Heinrich Laube
Reisenovellen - Band 2
Heinrich Laube

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Venedig.

Zur Zeit des Petrarca trugen die Frauenzimmer breite gestickte Spitzenkleider, und wenn's in Avignon Abend wurde, oder es zog eine Regenwolke über des Papstes Haus, da sah man die schönsten Frauen mit jener bekannten schwarzen Kapuze, welche mancher Maler so reizend dargestellt hat. Das Gesichtchen fiel wie ein Lichtstrahl aus der Finsterniß. Es ist damals ein sehr muntres Leben in Avignon gewesen, so lange der Gouverneur des Herrn Christus da gewohnt hat, und man erzählt charmante Abendgeschichten von den jungen Prälaten und den schönen Provençalinnen. Jene Kapuze war eine theologische Erfindung, damit kein Mysterium profanirt würde.

Dieses Treiben der damaligen Zeit ging mir im Kopfe herum, ich sah die jungen Chorherrn mit den langen Gewändern und den gesunden Gesichtern, ich 431 sah die lustigen Provençalinnen mit den liebesliederlichen Augen, ich hörte die jungen provençalischen Lieder, es war gegen Abend, und mitten drunter rauschte Francesco hin, er war ein fashionabler junger Geistlicher, und spielte die Laute mit vieler Geschicklichkeit – ich fuhr wie ein Träumer aus Padua hinaus.

Die Stadt ist weitläufig wie jede akademische Gelehrsamkeit, wir fanden uns mit Mühe hinaus aus der gelehrten Padova. In der letzten Straße erzählte mir erst der Archivarius, was für Leute ich vergessen hatte in Padua. Belzoni, der Student und nachmalige Professor der Pyramiden sei hier geboren worden, Galiläi sei Lektor an der Universität gewesen, Ariost habe hier studirt. Ariosto. Mein Liebling Lodovico! Ich wäre gern ausgestiegen, und hätte mich nach Diesem und Jenem erkundigt, aber der Wagen fuhr zu schnell auf dem alten Pflaster. Das war ein Poet wie ich sie liebe: auf der Straße ein stolzer Mann mit einem stolzen Schwerte, unter Räubern vornehm wie ein Gott, auf dem Rosse ein königlicher Held und daheim ein frischer Schreiber.

Ariosto war aus Reggio gebürtig, und hatte sehr viel Geschwister. Mit diesen führte er frühzeitig Komödien auf, namentlich war »Pyramus und Thisbe« und »der Löwe und der Mondschein« sein 432 Lieblingsstück – er hatte von Jugend auf den Kopf voll toller Geschichten, und alle Straßen von Ferrara, wo er aufwuchs, kannten den kleinen Lodovico. Auch ihn zwang sein Vater, Jurist zu werden; die Juristen waren damals in Italien so Mode, wie heut in Preußen die Referendarien. Und auch heut sind in Preußen die meisten Schriftsteller Referendarien.

Lodovico warf das Corpus juris bald zum Fenster hinaus, und schrieb Komödien und Gedichte, und weil er ein gewandter, feiner Weltmann war, der zu sprechen wußte, so stellte man ihn im Jahre 1503 am Hofe an. Hier hat er viel Novellen erlebt, und der schlanke Lodovico kannte alle Hofdamen, alle Korridore und kleinen Thüren. Man erzählt, daß einmal sein Onkel zu ihm gekommen sei, und ihm die unzweideutigsten Vorwürfe gemacht habe ob seines leichtsinnigen Lebenswandels, Lodovico habe am Tisch gesessen, eifrigst geschrieben, mitunter einmal den Onkel angesehn, dann wieder eifrigst geschrieben, ohne ein Wort zu reden. Der Onkel ist zu Ende, und will gehn, da bittet ihn plötzlich der Neffe, nur noch zwei Minuten fortzuschimpfen, er brauche das gerade zu einer Lustspielscene, und bis jetzt sei's ganz vortrefflich gegangen – »bitte, lieber Onkel, schimpfen Sie noch zwei Minuten lang auf mich!« – Im Jahre 1516 433 trat er eines Morgens zum Herzog Alphons von Este in's Zimmer, und gab ihm seinen gedruckten Orlando Furioso. Der Herr Herzog muß kein feiner Beobachter gewesen sein, denn er fragte ihn naiv: »Meister Ludwig, woher nehmt Ihr nur alle die Possen und Albernheiten?«

Aber Ariost's Landsleute fanden mehr Geschmack an diesen Albernheiten und nannten ihn »den Göttlichen«.

Den Ariosto hält' ich gar zu gern einmal gesehen! Wenn ich aber an die stillen, sonnverbrannten Gegenden Italiens denke, so zieht ein tiefes Mitleid mit dem hypochondrischen Torquato Tasso durch mein Herz, und eine drängende Sehnsucht, mich in solch' eine schweigsame Gegend zu setzen, und einen Roman zu schreiben, Torquato Tasso. Der unglückliche blasse Mann ist ein völliger Romantypus – man hat ein schönes Bild, wo er in einem freien Saale zu St. Onophrio sitzt und mit sterbendem Auge in die dunkle Landschaft hinaussieht. Der Tod zögert nur noch eine Minute über ihm. Das ist ein gemalter Romanschluß, in der offnen Thür sollte nur noch seine geliebte Lenore stehn, die vornehme liebenswürdige Frau.

Petrarca überlass' ich den Philologen. –

Es war ein frischer Nachmittag, als ich mit diesen Gedanken auf der Chaussée gen Venedig 434 fortrollte. Immer deutlicher fühlten wir den feuchten Seewind von der Adria herüber. Italien schien verschwunden zu sein, durch ein ebnes Wiesenland schlängelt sich die Straße, teutsche Bäume stehen am Wege. Man nennt den Weg die Vorstadt von Venedig, links und rechts sind Landhäuser, die schmutzige Brenta, auf welcher die Kähne mit Passagieren und Lebensmitteln nach Venedig hinabgleiten, läuft neben der Straße hin, und in wenigen Stunden sieht man links und rechts die Sümpfe, welche die Nähe jener Inselstadt verkündigen. Durch diese Sümpfe wateten einst fliehend die cisalpinischen Römer, um sich vor den hereindringenden Barbaren zu retten, sie flüchteten auf die Inseln, und gründeten Venedig.

Es war uns wunderlich zu Muthe: die feuchten Wiesen waren ringsum todtenstill, das Laub lag ruhig da wie eine nordteutsche Bruchgegend und binnen wenig Minuten sollten wir das völkerwimmelnde Venedig sehen, jenes Venedig, das wie ein Zauberwort in allen Büchern ruht, wo ein Drittheil aller Romane spielt, die geschrieben worden sind.

»Ecco, Venecia!« rief der Vetturin. Wir sahen hinten am Horizont einen erhabnen Häuserstrich in der Luft schweben – Venedig schwamm auf dem 435 Wasser. Ich hatt' es so oft gehört, daß Venedig mitten im Meere schwimme, ich hatte es so oft abgebildet gesehn, ich hatte mir den Eindruck noch viel großartiger gedacht, als ich ihn jetzt empfand, da wir in Fusine, dem kleinen Strandorte einfuhren. Aber ich konnte mich doch einer wunderbaren Stimmung nicht erwehren: es war gegen Abend, drüben lag die alte, vielbesungene, weißschimmernde Venecia, es kam mir Alles fabelhaft, orientalisch vor. Kleine todtenschwarze Gondeln lagen am Ufer – das waren jene schwarzen Gondeln, welche in allen Romanen herumfahren, auf welchen Othello Nachts unter Desdemona's Fenster gefahren ist, um ihr heiße, afrikanische Lieder in's Ohr zu singen. –

Hier ist der Strand, wo einst die Barbaren und später viele andere Völker thatlos, rathlos standen. Sie wollten Venedig züchtigen, und kamen herangesprengt mit blitzenden Schwertern, und konnten nicht weiter – es ist nur eine kleine Stunde bis hinüber, aber kein Feind hat diese Stunde besiegt. Ohnmächtig drohten sie hier am Strand von Fusine und Mestre, drüben auf den Balkonen standen die schwarzen Nobili, und lachten. Die Lagunen sind zu flach für größere Schiffe, der fette Thonboden gestattet nur den kleinen Gondeln die Ueberfahrt. Napoleons Franzosen haben die Venetianer selbst 436 geholt – kein Feindesfuß hat je mit Schwert und Spieß Venezias Rost betreten. –

– Ich strich mir das Haar von den Schläfen, um genauer zu sehn, aber ich strich ihn nicht hinweg, jenen fabelhaften, orientalischen Flor, der vor meinen Augen lag. Da drüben schwamm es, es existirte wirklich. Wenn solche tolle Dinge kamen, wie die Geschichte von Venedig, da glaubte ich stets in meiner Jugend, die erwachsenen Menschen hätten ein Uebereinkommen getroffen, konsequente Lügen durchzusetzen – warum? wußt' ich selber nicht. Für eine solche konsequente Lüge hielt ich aber namentlich die Geographie, und ich freute mich äußerst auf den Augenblick, wo ich einmal zum Thore hinauswischen und den Königstein, Venedig, das Meer und solche unglaubliche Dinge aufsuchen könnte. Wenn ich sie dann nicht fand, wie ich bestimmt voraussetzte, dann wollt' ich zurückkommen, und vor der Schuljugend eine donnernde katilinarische Rede halten gegen die große trügerische Verschwörung der Erwachsenen. –

Jetzt war ich nun hinausgewischt, und stand beschämt am Meeresstrande: das Meer und Venedig existirten wirklich, und je länger ich hinsah, desto mehr wuchs beides, namentlich lächelte Venezia immer stolzer.

437 Es hat einmal ein Dichter gesagt: »Helden erbaueten Rom, Venezia aber die Götter«, mein Herr Verleger sagte aber ich sollte mich nur nicht zu lange bei Venedig aufhalten, das sei ein abgedroschnes Thema. Ich trieb also zur Einschiffung. Hier auf diesem Strande könnten die Berliner Eckensteher ihre Studien machen: eine Elite von Banditengesichtern liegt hier umher; wenn man nicht die österreichischen Soldaten dazwischen sähe, man glaubte, unter eine Räuberbande gerathen zu sein – ringsum walddichte Backenbärte, kieferbraune Gesichter, Augen mit langen Fingern, räuberisch schnelle, unverständliche Reden.

Wir retteten für einige Münze das Gepäck aus ihren Händen, das Lösegeld ist wohlfeil wegen der Konkurrenz, und setzten uns in solch' eine schwarze Gondel. Diese Kähne sehen aus wie Meeressärge, die Kajüte ist auch mit schwarzem, grobem Tuche bedeckt wie ein teutscher Leichenwagen. Die Republik hat es einst so befohlen, weil man einen verschwenderischen Luxus mit den Gondeln getrieben hat – der Befehl dauert fort, obwohl kein Luxus mehr zu fürchten ist. Von der schwarzen stolzen Tracht der einstigen Venetianer sind die kleinen Gondeln übrig geblieben. Die Kajüten sind höchst elegant und üppig, man fällt weich in schwellende Polster, die feinen Glasfenster können verhüllt 438 werden – diese Kajüten waren und sind die Boudoirs der romantischen Liebesverhältnisse. Wenn die unerreichbare Patrizierin in die Messe will, besteigt sie die Gondel, und die Gondoliere sind die diskretesten, erfahrensten Leute von der Welt, sie repräsentiren in Venedig das unverletzliche Briefgeheimniß. Sie sind die wohlgebildeten Domestiken des alten Adels von Venedig, und spielen auch im Nothfall den cavaliere servante.

Die Fiaker in Wien und die Droschken in Berlin mit ihren nationalen Führern sind nur mangelhafte Kopieen der Venetianer – die Gondel ist ein poetisches Supplement des häuslichen Lebens, die Hauptergänzung der Ehe.

Zu unsrer Ueberraschung fanden wir eine verschleierte Dame in unsrer Kajüte. Es war nichts von ihr herauszubringen, als daß sie aus Padua komme – »Carmagnola« – flüsterten wir, und der Archivarius wollte bemerkt haben, daß sie bei dem Namen zusammengeschrocken sei.

Es waren zwei Personen zu viel in der Kajüte, und ich sah deshalb zum Fenster hinaus. Die Lagunen sind von dieser Seite seicht, und es gehen lombardisch-venetianisch roth und weiß angestrichene Holzsäulen als Wegweiser des Fahrwassers durch die Fläche – – das Ganze gleicht einer regelmäßigen Ueberschwemmung. Die Stadt kam immer 439 näher, es wurde mehr und mehr Abend, die Glocken von San Miguele, der vordersten Insel, begannen ihr Geläut, ihren mittelalterlichen Kirchengesang, das Takelwerk der Schiffe im Hafen leuchtete durch die beginnende Dämmerung, der Kahn schlüpfte weich durch das stille Lagunenwasser, die Häusermasse entwickelte ihre Gesichtszüge, zerfallende Mauern, mit Brettern verschlagene Fenster, lange Stangen mit ärmlicher Wäsche kamen zum Vorschein, die Glocken in der Stadt vereinigten ihre melancholischen, einförmigen Reime mit denen von San Miguele – es war, als führen wir in einen Begräbnißort hinein.

Venetia ist todt. 440

 


 

Ja, Venezia, die stolze, ist todt, ich habe ihre Leiche gesehn. –

Unsre Gondel hielt vor dem alten Palazzo Giustiniani, dem jetzigen Hôtel de l'Europe. Es ist ein stolzes, normales Nobilihaus, in der Mitte mit dem weiten luftigen Saale zur conversazione, und durchweg steinern wie das Herz jedes ächten Nobili. Das war also die erste Grabstätte: allerlei ungebeten Volk stieg aus der Gondel auf die Treppe des alten Palazzo, und sie mußte Jeden gastlich empfangen, das stolze Haus war zu einem Wirthshause gebeugt.

Ich habe später hie und da alte verwitterte Gesichter erblickt, die nicht betteln und nicht sterben können, und wenn ich fragte, so nannte man mir stolze Namen aus dem goldnen Buche. Der Kaiser von Oesterreich zahlt ihnen jetzt für ihre alten Namen täglich zwei Zwanziger, damit sie nicht Hungers sterben.

441 Und einst war jenes goldne Buch das stolzeste Buch in Europa, ja der Name, der darin stand, sah übermüthig auf einen Fürsten herab, noch Heinrich IV. von Frankreich sandte seine schimmernde Rüstung nach Venedig, um seinem Namen einen Platz im goldnen Buche zu erkaufen.

Venezia ist das fürchterlichste memento mori der Aristokratie und aller irdischen Herrlichkeit. –

Die muthmaßliche Carmagnola entschlüpfte uns beim Aussteigen, mein Aug' und Herz war mit der großen Ruine Venedig beschäftigt, der Archivarius sah auch gedankenvoll auf einen Fleck, und der Starost vermißte seine sämmtlichen Habseligkeiten. Das Lärmen mit dem Gondolier führte zu Nichts, er mußte zurück nach Fusine. Es ist bezeichnend, daß außerhalb der Häuser in Venedig fast niemals gestohlen wird. Die Gelegenheit ist bei den engen Gassen, dem Maskenvergnügen auf allen Straßen, während des Winters so groß, daß man von Alters her jeden Straßendieb schonungslos behandelt hat. Und so haben sich die Leute an die Tugend gewöhnt, denn auch diese ist eine Wissenschaft.

– Der Starost fuhr fluchend wieder zurück, der Archivarius wollte sich den Marcus suchen, ich fühlte mich erschöpft und angegriffen, und ließ mich durch die steinernen Säle, über die kalten Treppen nach unsern Zimmern führen. Auch hier noch standen 442 die großen italienischen Betten mitten in der Stube; ich war so matt, daß ich kaum Kraft hatte, mich auf eins derselben zu werfen.

Es war mir, als wollten alle die Eindrücke der Reise plötzlich an die Oberfläche, mein Kopf glühte, meine Nerven bebten, ich sah mich allein in einem großen, öden Zimmer, ein Theil der Fenster führte auf einen schmalen Kanal, es war dunkel draußen, nur der unverständliche Ruf eines Gondoliers, jach herausgestoßen, unterbrach bisweilen die Todtenstille, und ich hörte hinterdrein das Wasser der Lagunen plätschern. Ich war selbst das todtkranke Venedig. Ruhesüchtig schloß ich die Augen, umsonst, die ganze Weltgeschichte galoppirte mit schweren Hufen über meinen stöhnenden Leib. Just als wär ich Venezia – auch ihrer erbarmte sich das Meer nicht, auch Venedig ward nicht verschüttet, als seine Seele gebrochen ward, sein gemarterter Leib liegt noch heut aller Welt zur Schau. Die bezwungenen Lagunen werden immer dreister mit ihrem Schlamme, langsam, prosaisch versanden sie die Meereskönigin, und die jetzt noch stolze Bettlerin wird einst zu einer Fischerruine herabgesunken sein.

All' die Gesichter meiner Reisen, die nordische Jerta und Jenny, die goldne Jugendliebe aus der Sakristei, die blonde Schöne mit dem blauseidnen Halstüchlein von der Schule, die schöne ach, die 443 schöne Maria und noch einmal Jenny hüpften über meine Augen und spotteten meines armen Herzens, das kein Glück, kein überwältigendes Glück finden könnte, das an kleinen Gaben verschmachtete. »Das ist Eure klägliche Herrlichkeit, Ihr modernen Söhne des Lord Byron – flüsterte es aus allen Winkeln des weiten, todten Gemaches – so schnauft Ihr von einer halben Freude zur andern, Eure Wünsche sind unbändig, Euer Herz ist unstät, nach dem Glück jagt Ihr in der Welt umher, und in Venedig brechen Eure Herzen, wie das Eures Vaters, nach dem Himmel greift Ihr, und verliert die Erde.«

Das Fieber lief heiß und kalt über mich hin. O schöne, neugebärdige Zeit, wir schaffen dich mit unserm besten Blute, unsre allen Leiber vermögen den Reichthum noch nicht zu ertragen, der aus unsern neuen Seelen blüht, wir besiegeln die neue, lebensübermüthige Romantik mit unsern Qualen und unserm frühen Tode, aber einst wird das Glück gefunden werden, das wir suchen, das Glück, was die Philister in ihren Höhlen verbergen. Es existirt, und nur die Menschen sind feig.

Es war ganz finster geworden, eine Gondel rauschte unten vorbei – Lord Byron kam aus seinem Palazzo im großen Kanale herüber, er trat in mein Zimmer, setzte sich an mein Bett, legte die schöne kühle Hand auf meine Stirn. O du schönes, 444 geängstigtes Gesicht aus Alt-England, wie wohl thaten mir deine unglücklichen, unsterblichen Augen. –

Tief in der Nacht war's, als ich den blonden Archivarius neben mir sah, und seine Erzählungen hörte vom wunderschönen Marcusplatze und den wunderschönen Mädchen unter den Procuratien.

Ich seufzte tief, und fragte nach dem Starosten. Er war noch immer nicht zurück, und draußen erhebe sich ein Gewitter.

O, Venezia, du alte Schöne, was für Verwirrniß brachtest du über uns.

Am andern Tage mocht es wieder gegen Abend sein, auf dem nächsten Dache lag eine rothe Sonne, es war wieder todtenstill in meinem Gemach, als ich von Neuem aus meinem Fieber erwachte. So sollt' ich denn nichts sehen von dieser weltberühmten Stadt, als einen schmutzigen Canal, und hohe schwarz-rothe Häuser, es erwachte eine unnennbare Sehnsucht in mir nach dem Marcus und den Procuratien. Das leere italienische Zimmer mit den altmodischen schlechten Möbeln stierte mich wie ein Kerker an. Die Italiener leben meist auf der Straße und die Zimmer sind ihnen nur Absteigequartiere.

Da begann eine dröhnende Glocke ihr eintöniges Gesumm – das war die Vesperglocke von San Marco. Die Glocken sind die richtigste Erfindung des Christenthums, lebensfeindliche, erdenhassende, 445 todeslechzende Instrumente – ich habe sie von Jugend auf gehaßt. Ihr Gesumm ist die persönliche Christenthums-Melancholie. So hat dieser Marcus geheult, als man auf den kalten Steinen der Riesentreppe Marino Falieri den Kopf abschlug, als die Gondel Brabantios den erdrosselten schönen Leib Desdemonas hinaustrug auf die Begräbnißinsel.

Schwarz trat der Gedanke in meine Seele. Du mußt vielleicht auch sterben unter diesem Gewimmer des alten Marcus; denn das Fieber knisterte in meinem Gebein. – Du mußt sterben, und hast Spanien nicht gesehn, nicht den San Marco, nicht den größten Dichter unsrer jungen, heidnischen Romantik. –

Alle die alten grauen Geschichten vom Dogenpallaste, von der Seufzerbrücke, den blutigen Säulen, den Bleidächern, dem unterirdischen Gefängnisse gingen in nächtlichen Mänteln an mir vorüber. – So soll einst eine schöne, überaus schöne Königin von Cypern nach Venedig gekommen sein. Sie hat zwei Augenbrauen gehabt von unvergleichlicher Schönheit und darunter zwei blauschwarze, liebesvergeistete Augen, und Lippen fein wie Blumenblätter. Auf Cypern hatte sie einen Vertrag geschlossen mit den Venetianern, der ihr viele und große Rechte garantirte, und jetzt trat sie auf die Piazetta, um die stolze Meereskönigin Venetia zu sehen, von welcher 446 die Schiffer aller levantischen Gewässer die wunderbarsten Dinge erzählten. –

Diese überaus schöne Königin soll hineingetreten sein in den Dogenpallast, und kein menschliches Auge soll sie wieder gesehen haben. Wenn der Wind nordöstlich hinabweht nach der Levante, da wollen arme Leute in der Nähe des Dogenhauses griechische Seufzer gehört haben – aber, du lieber Gott, was sind das für Seufzer, griechische Seufzer, und was helfen die Seufzer, nicht wahr Italia austriaca!? –

Die Todten der venetianischen Republik waren auch nicht so übel dran, sie fanden ein schönes, reinliches Grab. Die steinernen Herren der Prokuratien waren nur blutig, nicht schmutzig: es waren zwei nächtliche Gondoliere angestellt, welche um Mitternacht hinabstiegen in die unterirdischen Gefängnisse, in die kleinen, steinernen Höhlen, die sogenannten Pozzi, die venetianischen Brunnen. Die Gefangenen in diesen Pozzi litten nie an Langeweile: entweder es kam das Meer und besuchte sie, und ersäufte sie vielleicht, oder es kamen gewiß die mitternächtlichen Gondoliere, und luden den Unglücklichen ein, hinaus zu kommen auf den schmalen Gang, und sich zu erholen auf einer kleinen Bank. Sie liebkosten ihn, und legten ihm bei dieser Gelegenheit einen Strick um den Hals, der Strick ging 447 durch zwei Löcher der Thür, die Thür fiel unversehens zu, sie drehten am Knebel als wollten sie den Irrthum wieder gut machen, und so ward der Mann wenigstens mit aller Schnelligkeit erdrosselt, was doch immer besser ist, als wenn man Jemand ein halbes Leben lang todt ängstigt durch Kerker und Drohung, wie's in gebildeten Staaten geschieht.

Darauf nahmen die Gondoliere den warmen Leichnam, legten ihn sogleich in ihren Kahn, rückten ihm das Antlitz aus dem Schein des Mondes, damit der seinen Schlaf nicht störe, und fuhren ihn leise unter der Seufzerbrücke hinweg, durch den Hafen, hinaus in's Meer, und sangen dabei die zärtlichsten, italienischen Kanzonen, wie sie dem poetischen italienischen Volke geläufig sind. Draußen an den Murazzis, wo das hohe Meer seine langsamen hohen Wogen zu werfen beginnt, warfen sie den kalt gewordnen Todten aus dem Kahne in's schönste Grab der Welt, und fuhren singend heim, und stiegen zu ihren Weibern in die hohen Betten.

Von jener überaus schönen Königin von Cypern und den tausend, tausend nächtlichen Besuchen weiß noch heute Niemand die Namen – am Meere verschwinden viele Menschen plötzlich, das Meer wird oft aufgeregt vom drängenden Verlangen nach Menschenleibern, denn das Meer ist eine ewige griechische Königin, ein Weib mit grünen Locken. Es 448 fehlten oft Männer in Venedig, und es fragte Niemand, nur die nächsten Verwandten sagten einander: sie werden wohl im Meere sein, ihre Herzen waren zu heiß.

Das ist republikanisch-venetianische Poesie.

In meinem großen Zimmer war es wieder ganz finster geworden. 449

 


 


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