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12.

So saß er denn einsam des Abends im großen öden Zimmer der Tante, die beiden Talglichter brannten wieder, aber heute mit großen Schneuzen, denn die sorglich putzende Hand fehlte; mit großer Traurigkeit sah Gustav in die Schatten hinein, welche der kümmerliche Strahl im weiten Zimmer entstehen ließ, ach wie einsam und schmerzlich war ihm zu Muthe!

Zum ersten Male traten ernste Gedanken in sein Leben, wenn auch in großer Ferne, wie irdische Herrlichkeit vergänglich sei, drängte sich ihm zum ersten Male auf; gleich Possen erschienen ihm jetzt die kurzen Liebeskümmernisse, besonders da sie beseitigt, und nicht mehr zu fürchten waren. Nur was droht, erhält in Spannung. Die Tante, die gute, liebe Tante war fort, sie sollte seine erfüllte, schöne Existenz nicht mehr erleben! Haben wir doch für jeden Abschnitt unsers Lebens jene gleichgültigen Zeugen unsrer Geschichte, die uns so wichtig und nothwendig sind – Glück und Unglück, was ist es für uns allein! Wir brauchen Publikum, was uns vorher gesehen, was für uns erwartet oder gefürchtet hat, sei's auch nur, weil wir neben ihm lebten. Wenn wir die Heimath verlassen haben, so ist uns Alles darum von großer Bedeutung, weil es die Unsrigen, unsere Nachbarn erfahren werden, weil wir denken: was mögen sie dazu sagen, wie mögen sie sich verwundern. Nichts ist uns eine Herrlichkeit tief hinten in China oder sonstwo – es kommt keine Zeitung, kein Bezug zu unsern Bekannten. Dies Publikum verbleicht, geht unter mit den Jahren, aber stets ein neues ersetzt dasselbe, die letzte Umgebung tritt in die Rechte der vorletzten, das stuft sich ab, und die Schattirungen bilden einen Haupthintergrund unsers Lebens-Interesses; häufiger, schneller Wechsel, der keine nahen Beziehungen gestattet, ist aus diesem Grunde so leer, so ermüdend. Und hier war es nun gar die beste mütterliche Freundin, welche den jungen Mann so kräftig, ausschließlich geliebt, welche auf sein Gedeihen alle irdische Freude gestellt hatte – und nun war sie geschieden für diese ganze goldne Welt, sie sah nichts mehr von ihm, er nichts mehr von ihr, halbfremde Gestalten waren bei ihrem Lager gewesen, als die Trennung unerbittlich nahe trat. Thränenfluth auf Thränenfluth stürzte ihm aus den Augen, er legte den Kopf auf den alten wohlbekannten Tisch, und gab sich ganz dem Schmerze hin – unartig, dreist, eigennützig bist du auch gegen sie gewesen, dachte er mit Trübsal, hast sie verlassen, die Gute, um deinem Vergnügen zu dienen, die gute, liebe Tante.

Es war spät geworden, ehe sich sein Schmerz erschöpfte; dann ging er noch traurig im wüsten Zimmer umher, bis ihn Schauer des Unglücks und Todes forttrieben – es ist das Entsetzliche des Todes, daß er Leichen macht, die uns Grauen einflößen, auch wenn uns Gestalt und Form theuer waren, so lange Leben pulsirte, daß er den Körper nicht nur mordet, sondern auch furchtbar macht. Mit Bangen sah Gustav nach der offenen Kammerthür, um keinen Preis hätte er ihre Schwelle überschreiten mögen, und es erstarrte ihm der Gedanke das Blut, daß die Tante plötzlich in weißem Anzug dort in der dunkeln Thüröffnung erscheinen könnte, dieselbe Tante, deren Verlust ihn so tief beugte.

Oder war es dies nicht allein? Schon als er auf seinem Zimmer sich zum Schlafengehn eingerichtet hatte, blieb die Beklommenheit gewaltig in seinem Wesen, als sei es vorbei mit aller Freude dieser Welt.

Die Nacht war windig geworden, und klapperte störend mit den Fenstern. Halb schlafend, halb wachend, halb träumend lag er bis zum ersten Morgenstrahle; da trieb's ihn auf, er mußte einen Gang in's Freie machen, um Luft zu gewinnen.

Zurückkommend fühlte er sich so weit gestärkt, die Angelegenheiten des Vermächtnisses zu ordnen, ließ sich von Cousin Louis die Schlüssel zum alten Schreibtische geben, in welchem das Testament lag, und stieg hinauf, um das Nöthige anzuordnen. Er wußte genau die Stelle, wo die Tante das Testament verwahrt hatte – sie war leer. Nun, sie mochte in den kranken Tagen wohl von ihrer sonstigen Ordnung nachgelassen haben, und das Testament konnte unter die andern Papiere gerathen sein – er durchsuchte Alles, es fand sich nicht. Louis ward gerufen – wann ihm die Tante das Schlüsselbund übergeben, ob sie sonst etwas verordnet habe?

Die Schlüssel hatte sie gar nicht übergeben, man hatte sie unter dem Kopfkissen gefunden, sonst hatte sie nichts bestellt.

Wo das Testament sei? –

Louis zuckte die Achseln.

Ob er den Schreibtisch geöffnet habe?

Nein.

Der alte Vetter kam dazu und erklärte in seiner ordinairen Weise, Gustav möge sich beruhigen, die Verwandten, welche ohne Testament die Erben waren, würden ihm seinen kleinen Antheil nicht schmälern, und da er in dem Testamente, was die Tante kassirt haben müsse, alleiniger Erbe gewesen sei, so würde es ihnen auch auf ein wenig Entschädigung nicht ankommen, Gustav müsse sich's übrigens nicht wundern lassen, warum habe er sich in letzter Zeit gar nicht um die Tante gekümmert, alte Leute seien eigensinnig.

Bleich vor Zorn und Aerger stand Gustav da – an den wirklichen Verlust dachte er noch gar nicht, und die Frechheit des Alten empörte ihn. Er befahl ihm mit zitternder Stimme auf der Stelle das Zimmer zu verlassen. –

Oho, junger Herr, versetzte dieser ruhig, und setzte sich auf einen Stuhl, die Zeiten des Hochmuths sind vorüber, wenn Sie allein handthieren wollen, da suchen Sie sich draußen auf der Straße Platz.

Gustav's Aufmerksamkeit hatte sich unterdeß wieder auf die Papiere gerichtet – umsonst durchsuchte er mit fliegender Hand alle, umsonst wendete er auch das kleinste Blättchen nach allen Seiten, dem er von Weitem ansah, daß es das Gesuchte nicht sein könne.

Ruft den Pater Lorenz, rief er hinter sich.–

Der Alte schlug ein rohes Gelächter auf und meinte, vom Kirchhofe ließen sich die Leute nicht mehr rufen wie die Bediente.

Die Erinnerung an des Paters Tod, den er in der Angst vergessen, traf ihn wie ein Donnerschlag. Die Gerichtsperson, welche mit dem Pater das Testament als Zeuge unterschrieben hatte, war längst gestorben, bei den Gerichten werden in Oesterreich die Vermächtnisse nicht niedergelegt, oder autorisirt; wenn sich das Testament nicht fand, war Alles verloren, es war kein lebender Zeuge übrig.

Gustav sah dem Cousin Louis starr in's Gesicht – dieser ward todtenbleich und schlug die Augen nieder. Schweigend nahm ihn Gustav bei'm Arme und führte ihn hinaus auf den Saal. –

Mensch, was hast Du gethan? Wo ist es hin?

Und nun sprach er ihm so lebhaft und eindringlich in's Gewissen, daß Louis die Thränen aus den Augen stürzten, und er nach Gustav's Händen griff – da trat der Alte aus der Thür, und drängte sich zwischen sie ein; der günstige Augenblick, wenn überhaupt etwas zu erlangen war, ging vorüber und kehrte nicht mehr zurück.

Gustav mußte übrigens wohl bald einsehn, daß, wenn Louis zur Unterschlagung des Testaments behilflich gewesen war, nichts mehr vorhanden sein mochte von dem Aktenstücke, Louis jedenfalls nicht allein betheiligt und nicht unabhängig sein konnte. Der Versuch, ihm eine stattliche Summe anzubieten, eine Summe, die jedenfalls seinen jetzigen Antheil am versplitterten Vermögen überstiege, war deshalb auch unstatthaft; es blieb Gustav nichts übrig, als die Einsicht, daß Alles verloren sei.

Er ließ anspannen; da kam auch noch Wlaska's Vater, um das Maß vollzumachen, und hielt ihm vor, daß Alles dies geschehen sei, weil er hochmüthig seine Tochter verschmäht habe, und er trage die Schuld, daß sie jetzt Gott weiß wo in der weiten Welt betteln ginge, wenn sie nicht im Wasser läge – der alte Vetter trat hinzu, und erbot sich mit widerwärtiger Vertraulichkeit zu einer kleinen Unterstützung, bis die Erbschaftsmasse geordnet und unter die zwanzig bis dreißig Verwandten getheilt sei. Gedemüthigt und entrüstet eilte Gustav nach dem Wagen, und fuhr nach Prag.

Unterwegs erst fiel ihm sein neuer, so ganz andrer Bezug zu Angélique ein, und ein Fieberschauer überflog ihn – dem Mädchen traute er nicht im Entferntesten eine gemeine Gesinnung zu, aber der Vater stand in seiner feisten, mit Glücksgütern gefesteten Position unverrückbar vor seinen Augen, und der alte Stolz des Herzens flüsterte leise in des jungen Mannes Innern, in irgend einem Winkel des Innern, den er selbst nicht entdecken konnte oder mochte: du wirst Angélique nicht heirathen.

Durch's gewölbte Thor rasselte der Wagen; so mag einem Eingefangenen zu Muthe sein, dem die Festung kommt, wo er sein noch halb junges Leben beschließen soll. Alle die tausend Anfänge versprechender Zustände, gedeihender Verhältnisse, alle die blauen Perspektiven eines rüstigen Geistes und Herzens sind dahin, ein schwarzer drückender Nebel liegt auf der Welt – nur ein einziger dunkler Gang liegt vor ihm, und am Ende desselben der Tod.


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