Heinrich Laube
Reisenovellen - Band 2
Heinrich Laube

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Der Brenner.

Ich hatte mir nun so sicher eingebildet, in Innsbruck, in diesem sonnigen Tyroler Thale wohne das Glück. Ach es war wieder nichts. Ich glaube, das Glück ist bloß ein Gedanke. Und weiter, wieder weiter ging's; die Tyroler sind gut, brav, lieb, und ihre Treuherzigkeit ist keine Koketterie, und ist auch in der Fremde nicht affectirt, wie ich immer geglaubt hatte, aber langweilig sind sie sehr. Man müßte geradzu ein Handwerk erlernen, wenn man lange in Innsbruck bleiben wollte.

Ich ging recht traurig hinaus zum südlichen Thore auf den Isel zu, und nahm recht traurig Abschied von meinem lieben langweiligen Innsbruck. Es war mir, als ich mich wendete, und noch einmal über die sonnenhelle Stadt sah – die Thurmknöpfe funkelten, die Bergwände rauchten – als sähe ich zum letzten Male über das glatte, blühende Antlitz 156 einer einfachen Dirne, die ich oftmals geküßt, die ich zu lieben geglaubt hatte, bis ich erfuhr, daß sie nicht lesen und schreiben konnte und langweilig war. Ade Innsbruck, du hübsches beschränktes Innsbruck.

Auf dem Isel, einem sanft sich nach dem Süden lehnenden Berge, setzte ich mich –, und träumte noch einmal die Tyroler Schlacht, sah nach Schloß Ambras hinüber, wo Wallenstein Page gewesen, und einst hoch vom Fenster hinabgefallen ist. Wer ein großer Mann werden soll, bricht in der Jugend nicht den Hals.

Immer bergauf, bergauf ging es jetzt, über den Schömberg nach dem Brenner – wie ferne Gedanken lagen bald Teutschland und Tyrol unter uns – ich hatte einmal in meiner Jugend einen Gedanken, aber ich weiß ihn nicht mehr. Juchhe! drüben hinter dem Berge kommen ganz neue Menschen, die verstehen kein Wort teutsch, und ihre Väter waren die alten Römer, und rings um sie findet man lauter Naturmerkwürdigkeiten, z. B. Cypressen, Pommeranzen. die im Freien wachsen, einen Papst und ganz rothe Kardinäle, höllenschwarze Weiberaugen und Kirchen von allen Sorten. Juchhe! hinter jenem Berge, dem fatal hohen Brenner steckt Italien – juchhe! – –

Ich schämte mich über den Spektakel, den ich da oben auf dem stillen Berge machte. Es war 157 Alles todtenruhig um mich her. Hier gähnte eine schwarze Schlucht, der kein Auge auf den Grund sah, dort hob sich eine magre kleine Hochebene, und der fromme Wahn hatte ein Kirchlein drauf gebaut, das stand einsam und verlassen wie eine abgestorbne Religion. Vielleicht hatte Hofer einmal dort gebetet, wenn die Sonne unterging da in der Tiefe über dem Innthale.

Auf solchen hohen, schweigsamen Bergen lernt man beten, da ist man dem Herrgott wirklich näher, und hofft, er werde ein Paar Worte hören, die man spricht. Ich hab's von Jugend auf für ein unbilliges Verlangen gehalten, daß er sich in all die kleinen, niedrigen Kammern begeben soll, um all die verworrenen Wünsche anzuhören, namentlich, da so viel Leute im Winter unter die Bettdecke kriechen, und ihm dort ihren Jammer vormurmeln.

Auf solch einem hohen stillen Berge, da spürt man's, daß die Naturkräfte ganz in der Nähe sind, und immer attent, denn jede Versäumniß ist hier lebensgefährlich. Wenn solch ein Berg einmal unbedachtsam einschläft, und im Schlafe Schwalben schießt mit dem Kopfe, und gelegentlich das Uebergewicht verliert, so fällt er bis über Innsbruck nach Teutschland hinunter, schlägt sich und andern Leuten Arm und Beine entzwei, macht nichts als Unglück, und die ganze Weltgeschichte wird aufgehalten.

158 Auf der Reise bin ich nämlich immer der Meinung, die Erde mache eben so ihren Vervollkommnungs-Kursus wie die Menschen durch die Jahrhunderte. Wenn sie einst ganz kultivirt sein wird bis auf die Spitzen des Himmalaya und der Anden, dann ist ihre Lehrzeit überstanden, und sie kommt auch in den Himmel. Dort giebt ihr der Herrgott eine eigne, sehr schöne Wohnung, da hören die Naturgesetze auf, es muß nicht regnen, wenn Wolken kommen, es muß nicht kalt werden, wenn die Winterzeit da ist, sie kann machen, was sie will, sie kann faullenzen, lauter Borsdorfer Aepfel wachsen lassen – kurz, sie kann ein Schlaraffenleben führen. Und da besuchen wir sie manchmal, und sie erzählt uns lauter Geschichten, die hier Niemand gesehn hat als sie, nicht einmal die Sonne. Da werden wir einmal Neuigkeiten hören, und Novellen schreiben können! Darum behandle ich aber auch immer den Erdboden mit vielem Respekt, denn er hat ein Gedächtniß wie wir.

Auf der äußersten Höhe des Berges, welche die Straße erreicht, ist noch eine einsame Poststation. Dort aß ich ein Stück Brot und trank ein Glas Wasser; das war meine letzte teutsche Handlung. Es wurde dunkel, ich setzte mich in den Wagen, und machte die Augen zu. Abe Teutschland! Es ging bergab nach dem Süden, den Weg hinunter, 159 welchen die Teutonen und Ambronen damals gemacht haben sollen. Ich kann das indeß nicht verbürgen, es ist nur eine dunkle Erinnerung von der klösterlichen Schulzeit, in welcher ich immer jämmerlich hungerte. Die Teutonen und Ambronen trugen Wildschuren von Bären- und Wolfsfellen; das ist die beste Erfindung, welche sie gemacht haben. – – – So ging das immer weiter in meinem Kopfe, bis ich plötzlich erwachte, und inne ward, daß ich recht gut geschlafen hatte. Wie lange das geschehen war und was ich verschlafen hatte, war nicht zu ermitteln. Der Wagen hielt, ich stieg aus, es war sehr dunkel, die Pferde wurden gewechselt, kein Mensch sprach, ein sanfter liebenswürdiger Regen träufelte vom Himmel, die Luft war warm wie Mädchenathem, vom Berge sah ich nichts, als zweifelhafte groteske Umrisse – es war sehr wunderlich, aber sehr hübsch.

Das war in der Nacht auf dem Brenner – als der Wagen mit mir weiter rollte, da brach all die schlesische Sehnsucht auf in meinem Herzen, welche seit Breslau still gelegen hatte, jene süße spanische Sehnsucht nach den weißen Armen der maurischen Mädchen und ihren eindringlichen, durchbrennenden schwarzen Augen, die aus Arabien stammen. Ich freute mich herzinnig, daß es schon bergab ginge von den Pyrenäen, hinein in das dunkelbesonnte Land, »und wenn die Morgensonne kommt,« sagte ich sehr 160 vergnügt zu meiner Nachbarin, »da fahren wir durch's Thal von Ronceval, wo der Roland gefallen ist, und da singen wir Romanzen von Rolands Horn, von der getreuen Olifante. Kennen Sie die Geschichte von der Olifante?«

Das Mädchen, ein niedlich Bürgerkind aus Botzen, die bei der Muhme in Schwatz gewesen war, das gute Kind mit dem milchrothen Gesichte verstand gewiß nur meinen spanischen Händedruck, womit ich ihr die Halbinsel demonstrirte; sie war schläfrig, und lispelte. »Nein, die Olifante kenne sie nicht; ich möchte es nicht übel nehmen.«

Nun sehen Sie, meine Liebe, hub ich an, selbiger Roland war von Jugend auf ein Wunderkind, und die Olifante war ein schönes Horn, womit er seine Krieger zusammenblies, denn er war ein gefährlicher Kriegsheld, der Roland. Als er nun auch einmal in den spanischen Krieg zog, da ward er im Thale Ronceval von den Feinden eingesperrt und überfallen, und da ging es ihm sehr schlecht, die besten seiner Leute wurden todtgeschlagen. Als dies Roland sah, hielt er einen Augenblick inne mit seinem Schwert, und stieß in sein Horn Olifante, daß der Ton weithin schallte durch die Pyrenäen, um die Seinigen zusammenzurufen.

Zu derselbigen Zeit, es war nämlich um die heiße Mittagsstunde, wo Roland so in Noth war, saß der 161 Kaiser Karl in seinem kühlen Saale zu Aachen, wohl an viele hundert Meilen weit vom Thale Ronceval mit seinen Rittern bei der Tafel, und trank Rheinwein und war guter Dinge. Und sehen Sie, als Roland in der Mittagshitze bei Ronceval in sein Horn stößt, da fährt Kaiser Karl zu Aachen in die Höhe, fragt, was ist das? und wird sehr ernsthaft – denn Karl und Roland, der alte und der junge Held liebten einander sehr. Die Ritter aber sagen, es sei nichts gewesen, und er setzt sich langsam wieder hin.

Unterdeß wird's zu Ronceval immer heißer, Rolands Schwert wird immer kürzer, sein Häuflein immer kleiner, und blut- und schweißtriefend bläs't er zum zweiten Male einen tiefen sehnsüchtigen Ton in seine Olifante. Da springt klirrend zum zweiten Male Kaiser Karl zu Aachen in der kühlen Halle auf, er sieht ängstlich dem Tone nach, wie er an den hohen Bogen des Saals und den bunten Fenstern hinläuft, und ruft viel stärker, als das erstemal: Ihr Freunde, was war das?

Die Freunde aber sehen lächelnd einander an, und ihre großen Humpen und des Kaisers größten, und sagen: Herr Kaiser Karl, es war nichts.

Kaum hat sich der Kaiser aber wieder niedergelassen, da fällt der starke Roland im Thale Ronceval 162 unter den letzten Streichen, und sterbend haucht er den letzten Athem in seine Olifante, und die Fenster zittern in der Halle zu Aachen, es springt Kaiser Karl in die Höhe, und ruft mit entsetzlicher Stimme:

Um Gott, das ist des Rolands Ton,
Mein Roland ruft in Spanien. – –

Und der Kaiser und all' die Ritter zogen die langen Schwerter und riefen nach den Pferden; es war aber zu spät. – – –

– Als ich erwachte, lag das liebe Mädchen aus Botzen, die in Schwatz bei der Muhme gewesen war, mit dem geneigten Köpfchen an meiner Brust, und schlief sanft mit ihren glühenden rothen Wangen. Meine Hand ruhte fest in der ihrigen, und die ihrige zuckte manchmal leise; wer weiß von welchem Roland sie träumte.

Der Weg ging durch breite Schluchten, unten aus Italien kam grau wallend der Morgen herauf, ich sah das Thal von Ronceval vor mir, sogar die alten Befestigungen Karls des Großen auf beiden Seiten des Passes waren noch sichtbar. Es ist doch schön, daß du nach Spanien fährst – dachte ich – Das Land ist noch so frisch, unberührt, eine blanke, jungfräuliche Reisejungfrau, nicht jeder alte Professor hat daran herum getastet, wie bei Italien, und seine Noten geschrieben, und seine widrigen 163 Liebkosungen genäselt. O Hispania, ich liebe dich, wie das nie gesehne Bild jener Geliebten, welche ich noch nicht gefunden habe, bei deren Anblick meine Seele schmelzen wird in Glückseligkeit, die ich todt küssen werde, wenn ich sie finde, die mich lieben muß, weil ich sie überwältige durch Liebe. Wenn ich sie nicht finde, dann werde ich ein großer Dichter; hoffentlich aber werd' ich glücklich, und dabei werd' ich mich besser befinden. Auch wenn ich ein Maler wäre, ich könnte das Bild nicht malen, denn es liegt verschleiert in meiner Seele, und in den besten Stunden seh ich seine Augen, und dann möcht' ich weinen vor Entzücken.

O, Hispania, zu Fuße werd' ich dich durchwandern und sehr glücklich sein. – –

Ach, es war Brixen und nicht Ronceval, was vor uns lag, und ich hatte gefaselt. Man ist recht undankbar: wenn sich die Arme einer schönen Witwe öffnen, bedauert man, daß es nicht die Arme einer Jungfrau sind. Wie mancher meiner Schulkameraden hätte vor Entzücken den Horaz deklamirt, den rhetorischen Gourmand, den die Professoren immer einen Dichter nennen, wie mancher wäre auf einem Beine herumgesprungen, wenn sein Wagen so hinabgerollt wäre in die alte Lombardei.

Ich schlug mir Hispanien aus dem Sinn, und 164 freute mich auch, meine Schläferin erwachte, und schämte sich trotz meiner Versicherung, daß das nicht nöthig sei. Ein Officier aus Mailand erklärte mir die Befestigungen des Passes. Sie rühren nicht von Karl dem Großen her, dem teutschen Kaiser, sondern von Franz dem ersten, dem Kaiser von Oesterreich. Man baut ein »Zwing-Tyrol,« und sperrt den Zugang zum Süden und den Ausgang zum Süden, und die blau und rothen Franzosen sollen nicht wieder hinauf tanzen. Die abschüssige Schlucht ist hier ganz eng, und es sieht aus, als könnte man hinunter schießen bis nach Rom und Neapel.

Von Brixen beginnen die Weinreben; sie laufen an den Bergen hin, und Welsch-Tyrol fällt immer tiefer und tiefer nach der Fläche, die Sonne wird immer geschäftiger, die Wangen der Tyroler werden dunkler, die Augen brauner. Hier saß ich mit dem Starost eine halbe Stunde in einem kleinen Häuschen am Wege. Es war ein andächtiger Vormittag, die Sonne blinzelte warm durch die dichten Reben, welche den Balkon dicht umsponnen hielten. Draußen tanzten sie auf dem raschen grünen Flusse, und den Felswänden, die immer niedriger wurden. Es war fein still draußen, wir tranken harmlosen Tyroler Wein, und aßen weißes Brot, ein Tyroler setzte sich neben uns, sah uns lange schweigend an, und sagte dann langsam, er sei arm, wir hätten 165 mehr, und möchten ihm was abgeben. Das thaten wir, und es war gut. Es blieb fein still ringsum, wie heimliche Erwartung, Ahnung des Südens.

Ich sah den Starost an, und nahm seine Augen mit mir rings umher und sagte: Es ist hübsch. Und er nickte mit dem Kopfe. 166

 


 


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