Heinrich Laube
Reisenovellen - Band 2
Heinrich Laube

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Salzburg.

Diese Stadt steht in dem Rufe exorbitanter Schönheit, und verdient ihn nicht. Als wir aufwachten regnete es so innig und gemüthlich, wie das nur in einem kurzen, gottvergessnen nordteutschen Städtchen passiren kann. Es giebt Städte und Zeiten, in denen ich es sehr gern mag, wenn ein ununterbrochner Regen »eins, zwei, drei, vier, eins, zwei, drei, vier« an die Fenster schlägt, manche Städte gewinnen dabei an düsterem Interesse, zum Beispiel das trocken lutherische Wittenberg, was eigentlich bei Sonnenschein gar nicht existiren sollte. Aber für Salzburg schickte sich das gar nicht, das war ohnedies schon römisch katholisch genug, schwermüthig und düster. – Der Starost, der Archivarius des Königs und ich bewohnten zusammen ein Salzburgisches Zimmer, in welchem drei himmelhohe Betten, vier große Tische und einige kleinere, ein Dutzend altfränkische Stühle und viel sonstige 80 Meubles aus der Zeit des 30jährigen Krieges standen. Es schickte sich nicht, in diesem Zimmer zu lachen, oder philosophische Gespräche zu führen. Wir hatten einen sehr richtigen Takt, und erzählten einander Vormittags Gespenstergeschichten und katholische Legenden.

Wir wohnten dicht an der Brücke, und die umstehenden hohen Häuser ließen uns eine Spalte offen, um über die vom Regen gepeitschte Salza nach einem der bewehrten Berge zu sehn. Der Archivarius erzählte lauter traurige Dinge vom Herrn Abälard, und seinem unnatürlichen, priesterlichen Unglück, und beschrieb die schöne Heloise, und sagte, sie hätte glänzend schwarzes Haar, und Augen so dunkelblau wie Kornblumen gehabt, ihre Hand sei aber weich und warm und schneeweiß gewesen, und diese schneeweiße Hand hätte eben den Abälard so unglücklich gemacht.

Ich lehnte mit der Stirn an der Fensterscheibe, und sah durch die Spalte nach der Festung hinüber, auf dem dunklen Hintergrunde spielte der geschäftige Regen, und aus den spielenden Tropfen sah mich das bleiche, verkümmerte Gesicht Abälard's an, das einst so schön gewesen sein mußte, seine blassen Lippen öffneten, seine gebrochenen großen braunen Augen schlossen sich, und der Regenwind peitschte seine Worte an die Fenster, welche der Archivarius hinter mir wiederholte: »O, die Salzburgischen Pfaffen!«

81 Nachmittags kam die Sonne einer wärmenden Aufklärung, und wir fuhren aus. Aber die protestantische Aufklärung führte viel unerquickliche Kälte mit sich: schon auf der Brücke überraschte uns ein Prasseln des eiskalten Schlossenwetters voll fataler Vernunft. Aber der Kampf sah schön aus. Wie eine schwarze fliegende Nacht stürzte sich links die Wolke kopfüber in die Salza; und umfing mit den dunkeln kalten Armen einen Theil der Stadt und der Berge, und auf der andern Seite lachte die Sonne auf den weißen italienischen Häusern. Ueber die Burg und die steinigen Berge zuckte ein stolzes Lächeln ob dem Wüthen der Wetter. –

Salzburg liegt an beiden Ufern der Salza an den Bergen in die Höhe. Die Berge selbst stürzen sich in und um die Stadt unordentlich durch die Augen, verrennen sich den Weg und die Aussicht. Es ist vollkommen originell in dieser Unordnung, aber nur aufregend, nirgends wohlthuend, das Auge wird gehetzt, man kommt in ein fremdes Theater, ist noch vom Lampenlicht geblendet, hört Worte, aber keine Rede, sieht Figuren aber keine Charaktere. Der Blick findet manche Schönheiten, keine Harmonie. Die Berge liegen rings um die Stadt, als ob der Herrgott mit einem Sack voll Gebirgen über die Gegend geflogen sei und einzelne Bergstücke hätte fallen lassen. In all' ihrer Lage ist kein nothwendiger 82 Zusammenhang, sie erheben sich nicht allmählig aus der Erde, sondern stehen auf plattem horizontalen Boden, als könnte man sie wegschieben.

Wir fuhren zwischen den Bergen herum und waren ganz verwirrt. Am Untersberge ließ der Führer still halten und erzählte eine lange Geschichte. In diesem Berge sitze der Kaiser Karl, den man auch Barbarossa nenne, und lasse seinen Bart wachsen, und sammle fünf mal hundert tausend Mann. Wenn aber sein rother Bart fünf Mal um die Tafel reichen werde, an welcher er mit seinen Paladinen zecht und täglich zehn Flaschen Johannisberger trinkt, dann komme er heraus und nach Teutschland. Im Jahre 1830 sei großer Spektakel gewesen, und die Salzburger hätten gefürchtet, der rothbärtige Kaiser werde mit seinen fünf mal hundert tausend Mann zum Vorschein kommen, und das österreichische Militair hätte alle Tage scharfe Patronen gehabt, denn der alte teutsche Kaiser sei ein Demagoge und Jakobiner. Aber der gnädige Herr Barbarossa hätte wohl nur große Revue abgehalten, denn es sei später wieder ganz still geworden. Uebrigens wäre es ein sehr schlimmer Berg, den die Regierung nicht genug im Auge haben könne, ein Bäcker, ein Fleischer und ein Weinhändler seien hintereinander darin verschwunden. Ueberhaupt müsse der Herr Kaiser im Untersberge dergleichen Geschäftsleute brauchen, denn namentlich 83 seit Salzburg wieder an Oesterreich gekommen sei, und Handel und Wandel dadurch sehr gelitten hätten, da wäre es mit dem Untersberge gar nicht mehr auszuhalten, seit der Zeit fehlte es ihm gar zu sehr an Geschäftsleuten, und wenn diese Leute immer so verschwänden, so litten doch die Zahlungen, und durch die Zahlungen die Mitbürger.

Merkwürdig genug führt wirklich die Chronik das Jahr 1830 an, in welchem der Kaiser mit seiner großen Armee herauskommen werde. Der Archivarius meinte, der Ausgang sei eng, der Kaiser könne nur langsam seine Kräfte entwickeln, man könne nicht wissen – – darauf erwiderte der Führer, das Gouvernement wisse Alles.

Der Berg selbst sieht muskulös und starknervig aus. Neben ihm ist der Stauffen hingestülpt wie eine phrygische Mütze, ein Rest der großen jakobinischen Erdrevolution, die man ringsum hier so deutlich sieht. Die andern Berge sind Harnische und sonstige Waffen, und wie eine glänzende Riesenrüstung sieht der 10,000 Fuß hohe Watzmann mit seinem schneeweißen Haupte über die niedrigen hinweg nach Salzburg herab. Die ganze Gegend ist ein Bergwirthshaus. Die Feste zu Salzburg ist der Wirth. Die tiefe Nachmittagssonne legte sich eben golden über sie hin.

Vorübergehende sagten uns, oben bei Hallein sei 84 eben ein Berg in's Thal gestürzt. Das durften wir nicht versäumen, die stummen Berge handeln so selten, vielleicht war's ein Vorposten von Barbarossa's Heer. Wir fuhren hin, und fanden wirklich ein kleines Erdschlachtfeld. Die Straße nach Hallein war von einem auseinandergefallenen Berge gesperrt, wie verarmte einzelne Personen und Familien steckten hier und da ein Baum, ein umgestülptes Haus Hand und Arm aus dem Erdschutte. Der Sturz war ohne romantischen Eklat langsam und nach vielem vorhergehenden Geseufze und Gestöhne und Auflösung verkündendem Bröckeln eingetreten. So war kein Mensch verunglückt, aber die armen Leute, welche jetzt bei hereinbrechendem Abend erst merkten, daß sie keine Schlafstelle mehr hätten, sahen recht traurig aus, wie sie mit verstörten Gesichtern die Erde anstarrten. Der Eine hatte eine Axt, die Zweite einen Topf, die Dritte ein Spinnrad gerettet, und sie trieften vom Regen, denn sie hatten schon ein Paar Stunden da gestanden, und warteten, bis die Häuser wieder aufstehen würden.

Dergleichen kann oft in diesen Gegenden vorfallen, denn der Typus der Bergformationen ist steil und senkrecht, und an diese Urknochen hat sich das weiche Fleisch der späteren Erdschichten gelegt. Bei einem regnerischen Sommer lös't sich leicht solch' eine Schicht von der kompakten Bergmasse.

85 Durch die stillen Dörfer, in denen hohe Mastbäume in Menge aufgerichtet standen, fuhren wir zurück. An den hohen, glattgeschälten Bäumen flatterten bunte Bänder, und die Buben und Burschen klettern daran des Sonntags in die Höhe, und die Mädchen klatschen bei dem in die Hände, der am höchsten klettert. Jetzt lag das Abendroth auf der Feste Salzburg, und sie sah jetzt umgewandelt, stolz und prächtig wie ein Sieger aus, und schlug sich den rothen Himmel wie den Purpur um die Schultern, und sah höhnend auf das kleine Geschlecht mit seinen kleinen Sorgen herunter, das sich abquält in Schweiß und Angst mit den Fragen: Was werden wir essen, was werden wir trinken, womit werden wir uns kleiden?

Als der letzte Sonnenstrahl auf der glänzenden Festung zuckte, da las ich auf ihrem stolzen Antlitze, was sie dachte über das Menschenpack tief unten: Ihr habt keinen Geist, Ihr braucht keine Freiheit, die Nacht will ich über Euch werfen.

Und die Nacht flog herunter, und wir kamen im Finstern durch die bergige Stadt bis an unsern Gasthof, ließen uns Thee kochen, und tranken ihn aus blaugemalten kleinen Tassen, und sprachen über Dies und Jenes. 86

 


 


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