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6.

Er hatte keine Zeit, und um es offen zu gestehn, freilich auch keinen Drang gehabt, Wlaska etwas sagen zu lassen. Im Städtchen ward es bald ruchbar, Gustav sei für lange Zeit fort und beginne eine ganz andre Karriere; Wlaska's Vater theilte dies sehr bestürzt seiner Tochter mit, sie empfing die Nachricht aber ganz anders, als er erwartet hatte: ihre Augen leuchteten, sie empfand mit vollem Genüge ihre tragische Situation. Es ging in der Woche zweimal ein Bote vom Städtchen nach Prag, dieser empfing in den ersten Wochen jedesmal zwei dicke Briefe an Gustav. Dieser wußte nicht recht, was er mit den überschwenglichen Dingen anfangen sollte, zu antworten hatte er darauf gar nichts, und trug in der ersten Zeit dem Boten Grüße auf für Wlaska. Später las er sie gar nicht mehr, bestellte auch keine Grüße, und Wlaska war nun der festen Ueberzeugung, die Briefe würden aufgefangen, man intriguire gegen ihr Glück, das Schicksal sei gegen sie, ein großartiges, entschiedenes Unglück sei ihr geworden, und das müsse nun mit aller Würde genossen werden. Sie zog sich von allem Umgange zurück, und kleidete sich schwarz. –

Gustav lebte in einem großen Kaufmannshause, mehr wie ein Gast, als wie ein Lernender behandelt. Er ward zu allen Gesellschaften gezogen, und es war leicht zu erkennen, daß die Frau seines Prinzipals eine Verbindung zwischen ihm und einer ihrer jungen Töchter sehr wünschenswerth gefunden hätte. Diese Töchter waren artige Mädchen – Gustav war auch wirklich so einförmig geartet, daß er hier einen solchen Heurathsbezug auf der Stelle erkannte, wie er ihm bei Wlaska durchaus fremd geblieben war. Er wußte, daß hier angemessene, gleiche Verhältnisse seien, und nur auf solchem Niveau war seine Phantasie thätig.

Uebrigens mögen wir doch ja nicht glauben, daß diese Erscheinung selten sei – die gegentheilige ist sogar Ausnahme. Die Trivialität derselben abgerechnet beruht sie auf sicheren und schweren Gründen: – außerhalb des Gleichartigen und Verwandten bewegt sich nur der schöpferische und bildende Mensch mit günstigem Erfolge, der unbedeutende, welcher in einer Erregtheit, einem Rausche seinen Kreis verläßt, wird unglücklich.

Der Bezug war da in Gustav, aber die Mädchen hatten sonst nichts Fesselndes für ihn; denn hier in den gleichen Verhältnissen finden wir ihn ganz klar und unbestochen, er kannte seine günstige Stellung zur Gesellschaft vollkommen, und wollte ruhig abwarten, ob eine Notwendigkeit, ein Drang des Herzens eintreten werde, wovon er in Büchern gelesen, wovon ja auch die kleine Wlaska gesprochen, wie er sich lächelnd manchmal erinnerte.

Allwöchentlich besuchte er die Tante, zog wirklich den Cousin Louis hinzu, um die Last des Geschäftes ihr zu erleichtern, war frisch, fröhlich, und hatte wohl auch hie und da, wenn er an einem schönen Sommermorgen mit den prächtigen raschen Pferden nach Prag zurückbrauste, einen religiösen Moment, das heißt, er dankte Gott, daß er ihn so glücklich gemacht habe.

Seine Prinzipalin machte ein Haus, und sah mehrere Abende in der Woche Gesellschaft bei sich, die Töchter hatten viele Talente ausgebildet, besonders musikalische, Gustav hatte eine schöne Stimme, hörte gern über Theater und Politik sprechen, sprach selbst gern, und so fand er sich denn mannigfach betheiligt, und fehlte nie bei den Soiréen.

Es war oft die Rede von der schönen Tochter eines reichen Patriziers, deren Reiz, Talent und Reichthum überall gepriesen, die von einer großen Zahl Bewerber umringt wurde. Gustav hatte die gepriesene Angélique nie gesehn; vielleicht war seine Prinzipalin daran schuld, welche eine mögliche Nebenbuhlerschaft so lange als es irgend anging, vermeiden wollte. Diesmal war Gustav gegen das Herkommen zeitig von der Tante zurückgekehrt, er hörte im Salon, daß Fräulein Angélique erwartet werde.

Ein junger Bekannter flüsterte ihm zu: das wäre eine Parthie für Dich, sieh, daß Du sie eroberst, sie heurathet nur nach Geschmack, Du bist ein schöner, stattlicher Bursche, versuch Dein Glück – sie muß dich schon gesehen haben, neulich scherzte eine alte Dame zu Angélique's Vater, und meinte, Du wärst eine Parthie für seine Tochter; der Alte lächelte, und Angélique, die sonst bei derlei Gelegenheiten sehr schnippisch ist, trat singend an's Fenster und tändelte mit ihrem Papagai. –

Der Bediente riß die Thüren auf, Angélique mit ihrer Mutter traten ein. Gustav war überrascht von der blendenden Schönheit des hoch gewachsenen, stattlichen Mädchens.

Angélique gehörte zu den jungen Damen unsrer jetzigen Gesellschaft, die nicht bloß durch ihr Aeußeres, nicht durch jenen geheimnißvollen Zug der Weiblichkeit, der uns Herz, Gemüth, Innigkeit verspricht, die Theilnahme und Neigung wecken, ihr Reiz ging viel mehr aus einem überraschenden Ensemble frischer Schönheit und frischen Geistes hervor. Alles in ihr war jung und lockend, und Niemand kam zu der Frage, von wo die Lockung stamme, die in diesem oder jenem Augenblicke den Mann befing.

Wenn eine Stadt gutes Glück hat, so wird sie in ihrem Damenkreise gemeinhin eine solche weibliche Erscheinung haben, welche die unbestrittene Herrschaft führt. Es wäre sehr falsch, diese ohne weiteres die Modedame zu nennen, obwohl sie nicht wohl' denkbar ist ohne erste Tonangeberin dessen, was gefällig ist. Aber sie gebietet keineswegs durch die Mode, diese ist ihr im Gegentheil unterthan wie alles Uebrige und nur Mittel und Werkzeug; solche weibliche Erscheinung herrscht lediglich durch ein Naturel, welches in seiner Mannigfaltigkeit und in den kraftvollen Elementen der einzelnen Befähigungen stark und überwältigend ist. Es mag sogar zugegeben werden, daß der einzelnen mächtigen Eigenschaften gar nicht so viele sind, trotz dem besiegt die Inhaberin derselben das Reichere neben sich, weil sie stets Alles koncentrirt und schlagfertig in Händen trägt. Vielleicht ist es das, was wir beim Manne Charakter und Energie nennen, und was also hier Charakter und Energie des Reizes heißen dürfte.

Oberflächliche, furchtsame und weiche Leute haben für solche Erscheinung ein stehendes Bedauern: sie sagen nämlich, das Gemüth und die Seele des Weibes komme immer dabei zu kurz, wenn dies in der modernen Welt eine solche Herrschaft ausübe. Oft ist's auch ein unerkannter Neid, der sich unfähig fühlt, solche Genialität zu erreichen. Jener vorgeworfene Mangel mag oft eintreten, aber er ist durchaus nicht nothwendig neben solchen Vorzügen.

Was Angélique betrifft, so kann vor der Hand auf das Für oder Wider des letzteren Punktes noch nicht eingegangen werden. Sie war ein fröhlich grünender Baum, der auf der Sonnenseite des Berges lustig und gedeihlich emporgewachsen war, seine spielenden Zweige lockten schon von Weitem, und wer in die Nähe kam, der fühlte das Wehen und den Hauch einer erquicklichen, kräftigenden Jugend. Haben doch Bäume und Mädchen so viel jungfräulich Verwandtes, die schauernde, lispelnde Birke und die kräftiger rauschende und doch seine Esche entsprechen gar oft der Mädchenweise. Zum Theil darum war ein schöner Hain von Bäumen den alten Völkern geheiligt und Ehrfurcht erweckend in seiner keuschen Schönheit.

Es war auch, als ob solch ein munter rauschender Eschenbaum in den Salon verpflanzt wäre, als Angélique eintrat, die Atmosphäre war frischer geworden, sogar die alten Herren am Spieltische kuckten auf, woher ihnen der Schirm gegen die eintönige Wärme, das muntre Wehen gekommen sei.

Da eben gesungen wurde, löste sie eilig den einförmig begleitenden Klaviermeister ab, entledigte sich rasch der Handschuhe, sah links zur sangslustigen Tochter des Hauses, rechts zu Gustav auf, die ein Duett vortragen wollten, und gab mit fröhlichem Neigen des Hauptes und der Augenlieder das Signal; mit Feuer und Präcision leitete sie das Musikstück und applaudirte am Ende selbst mit den Worten: Das haben wir sehr gut gemacht. Gustav ward ihr vorgestellt, sie sagte ihm Artiges über seine Stimme, und ermunterte ihn, die Ausbildung derselben sich angelegen sein zu lassen – in diesem Ermahnenden lag so viel didaktische Ueberhebung, daß mancher andere, geprüftere Mann gelächelt hätte. Diese zuversichtliche Manier war dem Mädchen eigen, und Gustav war so berauscht von der ganzen Erscheinung, daß ihm solche Freiheit des Standpunktes indem Augenblicke gar nicht zu Diensten war.

Das Aeußere Angéliques erinnerte sehr an die geistreichen Frauenbilder aus Ludwigs XIV. Zeit, welche uns kecke Maler hinterlassen haben. Freilich täuscht man sich darin oft, eine wirklich charakteristische Erscheinung hat uns immer den Hintergrund, die Verwandtschaft eines Historischen; der Ahnentrieb liegt so tief in unsrer Seele, daß er uns selbst beim Eindrucke einer Schönheit zu Hülfe kommt.

Dem Leser sind wohl jene französischen Frauenköpfe begegnet, aus denen so viel witzige Anmuth, so viel gefälliger, feiner Reiz herausblickt: man kann bis zu François' Diana von Poitiers zurückgehen, aber bei der Maintenon möge man verweilen. Ungefähr wie dieser braune Locken um Schultern und Nacken flatterten, wie ihre weich und doch scharf geschnittenen Züge den geschmeidigen Geist und den innerlichst heiteren Sinn ausdrücken, den eine kecke Intrigue wohl auch so weit belustigen könne, daß sie zum Genusse keiner Mittheilung nöthig hat – beiläufig ein Zeichen der stärksten Geister – ungefähr dieser Art war Angélique's Kopf. Muthwille und Uebermuth saßen um den kleinen, ein wenig aufgeworfenen Mund, der Schalk und der schnelle Entschluß blitzten aus den glänzenden braunen Augen, die Nase war schmal und vornehm, der ganze Charakter des Körpers war längliche Schlankheit in Schultern, Taille, Händen und Füßen, aber so schwellend von fester Jugendfülle gestützt und umkleidet, daß sie den Eindruck eines üppig knospenden Frühlingstages machte. Einen Tag vorher ist die Natur noch zu spröde, einen Tag nachher schon zu weit auseinandergehend in Blüthe.

Die Leidenschaft kam wie ein Sturmwind über Gustav.


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