Heinrich Laube
Reisenovellen - Band 2
Heinrich Laube

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Die Karlisten.

Die Herzogin von Angouleme halte sich eines jungen Mädchens angenommen, welches aus einer alten, aber verarmten adeligen Familie war. Die Eltern des Mädchens waren gestorben, und hatten sich sammt ihren Vorfahren durch treue Dienste ausgezeichnet: einer der letzteren war sogar einmal Ceremonienmeister in den Tuilerien gewesen. Das Mädchen hieß Angelique und war sehr hübsch. Es war indeß nicht eine hervorstechende Schönheit, welche sie auszeichnete, sondern mehr ein unbefangenes einnehmendes Wesen. Sie hatte ein liebes Gesicht, in welchem sich alle Eindrücke schnell und angenehm ja einschmeichelnd abspiegelten; die Züge desselben waren weich und fein, sie hatte ein Antlitz wie ein Gedicht, und eine überaus schöne sanfte Stimme. Die Herzogin von Angouleme gab sie nach St. Cloud zu einer ältlichen Dame, welche mehrere 19 Mädchen zu ihrer Erziehung bei sich hatte. Wegen ihrer angenehmen Stimme ward sie aber oft nach Paris gefahren, um der Herzogin vorzulesen. Es waren immer ernsthafte, moralische Bücher, welche ihr zu diesem Zwecke gegeben wurden, und die tugendhaften Grundsätze, welche darin ausgedrückt waren, prägten sich während des Lesens treu und schön in Angeliques Gesicht aus. Die Herzogin von Angouleme, eine hohe Frau mit einem Gesicht wie von Marmor und Tugend, saß gewöhnlich auf einem Tabouret in einer Ecke des Zimmers, ihre Hände ruhten still auf ihrem Schooße, weit ringsum in allen Gemächern war es todtenstill, und wenn ein Abschnitt zu Ende war, so winkte sie die Leserin zu sich. Angelique kniete vor ihr nieder, die Herzogin küßte sie auf die Stirn, und entließ sie dann wie eine Mutter mit einigen wohlgemeinten guten Lehren.

Wenn Angelique nach Hause fuhr, so machte sie gewöhnlich ein Glasfenster der großen Kutsche auf, obwohl die sie begleitende ältere Dame immer viel dagegen einzuwenden hatte. Mehrere Male begegnete ihr nicht weit von der Barriere ein Reiter auf einem stolzen, großen Rappen, hinter welchem ein sehr reich gallonirter Bediente ritt. Der Reiter hatte ein sehr vornehmes Ansehn, und sah dreist, und wie es schien sehr aufmerksam in den Wagen hinein; später waren seine Blicke sehr freundlich, und 20 er grüßte jedesmal. Eine der Hofdamen, welche allmählig die regelmäßige Begleiterin Angeliques geworden war, kannte ihn, und sagte, es sei der Vicomte v. B., ein sehr wohl gelitt'ner Chevalier bei der Suite der Herzogin von Berry.

Eines Nachmittags, als Angelique nach Hause fuhr, war er eine Strecke neben dem Wagen hergeritten, und hatte mit ihr gesprochen. Sie kam ein wenig erregt nach Hause, und eilte schnell nach ihrem Zimmer, um sich umzukleiden, als Madame Berrault, ihre Erzieherin eintrat, und ihr ankündigt, daß ihr »der Herzog« seine Aufwartung machen würde.

»Welcher Herzog?«

Madame Berrault legte den Finger auf den Mund, umarmte Angelique und sagte ihr, sie sei ein glückliches Mädchen. »Der Herzog« war ein lang gewachsener, junger Mann mit einem sehr gutmüthigen, regelmäßigen Gesicht und einer sehr liebenswürdigen guten Laune. Er schwatzte mit Angelique das drolligste Zeug, sie lachte herzlich mit ihm, und er kam alle Tage wieder. Madame Berrault hatte ihr verboten, der Herzogin etwas davon zu sagen.

Als Angelique eines Tages eben mitten in ihrer Vorlesung war, entstand Geräusch in den Nebenzimmern, die Thür flog auf, und die Herzogin von 21 Berry flog in's Zimmer, küßte die Angouleme flüchtig, setzte sich neben sie und winkte Angelique, ruhig fortzufahren. Man habe ihr gesagt, daß sie so schön lese, und sie wolle sich davon überzeugen. Angelique las, es dauerte aber nicht lange, so sprang die Berry wieder auf, sagte: »Schön, charmant,« strich dem erröthenden Mädchen die Haare aus der Stirn und küßte sie auf's Auge. Darauf erbat sie sich von der Angouleme die Erlaubniß, Angelique morgen und je zuweilen bei sich lesen zu lassen. Die Herzogin von Angouleme zögerte mit der Einwilligung, die Berry aber streichelte ihr die Wangen und versicherte: wenn wir auch nicht ganz so ernsthafte Dinge lesen, so sollen sie doch nicht viel weniger ernsthaft sein. Und sie eilte davon.

Angelique ward mit vielen guten Lehren entlassen, die sie zur Hälfte verstand, wenn sie an den nebenher reitenden Vicomte und den sie erwartenden »Herzog« dachte. Dieser pflegte sich nämlich immer einzufinden, wenn der Abend kam.

Heut war er muntrer als je, und setzte sich auf eine Fußbank neben ihre Füße, und nahm zum ersten Mal ihre Hand und küßte sie, und trommelte ihr leise mit den Fingern auf den kleinen Füßen herum. Angelique schlug ihn auf die Finger, aber als sie sich dabei ein wenig bückte, faßte er sie mit beiden Händen beim Kopfe, und küßte sie munter 22 und herzhaft. Angelique wollte sehr böse werden, aber er setzte sich neben sie, und streichelte ihr die Wangen. –

Am andern Tage war sie bei der Herzogin von Berry. Sie befanden sich in einem sehr großen prächtigen Zimmer, die Herzogin war eben von einem Spazierritt gekommen, und saß noch im Reitanzuge, oder lag vielmehr in einem Divan, den Reithut mit den hohen Federn in die Kissen drückend, so daß er sich ihr vorn tief in die Stirn drängte, und das muntre, neapolitanische Gesicht beschattete.

Man mußte genau hinsehn, ob die schlanke Figur mit den scharfen Gesichtszügen ohne Schönheit ein Männlein oder ein Fräulein sei. Mit der Reitgerte spielte sie auf dem Tische, vor welchem Angelique ihren Platz hatte, und ihr eine bunte, ausgelassene Novelle las. Mehrere Herren und Damen saßen im Zimmer zerstreut, und flüsterten leise mit einander. Nicht weit von ihr in einer Fensterwölbung stand ein einzelner Herr, Angelique wagte nicht, genau hinzusehen, es schien ihr aber, als sei es der Vicomte. Die Herzogin sprach zuweilen einige Worte in italienischer Sprache zu ihm, welche Angelique nicht genau verstand, da sie der Sprache nicht völlig mächtig war. Allmählig ward die Herzogin still, Angelique las und las bis es dunkel ward, da bemerkte sie erst, daß jene eingeschlafen sei. Sie 23 hielt einen Augenblick inne, die Stimme aus der Fensterwölbung sagte leise »continuez,« – da fuhr die Herzogin in die Höhe, und sagte leise in sich hinein: »perche no - si, perche no« – darauf sich ermunternd, rief sie dem Vicomte in der Fensterwölbung, er möge das Fräulein begleiten, reichte ihr die Hand zum Küssen, klopfte sie leis' auf die Wange und ging in ein andres Gemach.

Eh sich Angelique besinnen konnte, hing sie am Arme des Vicomte, fühlte sich sanft gedrückt, hörte sie seidenweiche Worte, war sie in den Wagen gehoben – und der Vicomte saß neben ihr.

Er war ein feiner, aber feuriger Mann, der schnell und eiligst siegen wollte. Das erschreckte Angelique, es erbitterte sie, daß sie umsonst versuchte, ihre Hand aus der seinigen zu befreien, sie drohte ihm, sein Betragen »dem Herzoge« mitzutheilen. Man sagte am andern Tage im Salon der Herzogin von Berry, »der Vicomte reüssirte nicht,« und man verwunderte sich.

In der ersten Bestürzung hatte Angelique dem sie erwartenden »Herzog« Alles erzählt; er hatte sie fest in seine Arme geschlossen, und sie hatte sich zum ersten Male wie schutzbedürftig seiner Umarmung hingegeben.

Am andern Tage erschien auf Angeliques Zimmer Madame Berrault, ein Priester, ein ihr 24 unbekannter Mann als Zeuge und »der Herzog.« Angelique hatte ein schönes weiß seidnes Kleid bekommen, das trug sie heut, und die fliegenden Haare hatte man ihr künstlich in die Höhe und in einen Myrthenzweig hineingeflochten, und sie zeigte zum ersten Male ihre weiße Brust und die weißen Schultern halb entblößt und sah schaamroth aber bezaubernd dazu aus. Der Priester aber hielt eine kurze Rede, und erklärte, daß er berufen sei, das Fräulein mit dem Herrn »Herzog« zu kopuliren. Er war noch mitten im Sprechen, da hörte man Reiter und Wagen eilig in dem Hofe ankommen, stürmische, klirrende Tritte kamen die Treppe herauf, – der Priester hielt inne. Madame Berrault ging an die Thür und schob den Riegel vor, dann faltete sie von Neuem die Hände und ersuchte den Priester, die heilige Handlung zu vollenden. Der Priester zögerte; es wurde an der Thür gerüttelt, man hörte eine donnernde Stimme: Im Namen des Königs öffnet, es geschieht ein Betrug – Angelique erkannte mit Beben diese Stimme, sie bat mit flehendem Auge den Priester, zu endigen, und in halber Zerstreuung vollendete dieser den Aktus, mit seinen geist-weltlichen Augen in den bittenden Angeliques ruhend. Neuer Sturm an der Thür, welche gesprengt wird, Madam Berrault wirft Angelique einen Mantel über, »der Herzog« nimmt sie bei der Hand und 25 entweicht mit ihr durch ein Nebenzimmer, was er innen verschließt. Darauf öffnet die Berrault die eben weichende Thür, und fragt den mit Bewaffneten hereinstürmenden Vicomte, was ihm zu Dienst sei.

»»Wo ist der sogenannte Herzog?««

»Mein Herr Vicomte, Sie lästern die Todten: mein erster Gatte liegt auf dem père la Chaise, und hieß vor aller Welt mit seinem rechtmäßigen Namen Msr. le Duc

Angelique lebte in der Gegend von Orleans, beinahe ein Jahr lang still und ruhig mit ihrem Gatten auf einem einsamen Landhause. Da fragte sie ihn eines Tages, ob denn der Vicomte noch immer in Paris sei, und ob der Herr Herzog nicht bald nach Hofe zurückkehren werden. Ihr Gatte entgegnete, das solle in nächster Woche geschehen, der Vicomte sei nach Griechenland gegangen, und seine, des Gatten, Mutter habe ihm eine angenehme Stellung im Dienste der Herzogin von Angouleme verschafft.

In den Tuilerien erfuhr die sanfte Angelique, daß sie Madame le Duc, aber nicht Madame la Duchesse sei, und da sie gar nicht ehrgeizig war, so wunderte sie sich nicht lange, aber sie fing an, öfters und weniger furchtsam an den Vicomte zu denken, als man ihr erzählte, er habe aus unglücklicher Liebe zu ihr Frankreich verlassen. Wie man Frankreich 26 verlassen könne, war ihr lange unbegreiflich; je länger sie darüber nachdachte, desto stiller wurde sie.

Einst ging sie gegen Abend mit mehreren Hofdamen spaziren, und eine der Damen erzählte, daß der Vicomte in Athen lebe, und alle Abende zwischen den Säulen eines alten Tempels mit einer wunderschönen Griechin sitze, welche ihm oft die Hand küsse. Der Vicomte stünde zu wiederholten Malen auf, lehnte sein Haupt tief in den Lorbeer, welcher sich an einer hohen Marmorsäule emporranke, sehe nach Norden und seufze. Darauf stehe auch die Griechin auf, streichle ihm liebkosend die Wangen, und führe ihn still in das Oelbaumgehölz, das in der Nähe sei.

Die Herzogin von Angouleme, welcher Angelique jetzt wieder vorlas, fragte sie oft, warum ihre Augen so trüb seien, ihr Herzog mache sie ja doch nicht weinen. Angelique küßte ihr heiß die Hand, und fuhr mit dem Taschentuche über die Augen.

Um jene Zeit ward es sehr unruhig in den Tuilerien, und ein Paar Tage darauf waren in Paris die drei Farben wieder Mode, Angelique aber floh mit der königlichen Familie aus Frankreich, und erfuhr erst in Schottland, daß ihr stiller »Herzog« im Louvre erschossen worden sei.


27 Es war auf der Deligence zwischen Eger und Amberg Nacht geworden, und als wir auf die Station kamen, hatte Alles Hunger und Durst; Madame le Duc wollte verschmachten. Der Vicomte war untröstlich, daß im Posthause, einer gewöhnlichen Kneipe, Alles schlief. Eigenhändig weckten wir eine mit bairischem Bier festschlafende Magd, und auf dem Kaminheerde ward ein großes Feuer gemacht. Da saß die liebenswürdige Französin, und wärmte sich, der Starost mit dem dunkeln asiatischen Gesicht stand nicht weit von ihr im hellen Scheine des Feuers, der Vicomte stand in ihrem Anschaun verloren vor ihr, und seine ganze wilde Karlistenseele lag in seinem Auge, und mit dem Auge auf den Blicken der holden Angelique, die sinnend in's Feuer fielen. Als ihre Hände warm geworden waren, reichte sie die eine dem Vicomte, und sah ihn mit jenem mädchenhaft, sanft fragenden Blicke aus St. Cloud an, und fragte nach der schönen Griechin. O, wie betheuerte er, – und ich freute mich, endlich daran glauben zu dürfen, daß sie eine Französin sei, denn sie seufzte nicht, sondern gab ihm einen leichten Backenstreich.

Es war gegen Mitternacht; dennoch trat ein Soldat ein, und verlangte unsre Pässe. Da er nur mit Mühe die teutschen entzifferte, so hatte er nicht übel Lust, die ihm stockfremden französischen bis zum 28 Morgen zurückzubehalten, obwohl die Post in einer halben Stunde weiter ging. Mit solider Entschlossenheit nur brachten wir ihn von diesem polizeigemäßen Vorsatze ab; denn er behauptete steif und fest, Teutschland, und besonders Baiern sei nicht recht in Ordnung, und Niemand als die Franzosen seien Schuld daran.

In einem gut bairischen Wirthshause ist nichts als Bier zu haben, die schläfrige Magd kochte uns also brummend ein Warmbier, und wir aßen schwarzes, trocknes Brot dazu.

Jetzt ward der Vicomte in's Innere des Wagens gelassen, und er erzählte und sprach noch mehrere Stunden, es war Niemand schläfrig, und er war artig wie ein seidner Handschuh gegen seine wiedergefundene Herzogin, die glücklich befreite Witwe des Sohns der Madame Berrault.

Er war viel gereis't und erzählte von den fremden Sprachen, wie von wunderlichen fremden Mädchen, aber das Neugriechische mit dem melancholischen i war immer die Favorite. Madame machte ihm das lebhaft zum Vorwurfe. Wer weiß es, wie die Römer und Griechen ihre Worte ausgesprochen haben, und man sollte eigentlich glauben, die romanischen Völker sollten namentlich das Römische am richtigsten aussprechen, aber die Subjectivität der französischen Aussprache geht bis in's Lächerliche. 29 Wir Teutsche sprechen die klassischen Sprachen zwar auch teutsch, aber unsre Pronunciation ist an und für sich einfacher, ich behauptete darum, wir sprächen am richtigsten Latein und die Engländer am richtigsten Griechisch, denn das th und die Vorliebe für halbe Vokale theilen auch die jetzigen Griechen mit den Britten, und der Engländer wird mit seinem Altgriechischen am Ersten von den jetzigen Hellenen verstanden. Das erhitzte den Vicomte sehr, und ich mußte den Herrn Professor Zumpt in Berlin vielfach gegen ihn zu Hilfe rufen. Es ist aber wirklich nothwendig gewesen, das Verdienst Ludwigs XIV. das Französische zur allgemein verständlichen Weltsprache zu machen, denn das französische und englische Latein und Griechisch ist ein uns völlig unverständliches Idiom. Der Vicomte behauptete übrigens, die europäischen Sprachen wären alle durch eine engere oder weitläufigere Verwandtschaft verbunden, nur die Ungarn und Finnen gehörten gar nicht zu dieser Familie. Finnland war meine schwache Seite, ich erwiederte nur, die Franzosen brächten durch ihr leidenschaftliches Klassifiziren viel Uebersicht, aber auch viel Irrthum in die Wissenschaft. Es kommt ihnen auf einen kleinen Fehler nicht an, wenn der Ausspruch nur rund und imposant klingt. Sie sind die Rhetoriker in der Weltgeschichte.

30 Durch die wechselvollen Schicksale Frankreichs sind alle Parteien genöthigt worden, unter fremde Leute zu gehn, und ihrer Vernunft haben sich viel kosmopolitische Begriffe aufgedrängt, aber das Herz eines Karlisten ist altfranzösisch geblieben mit allem äußeren, geschmeidigen Wohlwollen und aller brutalen Eitelkeit eines Altfranzosen. Er hält seine kurze, fertige Sprache, die einen einzigen, glänzenden, purpurverbrämten Anzug hat, diese arme Sprache, welche nicht einmal doppelte Leibwäsche besitzt, die Jahrzehnd um Jahrzehnd mit demselben verblichenen Purpur, denselben abgegriffenen Franzen kokettiren muß, er hält diese unglückliche Präsentirteller-Sprache für die schönste, er spricht vom Corneille noch heute: Oh, si noble, nennt den Shakespeare einen trivialen Barbaren, Fenelon und Bossuet Muster für Politiker, die Sprache des neuen Frankreich, Victor Hugo's und seiner Genossen vandalisch.

Es giebt sehr viel hergebrachte Begriffe in der Charakteristik von Ländern, Völkern, Klassen, die wie Buchstaben von Einem zum Andern übergehen, Schema werden. Sie ändern sich nicht, auch wenn sich die Dinge geändert haben. Ich glaubte, dahin gehöre auch die Schilderung eines Karlisten, und ich war überzeugt, die nachlässige neue Partei übertreibe bei Darstellung des Alten. Aber der Vicomte, ein noch junger, sehr erfahrner, unterrichteter Mann, 31 war bis in's innerste Herz ein alter Karlist, und wenn man ihn reizte und solchergestalt einen seiner schwachen Momente herbeiführte, so kam die ganze, alte frank-royalistische Bestialität zum Vorschein. Er hätte in Paris die Schriften der Romantiker verboten, damit das Altfranzösische nicht darunter litte, er war voll Muth bis auf's Blut zu kämpfen, für seinen Glauben zornig zu sterben, aber er hatte nicht den kleinsten Muth, etwas gründlich Neues zu denken, er war streng aus dem unfruchtbar gewordnen Leibe der gebärmüden trojanischen Hekuba.

In ganz Frankreich haßte er Niemand mehr als Ludwig Philipp, die Republikaner behandelte er wie Engel neben jenem. Wer allen Leuten das Geld abgewinnt, den hassen alle Spieler.

Es ist merkwürdig, welch' ein Faible die Karlisten für den Napoleon-Journalisten, für Armand Carrel, den Redacteur des National, haben. Sie verehren in ihm den gefährlichsten Feind des jetzigen Königs, und den Sprößling einer nobeln Karlistischen Erziehung. Carrel ist nämlich unter der Fürsorge eines Grafen Chasel in der Provence aufgezogen worden, und alle Karlisten nehmen darum ein großes Interesse an ihm. Seine feinen Manieren, seine delicate, edle Schreibart, sein von aller Sanskülotterie entfernter Republikanismus, sein durchdringender, gebietender Seigneurverstand, Alles 32 das, was ihn den Parteien so gefürchtet macht, nennen sie karlistischen Ursprungs, und als ich den Vicomte fragte, ob Carrel vielleicht gar ein versteckter kluger Carlist sei, schwieg er hartnäckig still.

Diese Idee ist ungefähr so geistreich wie die Vermuthung eines Berliner Polizeiraths, daß Caspar Hauser ein Betrüger sei. Ein Herr von Lang hat diese Idee so glänzend ausgebildet, daß er die Meinung drucken ließ, Caspar Hauser habe sich am Ende selbst todtgestochen, um seinen Betrug recht auffallend glaublich zu machen. Es war in diesem Baierlande, wo jener romanhaft unglückliche Knabe an's Licht des Tages kam –; jetzt, da ich dies schreibe, laufen erschreckliche Gerüchte wie heulende, blutdürstige Thiere der Wüste im Lande herum, und je mehr man sie zu unterdrücken trachtet, zu desto wilderen Volksmährchen werden sie ausarten, und ein gut Theil der annoch bestehenden Religion verschlingen. Die Geschichte hat ein Einsehn, und will dem armen Caspar wenigstens einen historischen Namen sichern für sein fabelhaftes Unglück.

Auch Carrel hat sich einen scharfen, kalten Karlistendegen in den Leib stoßen lassen, um seine Rolle wahrscheinlich zu machen, der feine, geistreiche Mann, der nicht nur ein Herz voll Muth, sondern auch einen Kopf voll Muth besitzt, siecht dahin unter einer altfranzösischen Wunde, und wenn sein Leib 33 verkümmern, und am Ende das muthige edle Herz brechen wird von jener karlistischen nackten Zudringlichkeit, so werden sie sein Andenken noch beflecken mit der plumpen Verläumdung, er sei ein versteckter Karlist gewesen.

Denn sie werden es noch lange nicht begreifen, daß man ein demokratisches Herz und doch aristokratische Augen und glatte, reine Hände und Sitte und Grazie in Worten und Gliedmaaßen haben könne. Solche Dinge sagte ich dem Vicomte, und ich sagte ihm, daß sie Frankreichs neuestem Edelmann und der Adelsschönheiten letztem Retter und dem jüngsten Napoleon in Armand Carrel, dem Redacteur des National, den Degen in den Leib gerannt hätten, und daß ihre Heldenthaten dumme Streiche seien.

Er ward sehr heftig trotz Angeliques Beschwichtigungen, denn die Politik geht dem Franzosen auch über die Liebe; aber Angelique war sehr liebenswürdig dabei. Sie war Karlistin, weil sie als solche aufgewachsen sei, der Karlismus war ihr Vater und Mutter, sie liebte ihn, ohne zu fragen, wie er aussähe. Daß ich Recht haben könnte, stellte sie gar nicht in Abrede, sie habe aber auch Recht, obwohl sie nicht wüßte, warum.

Allmählig machte der Schlaf seine Rechte geltend, und all' die Dinge, welche die Menschen 34 trennen, sanken in Staub und Asche vor der Menschlichkeit. Als wir erwachten, hielt der Wagen zu Amberg auf dem Markte, und Alles um uns war Baiern. Es ist unglaublich, wie dieses Völkchen in sich abgeschlossen und fertig und beschränkt ist; wenn sie was sprechen, so betrifft es immer Baiern, und sie sind eigentlich ganz verwundert, daß hinter den Bergen auch Leute wohnen. Sie sind eine streng bairische Nation, und ihr Nationalheiligthum, ihr vaterländischer Mittelpunkt ist das Bier. Wenn der Baier in Bengalen das Heimweh empfindet, so ist das nichts als Durst, Durst nach bairischem Biere. Dieses Bier hat allen kosmopolitischen Fortschritt ausgehalten, alle Welt ist ihnen gleichgültig, denn sie sind durstige Materialisten, und der Durst ist ihnen die erste und letzte Aeußerung der Kultur. Wenn die Studenten und mit ihnen die letzten Reste des allen Germanenthums, die Trinkgelage, von denen Tacitus erzählt, zu Grunde gehn, so wird immer noch Baierland die letzte Studentenkneipe repräsentiren, wo man trinkt, absolut trinkt, an sich trinkt, wo man trinkt, bloß um zu trinken ohne störende Nebenzwecke.

Dieser Materialismus liegt wie das Meklenburgische Wappen mit untergestützten Armen faul und feist auf den Gesichtern, er glänzt von den fetten Backen, den wohl genährten Backenbärten, er liegt 35 wie ein dämmernder Schlaf auf den Bewohnern. Es ist ein gutes, starkes Volk mit starken Knochen und vollen Herzen, aber es hat seine höheren Thätigkeiten abgestumpft, jede Begeisterung ist abgedämpft und äußert sich höchstens noch als Grobheit, die Zunge und die Wünsche sind schwer und träg und schleppend geworden, das Land ist fleischig, und seine Sehnen sind dick und stark, aber die elastische Geschmeidigkeit, welche schnellt und schafft, sie ist nicht mehr zu finden, die Frische, die Jugend, das Grün, der Frühling – Alles ist mit Bier überfluthet. Man ist nicht mehr keusch nüchtern, ein steter Dämmer webt um die gläsernen Augen, und die frischen, thauigen nüchternen Morgenstunden sind's, in denen die Völker ihre historischen Gedanken und Vorsätze empfangen.

Ich bemerke hierbei für viele andre Fälle, daß auf dergleichen Charakteristiken nicht mehr zu geben ist, als man auf Anschauungen zu geben pflegt. Man muß die Einseitigkeit des Individuums dabei nicht vergessen. Es geht in solchen Dingen wie in der Medizin, wo einzelne Fälle leider nur zu oft ein ganzes Verfahren, ein Gesetz erzeugen. Nationen sind reich an Millionen von Richtungen, der Beobachter experimentirt, einen Durchmesser dieser Richtungen zu finden, und er hat doch nur zwei Augen, und er hat doch nur eine Auffassungsgabe, nämlich die seine. 36 Man muß also auf solche Worte sich eben so wenig verlassen, als man sich auf den zärtlichen Blick einer Kokette verlassen darf, ein Reisebeschreiber muß aber mit den Gegenständen kokettiren, da er nicht immer und Alles wirklich lieben kann, da einem Liebesblicke sich mehr öffnet als einem gleichgültigen.

An der Westgränze Baierns hinab äußert sich auch diese Nation schon ganz anders, da wächst schon die Rebe statt des charakterlosen langgereckten Hopfens, und aus dem Weine steigen die Geister, aus dem Biere die Gnomen.

Wir saßen in einem großen Zimmer am Markte zu Amberg, und frühstückten. Draußen ritten bairische Reiter zum Exerciren vorüber, innen ging Karlismus und Politik im warmen Kaffee unter, wir waren nicht kriegslustig, sondern hungrig und es war Alles sehr schön in der Welt.

Da schlug plötzlich die Nachricht wie ein Donnerwetter ein, daß die Tour Angeliques hier von Amberg abginge gen Nürnberg, nun war die Verwirrung der Gefühle groß, keiner wußte, wie viel er davon entfesseln sollte. Auch Angelique hatte die Unbefangenheit verloren, ich glaube, das verwitwete Mädchen wußte es jetzt noch nicht genau, wie sie gesinnt sei gegen den Vicomte. Und der Vicomte wußte erst gar nicht, wohinaus; er faßte hastig an alle Taschen, an 37 Kopf und Hals, an Kragen und Flügel seines Rocks, als suche er das, was Noth thue. Ich sah's ihm an, die karlistische Pflicht rief ihn nach München, und er dachte selbst an keine Rettung. Bei solchen Gelegenheiten beschäftigt man sich in der Angst des Scheidens am ersten mit den unbedeutenderen Personen: Angelique nahm weitläufigen Abschied vom Starost und von mir. Aus ihrem großen Pompadour zog sie eine grün und weiße Karlistenkravatte, die schenkte sie mir zum Andenken, ich zog als Erwiderung ein Buch aus der Manteltasche des Starosten, und bat sie, selbiges von mir anzunehmen, und es in Paris übersetzen zu lassen, es würde die Bourbonen wieder glücklich machen. Erst später bemerkte der Starost, daß ihm ein Band von Börnes Briefen fehlte. Und nun versprachen wir einander noch, nämlich Angelique und ich, wir wollten einander schreiben, aber ganz gewiß und recht Viel. Als sie fort war, fiel mir der Uebelstand ein, daß sie meinen Namen nicht wußte; und daß wir unsre beiderseitigen Reiserouten und die späteren wahrscheinlichen Aufenthaltsorte nicht kannten.

Sie hatte mir die Hand gegeben, und dann hatte sie der Vicomte hinausgeführt an den Nürnberger Postwagen. Zum Sprechen war nicht mehr viel Zeit übrig geblieben, und sie hatten gewiß das Beste 38 vergessen; ich habe nie erfahren, was sie damals mit einander gesprochen haben, ob über auswärtige oder innere Angelegenheiten.

Aber es war mir wehmüthig und leer zu Muthe, als der große Wagen mit Angelique um die Ecke fuhr, und verschwand. Gleich neben dem Gasthause in Amberg ist die Kirche – da ging ich hin, um auf andre Gedanken zu kommen. Es gelang mir wohl auch, denn es beteten lauter alte Weiber, die nicht mehr zum Sündigen taugten, und es hingen die Bilder von lauter geschundenen, gerösteten und gesottenen Heiligen an den Wänden. So kam ich auf andre, wenn auch nicht bessere Gedanken. Für Kunstkenner, welche ihren Kenntnissen zu Liebe reisen, bemerke ich, daß der heilige Sebastian auf dem Altarblatte in den Reisebeschreibungen und bei den Ambergern eine große Renommée hat. Es passirte ihm und mir das Unangenehme, daß wir uns nicht für einander interessirten. In Leipzig und Magdeburg würde übrigens solch' ein nackter Sebastian wegen der Keuschheit und Moralität nicht geduldet: es müßten ihm wenigstens ein Paar Pantalons angezogen werden. Die nackten Bilder in den katholischen Kirchen sind übrigens sehr wichtig geworden für die Fortpflanzung des Menschengeschlechts, solch' ein heiliger Sebastian hat manches illegitime Genie Ambergs zu vertreten. Ich fühle 39 immer ein tiefes Mitleid, wenn ich solche Bilder in Nonnenklöstern sehe und an die unglücklichen Augen der armen Nonnen denke.

Die Bilder in den katholischen Kirchen sind sehr wichtig für die Kultur- und Literaturgeschichte; es gäb' auch viel weniger Romane ohne sie. 40

 


 


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