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21.

Diese Ermannung that ihm denn auch in Elbing äußerst noth: die zur Komplettirung fehlenden Schauspieler kamen nicht, die Vorstellungen konnten nicht beginnen, von Gage war also auch wenig die Rede, und die Noth war groß. Gustav hatte sich bei einem Drechsler ein kleines Dachstübchen gemiethet und sich für ein überaus Billiges in die Kost gegeben. In dem kleinen dürftigen Gemache saß er denn Tag und Nacht, und las und schrieb und darbte. Lernen, lernen! war wieder die Losung, aber frei und tüchtig lernen. Alles hat seinen Nutzen, Kenntniß allein rettet – dies war jetzt der Grundgedanke, um den sich Alles gruppirte. Die Welt ist feindlich, sagte er zu dem alten Drechslermeister, der ihn nach dem Feierabende zuweilen besuchte, man muß sich Waffen schmieden, so viel man irgend vermag.

Meister Heinze schüttelte dazu den Kopf – bin doch weit draußen im Reiche gewesen auf meiner Wanderschaft, sagte er zu seiner Tochter, und hab allerlei Menschen gesehn, aber solch ein Schauspieler ist mir noch nicht vorgekommen. Seine Tochter war eigentlich noch ein Töchterchen, fünfzehn Jahr alt, und dicht an der Gränze, wo die kindlichen Spiele, Freuden und Beziehungen noch schmecken, und Ahnungen sich einstellen von einer ernsteren reichen Welt. Das dunkelblonde Haar wurde täglich brauner, die schlanken Achseln und Arme wurden runder, der frische Gesang ihrer kleinen Lieder, wenn sie den Kanarienvogel fütterte, ward täglich stärker und kräftiger, Meister Heinze sagte: Ich kann jetzt schon ein ganz vernünftig Wort mit meinem Aennchen reden, und das ist mir eine rechte Wohlthat, die ich seit meiner seligen Katharina Tode mit Schmerzen entbehrt habe. –

Gustav hatte nur zwei Interessen nach außen hin: einmal, Nachrichten von Toni zu gewinnen, und eine Stunde mit seinem Freunde Schaller zu verkehren und neue Bücher von ihm zu holen. Schaller war ein Schauspieler, der von Petersburg kommend in Elbing geblieben war, um eine Zeitlang mitzuspielen, sobald das Theater in Gang käme. Niemand kannte ihn, er verkehrte auch nur sehr oberflächlich mit den übrigen Schauspielern, nur für Gustav schien er sich zu interessiren, und besuchte ihn täglich.

Gustav gefiel er außerordentlich. Im Aeußeren schlicht und einfach, hatte er so viel Zurückhaltendes, als just angenehm für denjenigen ist, welchem die Menschen nicht eben erwünscht kommen. Nach diesem Eindrucke hin ging auch etwa seine Unterhaltung: In sich selbst müsse man eine Heimath zu gründen wissen, alles draußen sei fremd; selbst der Freund, selbst die Geliebte, welche Gewähr für sie haben wir denn? Dies oder Jenes interessirt sie, fesselt sie an uns, etwas was von Außen oder von Innen an uns erscheint, das lieben sie – geht das mal über Nacht verloren, wo bleiben sie, wo bleibt die Liebe? Eine Krankheit kann mich entstellen, lästig machen, meinen Geist tödten oder auch nur schwächen, ich bin nicht mehr derselbe nach außen hin, fort ist die Liebe Anderer zu mir, wenn sie wahrhaft sich beweisen, erheuchelt aus Pietät, wenn sie schwach sind. Dauernd und fest ist nur das Verhältniß von uns zu uns selbst, tritt hierin eine grobe Störung ein, nun, so können wir einsam mit uns verkümmern, verderben, untergehn, wir treten dann in's Wesen einer bloßen Pflanze, welche verwelkt. Diese Selbstständigkeit ist Alles – jedes Unglück trifft uns am schwersten, weil wir in Verbindung und Beziehung mit Anderen sind, weil wir uns geniren, schämen, weil wir gut zu machen kriegen – für uns allein ist es unbedeutend, sähe es noch so groß aus – das wirkliche Eheweib soll eine Ausnahme machen, ich glaub' es nicht, es ist doch ein zweites Geschöpf, was nur in der Exaltation und poetischen Täuschung Ich werden kann.

Aber wie sind Sie, warf Gustav ein, bei diesen Ansichten Schauspieler geworden?

Ein Lächeln ging über Schallers blasses Gesicht: wir wählen selten den Stand, der Stand wählt uns, Schauspielerei ist zudem auch nichts als ein Spaziergang durch die Menschen, Sie können nirgends einzelner bleiben als hierbei, gerade das Gemisch von stärksten und schwächsten Menschen drängt sich auf die Bretter, jene, weil sie Freiheit und Herzensrechte suchen, diese, weil sie dem Bunten nachlaufen und vor dem Strengen des Lebens sich fürchten. Jene inkommodiren nicht, das thut der Starke nie, er trachtet höchstens nach Herrschaft, und diese von sich abzuhalten paßt ganz und gar in den erwähnten Drang nach Selbstständigkeit. Die Schwachen mit ihren Flittern, ihrer Eitelkeit, ihrem unordentlichen Treiben sind Niemand gefährlich, und als Zigeuner in der Civilisation machen sie nur den alten Weibern zu schaffen. Ich wollte nur, daß unter ihnen einmal eine wirklich unabhängige geniale Lüderlichkeit eines begabten Menschen zu finden wäre, das gäbe doch ein wirklich originelles Exemplar; so sind sie aber meist von Hause aus alle mit der allgemeinen Rinde der Gesellschaft bedeckt und reiben sie nur stellenweise ab. Darin liegt's, daß sie meist nur gewöhnlich-unordentliche Leute sind.

Wie lange sind Sie Schauspieler, Herr Schaller?

Wenn man neugierig ist, mein junger Freund, wird man nie selbstständig –

Aennchen brachte das Mittagessen; es war auf einem Schüsselchen koncentrirt; Schaller sagte ihr einige Artigkeiten, die sie nicht verstand, worüber sie aber doch erröthete.

Das wird ein schönes und ein liebenswürdig Weib werden, und manchem schwächlichen Kauze zu schaffen machen – warum essen Sie so dürftig?

Weil ich kein Geld habe – solch offenherzige Antwort hatte er bereits von den Schauspielern und seinem neuen Freunde erlernt.

Ich kann Ihnen welches geben, wenn auch nicht viel –

Thun Sie das nicht, ich habe wenig Aussicht zum Wiederzahlen, und Sie verlieren Ihre Rolle der Einzelnheit und Abgeschlossenheit dadurch.

Oh, wenn wir's noch so weit mit Ansicht und Grundsatz bringen, die Ausnahme, die Uebertretung bleibt ewig der größte Reiz, und es interessirt mich, Ihnen ein wenig unter die Arme zu greifen. Das Wiederzahlen? Possen! Wenn man ein schön gewachsener hübscher Mann ist wie Sie und noch so reich an Schwächen, da hat man das Geld noch haufenweise zu erwarten; ich leg's bei Ihnen auf gute Zinsen. –

– Die Tage kamen und gingen, es wurden Wochen daraus, das Theater kam nicht zum Anfange, die Mitglieder schimpften, klagten, darbten, der kleine Musikdirektor mußte sich die Seele ausärgern mit Klavier- und Violinstunden, um sich und seine stets unzufriedene Donna zu ernähren, er stöhnte bitterlich über die Elbinger Jugend und den Kunstsinn derselben. Gustav, mit Schaller verkehrend, befand sich besser als seit langer Zeit, las und lernte fleißig, und fügte sich dabei gern der Auswahl und Anordnung seines wunderlichen Freundes. Das innerlich starke Wesen dieses Freundes mochte wohl das meiste beitragen zu Gustavs Ruhe; Charaktere wie der seinige finden eine starke Tröstung im Verkehr mit Bezügnissen, die ihnen höher und geistiger zu sein scheinen, als sie der verschlenderte gewöhnliche Tag bietet. Wie an einer Eisenstange hielt sich Gustav fest an Schaller's bewußtem Willen, und nebenher fand er im harmlosen Verkehre mit Meister Heinze und dessen Töchterlein auch ein behagliches Genüge. Er saß jetzt oft in der freundlichen Werkstatt des alten Drechslers, schnitzte Holz, lernte nebenher einige Handgriffe, drechselte am Ende selbst ganz artige Dinge und lächelte dazu, wenn Heinze ihn lobte und Aennchen, eine kindische Freude darüber bewies.

So hab' ich Sie noch gar nicht lächeln sehn, sagte die Kleine, und zu eigner Ueberraschung erwiderte er: ich glaube selber, es ist seit Jahren nicht geschehn.

Der Sonntagmorgen warb ihm bereits ein erwünschter, lieber Zeitraum; der Alte rüstete sich zum Kirchgange, Aennchen, schon fertig geputzt, stand neben dem Rade und sah zu, wie Gustav arbeitete, rief besorgt dazwischen, wenn sie glaubte, daß er zu viel Raum wegschnurren lasse, klatschte in die Hände, wenn er ihr zeigte, es sei nicht zu viel und gebe eine hübsche Bildung. Dazu schien die Sonne in's kleine Zimmer, die feinen Späne wirbelten in ihren Strahlen, der Kanarienvogel sang aus voller Kehle, draußen läuteten die Glocken.

Waren sie fort zur Kirche und er saß allein, dann bedachte er, was den Tag zuvor gelesen und besprochen worden war, und ließ die Stoffe in sich hin und herfahren, damit sie sich einen Platz, eine Ordnung fänden, drechselte weiter, sah mit Vergnügen zu, wie das weiße harte Holz immer neue kraus gewundene Fasern und Ringe herausstellte, träumte sich gottselig in die reich und festgegliederte Schöpfung Gottes, welche bis in's kleinste Stückchen Holz ein sichres, anmuthiges Gesetz zeige, und stimmte endlich zum gleichmäßigen Geschnurre des Rades ein altes Liedchen an, was seit der Knabenzeit von Prag in ihm geschlummert hatte. Dann überraschte ihn Freund Schaller, setzte sich lächelnd zu ihm auf die Bank und fragte: wie geht's?

Gut, mein Liebster, ich heimle mich wieder ein in die Welt –

Jeder sucht's auf seine Weise, und beschwichtigt den Krieg – das Leben ist ein Krieg mit Allem, wenn's noch so friedlich ringsum in dieser Werkstatt aussieht; können Sie dem Manne das Bischen Miethe nicht bezahlen, äußern Sie etwas gegen sein Christenthum, kurz, gefallen Sie ihm nicht mehr, so hat die Herrlichkeit ein Ende. –

Als Meister Heinze aus der Kirche kam, sah er absonderlich vergnügt aus und eröffnete denn auch bald sein Herz mit den Worten, er habe einen Vorschlag; Aennchen nämlich habe ihm mitgetheilt, was ihr Gustav neulich des Abends in der Dämmerstunde Alles erzählt habe von seiner Jugendzeit, und da sei auch von der Jagd die Rede gewesen – hören Sie, das ist auch meine Passion, 's sind jetzt gerade nicht viel Bestellungen da, für die Märkte ist auch vorgearbeitet, ich mach' mir hie und da einen freien Tag, Pulver und Schrot sparen wir uns vom Munde ab, hier im Wandschrank hab' ich zwei alte Flinten, machen wir uns morgen früh dran! Hohe Zeit ist's auch, das Frühjahr kommt; zwei Meilen von hier kenn' ich einen Förster, der Pulverhörner und sonstiges kleines Zeug immer bei mir bestellt, weil's ihm hier kein Anderer zu Dank machen kann, der hat mich schon zehnmal eingeladen, und ich bin den ganzen Winter erst zweimal bei ihm gewesen, wie wär's mit morgen?

Gustav fand eine kindische Freude daran, lief gleich nach den Gewehren, um eins zu putzen und geschickt zu machen, Schaller sagte: Ich freue mich, liebster Gustav, daß Sie noch so unbefangne, wohlfeile Freude haben können, und wenn's der Meister Heinze erlaubt, so bin ich auch mit von der Partie, werd' mir ein ordentlich Schießzeug schon besorgen.

Je, mit dem größten Vergnügen, Herr Schaller; das wird ja meinem alten Förster ein Hauptfest, und Aennchen nehmen wir auch mit in's Forsthaus, da kennt sie die alte Forstmutter, und läßt sich was erzählen und wartet auf uns.

Dies bescheidene Vorhaben regte in dem kleinen Kreise, dessen Wünsche so glücklich bescheiden waren, die heiterste Lebensthätigkeit auf. Meister Heinze hatte den ganzen Tag vorzubereiten und hätte beinah seine gewöhnliche Bierstunde versäumt, welche er sonst mit der Minute einzuhalten pflegte; Aennchen sprang überglücklich umher, und versicherte Gustav, den Gewehrputzenden, sie sei sehr glücklich.

So war es Abend geworden, der Meister war nach dem Bierhause, Gustav saß ermüdet im Winkel der kleinen Wohnstube, die durch einen verschlossenen grünen Vorhang von der Werkstatt getrennt wurde; die Aufregung hatte sich ein wenig gelegt, Aennchen machte das Kaminfeuer zurecht und füllte ein Körbchen mit kleinen Kienstücken, die auf der Ofendecke zum trocknen lagen, dann setzte sie sich vor die fett und dunkelroth puhstende Flamme, legte die Hände in den Schooß, und sah in's Feuer. Das junge Mädchen gewann dadurch ordentlich ein nachdenkliches und gegen sonstige Gewohnheit würdiges Ansehn, Gustav betrachtete das artige Bild mit dem größten Wohlbehagen. Seine Phantasie war erfüllt mit Toni's Liebreiz, es drängte ihn, davon zu sprechen, das junge Mädchen sah so Mittheilung weckend drein, er rückte zu ihr, und erzählte ihr seine Gedanken, schilderte Toni und die Sehnsucht nach der Verschwundenen. Mit dem wärmsten Antheile hörte Aennchen zu, unterbrach ihn nur zuweilen mit den Worten »ach wie schön, wie liebenswürdig muß sie sein!« und als Gustav zu Ende war, rief sie aus: Wenn sie doch zu finden wäre!

Gutes Aennchen! sagte er, und küßte sie auf die Stirn. Das Mädchen bebte leise, auf dem Hausflur ließ sich der stapfende Stock des heimkehrenden Meister Heinze hören.


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