Heinrich Laube
Reisenovellen - Band 2
Heinrich Laube

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Bardolini.

Wir ließen uns von der Morgensonne bescheinen, und dachten nichts und wollten nichts – Alles ringsum war Gold, und gesund waren wir auch, und es war mir, als ginge es direkt nach Rom.

Wir landeten am kleinen steinernen Molo von Bardolini, und fochten mit der italienischen Gefälligkeit um unser Gepäck. Es war ein fauler papistischer Sonntag, das ganze Städtchen war in Putz, und der Wirth des kleinen, ganz kleinen Kaffeehäuschens, bei dem wir eintraten, um zu frühstücken, sah aus wie ein alter Römer an einem Feste des Jupiter. Er trug ein Paar ungewiß gelbe Nankinghosen, die er unzweifelhaft Tags vorher eigenhändig im See gewaschen hatte, und jetzt an der Morgensonne trocknen ließ. Sie waren noch viel länger als seine sehr langen Beine. Ich hielt den Mann für einen Nachkommen der Fabier: mit demselben altrömischen 295 Ernste, wie jene zu dreihundert in den Todeskampf zogen, schritt er hinter seinen kleinen Ladentisch und bereitete eine Tasse Kaffee. Ein ächt römischer Kaffeewirth, der nach Rom gehörte – er behandelte sein Geschäft mit derselben Feierlichkeit wie ein Prälat in St. Peter das seine. Sein blauer Frack war von einem würdigen, klassischen Alter, man bewunderte die Defekte der Aermel, wenn man in das feierliche Gesicht des Mannes blickte. Seine Nase war schöner und größer als die Vespasians, und die moderne Bildung war nicht spurlos an ihr vorübergegangen, der Schnupftabak war darin zu Hause. Er kochte immer nur für eine Tasse, und seine gläsernen Augen sahen stier hinein in die kleine Flamme, er holte immer nur ein Polentabrötchen vom Nachbar, und jede neue Bestellung einer Tasse und eines Brötchens nahm er mit solchem Geräusch und solcher Wichtigkeit auf, und er lief so weit hin und her, daß Bardolini, was sich mit Jugend und Alter vor seinem Hause versammelte, glauben mußte, es sei eine Karavane bei ihm eingekehrt. Das ist italienische Geschicklichkeit, aus Kleinigkeiten historische Fakta zu machen.

Anfänglich war es mir überraschend, bald aber doch sehr lächerlich, diese Heldenfigur Kaffee kochen, und wie einen kleinen Marqueur »subito - subito, Signore« schreien zu hören, wenn eine Kleinigkeit verlangt wurde. Das geht aber in Italien nicht 296 anders: der Himmel ist noch jener alte lateinische, die Männer wachsen noch lang und groß, aber sie erfechten keine Siege mehr, sondern sie kochen Kaffee. –

Wir ließen uns einen Kutscher rufen, und es begann wieder eine römische Scene, wobei das sonntägliche Bardolini, was sich um uns herum gruppirte, seine Rolle getreulich mit spielte. Der Kutscher war ein schöner Römerkopf mit teutschen Augen und germanischem Haare. Es war eine Freude, ihn anzusehn, wenn er das hohe Fuhrlohn, was er bis Verona verlangt hatte mit Wort und Geberde, mit Zorn und Lachen vertheidigte. Er that das mit solcher Wichtigkeit, und sprach mit einer Energie, wie der junge Scipio mit Carthagern unterhandelt hat. Ich betrachtete mir den jungen Mann mit vielem Vergnügen, und konnte den Gedanken nicht los werden, was er für Glück machen würde, wenn er nach Berlin käme, namentlich da er nur italienisch verstand. Sie würden sagen – wenn ich sage »Sie,« so meine ich immer die Berliner – Ne, det is een geborner Jardeoffecier, und er spricht een Ausländsches wie die Heinefetter.« –

Ich konnt' es ihm gar nicht verdenken, daß er so viel forderte, und so viel Spektakel machte: es war Sonntag und er wollte mit seinem Mädchen 297 Sonntag feiern, und sein Mädchen war gewiß das hübscheste in Bardolini. Aber wie schnöde verläugnete auch er die germanische Erinnerung seiner Locken und Augen, das hohe Fuhrlohn lockte ihn mehr als das schöne Auge seines Liebchens, er zürnte fortwährend, daß er uns fahren sollte, aber er fuhr uns und ließ um einige blanke Gulden sein Mädchen im Stich. Ein ächter Italiener.

Brausend ging's hinab von Hügel zu Hügel gen Verona hin. Die Rebengeländer am Wege wurden immer üppiger und zärtlicher, das Land ward immer dunkler grün, immer weicher, immer reicher. Die Pferde trabten lustig, die Sonne lachte dem Sonntagsmorgen in's Gesicht, der Italiener sang, wir streckten uns behaglich in unserm Wagen, wir waren so herrschlustig, als führen wir zum Kongreß nach Verona und als wären wir Hauptpersonen.

Der Archivarius war eigentlich aus Berlin, und als wir Verona unten in der Fläche liegen sahen, da dachte er an Berlin. Das thut nun zwar jeder Berliner bei jeder Stadt, aber hier gab's doch eine Ursache dazu: wir sprachen von Hardenberg. Vor zehn Jahren war er auch herab von den Alpen nach Verona gefahren, und als man ihn zurückfuhr über die Alpen, da war der menschenfreundliche Mund kalt und das zärtliche Auge war geschlossen.

298 Ich erinnere mich noch sehr lebhaft, es war ein sehr kalter, russischer Winter im Jahre 23, ich las damals alle belletristischen Journale, obwohl ich noch sehr jung war, und alle belletristischen Journale schrieben damals mit Enthusiasmus über das Theater, vom Kongreß zu Verona wollten sie nichts wissen. Ich war zu jener Zeit ein Tertianer und schwärmte für die Schauspieler und Schauspielerinnen, von denen ich in der Abendzeitung gelesen hatte. Als nun der Rector vor Weihnachten unsre Schule schloß, worin er uns ermahnte, während der Ferien tugendhaft zu sein, und worin er uns mittheilte, daß er künftig nicht mehr »Herr Rector,« sondern »Herr Director« heiße, da macht' ich mich auf und ging auf der langen Chaussee von Schlesien bis nach Berlin. Das dauerte viele Tage und es war grimmig kalt, die Schneedächer flimmerten wie Krystall; ich schritt aber immer muthig fürbaß, und der Gedanke stärkte mich, bald das berühmte Schauspielhaus, und die berühmten Schauspieler zu sehen. So kam ich gegen Abend nach Berlin und ging sogleich in's Theater. Ich war sehr glücklich, immer einen Helden der Abendzeitung nach dem andern kennen zu lernen. Erst nach vielen Jahren ward ich inne, daß an jenem Abende lauter schlechte Schauspieler spielten, und ich eigentlich gar keine Ursache gehabt hatte, glücklich zu sein. Eins nur 299 war mir damals sehr unangenehm; ich fand nicht genug Begeisterung im Publikum; namentlich sprach man wo ich hinhorchte, von der Leiche, welche angekommen sei. Ich war ein kleiner beweglicher Bursche und horchte überall hin.

Am andern Morgen erfuhr ich, die Leiche Hardenbergs sei in einem metallnen Sarge aus Italien angekommen. Bei seinem Tode lernte ich ihn also erst kennen; denn die Mad. Seidler war mir damals viel interessanter als Hardenberg. Die Berliner waren gar nicht gut auf ihn zu sprechen, und ich erinnerte mich, daß ich selbst in müßigen Stunden, wenn ich keine Journale zu lesen hatte, sehr unzufrieden mit Hardenberg gewesen war, obwohl ich ihn nicht gekannt hatte. Mein Vater sagte immer, er habe den Franzosen zu Viel nachgegeben, und das fand ich sehr Unrecht, denn die Franzosen waren in meinen Augen alle Spitzbuben.

Als wir jetzt nach Verona fuhren, und mir der Archivarius Liebesgeschichten vom Hardenberg erzählte, dachte ich etwas anders über ihn.

Er ist eine weiche, adelige Erscheinung in der preußischen Geschichte, seine Manieren waren vornehm, verbindlich, voll Grazie und Kultur, seine Diplomatie war artig, und doch voll Würde, sein Herz war poetisch, sein Auge hing voll Geist und 300 Zärtlichkeit, sein ganzes Wesen war übergossen mit jener bestechenden Humanität, welche den Neid entwaffnet, und den souverainen Stolz des Mannes aussöhnt mit der Nothwendigkeit, beherrscht zu werden. Hardenberg regierte liebenswürdig, und das will Viel sagen, denn jedes Regieren hat etwas Gewaltsames.

Er hatte früher Anspach und Bayreuth verwaltet, und der wunderliche Haugwitz, ein schlesischer Edelmann, war ihm zu Berlin im Wege. Haugwitz leitete damals in Preußen die Geschäfte, und ihm zum Theil verdankt Preußen die geschickte Wendung der Verhältnisse, welche die Schlacht bei Jena erzeugte. Hardenberg nahm eine entschlossenere, würdigere Stellung den Franzosen gegenüber. Auch er war für einen Krieg, aber für den Krieg 1805, vor der Winterschlacht bei Austerlitz. Haugwitz war eine sehr merkwürdige Erscheinung zu Berlin mit dem Hauptportefeuille in der Hand, ein socialer Roué, ein Bildungsroué, ein Roué des Genies. Er hatte ein sehr rasches, edelmännisches Leben geführt, überall oberflächlich nebenbei nach Kultur getrachtet, besaß empfindsame Partieen des Gemüthes, machte, wenn ich nicht irre, sogar Gedichte, war sehr eitel, und bestrebte sich lebhaft, originell zu sein. Friedrich den Großen kopirend, regierte er aus der Mitte seiner Orangerie, trug einen genial schmutzigen 301 Jabot und sah stets überhäuft, tiefsinnig und aufgelös't aus. Plötzlich interessirte ihn ein Mistbeet mehr als ein Friedensschluß, und er warf die Akten an die Erde. Im Salon aber spielte er den alten, weitläufigen Diplomaten, hielt lange Reden, um nichts zu sagen, manoevrirte mit der Tabacksdose, und spielte am Ende unzeitig den erzürnten teutschen Grafen, welcher die neuen Franzosen meprisirte. Die damalige romantisch frankenfeindliche Stimmung kam ihm zu Statten; nur der König selbst, der von jeher versöhnlich und friedliebend war, blieb in dem damaligen Taumel nüchtern und besonnen, und wehrte ab, so lange es irgend thunlich war. Aber alle Damen glühten von Frankenhaß, sie theilten Farben an die Ritter aus, vor dem Palais des Prinzen Louis, des jungen preußischen Ritters, der weniger besonnen als tapfer war, wetzten die Helden ihre Schwerter – das altadelige Ritter- und Soldatenthum, verlangte den Krieg 1806, Haugwitz zog sich eines Tags die Staatsuniform an, und ließ den französischen Gesandten abweisen, der ahnende König gab endlich nach, und der Krieg brach los.

Hardenberg war ganz anders. Es war ein anderer Adel, den er repräsentirte; er war mit Würde vornehm, er war ein wirklicher Weltmann. Seine imponirende Repräsentation stellte auf dem Kongresse zu Wien Preußen würdig neben den 302 berühmten Vertreter Oesterreichs, den Fürsten Metternich, dessen Persönlichkeit so viel Paragraphen gewann. Man hat es dem Hardenberg vorgeworfen, daß er zu großmüthig gewesen, zu nobel, namentlich zu generös gegen die Franzosen, daß Preußen mehr hätte gewinnen können. Das moralische Gewicht, was ihm Hardenberg verschaffte, war höher anzuschlagen, als einige Quadratmeilen.

Hardenberg ist als Roman- oder Novellenfigur interessant. Er hat sich wie ein Mensch mit den Staatsgeschäften abgegeben, nicht wie ein Geschäftsmann, er behielt ein sensibles Herz, was ihm die besten Streiche spielte. Und gerade seine Schwächen sind so liebenswürdig. Er war von Jugend auf galant gegen die Damen, und er ist mit einer Galanterie gestorben.

Seine letzte Liebe bezeichnet sein leicht bewegliches Gemüth am Besten. Es war um die Zeit, als der Somnambulismus Mode ward. Ein junger Arzt in Berlin, der wunderlich genug, an mehrern Orten auf Augenblicke in die Weltgeschichte heraustritt, der Dr. Koreff erzählt dem Staatskanzler von diesem träumerisch-poetischen Zustande, und Hardenberg, den alles Moderne interessirte, der wie ein Poet dies und jenes romantische Faible hatte, war sehr neugierig, dies zu sehen. Dr. Koreff erzählte 303 von einem jungen schönen Mädchen, und sie sprachen über das Käthchen von Heilbronn und den Grafen Wetter von Strahl und vom Hollunderbaume, und daß der Somnambulismus dem Mädchen in Hardenbergs Palais viel besser stehen werde als sonstwo. Die Gemahlin des Staatskanzlers war eine kluge Frau, und nahm das Mädchen zu sich, und man träumte und somnambulirte wie Käthchen unter dem Hollunderbaume.

Da erhoben sich die Cortes in Spanien, und die Regenten versammelten sich in Verona. Auch Hardenberg sollte auf die Reise; aber er war krank, sein Interesse für den Somnambulismus hatte seine Nerven angestrengt; der Arzt untersagte die Reise. Aber Hardenberg unternahm sie, und Käthchen blieb weinend in Berlin zurück. Ihr Wetter fuhr über die Alpen.

Zu Verona erfrischten Hardenberg die Staatsgeschäfte wieder, sein Auge ward wieder stark, seine Stimme wieder fest. Der Kongreß ging zu Ende, die Billets zwischen Kaiser Alexander und Chateaubriand, worin sie einander die Berühmtheit garantirten, hörten auf, Hardenberg reis'te an's Mittelländische Meer, um sich durch die Seeluft vollends zu stärken, er kam in Genua an, und heiter und vergnügt stand er eines Tags am Fenster, und sah über das weite grüne Meer, und dachte auch an ein 304 grünes Leben, was noch vor ihm läge. Da braus'te ein Wagen den Platz herauf, er hält vor seinem Hause, eine Dame springt heraus, sie fliegt in's Zimmer. Die Sehnsucht hat Käthchen über die Alpen getrieben.

Aber der bejahrte Edelmann war dem Tumulte seines Herzens nicht mehr gewachsen. Nach wenig Tagen fand man ihn todt in seinem Lehnstuhle, die Liebe lag auf seinem starren Gesichte, glücklich wie er gelebt hatte, war er auch gestorben. Der Tod war ihm plötzlich gekommen wie ein Kuß.

– Und damals als ich des Theaters wegen nach Berlin kam, traf eben seine Leiche aus Italien ein; denn der König hatte den liebenswürdigen Mann sehr geliebt.

Das Käthchen von Heilbronn hab' ich niemals in Berlin gesehen.

Ich war ganz traurig über diese Geschichte worden, und vergaß, daß wir dicht bei Verona waren. 305

 


 


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