Heinrich Laube
Reisenovellen - Band 2
Heinrich Laube

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Laybach und Grätz.

Der Mond hatte mich bei seinem flüchtigen Vorübergehn belehrt, daß eine Dame neben mir säße, übrigens regnete es sanft, es war eine charmante Spitzbubennacht. Die Anwesenheit der Dame tröstete mich aber in etwas, ich rechnete doch auf einige Kourtoisie der illyrischen Spitzbuben. Auf den Stationen hörte ich einzelne galgenfremde Redensarten, ich hoffte, mich des andern Tages in meinem Reisebuche zu unterrichten, in welcher Sprache die Leute hier fluchten.

Die berühmten Höhlen am Adelsberg liegen nicht weit vom Wege ab zwischen Triest und Laybach. Es giebt aber viele absonderliche Naturmerkwürdigkeiten, die ich nur in der Geographie und Naturgeschichte angestellt wissen will: dahin gehören die kuriosen Höhlen, die pontinischen Sümpfe, die Mißgeburten, die Redaktion der Abendzeitung, die ordentlichen Professoren der Philosophie, und die Rattengeschlechter mit 527 all' ihren Verwandtschaften. Ich war froh, daß ich nicht in jene Höhlen kriechen konnte, wußt' ich doch nun wenigstens genau, wo sie liegen. Des Nachts ist's in jener Gegend finster, der Kondukteur untersucht dort seine Pistolen, und die Sprache der Leute, welche Einem etwa begegnen, versteht – wie schon gesagt – kein Mensch von klassischer Schulbildung – ein gebildeter Reisender wird sich nach diesen Notizen leicht zurecht finden. Der Professor Gerlach zu Halle sagte immer in seinen Vorlesungen über Logik: Meine Herrn, die Logik läßt sich nicht lehren. Das war offenherzig, wir schrieben's auf, und es war gut.

Am andern Mittage waren wir in Laybach. Dieser Ort ist bekanntlich berühmt durch seinen Kongreß und seine großen Krebse. Ich wollte mich dort auch barbiren lassen, und suchte eine Barbierstube. Zwei Raseurs hatten einen armen Bauer unter dem Messer, dessen passiven Heldenmuth ich lebhaft bewundert habe. Er war eingeseift bis an die Wimpern, und man rasirte ihn, daß das Wasser aus seinen Augen drang, und nur einigemale fiel er den Künstlern in die Klingen, um einmal auszuspucken und ausathmen zu können, dazu sprachen die beiden Akteurs ein kauderwelsches Illyrisch, ein diplomatisches Rothwelsch – die Aktion sah mir so bedenklich aus, daß ich flugs umkehrte. Besser ein langer Bart und ein gut Gewissen – –

528 Die Menschen und die Gegend passen nicht recht zu einander; diese ist ziemlich gewöhnlich: ein Paar Waldberge sind da, ein Flüßchen, das nöthige Grün und was etwa sonst zur einfachen Hausmannskost einer teutschen Gegend gehört, und jene, die Bewohner, sehen wie halbe Türken aus, oder wie Ungläubige, um mich besser auszudrücken. Dieses Aussehn hatten sie aber gewiß schon vor dem Kongreß. Die Weiber tragen nämlich einen großen Türkenbund aus Handtüchern um den Kopf, und wenn ich im Oesterreichischen von Menschen spreche, so meine ich immer nur die Weiber, die Männer sind Oesterreicher. Aber das Frauenzimmer, was man in der Wissenschaft so nennt, das Frauenzimmer erhält eigentlich das östliche Kaiserthum; die Frauen sind immer konservativ.

Wenn man vom Süden nach Oesterreich kommt, da scheint es Einem, als sei recht viel Türkisches in diesem Lande. Die Abstufung vom Türkischen zum Albanesischen, von da zum Istrischen, Illyrischen, Steirischen, Wienerischen ist ganz niedlich und kommt einem Nordteutschen manchmal ganz unbedeutend vor. Es sind nämlich nur kleine Modifikationen jenes bequemen Materialismus, der aus den Zelten der Osmanlis stammt und zu Wien auf den Kaffeehäusern wiederzufinden ist. Die christliche Stadt Wien hat viel Muhamedanismus im Kaffeetrinken, 529 Tabakrauchen und sonstigen islamitischen Vergnügungen und St. Stephan ist im Punkt der Liebe ein erfahrnerer Heiliger als die Sophienmoschee zu Stambul. Ich denke das später in Fabeln und Beispielen nach Fürchtegott Gellerts Manier darzuthun. Seine frivole »schwedische Gräfin« werde ich freilich nicht erreichen. –

Schwer ist es, den Mann in Teutschland zu finden, welcher mit eben jenem unsäglichen Behagen wie der Wiener sich vor dem Kaffeehause niederläßt, er streckt die Beine von sich, die Augen gehen langsam auf in stiller Wohligkeit, die Nasenflügel bewegen sich träg lächelnd in tiefdringender gesunder Naturkraft – dieses wollüstige vegetative Wesen versteht man erst, wenn man aus dem Süden heraufkommt.

Zwei solche Wienerische Wesen saßen mit mir im Postwagen, es war ein Männlein und ein Fräulein, wie Moses ungalant sagt. Das Männlein war ein reicher Bäckermeister aus Wien, jung von Jahren, glatt und schön von Antlitz, gesund wie ein Krebs. Er saß den ganzen Tag still und rauchte so lange bis er was zu essen hatte, und aß so lange bis er wieder rauchte. Dieser Mann strotzte vor Wohlbefinden, und war viel zu schwer für eine Eilpost. Seine Schwester war eine komplette Schönheit, wie man sie auf vielen berühmten Heiligenbildern sieht – nicht 530 die kleinste Störung fand sich an der ganzen Person, Alles war schön und regelmäßig und ohne Leidenschaft. Man konnte darauf schwören, es sei eine aufgenudelte Heilige, welche den Mund bloß zum Essen und Beten, und die großen himmelblauen Augen nur zum Schlafen hatte. Sie war ein Typus jener langweiligen Heiligenbilder, die nur zum Ansehn auf der Welt sind, und nur zu Bildsäulen und Ehefrauen taugen, nicht aber zu Gemälden.

So groß ist aber die Macht der bloßen Formenschöne, daß ich dies leblose Mädchen siebenzig Meilen lang immer mit Vergnügen angesehen habe. Sie sprach nur zuweilen, wenn sie gefragt wurde Ja oder Nein, ihr Bruder sagte auf der Tour von Triest nach Wien nur dreimal: »'s regnet holt wieder«, einige Befehle in den Wirthshäusern abgerechnet, die er den Kellnern gab. Der dritte Begleiter, ein alter Gouverneur irgend einer Dalmazischen Festung, unterhielt sich immer des Vormittags eine Stunde mit mir, während der übrigen Zeit schlief er. Täglich behauptete er des Morgens, eine sehr große Aehnlichkeit mit Napoleon zu haben, »sehr eine fotole Aehnlichkeit«, pflegte er zu sagen. Man habe ihn schon einmal deshalb absetzen wollen. Die Aehnlichkeit bestand darin, daß er nicht groß war, schlecht Schach spielte, und seit vierzig Jahren an einem unersättlichen Magenkrebse litt. Eigentlich war er ein sehr gebildeter Mann, er hatte sich nur mit ganz andern Dingen beschäftigt, als die gewöhnlichen Leute von Bildung. So erkundigte er sich bei mir, ob ich ihm nicht Aufschluß über den »Harz« geben könne, und was man sich eigentlich darunter zu denken habe. Ursprünglich hielt er ihn für einen großen Berg in Kurland, wußte aber nicht gewiß, ob er noch existire. Seine zweite Erkundigung ging nach dem Herrn Marquis von Lafayette; von diesem Herrn Marquis habe er sprechen hören, so lange er lebe, und er habe nie etwas »G'wisses über ihn zu seiner Wissenschoft mochen können«. – »Es muß sehr ein sonderborer Mensch sein«.

531 Aber er hatte viele hundert Male bei der Frau Generalin Neiperg gespeis't, die einst die Gattin Napoleons war, und den König von Rom geboren hat, und viel tausend Male beim Kaiser Franz, die fatale Aehnlichkeit mit Napoleon war ihm nur immer im Wege gewesen. Den Napoleon nannte er immer einen unruhigen Mann, den jetzigen Gemahl der Marie Luise aber stets einen »feinen Cavalier«.

Neiperg soll wirklich ein sehr liebenswürdiger Mann sein, obwohl er kränklich und, wenn ich mich recht erinnere, lahm oder gelähmt ist.

Ich werde mich immer eines Abends in Cilli erinnern, weil er diese Gegend auf's Beste charakterisirt. Wir saßen beim Nachtessen in einem reinlichen, behaglichen Wirthshause, einige Notabilitäten der Stadt reihten sich um den Gouverneur, und hofirten ihm auf das Unterthänigste, das Gespräch kam auf Karl X. und die Berry, welche sich in Steyermark niederlassen würden, und die ganze Gesellschaft zerbrach sich den Kopf darüber, warum der König von Frankreich sich so lange außer Landes aufhalte, ja sich gar außer Landes niederlassen wolle. Pause. Eine Gerichtsperson aus Cilli würde sich erlauben, es Unrecht zu finden, wenn man so etwas über hohe Personen sagen dürfte; es sei eigentlich richtiger, wenn der König in seinem Lande bliebe. Da erhebt sich unten am Ende der Tafel ein kleiner Cillicier, und murmelt ziemlich unverständlich, daß er dieser Sache schon lange nachspüre, und es müßte da irgend was vorgefallen sein. Der König von Frankreich hätte Unannehmlichkeiten gehabt, und da sei er verdrießlich geworden, und eine Zeitlang außer Landes gegangen, die Regierung hätte unterdessen ein Verwandter übernommen –

Diese Meinung wurde aber mit allgemeinem Unwillen verworfen, und der Redner wurde einer naseweisen Zeitungsleserei beschuldigt. Der Gouverneur sagte: »solche G'schichten gehn uns nix an«, der Bäckermeister trat in's Zimmer, und sprach: 's regnet holt wieder.«

532 Wir brachen auf. Die Cillicier wünschten dem alten Gouverneur alles mögliche Glück zu seiner großen Karriere, und empfahlen sich ihm namentlich, einer nach dem andern, der Gouverneur aber sprach: »Schon recht, schon recht, wann ie nur nich die unong'nehme Aehnlichkeit hätt'«. – –

– Durch das Saar- und Muhrthal in Steyermark ging's immer weiter und weiter. Ich las, die schöne Heilige schwieg, der Bäckermeister rauchte, der Gouverneur schlief. Man spricht sehr viel vom schönen Steyermark: es ist eine gewöhnliche halb gebirgige Gegend, die ewige Wiederholung einer halb reifen Natur. Aber es gedeiht hier ein schöner Menschenschlag, namentlich in Grätz. Dort im Theater hab' ich jene Claurenschen Mädchen gefunden, welche mit all' den kleinen materiellen Schönheiten mit Grübchen und Rosen und allem sonstigen Detail versehen sind. Und Grätz ist wirklich der Ort, wo man das Vergißmeinnicht noch einmal lesen könnte, die Romantik ist noch in arger, plumper Kindheit, und die Mädchen sind kurios verführerisch.

Auch ist ein altes Schloß da, worauf sich die Leute sehr viel zu Gute thun; es sieht so ignobel aus wie armer Leute Bettelwohnung, aber man hat eine gerühmte Aussicht über die Stadt und die kleinen Thäler in der Nähe. Mir war es viel wichtiger, daß der Weg hinauf bei sehr hübschen Häusern vorüberführt, das heißt bei Häusern, in welchen sehr hübsche Mädchen waren. Diese Mädchen hatten jenes Kolorit der Schönheit, was der Gegend fehlt. Es genügen Einem wenig teutsche Gegenden, wenn man aus Italien kommt, weil sie alle keine Farbe haben – grau, matt, blaß ist Alles, und das Auge ist noch verwöhnt von jenen tiefen, ernsthaften Färbungen, auf welchen sich alle Formen so entschlossen erheben. Die Schönheit der gerühmten Grätzer Gegend ist mir so ordinair und ärmlich vorgekommen, wie die Romantik der Musik in Webers Euryanthe. Daß es den Tag 533 vorher stark geregnet hatte, und der Himmel noch verdrießlich trüb war, mochte wohl allerdings das Seine dazu beitragen.

Dicht am Schloßberge steht ein hohes, schönes Haus, aber das Claurensche Mädchen, was am Fenster saß, war noch viel schöner. Ich versuchte einen kleinen Roman in Claurenscher Manier, aber ich strich ihn aus, um schnell nach Wien zu kommen.

Ich wüßte sonst von Grätz nichts Characteristisches mehr zu erzählen, als daß der Adel der Provinz, der sogenannte Kavalier, hier noch seine erste Heldenrolle spielt, daß man viel Krucifixe sieht, und daß ich des Nachts auf dem Heimwege die Stadt wo anders suchte, als wo sie war. Durch diesen Irrthum gerieth ich in's Freie; im Oesterreichischen ist alle Freiheit ein Irrthum, nur die Liebe ist frei, sehr frei. Irgendwo muß diese göttliche Krankheit der Menschen herausfahren.

Trotz dem, daß ich mich so spät noch verirrte, und also noch später nach Hause kam, fand ich die Wirthsstube meines Gasthauses noch belebt. Es wurden noch »Hohnerl« verspeist, und Seidel getrunken. Die gebacknen Hohnerl sind bekanntlich der Mittelpunkt der österreichischen Nationalität, und es ist ein historischer Fehler, daß sie nicht ein gebacknes Hohnerl im Wappen haben. Der Franzose liebt die Freiheit, der Engländer die Unabhängigkeit, der Italiener die Schönheit, der Teutsche die Bücher und der Oesterreicher die »Hohnerl, wenn se gebocken sind«.

An einem Tische war besonders viel »Spektokel«, da wurde die Resi am Meisten beklätschelt, da schien's die besten »Schnoken« zu geben. Der Hauptredner war ein magrer Gerichtsschreiber mit einem unorthographischen Ausdruck im Gesicht, welcher die Gesellschaft damit so vortrefflich unterhielt, daß er sich hochteutsch zu sprechen bemühte. Das ursprünglich Komische für diese Leute war das Berlinische. Unter 534 dieser Firma nahmen sie aber Alles hin, was von ihrer Mundart abwich, und besonders komisch war ihnen die volle, richtige Aussprache der Doppelvokale und Diphthongen. Der Berliner ist ihnen eine komplet lächerliche Figur, und ich habe auf allen österreichischen Bühnen bemerkt, daß der Aufschneider, der Poltron, der Hasenfuß stets sich bestrebte, hochteutsch zu sprechen. Denn das heißt bei Ihnen berlinisch, die lächerlichen Nüancen des scharfen, giftigen Jargons der Märker können sie mit ihren verweichten Organen nicht zu Stande bringen.

Der Berliner heißt dort so viel, als bei uns der Staberl.

So wie sie indeß bemerkten, daß ich aus Teutschland sei – so heißt Ihnen das Land, wo nicht österreichisch gesprochen wird – wurden sie verlegen. Die Kinder machen sich über den Schulmeister nur lustig, wenn er nicht in der Nähe ist. Die Beschränktesten fühlen es, daß sie durch die Institutionen zurückgehalten sind in der Kultur, und um das drückende Gefühl los zu sein, machen sie sich zuweilen über die Kultur lustig. Bald aber kehren sie zu jener übertriebenen, entwaffnenden Bescheidenheit zurück, welche ein Theil ihres liebenswürdigen Wesens ist, und dann erniedrigen sie sich selbst tiefer als sie nöthig hätten.

Nur die freigegebene Kultur findet den richtigen und würdigen Weg der Schätzung. –

– Resi leuchtete mir zu Bett, und fragte, ob ich noch was zu »schoffen« hätte, und bei frühem Morgenstrahle flog ich zum Thor hinaus. Die erste Person, die uns begegnete, war ein Ligorianer. Dieser Orden steht in dem Rufe, die ausgezeichnetsten Hausfreunde zu liefern, und ist darum noch sehr in Aufnahme.

Wir flogen mit der goldnen Sonne durch die stillen Waldberge. Ich bemerke hierbei, daß die Lobpreisungen der Steyrischen Natur mehr die Alpen 535 Obersteyermarks angehen mögen, wohin die besseren Wiener ihre Sommerausflüge machen. Zu meiner stummen Reisegesellschaft kam eine Nonne, ich hatte solch' eine antiquarische Naturseltenheit niemals in der Nähe gesehen, wurde aber jetzt durch fromme Intriguen in's Kabriolet verwiesen, weil ich mich gottlos aufgeführt hatte. Wir saßen nämlich bald nach Ankunft jenes geistlichen Möbels in einem kleinen Städtchen bei Tisch, es wurde in allerlei Sprachen gebetet, das Essen blieb aber schlecht, und einige unchristliche Aeußerungen, ja, ich glaube der Gottseibeiuns selber, entfuhren mir zu wiederholten Malen. Man bekreuzigte sich, und rückte weiter von mir. Die Nonne mit ihrem Fastengesichte redete der schönen Wienerin zu, Gott die Ehre zu erweisen, und in's Kloster zu gehn, und die Wienerin nickte mit dem Kopfe. Es schnitt mir durch's Herz, daß dieser schöne, gottgefällige Leib niemals zur Freude geweckt werden sollte, ich lief hinaus, und trieb den Kondukteur zur Abfahrt. Es ist entsetzlich, du großer Gott der Liebe, Freude und Schönheit, wie sie deine schöne Welt mißhandeln. Früher hatte ich immer gedacht, nur die abgeliebten und abgelebten Weiber seien Nonnen geworden, nur wenn sie keinen Mann bekommen, hätten sie den Herrgott geheurathet. Denn die sogenannte Religion ist bei den meisten Weibern das Surrogat der Liebe, und hinter dem Gott der Liebe – sagt ein geistreicher Schriftsteller – steht immer der liebe Gott. Aber die unerfahrnen Blumen abreißen und zum Verdorren auf den kalten Altar stellen zu sehn, das bewegte mein Herz zur schmerzlichsten Trauer.

Die Religionen sind leider nöthig wie die Kinderkrankheiten, aber die besten Kinder gehen dabei zu Grunde.

Mit den Leuten da drin im Wagen mocht' ich nichts zu schaffen haben, wir gehörten in ganz verschied'ne Kirchspiele, waren aus ganz verschiedenen Jahrhunderten, der Kondukteur neben mir schlief, der 536 rothjäckige steyrische Postillon mit dem kernigen, hohen Körper knallte auf seinem breiten, hohen Pferde, ich wußte nichts Besseres anzufangen, als über die Unsterblichkeit der Seele nachzudenken. Mit diesem Thema beschäftigen wir uns schon seit vielen Jahrtausenden, ach, und »mer weiß halt nix G'wisses!«

Die Leute im Wagen und die meisten Oesterreicher brauchen doch halt einen ganz andern Himmel: für einen Himmel mit diesem Geschlechte würde ich mich gehorsamst bedanken, und nach den gewöhnlichen Vorstellungen ist die Hölle wirklich bei Weitem interessanter. Da ist doch Raffinement zu erwarten. Ich bin immer noch dafür, daß wir nach verschiednen Sternen weiter vorwärts rücken; mit dem eigentlichen Staberl möcht' ich aber doch gern wieder zusammen kommen, das ist ein gar zu netter, pudelnärr'scher Kerl. Ich wollte mir's in Wien zum Geschäft machen, die Kultur des Staberl ein Wenig in unsre Richtung zu bringen, damit man mit einiger Gewißheit auf seine einstige Gesellschaft rechnen könne.

Gegen Abend ging es fortwährend bergauf, wir waren am Fuß des Sömmering, auf dessen Gipfel das eigentliche Erzherzogthum Oesterreich beginnt. Dort steht ein steinerner Obelisk, ein einsames Wirthshaus und dunkles Nadelholz, und von hier fällt der Weg steil ab durch dunkle Thalschlünde in die österreichische Fläche hinunter. Es war dunkler Abend geworden, und einzelne Lichter blinkten hie und da aus den schwarzen Tiefen. Einst sind hier die französischen Kanonen der großen Armee abwärts gedonnert zu den blutigen Schlachten an der Donau. Jetzt war mir's in der schweigsamen Abendruhe, als säßen unten in den verborgenen Schluchten des Sömmering, von wo die schüchternen Lichtlein heraufblitzten, jene künstlichen alten Teutschen, die nach dem Freiheitskriege in Teutschland zum Vorschein kamen, als hörte ich wieder jene mystischen, dunkelkräftigen Vaterlandslieder Follens, Schenkendorfs und Theodor Körners, wie wir sie zu Passendorf bei 537 Halle gesungen hatten, als spräche mich wieder jener bärtige Bruder Studio in Lauchstädt um eine Pfeife Tabak an, als sei wieder jener fabelhaft teutsche Kaiser der Mittelpunkt unsers Lebens. Ich gab ihm damals die Pfeife Tabak unter der Bedingung, daß er meinem Kandidaten, dem Könige von Preußen, seine Stimme ertheile – er winkt mit den Augen, drückt mir die Hand und schweigt und stopft. Ich hatte Teutschland ein schönes Opfer gebracht, und war zufrieden; es war abgemacht, und ich schrieb's meiner Geliebten. Wo war sie hin, jene in Begeisterung gepferchte Jugend? mit welchen andern Gedanken fuhr ich den Sömmering hinunter? und in den Herzen meiner Begleiter war weder von jenen verstorbnen Ideen, noch von den neuen eine Ahnung. Wunderliche Welt! Und ich selbst dachte mir's gespensterhaft, wenn sich da unten in kleinen Hütten die alten Teutschthümler ihre langen Haare mit den Fingern kämmten, die struppigen Bärte streichelten, mit alten Morgensternen das Kaminfeuer schürten, oder im Nibelungenbuche läsen, und zuweilen hinaushorchten in die todte Nacht, ob des alten Odins Geschrei über Teutschland halle, und zum Aufbruch mahne.

Da war es plötzlich, als bewegten sich die Lichter, und wahrlich, sie kommen näher und näher das Thal herauf, es befiel mich eine Angst, als bräche die Völkerwanderung herein – es waren aber brennende Laternen, die langsam den Berg herauffuhren, und auf den offnen kleinen Wagen saßen gefangene Polen mit verwilderten Schnurrbärten, die nach Triest und von da nach Amerika gefahren wurden. Drinnen in unserm Wagen bekreuzigte man sich vor diesen Bösewichtern, die gleichgültig aus ihren kurzen Pfeifen rauchten. Weiter unten auf dem letzten Wagen sangen sie ein altes polnisches Nationallied, was fremd und wunderlich in die Tannenzweige des Sömmering flatterte. Unheimlich blitzten die Bayonette der österreichischen Soldaten, welche neben den Gefangenen saßen.

538 Rasch und unempfindlich rollte der Postwagen vorüber wie ein Jahrhundert neben dem andern. Als ich mitten in der Nacht erwachte, waren wir im flachen Lande, und hinter mir hörte ich den Bäckermeister zum dritten Mal sprechen: »'s regnet holt wieder«.

Zum zweitenmale weckte mich die Morgenfrühe auf der Spinnerin am Kreuz, vor meinem Blicke lag ein glänzender Häusersee, und der Postillon knallte, der Kondukteur sagte mit befriedigendem Lächeln: »Schaun's, Euer Gnoden, dos is Wi-en«.

 


 


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