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25.

Gustav saß wieder in der Werkstatt des Meister Heinze; der Meister drechselte, Aennchen ging ab und zu. Nach jener brutalen Behandlung, welche sie von Toni erduldet hatte, war sie durch Gustav sogleich nach Elbing zurückgebracht worden. »Ich hab' auch immerfort neben dem Fräulein weinen müssen, sie war alle Augenblick böse, und wenn sie gut war, da herzte und küßte sie mich, daß ich auch weinen mußte, ich weiß nicht, ob vor Freude.«

'S ist eben ein Edelfräulein, sprach Meister Heinze, was seine Launen hat, und nicht zu uns paßt.

Gustav seufzte. Wie schön, wie reizend war diese Toni in seine Sinne geprägt, und wie schmerzhaft hatte sie ihn verletzt durch die Behandlung Aennchens! Es griffen ihm Krallen in die Seele, wenn er davon erzählen hörte, und im Innersten fühlte er sich gedrängt, Aennchen durch Sanftheit und Gutthat zu entschädigen.

Meister Heinze fragte nach Herrn Schaller, und ob es denn wirklich wahr sei, daß er das schöne Rittergut dem bisherigen Herrn wieder geben wolle? Das wäre doch eine große Thorheit!

Auch die besten Leute solchen Standes, welche mit ihren Händen das Nothwendige erwerben, sind in dem Punkte des Besitzes zu einem Aufschwunge unfähig. Auf das kärglich zu erreichende Eigenthum ist ihr ganzes Wesen gerichtet, auch in den edelsten Gefühlen bleibt es der Mittelpunkt ihrer Innerlichkeit. Dieser Vorzug bleibt den höheren Standen als unveräußerliches Privilegium und wodurch sie ewig in den höheren Kreisen die Weltfortbildung in Händen haben.

Schaller trat ein; er begrüßte in alter Weise, und lächelte, Meister Heinze zog viel ehrfurchtsvoller sein Käppchen, als früher.

Lassen Sie uns einen Gang in's Freie machen, lieber Gustav, es wird Frühling draußen, und die Zugvögel haben ihre Flügel.

Sie gingen. Ich bin fertig mit der hiesigen Gegend, hub Schaller an, und verlasse Sie noch heute. Machen Sie mir keine Einwendung, Sie sind jung, Ihre Erfahrungen, so viel Sie deren auch schon gemacht haben, helfen Ihnen noch gar nichts; Erfahrungen brauchen wie der Adel ein gewisses Alter, um was zu gelten; nach einigen Jahren können Sie erst ein gesetzter Mann werden. Ein Entwickelungsroman kann nie in einem Athem abgeschlossen werden, er braucht seine Zeit, wie der Wein, der gähren und abgähren muß; versprechen Sie mir's, in den zwei nächsten Jahren nichts zu unternehmen, was über Ihr Leben entscheide!

Sie glauben jetzt Toni zu lieben; die Zeit wird nicht lange ausbleiben, wo Sie wissen, daß Sie nur verliebt in das Mädchen gewesen sind. Lassen Sie mir, lieber Gustav, bei unserm Abschiede die alte Offenheit: Sie sind ein gewöhnlicher Mensch, Gustav, und dürfen in keiner Weise plötzlich verfahren, um nicht unglücklich zu werden; gewöhnliche Menschen sind eben solche, die nur in den regelmäßigen, herkömmlichen Verhältnissen ihr Glück machen können; für diesen Gang können sie sogar ausgezeichnetes Einzelne haben, sie bleiben doch gewöhnliche Menschen, denn sie dürfen keine Stufe des vorgeschriebenen Weges überspringen, sie erfinden nichts.

Im jetzigen Verlaufe Ihres Lebens, lieber Gustav, blüht Ihnen kein Gedeihen, denn Sie sind außer Stand und Band des Regelmäßigen, so lange die Jugend vorhält, finden sich wohl immer kleine Hilfsmittel, denn Jugend besticht nicht nur die Weiber, sondern auch die Männer, weil sie ein angefangener Roman ist. Aber sie vergeht, und Sie enden im Hospitale; verzeihen Sie mir, ich bin Ihr Freund; warum ich es bin, liegt vielleicht auch nur im Reize Ihrer Jugend. Sie können mir mein eignes Leben vorhalten, allerdings bin ich auch ein Vagabund, aber ich bin vom Hause aus ein anders begabter Mensch, ich bin unternehmend und produktiv. Nennen Sie das nicht Arroganz: die Menschen wissen von selbst nie, ob sie wirklich begabt sind oder nicht, sie erfahren es erst von anderen oder durch andere, die sie neben sich sehen, und an welchen sie sich messen. Ich habe mich tausendfach geprüft, und doch bin ich, wie Sie mich da sehen in aller angemaßten Ueberlegenheit, die ich gegen Sie behaupte, ein Vagabund geworden, wenn auch in größerem Stile. Ich brauche eine wechselvolle Existenz um genügenden Lebensreiz zu haben, wenn ich auch vollkommen einsehe, wie ein Geordnetsein und Begnügtsein im Kleinen nöthig ist, wie ein solches für die meisten Menschen gar nicht erlassen werden kann.

Kurz, lieber Gustav, versuchen Sie von morgen an ein regelmäßiges Geschäftsleben, das fördert sich allmählig von selbst, und hält fest ohne unser weiteres Zuthun. Nach einem Glück von außen, nach einer reichen Heirath, dem großen Loose in der Lotterie suchen, darauf hoffen nur die Thoren; das freie Glück hat Sie in Prag verlassen, ein solches ist überhaupt nur wenig Menschen beschieden, man muß es für Ausnahme halten, um sich sicher zu stellen; seien Sie nun ein Mann, und erobern Sie systematisch, thätig im Kleinen und nach und nach wieder, was Ihnen das Geschick auf einmal genommen. Ich habe Ihnen eine kleine Anstellung in einer hiesigen Kanzellei ausgewirkt; lieber Gustav, treten Sie morgen dort ein, hoffen Sie auf nichts, als auf das, was Sie selbst schaffen, dann finden Sie auch ein Glück, das heißt Ihr Glück. Wollen Sie? –

– Des Abends saßen sie in der kleinen Stube beim Drechslermeister, der heute sogar nicht zum Biere gegangen war, um auf Herrn Schaller zu warten, der Abschied nehmen wollte. Er fand es unverzeihlich von diesem, das schöne Rittergut so leichtsinnig aufgegeben zu haben. Sogar Aennchen war sehr betrübt, daß der Herr Schaller fortreisen wollte, und Gustav in tiefen, schweren Gedanken.

Es schlug sieben, es schlug acht Uhr, und Herr Schaller war noch nicht da; die Unruhe der Erwartenden wurde sehr groß. Da kam ein kleiner Knabe durch die Thür geschlüpft und brachte ein Paquet an Herrn Dorn; darin lag ein neuer fest versiegelter Einschluß und ein offnes Billet:

Ich nehme nie Abschied, lieber Gustav, und wenn Sie das lesen, rennen die Pferde schon lange mit mir davon. Grüßen Sie Meister Heinze, grüßen Sie Aennchen sehr; ich beschwöre Sie, Gustav, werden Sie morgen Kanzellist, und glauben Sie fest, daß ich Sie liebe. Warum? Sie wissen, ich frage überall naseweis nach dem Warum. Warum ich Sie liebe? Ja, Liebe ist der geheimnißvolle Mittelpunkt eines Glücks, das wir mit aller Weisheit nicht definiren. Den Beischluß öffnen Sie erst am Tage vor Ihrer Hochzeit; ich weiß, Sie sind ein Ehrenmann und werden meine Bitte respektiren. Also höchstens erst nach zwei Jahren, und jetzt, lieber Gustav, werden Sie Kanzellist!

Ihr Schaller.

Das will nun ein gebildeter Mann sein, sagte Meister Heinze verdrießlich, und läuft heimlich fort, wie die Katze vom Taubenschlage.

'S ist recht garstig von ihm, meinte Aennchen.


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