hohe und schöne Figur schienen der Einband des schönsten Buches zu sein. Und wenn man die Züge auseinander blätterte, so kauerte hinter den gewaltigen Formen eine jämmerliche, innere Muthlosigkeit.

Nur die Weiber haben alle Muth, wenigstens zur Liebe, keine weicht einem Gefechte dieser Art aus. Die Männer sind die Schauspieler Europas, sie führen um's Geld Komödie auf wie Tragödie, Kulissenreißer sind sie auch ohne Geld von Hause aus. Um nichts den entsetzlichsten Spektakel zu machen, das versteht der Italiener vortrefflich. –

Wir legten am jenseitigen Ufer des Sees an, um den Eselsberg zu besteigen. Man geht neben kleinen malitiösen Eseln aufwärts, und hat sich vor ihnen zu hüten: es giebt eine Sorte dummes Volk, was nicht nur dumm, sondern auch brutal ist: wenn sie sich satt gegessen haben, schlagen sie hinten aus. Oben sieht man nichts als ein unbedeutendes Stück 228 Wasserfall, und weiter unten Mist in allen Winkeln. Es waren viel Käfer da und das Volk machte viel Wesens; ich hatte nicht Zeit, mich um das eigentliche Wesen dieser Spelunke zu kümmern; nicht einmal zu einem Hause war Platz da, der steile Fels verengte Alles. Sonst kleben aber an jedem Einbug des Sees die kleinen italienischen Städte wie Schwalbennester, und die fremden Spatze finden überall in Italien ein Plätzchen. –

– Hortensia war im Boote zurückgeblieben, und mir schien's, als habe sie geweint. Ich nahm sie um den Hals, und fragte sie, was ihr fehle. Sie machte ein sehr ernsthaftes Antlitz und sagte: Du liebst mich nicht. Ich versicherte sie natürlich des Gegentheils, setzte hinzu, daß ich eben nicht viel Zeit hätte wegen der neuen Gegenstände, und wollte sie eben zärtlichst küssen, da stieß der Starost den Kahn ab, und wir purzelten auseinander, sie in die Arme des Schiffers, ich auf den Schooß des Archivarius, der über die maskuline Zudringlichkeit sehr ungehalten war. Wir lachten und setzten uns an den Boden des Kahns, und sie lehrte mich Guitarre spielen. Jetzt konnten wir nicht mehr fallen. Es war aber doch sehr zart von den vier Schiffern, daß sie mit dem Abstoßen des Kahns gewartet hatten bis unsre Zärtlichkeitsangelegenheiten geordnet wären – ohne Zuthun des Starosts wären sie nicht 229 abgefahren. Takt für Liebesverhältnisse hat der gemeinste Italiener, er weiß, was sich schickt, wenn man ein Mädchen im Arme hat. –

– Der Tag senkte sich allmählig, und wir steuerten auf hohe, weiße Schlösser zu, die am Ufer des Sees lagen – nach Limone fuhren sie, sagten die Schiffer. Es waren spanische Schlösser, nämlich terassenförmig abgesetzte weiße Pfeiler, zwischen denen Citronenwäldchen gepflegt wurden, es wohnte Niemand da als ein Gärtner und dichter italienischer Duft der die Sinne befängt. Ich saß mit Hortensia an einem solchen Baume, und wir sahen uns abwechselnd in die Augen, und durch die breiten stillen Blätter auf den See hinaus, auf welchem der Sonnenuntergang mit ausgestreckten Armen sich gelagert hatte. –

– Plötzlich sprang das Mädchen auf, faßte mich krampfhaft bei der Hand, und starrte nach der Seite. Es war mir, als sähe ich eine männliche Gestalt hinter einem entfernten Pfeiler. Mit metalloser Stimme sagte sie. »Es ist mein Bruder,« und stürzte wie ein Reh die Stufen hinunter. Ich ihr nach, sie erraffte unterwegs den Starost bei der Hand, und riß ihn mit sich in's Boot, ich befolgte diese stumme, praktische Schnelligkeit, und griff nach dem unter Citronen wandelnden Archivarius. Der 230 Aufseher trat mir in den Weg, eine discrezione erheischend; ich hatte kein kleines Geld und gab ihm, was mir in die Hand kam. Die allzu große Gabe wollte ich aber doch gut haushälterisch ausbeuten, es fehlten mir nur die italienischen Worte. Ich wußte nichts als rückwärts zu deuten, von wo wir Jemand die Treppen heruntereilen hörten und »No - no - no!« zu sagen. Er nickte mit dem Kopfe und eilte zurück; wir fuhren ab. Bald hörten wir einen heftigen Wortwechsel – oh, questa voce! rief Hortensia und verbarg ihr Haupt in den Schooß. Der pfiffige Italiener hatte mich verstanden und bezeigte sich dankbar, so weit wir ihn hören konnten. Auf längeres Zuthun von seiner Seite war nicht zu rechnen, der Starost mußte also unsern Leuten kund thun, daß wir nicht eingeholt werden dürften. In diesem Lande, wo jeder Nachbar den Nachbar betrügt, wo die Intrigue überall zu sehen ist, wie bei uns die Polizei, fällt das nicht auf – sie nickten mit den Köpfen, drückten die Ruder tiefer und flacher in's Wasser, und warfen, ohne ein Wort zu wechseln, den Kahn in eine andere Bahn, als wollten wir gegenüber vor den spanischen Schlössern landen.

Der Abend kam uns zu Hilfe und legte sich sanft wie ein sammtner Mantel über den See. Hortensia war todtenstill und sah scharf nach der 231 Richtung von Limone hin, der Archivarius sang leise ein teutsches Lied, es ward so heimlich und wohnlich in meinem Herzen, daß ich mich nach freundschaftlichem Besuche sehnte. Da kamen aus den Wipfeln der Citronenbäume alle die Weiber, die ich je geliebt, über den See gerauscht und setzten sich mir auf die Schultern und auf die Westen und Rockflügel, und jede flüsterte die süßen Dinge, welche wir einander gesagt hatten, und jede flüsterte sie mit dem Anfluge ihres Dialekts, die eine nordteutsch, die andre südteutsch &c. Es war ein Flüstern und Kosen wie beim Thurmbau zu Babel, und es war mir so menschenfreundlich, so mahometssüß um's Herz, daß ich's nicht anders bezeichnen kann, als mit den Worten: Es war sehr hübsch.

Unterdeß fiel die Dunkelheit wie ein Nebel in's Wasser, und die klare Nacht erhob sich, und öffnete ihre goldsilbernen Augen, und der See schloß sich und streckte die Wellen zum Schlaf wie nach vollbrachtem Tagewerke.

Das sind die Augenblicke, wo sich aus nahen und fernen Landen Alles um den Menschen versammelt, was je eines seiner besten Gefühle getroffen hat. Die Helden der Geschichte ziehn vorüber, und das geschieht immer nur des Nachts, denn nur des Nachts erscheinen Geister. Selbst die größten 232 Geister des Tages werden erst gesehen, wenn es Nacht wird. Die kleinen menschlichen Geliebten hatten sich bis zum Unsichtbaren zusammengekauert, sie sind Kinder des liebenswürdigsten Taktes und wollten das große Tableau, was sich eben auf dem Wasser aufstellte, nicht stören. Wie Schattenbilder in der Luft zogen die alten Römer vorüber, kein menschlicher Ausdruck des Leibes oder der Freude war in ihnen zu sehn, sie waren nie Menschen, sondern sind immer Soldaten gewesen.

Ich kenne wahrhaftig nur aus der schon verfälschten Zeit des heuchlerischen Augustus, des großen Ahnherrn Ludwig Philipps, einen Römer, der auch ein Mensch war. Dieser Mensch heißt Properz, und hat seine Menschlichkeit in Elegieen niedergelegt. August geht nach Kleinasien und Properz soll mitgehn, um unsterbliche Lorbeeren zu sammeln. Er hat aber eben einen Feldzug mit den schönsten römischen Mädchen eröffnet, und geht nicht nach Kleinasien. Als August zurückkömmt, und einen pomphaften Triumphzug in Rom hält, da steht Properz mit seinem Mädchen vor der Thür, und lächelt sehr über den bei ihm vorüberziehenden Imperator mit all' seiner asiatischen Pracht und Herrlichkeit, und erzählt ihm seine Schlachten und Siege, in denen Rom Rom sich unterworfen.

233 Ganz hinten auf dem See lagen die Cimbern und Teutonen und schmausten, und ich sah es mit an, wie die römische Klugheit unterdeß sie berückte, und die Römer waren eherne Aristokraten, und die Cimbern und Teutonen waren teutsche Stämme. Das Essen und Trinken war von jeher bei den Teutschen die Hauptsache. Ich drückte die Augen zu, und als ich sie wieder öffnete, sah ich die römischen Thier- und Menschenhetzer unter den Kaisern, und die langen germanischen Barbaren, welche den römischen Thron einrissen, und die Langbärte, die Longobarden, die über das Ufer herüberkamen. Und all' diesen Gewinn, dieses Mark sah ich hinschwinden vor der römischen Klugheit. Mit ein wenig wohlriechendem Rauch, einem Bischen Musik und Lirum-Larum-Löffelstiel wurde Alles wieder genommen. Ich lobe mir die Päpste, und ich sah ein, daß die Klugheit das Beste sei für die Völker. Der Archivarius sang den letzten Vers seines teutschen Liedes. Plötzlich sprang Hortensia auf, hielt ihm den Mund zu, schlug den nächsten Schiffer auf die Schulter, und wies nach Limone hin. Der Schiffer schliff seine Augen, legte sich mit dem Ohr über Bord bis dicht an die Wasserfläche, nickte mit dem Kopfe, gab den Gefährten ein Zeichen, und warf den Kahn auf eine andere Seite. Ich sah und hörte nichts. Mit Blitzesschnelle fuhren wir eine 234 Strecke in andrer Richtung, und hielten plötzlich ganz inne. Kein Mensch regte sich, ich konnt' es hören, wie hinten der Starost, der wie ein Corsar ausgestreckt im Boote lag, den Dampf aus seiner Pfeife stieß. Allmählig schien es auch mir, als hörte ich leise Ruderschläge, mit Hilfe des Glases gewahrte ich ein Boot, was in einiger Entfernung von uns ganz in unsrer frühern Richtung mit aufgespanntem Segel vorüberstrich. Wir bückten uns alle, um den Umriß über dem Wasser so unbedeutend als möglich zu machen. Schon glaubten wir den Feind vorüber, Hortensia hielt sich krampfhaft an meinem Arme fest, da verschwand auf einmal das Segel, und unsre Schiffer fingen aus Leibeskräften an zu rudern. Wir waren entdeckt, das uns verfolgende Boot hatte umgelenkt und kam hinter uns drein. Der Verfolger näherte sich trotz unsrer Schnelligkeit, und die Schiffer sagten, er müsse fünf Ruder haben. Nur ein Ruder fand sich noch in unserm Boote, ich ergriff's und arbeitete nach Kräften. Hortensia küßte mich mit kaltem Munde dafür, und nahm meinen Reisestock und half auch rudern. Es war umsonst – das Boot kam immer näher. Ich zog meinen Reiserock aus, Hortensia bekleidete sich damit, und knöpfte ihn bis oben zu, setzte sich meine Mütze auf, legte sich das Gesicht in den Arm, und lagerte sich zum Schlaf zurecht. Alles geschah, ohne daß ein Wort 235 gesprochen wurde. Bei italienischen Schiffern bedarf's aber keines Worts, sie verstanden Alles und ließen nach mit heftigem Rudern. Ich begann mit dem Archivarius das Duett. »Bei Männern welche Liebe fühlen, fehlt die Kourage nimmermehr,« und erwartete den Feind. Ueber die verrätherischen Füße Hortensiens warf der Doctor seinen Schlafrock. Das Boot brauste heran. Der Aufseher von Limone, den ich so reichlich beschenkt hatte, war der fünfte Ruderer, ein ächter Italiener, der eine neue discrezione verdienen wollte. Hortensiens Bruder war der sechste Mann, und schon hielt ich unsere Mannschaft triumphirend für überlegen an Zahl, als plötzlich im feindlichen Boote noch ein langer bärtiger Kerl sich aufrichtete. »Machen Sie Ihren Reisesack auf, Herr Starost, und setzen sie Kupferhütchen auf ihre Terzerole, antworten Sie so grob, als Ihr Gedächtniß Worte auftreiben kann.«

Der Citronenaufseher griff an unser Boot, um zu entern, mein Stock fiel blitzschnell auf seine Hand und heulend zog er sie zurück. Hortensiens Bruder und der bärtige Kerl machten Anstalt in unsern Kahn zu springen. Ich stellte mich jenem, der Doctor diesem entgegen. Das Handgemenge ward allgemein, da der Citronenaufseher jetzt gegen den Starost ansetzte; nur die Schiffer hielten sich auf beiden Kähnen völlig neutral, wie bloß weiter leitende 236 Elemente. – Da brannte plötzlich der Starost seine zwei Schüsse los, und mit einem Ruck war die Scene geändert, die Schiffer beider Boote duckten sich, und stießen die Kähne auseinander. Hortensiens Bruder und ich schwankten einen Augenblick über den See, – wir stürzten beide hinein.

Ich sank tief, eh ich in meiner halben Sinnenlosigkeit zu den Schwimmoperationen Anstalt machte. Mit Hast drückte ich mich an die Luft hinauf, denn ich hatte, kurz vorher nahe am Ersticktwerden, keinen Athem zuzusetzen. Es war finster und leer, tohu wabohu, als ich Athem schöpfte, nichts zu sehen, nichts zu hören, und ich war so total verworren, daß ich auch keine Richtung unterschied, ich konnte eben so gut den See der Länge nach hinunter schwimmen, statt nach einem Ufer hin. Matt und erschöpft war ich bereits, meine Lage glich der eines Verlorenen. Ich sah mich nach dem Himmelswagen um, der am westlichen Horizonte steht, ich horchte, ob Hortensiens Bruder nicht darin schwimme, die entgegengesetzte Richtung müßte ja die meine sein. Es schien mir, als hörte ich ein fernes, leises Plätschern. Der See war sehr schön, und das Wasser war lind und lau, aber es war eine gefährliche Schönheit; ich wünschte in einem schmalen teutschen Teiche zu sein, die Müllerstube mit dem warmen Ofen und der pausbäckigen, behäbigen 237 Wirthin in der Nähe. Was halfen mir jetzt die Citronenwälder. Da kam dem Starost der glücklichste Gedanke, er schoß sein Pistol ab, und ich warf mich lustig in die Wellen hinein. Bald hört' ich sie mir entgegen kommen, bald lag ich wie ein nasser Robbe in der Barke. 238

 


 


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