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23.

Toni beschied ihn durch das Billet auf ihr Zimmer. Etwa eine Stunde später, als man sich aus dem Salon entfernt habe, solle er kommen. Es folgte eine genaue Beschreibung der Lokalität. Die Schwierigkeit für Gustav war nur Schaller, der neben ihm wohnte, dem er natürlich nach der Billetattrappe nicht mehr trauen mochte, der des Abends oft noch lange mit ihm zu schwatzen pflegte und gerade heut kein Ende finden konnte. Gustav mußte endlich Todesmüdigkeit vorschützen, um ihn fortzubringen. Nun war die Aufgabe, nach einer Weile den Stubenschlüssel leise umzudrehen, welcher die beiderseitige Verbindungsthür schloß.

Gustav that es; das Schloß, wahrscheinlich selten in die Nothwendigkeit versetzt, knarrte widerspenstig, Schaller hatte es sicher gehört. Es lagen neun Zimmer in einer Reihe, welche alle auf den Korridor führten und innen durch Thüren alle verbunden waren, die diesseitigen äußersten bewohnten Schaller und Gustav, die jenseitigen äußersten der Gutsherr, die mittleren, dicht am Gutsherren, Toni mit ihrem Kammermädchen, deren Zimmer von Gustav aus passirt werden mußte. Der Salon war eine Treppe tiefer.

Er probirte im nächsten Zimmer, ob die Thür nach dem Korridor auch geschlossen war – nein, er that es also selbst, eben so bei der folgenden, in welcher durch die halbangelehnte Thür ein Lichtschimmer aus Toni's Gemache drang. Mit Erschrecken hörte er die Athemzüge eines Schlafenden – es war die Kammerfrau. In Toni's Zimmer tretend deutete er stumm und besorgt hinter sich; Toni lachte aber zu seiner Bestürzung laut auf und sagte: Das Mädchen hat von Hause aus den besten Schlaf in der ganzen Gegend, und ich habe ihr heute so viel Bewegung gemacht, daß sie todt ist – die Thüren? Natürlich habe ich sie offen gelassen, und Sie hätten sie nicht schließen sollen; passirt etwas, und man bemerkt's, so ist man verdächtig, und dies gottlose Wort, was man wegen des unbedeutendsten Zeuges gebraucht, ist mir just das widerwärtigste. Sind alle Zimmer offen, so kann im Nothfall kommen, wer will, dann trotzt man wirklich den Leuten, nicht wenn man sich versteckt.

Warum aber, mein Fräulein, haben Sie mich dann nicht offen beim Abendessen eingeladen, ich solle Sie gegen Mitternacht noch besuchen, Sie würden im weißen Nachthabit zu Bett liegen und Silhouetten schneiden. –

Ja, sehen Sie, ich schneide da den Herrn Schaller auf allerlei Manieren; der Herr Schaller ist übrigens zehnmal interessanter als Sie, wenn er nur zehn Jahre jünger wäre, dann nützte es Ihnen nichts, immer noch zwanzig Jahre jünger zu sein als er. Aber, obgleich ich's für ein Vorurtheil und eine üble Gewohnheit halte, junge Leute vorzuziehen, wenn die Männer über Fünfzig sind und so gewisse weichliche, welke Hände bekommen, da interessiren sie doch nur, sobald ein Tisch dazwischen steht.

Und den Besuch anlangend, ja, da haben Sie ganz recht, ich hätte Sie offen einladen sollen, und das hätte ich auch gethan, wäre ich unabhängig genug und nicht meinem Onkel unterworfen, und – sehen Sie, ich mache mir nicht so viel aus der Welt, als ich hier von der Hand auf Ihren Schnurrbart blase, aber es ist mir fatal, wenn das klägliche Volk zischelt, die Köpfe zusammensteckt – kurz ich hasse den guten Ruf bei gewöhnlichen Leuten und kann den schlechten nicht ertragen. Wir sind ja Alle so jämmerlich, weil wir halb sind, was wir ganz sein wollen, und wenn wir Weiber über diese Halbheit hinausgehn, so werden wir merkwürdig und hören auf liebenswürdig zu sein.

Beim Lichte besehen, was habt Ihr denn an einer Mädchentugend, die immer neben der Mutter geschlafen hat – aber, Ihr habt auch keine Courage, ohne den Quittungsschein der Tugendassekuranz mögt Ihr ein Mädchen nicht, was?

Sie sprechen über Mädchen, entgegnete Gustav, als wenn die Mädchen Männer wären. –

Seien Sie still, Sie sind eben so bornirt in Ihren Mannesvorurtheilen! Die thörichten Weiber, sie sind immer die ersten, welche uns anklagen, wenn wir aus der Abhängigkeit herauswollen. Und die Männer! Man sieht Euch nie anders als eitel oder sinnlich! Solch eine Zusammenkunft, eine Visite, wie jede andere, nennt Ihr ein Rendezvous, und da glaubt Ihr Euch zu Allem berechtigt; Sie verwundern sich über meine ganz offene Versicherung, daß ich nichts will, als eine pikante Unterhaltung. Sie selbst sind nicht bedeutend genug, um pikant zu sein, deßhalb will ich mir das durch die Situation verschaffen.

In dieser Weise ging es fort, und sie hielt wirklich, was sie gesagt: Gustav durfte ihr die Hand küssen, mehr gewährte sie nicht; nur darin war sie inkonsequent, daß sie mitunter im Reden inne hielt und nach der Seite von ihres Onkels Zimmern hinhorchte, wo nicht verschlossen sei. Ihren Prinzipien war wohl die Kraft noch keineswegs gewachsen.

Plötzlich schrack sie laut auf: ein großer Jagdhund ihres Onkels stand zwischen Gustav und ihr und legte seine Schnauze auf das Bett, in demselben Augenblicke fiel ein Schuß vor den Fenstern. – Fort, fort, Gustav, und schließen Sie die Thüren auf! Der Hund knurrte und bellte und rannte hinter Gustav her, die Kammerjungfer erhob sich schlaftrunken im Bett; wahrend Gustav rasch die Thüren aufschloß, wurde Alles im Schlosse lebendig; als er in sein Zimmer trat, hörte er schon von Toni's Seite her die Stimme des Gutsherrn, Schaller pochte an der verschlossenen Thür.


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