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22.

Man konnte sagen: es war den letzten Tag vor dem Frühlinge, als nächsten Morgens unsere EIbinger Gesellschaft auf die Jagd zog: über die Erde, zwischen den Bäumen hin, durch die Luft zog schon solch ein leiser Hauch des neuen Sonnenjahres, aber in der Nacht war noch ein leichter Frost und ein Schneereif über die Erde gefallen, und die Wanderer schritten trocknen Fußes durch die Föhrenholzungen hin. Sie waren guten, fröhlichen Muthes, nur Herr Schaller, den die Richtung des Weges zu überraschen schien, war ernst und nachdenklich.

Der Morgen dämmerte langsam herauf, und als der erste Sonnenstrahl durchbrach, sahen die rüstigen Wanderer durch die Bäume hindurch das alte Försterhaus mit den blanken Fensterchen schimmern. Sie fanden Geschäft und Bewegung darin, und der alte Förster wußte nicht recht, ob er Verlegenheit oder Mißmuth unterdrücken sollte, als er die Gäste willkommen hieß und an der Jagdrüstung erkannte, worauf es abgesehen sei – der gnädige Herr hatte just zu diesem Morgen eine große Jagd ansagen lassen, er konnte jeden Augenblick kommen. Schaller lächelte, Gustav war verdrießlich, Meister Heinze betreten; die alte Frau Försterin trat aber mit ihrer Behäbigkeit dazwischen und schlichtete, sie herzte Aennchen, versicherte, ihre Tage nicht so ein hübsches, frisches Kind gesehn zu haben, und indem sie den Herren die Flinten abnehmen und in eine Nebenkammer stellen half, sagte sie: Sein Sie nur guten Muths, meine Herrn Stadtherrn, das gnädige Fräulein kommt heute mit, da werd' ich ein gut Wort einlegen, und Sie werden schon zum Schießen kommen; jetzt wollen wir aber doch die Büchsen nicht sehen lassen.

Da hörte man aus der Ferne Geräusch, Hundegebell, Hufschlag und Wagengerüttel auf dem harten Wege, eine Reiterin flog auf einem feurigen Schimmel durch die Bäume und parirte den Galopp des Pferdes erst dicht an der Hausthür. Toni, rief Gustav außer sich und stürzte ihr entgegen – die Dame, geröthet vom frischen Morgen, erhitzt durch den raschen Ritt, verschönert durch den schwarzen Hut, von dem der Schleier wehte, durch das dunkle, knappe Reitkleid, war es Toni? Sie sah dem sie leidenschaftlich begrüßenden, jungen Mann kalt und vornehm in's Gesicht und sprach kein Wort; alsbald kam auch ihr Onkel zu Pferde an und ward als gnädiger Herr vom Förster begrüßt; er fragte nach den Fremden. »Besuch aus Elbing, gnädigster Herr, der mir heute unerwartet und« – setzte er leiser hinzu – »ungeladen kam.«

Wenn die Herren Schützen sind, kannst Du sie mit anstellen – wie heißt der Herr in der Hausthür, Förster? fragte er leise und hastig, und nahm seine Mütze ab, grüßend nach dem Fremden – es war Herr Schaller, der mit untergeschlagnen Armen aufmerksam den Edelmann betrachtet hatte. Der Förster wußte es nicht.

Die Wagen kamen heran, man stieg ab, die Treiber wurden beordert, ein Jäger brachte dem Fräulein eine leichte Jagdflinte, alles wurde in Ordnung gesetzt, man brach auf. Zum öftern sah der gnädige Herr Graf nach Schaller hin, die Physiognomie mußte ihn sehr beschäftigen. Mit Lärmen ging die Jagd in den Wald, Wagen und Pferde gingen nach andrer Richtung, um später die ermüdeten Jäger aufzunehmen.

Im Försterhause war es ganz still geworden. Aennchen ließ sich von der Alten erzählen, ob das gnädige Fräulein Toni heiße – denn sie hatte Gustavs Ausruf wohl vernommen – und ob sie verreist gewesen, und wie sie sei –

Toni heiße das Fräulein nicht, aber ähnlich: Antonie, und verreist sei sie lange gewesen, bei Verwandten an der Ostsee. –

Ob sie vielleicht Schauspielerin gewesen. –

Bewahre der Himmel, das wär' eine schöne Geschichte, wenn man so was nachsagen wolle, wie's einmal im Dorfe geheißen hat, daß es der reiche Bauer Friedrich mit vom Getraidemarkt in Danzig gebracht habe, der sie in der Komödie gesehn haben wollte – der gnädige Herr sei so böse über diese Redensarten geworden, daß er seinen Kutscher habe todtschießen wollen, der es fraglicher Weise dem Friedrich nacherzählt habe. –

Aennchen betrachtete nachdenklich die zinnernen und kupfernen Geschirre, welche spiegelblank auf einem Brettchen standen, das um den Sims der braunen, hölzernen Stube lief; sie wußte sich gar nicht zu finden in ihre Gedanken, und es war ihr ganz recht, der Alten mit zur Hand gehn zu können, welche eine stattliche Mahlzeit rüsten wollte für die Jäger und Gäste.

Draußen war die Jagd im besten Gange. – Gustav, von seiner Jugendzeit in Prag her noch ein trefflicher Schütze, erregte das größte Aufsehn; man bot ihm Wetten an, er gerieth in die größte Verlegenheit; denn seine Tasche war ziemlich leer, und auf das mehr als wahrscheinliche Gewinnen hin die Paraden einzugehn, ließ ein andrer Stolz nicht zu. Stolz gegen Stolz – Herr Schaller schlichtete den Streit: er nahm alle Wetten an, die gegen Gustav's Treffen gemacht wurden. –

Das gute Schießen, was nächst dem Reiten, hohem Spiel und genauer Kenntniß der Hunde für eine specifische Fähigkeit des Kavaliers gehalten wurde; Schallers Benehmen, was unter einer gewissen Sicherheit und Überlegenheit entgegentrat, hatte im Verlaufe der Jagd die beiden Fremden, welche so dürftig eingeführt worden waren, bei weitem günstiger gestellt. Man beachtete sie sehr, man war neugierig, man fragte im Weitergehen den Meister Heinze nach ihnen. – Schaller, dies vorhersehend, hatte aber dem Meister schon zugeflüstert, was er zu sagen habe; diese Art von Verläugnung wurde dem ehrlichen Elbinger zwar sehr schwer, aber Schaller's Autorität, siegte auch hier, der Meister wußte nichts, als daß es ein Paar Fremde seien.'

Gustav's Bewillkommnung des Fräuleins hatte Niemand von der höheren Jagdgesellschaft bemerkt, das Fräulein war auch fortwährend so umringt von dienstbeflissenen Herrn, und der Jäger, welcher ihr die Flinte lud, wich ebenfalls keinen Augenblick von ihrer Seite, daß Gustav keinen neuen Versuch der Annäherung wagen konnte. Er verlor sie aber keinen Moment aus dem Gesichte, und trotz ihrer befremdenden Art, die früher so freundlich gehegte Bekanntschaft aufzunehmen, empfand er bei ihrem Anblicke das größte Entzücken. Daß er sich wirklich irren, daß sie eine andre sein könne, fuhr ihm wohl auch einmal durch den Sinn, fand aber keine Stätte, und wenn er zuweilen, nicht weit von ihrem Schußstande aufgestellt, dem Muthwillen nachgab und ihr auf weite Distance die Hasen wegschoß, welche ihr in den Schuß liefen, dann beantwortete sie diese Herausforderung auf der Stelle damit, daß sie ohne Weiteres in sein Terrain hineinschoß. Es war ihm, als ob er Toni da sprechen, spotten und lachen hörte.

Die Sonne schien prächtig – Gustav hatte all die lange Zeit des Leides vergessen.

Die Wetten waren alle gewonnen, die Fremden waren auf's Schloß geladen, das gnädige Fräulein hatte sogar aus dem Forsthause das hübsche Aennchen mit sich genommen, weil sie ihr wohlgefiel. Man saß zur Tafel, sogar Meister Heinze hatte am untersten Ende des Tisches ein Plätzchen gefunden, Herr Schaller erzählte Jagdgeschichten aus Rußland, Alles war guter Dinge.

Gustav hatte auf dem Rückwege das Verhältniß zu Toni und ihr Verläugnen desselben seinem Freunde mitgetheilt. – Ignoriren, mein Lieber, erwiderte er, ignoriren müssen Sie die Dame, dann wird sie selber kommen.

Gustav, seit längerer Zeit schon auf einen dreisteren Fuß der Welt gegenüber postirt, hatte bereits die nöthige Sicherheit dazu, er nahm nicht die geringste Notiz von dem Fräulein und tändelte zuweilen in lustigen Scherzreden mit Aennchen, welche Toni neben sich gesetzt hatte. Das Fräulein schien aber ebenfalls nicht das mindeste zu bemerken.

Unterdessen brachte Schaller ein Gespräch auf's Tapet, welches die allgemeine Aufmerksamkeit sehr in Anspruch zu nehmen schien: er fragte den Hauswirth, ob er nicht einen Verwandten seines Namens habe, der vor vielen Jahren auf Reisen gegangen sei? –

Nicht daß ich wüßte. –

Einem Manne Ihres Namens bin ich in Moskau begegnet, er war stark derangirt von der Reise, und ich hatte das Vergnügen, ihm nützlich sein zu können. Es waren wunderliche Geschichten, die er mir erzählte: wegen ungewöhnlichen Lebensansichten war er vom Vater nicht wohl gelitten, und hatte wegen eines Bruders, den er zu hänseln liebte, täglich neue Mißverhältnisse; kurz, die Heimath war ihm lästig worden, und er hatte sie eines Morgens ohne Abschied verlassen, um in die weite Welt zu gehn. Es schien ein gewisser Schalk in ihm zu wohnen, denn von besonderem Genüge war es ihm hinzuzusetzen, daß er als Aeltester Majoratsherr sei, und der Herr Bruder, welcher bei Verschollenheit des legalen Erben das Majorat angetreten habe, nun in der endlosen Besorgniß lebe, jener könne einmal plötzlich heimkehren.

Diese Mittheilung hatte eine Todtenstille erzeugt; die Gäste, welche das Verhältniß der Familie kannten, schienen eben so betroffen zu sein, wie der Hausherr. – Schaller schwieg aber nur einige Sekunden und sah lächelnd drein, dann setzte er hinzu: Ich glaube indessen, es ist keinerlei Besorgniß nöthig, der herumstreifende Majoratsherr kümmerte sich um viele Dinge, die ihn nichts angingen, und sprach, wo ihn Niemand gefragt hatte – das war nun in Rußland schlecht angebracht, man hat ihn, so viel ich weiß, nach Sibirien geschickt. Ich glaube wenigstens, mich geirrt zu haben, als ich mir ein Paar Jahre später einmal in Paris einbildete, in einem vorüberfliegenden Wagen hab' jener herumstreifende Majoratsherr gesessen.

Und nun folgten von dem gewandten Schaller so viel interessante Geschichten aus Paris, daß jene Erinnerung bald von der Theilnahme des Zirkels überdrängt wurde, wenigstens war man wieder gesprächig, und Niemand kam darauf zurück. Der Hausherr nöthigte stark zum Trinken, und kündigte für den zweiten Tag darauf eine neue Jagd an. Was von den Gästen gleich bis dahin bleiben wollte, ward dazu eingeladen, auch Schaller, Gustav, Meister Heinze und Aennchen – Meister Heinze schlug es rund ab: so lange könne er seine Kunden nicht umsonst nachfragen lassen, aber Aennchen ließ er da, und ging mit schwerem Herzen in Fräulein Antoniens Vorschlag ein, ihr Aennchen überhaupt auf einige Zeit zu überlassen, sie sollte in mancherlei Fertigkeiten unterrichtet werden. 'S ist zwar nicht nothwendig für sie, denn am Ende kriegt sie doch nur 'nen Bürgersmann, für den Kochen, Stricken und Nähen hinreicht, andre Herrlichkeiten sogar im Wege sind, und zu Hause wird mir angst und bange werden ohne das Kind, indessen ich will nicht in den Weg treten, über ein Mädchen beschließt der Herrgott selbst, und ein artig Kind ist's, wenn sie nicht eines Drechslers Tochter wäre, möchte das Beste für sie passen. –

Als Herr Schaller und Herr Dorn waren die beiden Schauspieler auf's Beste im Schlosse einlogirt; wofür man sie hielt, wußten sie nicht; sie saßen munter beim Frühstück und ließen sich von der Sonne bescheinen, die im Zimmer umher lag.

Gustav fragte, was an der Geschichte gewesen sei vom Majoratsherrn, –

Nichts, Lieber – wir brauchen Terrain und müssen uns eine Wichtigkeit geben. Ueber Kurz oder Lang erfahren sie doch, daß wir Schauspieler sind und weisen uns die Thür. Sie müssen aber doch einige Zeit und Gelegenheit haben, um mit Toni auf sichern Fuß zu kommen. – Schauspielerin ist sie gewesen, ich seh's am Putz, am Auge, am Teint, am Gange. –

Der Bediente trat ein: Der gnädige Herr lasse fragen, ob es den Herren gefällig sei, mit ihm auszureiten. Die Einladung ward angenommen.

Als man im Hoffe zu Pferde stieg, ward ein Fenster aufgerissen, Fräulein Antonie im fliegenden Negligée rief ihrem Onkel zu, nach welcher Richtung er ritte, sie wolle nachkommen.

Das Ignoriren wirkt! flüsterte Schaller neben Gustav.

Sie ritten langsam voraus, und es dauerte denn auch nicht lange, so kam Fräulein Antonie vollen Carrières nachgebraust. Sie hatte sich nicht die Zeit genommen, das Negligée mit einem Reitkleide zu vertauschen: die Locken flogen, ein Schuh war bereits verloren und der schöne Fuß saß nur strumpfbekleidet im Bügel, wild, aber verführerisch sah die rasche Dame drein, nahm keine Notiz vom Schelten des Onkels, ordnete ununterbrochen und ohne zu sprechen das widerspenstige, für das Reiten zu kurze Gewand und sah entschlossen wie zu einem Feldzuge bald dem Onkel, bald Herrn Schaller, bald Gustav in's Gesicht.

Mein Taschentuch, Herr Dorn, ich bitte!

Es flog rückwärts, Gustav ritt darnach und stieg ab; sie war alsbald bei ihm, die älteren Herren ritten weiter. –

Warum kennen Sie mich nicht, warum wollen Sie mich nicht kennen?

Mein Fräulein –

Sie sind impertinent; warum affektiren Sie auch unter vier Augen, mich nicht zu kennen – sagen Sie nichts, unterhalten Sie mich, aber angelegentlich, interessant – was ist aus der Bande geworden? Was spielt Herr Schaller? Was kokettirt er solch eine Wichtigkeit? wo hat er das Zeug dazu her?

Gustav lachte und küßte ihr den Fuß – da kam der Onkel schnellen Laufes zurückgeritten, um zu sehen, was es gäbe. –

Passen Sie heut Abend nach dem Thee ordentlich auf, damit ich Ihnen ein Billet geben kann. –

Das sprach sie im Augenblicke, wo der Onkel im Geräusch des galoppirenden Pferdes ankam. –

Jetzt war sie heiter, gesprächig, voll Witz und Muthwillen, und unterhielt Alle vortrefflich.

Des Abends sah sie reizend aus, und unter der Tasse, die sie Gustav reichte, berührte sie ihn mit den Fingern und steckte ihm das Briefchen zu.

Sie verlieren da etwas, sagte Schaller und griff ebenfalls unter die Tasse, aber Gustav war bei aller Bestürzung geschickt genug, diese Dreistigkeit unschädlich zu machen, das Billet zu retten.


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