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27.

Die Zeit hat alle Weisheit – sie ging und ging, Gustav avancirte in der Kanzellei, ein großes Handelshaus bewarb sich um den guten Arbeiter, es bot ein reichlicheres Auskommen, er trat über. Die meisten Menschen, welche nicht besonders schöpferisch sind, kommen immer wieder nach den mannigfachsten Versuchen zu dem Geschäft und der Lebensweise zurück, wie sie von Haus aus angefangen haben zu handthieren und zu leben. Das Lebensverhältniß muß für sie erfinden, da sie selbst keine Kraft dazu spüren. Gustav war wieder Kaufmann, und ward im reich verbreiteten, streng geordneten Geschäfte auf Reisen geschickt.

Aennchen lachte aus Freuden über sein Glück, und die Thränen schlugen ihr immer dazwischen. Meister Heinze wollte auch weinen zum Abschiede, er konnt' es gar nicht glauben, daß ihn der so lieb gewordene Hausgenosse verlasse auf lange Zeit, wer weiß wie lange!

Er hatte Toni lange nicht gesehen, und in seiner innigsten Trauer, welche ihm der Abschied von Meister Heinze's Hause bereitet hatte, dachte er doch daran, als er seine raschen Pferde über die Fläche hinjagte, ja er dachte: Wenn Du Glück hättest, müßtest Du ihr noch einmal begegnen – und, wie Tischlein deck dich, kam sie hoch zu Roß über die Felder hergesprengt, weit hinter ihr zurück der Reitknecht. Sie sah Gustav, er hielt seine Pferde, sie galoppirte heran:

Wohin, Gustav?

Er erzählte.

Ganz fort gehn Sie?

Ja.

Pfui, das ist schlecht! Gewiß?

Ganz gewiß.

O, das ist langweilig.

Wie?

Im Hui war sie verschwunden, der Reitknecht keuchte hinterdrein, Gustav's Pferde, scheu gemacht, gingen im Carrière nach der andern Seite davon. –

So kam er denn unter ganz andern Verhältnissen in die Welt, und war dadurch ein ganz anderer Mann; der feste geschäftliche Anhaltpunkt gab ihm Sicherheit und Eifer, was er an den Menschen gesehen, von den Liebhabereien und Leidenschaften kennen gelernt hatte, ohne selbst zu wissen, daß er etwas kennen gelernt habe, das kam ihm nun trefflich zu statten. Erfahrungen kommen eben so unbewußt wie das Glück, man kann nicht darauf ausgehen, man sieht's nicht, wenn man sie macht, wie das Gras sind sie über Nacht emporgewachsen. Wie war er jetzt in seinem Elemente, wie rief er aus: ich habe mein Glück, denn ich habe meine Bestimmung! – Neun Zehntheile der Menschen sind berufen, im streng Gegebenen, zwischen streng vorgeschriebenen Pfählen zu handeln, zu existiren, neun Zehntheile sind blos da für das Detail des Lebens, sind im besseren Sinne des Wortes Handlanger; beschieden sie sich darin, dann gäb's viel weniger Unglück; das gewöhnlichste Unglück ist eben, daß stets der Dritte etwas anders sein will, als er sein kann.

Gustav war nun heraus aus dem Tappen nach einer eigenthümlichen Existenz, wofür er nirgends einen Halt gefunden, nirgends in sich finden konnte, weil er durchaus nicht zu den schöpferischen Menschen gehörte.

In seinem vorgezeichneten Kreise aber fand er nun auch sogar die Spekulation seines Kreises; nach Verlauf eines Jahres hatte er seinem Hause die trefflichsten Dienste geleistet, hatte bereits auf eigne Hand Geschäfte betrieben, nach Verlauf des zweiten war er ein vermögender Mann.

Und ein bestimmtes Verlangen, eine bestimmte Sehnsucht war auch wieder da, ohne welche immer und ewig das Leben keinen elastischen Drang, keinen Schwung und deßhalb keinen Reiz hat. War sie auch dem Außenstehenden gar sehr bescheiden, mochte man auch für den ersten Augenblick nicht einsehen, wie solch eine Wunschesrichtung entstehen, treiben, beglücken könne; in dem einfachen Gemüthe Gustav's that sie's doch: er wollte nach Prag, dort wieder in Wohlthätigkeit das Leben anknüpfen, wo er's gelassen hatte, Angélique's Vater, Angélique selbst, die Bekannten und Nachbarn sollten sehen, daß er nur verreist gewesen, daß er der alte, wohlausgestattete Herr Dorn sei. Das eigne Genüge sollte darin bestehen, daß es schiene, als sei gar nichts vorgefallen.

Sind doch immer nur diejenigen Leute etwas für uns, die einen Theil Geschichte mit uns erlebt haben, das Fremde ist uns todt und bezugslos.

So erschien er denn an einem schönen Morgen in Prag wieder und fuhr in glänzender Equipage durch die alten Straßen, sah den alten Berg wieder, wo er mit Victor im Grase gespielt, sah Angélique's Balkon und seines Lehrherrn steinern Haus, und sein Leben schien ihm erfüllt, das Glück voller und fester wieder gewonnen.

Mit welchem Behagen setzte er sich zur Tafel, wo die alten heimathlichen Speisen und Gebräuche wie mit Kinderaugen ihm entgegen winkten; wie zufrieden empfing er die alten Genossen, die sich respektvoll nach seinem Befinden erkundigten, da ihnen der Wohlstand aus jeder Falte der feinen Kleidung entgegen blinkte!

Bald war's bekannt, der Herr Dorn sei ganz der alte mit so und so viel Vermögen, und er werde sich wieder niederlassen und ein großes Geschäft führen. Ueberall ward er hingebeten, und als er eines Abends in eine zahlreiche Gesellschaft trat, sah er auch Angélique wieder. Sie hatte eine gute Partie gemacht und saß am Bostontische, etwas stärker war sie geworden, und eine leichte kleine Falte spielte um den noch schönen Mund. Sie sprang auf und hieß ihn herzlich willkommen, und lud ihn ein, sie und ihren Mann doch ja zu besuchen. Er that's am folgenden Tage, fand sie wohleingerichtet und in Wahrheit herzlich und freundlich, ja sie berührte mit einem leichten Seufzer und einer feinen Wendung die beiderseitige Vergangenheit. Ihr Mann erschien auch, ein formeller, etwas öder Mann, der höflich gegen seine Frau und gegen alle Leute war, die zur besitzenden Welt gehörten. Auch Angélique's Vater ließ sich sehen, und bezeigte seine Freude, den immer werthgeschätzten Herrn Dorn wieder zu erblicken.

Gustav fühlte sich nicht besonders erregt durch das Wiederfinden Angélique's; er hatte es eigentlich anders erwartet. Auch Cousin Louis erschien, ärmlich und kläglich: Fabrik und Geschäft waren durch die vielen Verwandten zu Grunde gerichtet, der Onkel hatte sich zu Tode getrunken, Cousin Louis bat Gustav flehentlich, das ganze Geschäft zu übernehmen, damit es, wo möglich, arrangirt werde.

So waren einige Wochen vergangen, und Gustav beschlich ein gewisses Mißbehagen. Die Anknüpfungen mit Genossen, Jugendfreunden, Bekannten erwies sich als veraltet, vergraut, er glaubte einzusehen, die Leute nähmen nur an seiner ökonomischen Existenz, nicht aber eigentlich an seiner Person Interesse; es hatte sich Viel verändert, und es schien ihm, als lohnte es sich kaum der Mühe, wieder eingelebt zu werden. Das Zimmer der guten Tante wollte er nur noch einmal sehen, und er ritt hinaus.

Ach, das war Alles verwildert, anders gestellt; Wlaska's Vater, verarmt und gemein, kam ihm über den Hals; mit Geld mußte er sich triviale Segnungen verschaffen, übel gestimmt ritt er wieder heim. Es war ein warmer Abend – ach, seufzte er, es ist wenig mit der Welt, die Zeit mäht, wehe dem, der auf draußen hofft, und sich nicht einen kleinen, eigenen sicheren Kreis gestalten kann. Die Attributen des Glücks lassen sich keinem Menschen sagen, für jeden Menschen sind es andere – ist mir nicht die Heimath, welche so ganz dazu gehören sollte, eine Wüste geworden!

Es ward dunkel, der Mond ging auf – ein Lichtschimmer fiel auch plötzlich in sein Herz: Wahrlich, rief er aus, wie hab' ich es auch übersehen können, Meister Heinze's Haus ist meine Heimath, dort liegt die Geschichte meiner jetzigen Existenz, dort harrt meiner die ächte Theilnahme, Aennchen ist mein Weib.

Und nun jagte er nach Prag, er fühlte sich wirklich Bräutigam, heut noch sollte Schaller's Paket geöffnet werden, morgen sollte es nach Elbing gehn.


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