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13.

Die Luft war wieder sanft und warm, es leuchtete und erquickte wieder der Sonnenschein, die Schwalben flogen wieder um den Balkon wie an dem Tage, da er oben überglücklich im großen Zimmer gesessen.

Wie trat er jetzt in's Haus! Der respektvolle Gruß des Portiers erschreckte ihn: auch der wird sich ändern, wird lachend seine beflissene Dienstfertigkeit fallen lassen, wenn er erfährt, daß Du ein Bettler bist. Es ist schon eine Täuschung, daß Du ihm nicht sagst: Lieber Freund, inkommodiren Sie sich nicht, die vornehmen Zeiten sind vorüber.

Auch Angélique saß wieder im weißen Gewande da und sprang ihm jubelnd und leidenschaftlich entgegen – ach, wie schmerzlich war's! Er wehrte ihre Liebkosungen ab. –

Was hast Du, Gustav?

Wenn Du es weißt, Angélique, dann ist es mit Küssen und Herrlichkeiten vorbei – ich erinnere mich jetzt einer Geschichte, die mir die Wlaska einst erzählte, vom unglücklichen Romeo: die todtgeglaubte Julia, seine Heißgeliebte, erwacht gesund, tritt ihm entgegen mit den schimmerndsten Ansprüchen und Hoffnungen auf ein reiches Leben; er hat aber ihres Todes wegen schon Gift genommen, und die Vernichtung in sich tragend sieht er mit starrem Auge allen Glanz des Lebens vor sich ausgebreitet.

Um Gotteswillen, was ist geschehen, Gustav, so warst Du nie!

Schenke dem alten glücklichen Bräutigam noch einen keuschen Kuß, Angélique – zu viel, zu viel – nun höre.

Einfach trug er ihr Alles vor.

Angélique indessen wollte darin keinen Grund zur Trennung sehen – was brauch ich Dein Geld, mein Vater ist reich genug! Und dabei umarmte sie ihn von Neuem. Die traurige Erzählung hatte Thränen in ihre Augen gedrängt, sie war aufgelöst von Zärtlichkeit und Hingebung. Umsonst protestirte Gustav, ach, er hatte allen Drang des Innern gegen den gefaßten Entschluß zu bekämpfen; seine hoch gehende Stimmung, just darum recht das Opfer zu bringen, weil es sich so würdig für eine freudenlose Zukunft gestalte, seine Rührung schlug über in überschwengliche Liebe, und so vergaß er den Widerstand. Pap aber rief wie damals »Glück zu! Glück zu!«

Spät erst kam er zu der bestimmten Erklärung, den Vater aufsuchen und ihm den Stand der Dinge mittheilen zu müssen.

Der Alte saß fest behaglich in seinem Zimmer, was auf den Hof ging, und fütterte seine Tauben, die hereingeflogen kamen. Derb und zuthunlich begrüßte er Gustav – dieser erzählte.

Während der Erzählung wurden die Tauben fortgejagt, wurde die Pfeife weggestellt. Gustav schloß damit, daß er in Frage stellte, ob bei so veränderten Umständen die Heirath Angélique's von seiner Seite noch erbeten werden könne? –

Nein, Herr Dorn, nein, sagte der Papa mit klarer Stimme, und erhob sich – es ist sehr wacker von Ihnen, daß Sie so offen sind, und das Verhältniß nun selbst in Frage ziehn; nein, nun paßt die Sache nicht mehr, und das Mädchen muß sich finden.

Gustav empfahl sich kurz – das Herz hatte ihm zerspringen mögen vor Zorn und Liebe.

Er ging heim, schrieb Angélique, was vorgefallen, sagte ihr unter strömenden Thränen Lebewohl.

Dann packte er das Nächste, was ihm in die Hände fiel, von seinen Sachen zusammen und machte sich reisefertig.

Unterdessen kam schon Antwort von Angélique – »Du darfst nicht fort, ich lasse Dich nicht, ich widerspreche meinem Vater. Ja, er hat mir verboten, Dich in seinem Hause zu empfangen, aber ich komme zu Dir, die Mutter ist auf meiner Seite, heut Abend um Neun suchen wir Dich vor der Kirche des heiligen Wenzel.« –

Wußte er's, was er thun sollte? Liebesdrang ist stärker als Alles. Er ging hin. Es war ein bedeckter dunkler Abend, selten ging Jemand an der Kirche vorüber, Gustav war vor den Frauen da, und lehnte sich an die Mauer. Ein kleiner Schusterjunge mit klappernden Pantoffeln kam des Weges, und jodelte sich eine jubelnde Melodie – glücklicher Junge, dachte Gustav, du hast nichts zu verlieren.

Uebrigens war er selbst keineswegs auf dem Klaren mit seinem Zustande; wenn er auch wußte, daß ihm ein großes Vermögen entwendet sei, so blieb ihm doch alle Vorstellung von eigentlicher Armuth fremd; so weit dachte und detaillirte er gar nicht. Geld und Sorge darum lag ihm gar nicht im Sinne; dafür war er in diesem Punkte zu sorglos aufgewachsen; nur wer mit leerem Beutel ist groß geworden, wer das Nöthige hat erwerben müssen, denkt daran, daß der eben volle Beutel leer wird, denkt daran, wie neues Material errungen werden kann. Gustav hatte nur ein Gefühl seines Unglücks, aber keine Vorstellung desselben.

Sie kamen. Angélique war eitel Leidenschaft und Ungestüm, sie schalt und weinte und küßte, und die Mutter hatte fortwährend zu beschwichtigen. An Entschluß, Resultat war nicht zu denken; wenn Gustav bestimmt erklärte, daß er sie frei gäbe und ginge, da brach sie in größte Heftigkeit des Schmerzes und der Forderung aus, und auch die Mutter sagte, er solle nichts übereilen.

Du gehst nicht, Gustav, sagte sie leise, als die Mutter zum Aufbruche trieb, morgen Abend um Elf komm auf den Balkon, dort erwarte ich Dich, um Dich zu küssen und die Pläne mitzutheilen, die sich mir darbieten werden.

So schieden sie.

Der nächste Tag war ein entsetzlicher für Gustav, und er hätte zuverlässig die Stadt verlassen, wäre nicht die Zusage des Rendezvouz gewesen. Wahrlich, es ist schnell gesagt, daß man sich darüber hinwegsetzen müsse, was die Leute sagen, aber das Gerede der Leute ist unser äußeres Gewissen, was eben so peinigen kann, wie das innere. Nur die stärksten und die schwächsten Menschen fürchten es nicht. Das Gerücht von Gustavs Verlust hatte sich wie ein Lauffeuer verbreitet. Die Masse bewegt sich in lauter Extremen, sie ist am gerechtesten und am grausamsten, und öftrer das letzte; Hinrichtungen genießt sie. Keiner hatte dem Andern etwas Angelegentlicheres zu sagen gehabt, als daß der schöne, stolze Herr Dorn gestürzt, der Erbschaft verlustig sei. Man sagte geradezu »gestürzt«, denn man betrachtet einen Glücklichen solcher Art immer wie einen Tyrannen, und bürdet es ihm zur Last, daß er so oder so aus der langsamen, schweren Alltäglichkeit erhoben sei. Nun kam jeder Lump von Bekannten, der einmal Billard mit ihm gespielt, oder neben ihm im Theater gesessen hatte, und plapperte sein Bedauern und setzte gemüthlich hinzu, Angélique's Papa werde sich doch nicht unanständig betragen. Und die näheren Bekannten waren eben so lästig; sie hatten ein Recht zur Erinnerung und zum Beileid. Für jene lernte Gustav im Laufe des Tages ein widerwärtiges Lachen, und die Versicherungen, es sei eine Kleinigkeit; aber gegen diese fand sich kein Schutz. Einen wirklichen Freund hatte er nicht, dazu waren seine Herzensbedürfnisse viel zu oberflächlich gewesen – Hindernisse weisen immer am ersten in Tiefe und Nachdenken, und dafür suchen und erwerben wir uns Begleiter; Hindernisse hatte es aber vorher in seiner Existenz nicht gegeben, er hatte Niemand gebraucht. So oberflächlich läßt uns ein ungestörtes Gelingen; was die Leute so ohne Weiteres Glück nennen, das ist ein einzelner, junger, einsamer Baum – wenn plötzlich der Sturmwind über die Fläche stürzt, dann bricht er ihn jäh, nicht links noch rechts sind Genossen, welche einen Theil der Windskraft aufnehmen und also ihre Wuth brechen helfen.

Am Abende war es Gustav unwiderleglich klar, daß er Angélique nicht heirathen könne, auch wenn nichts im Wege stünde, als die Meinung der Leute.

Wüsten, traurigen Herzens ging er nach Angélique's Hause; voll, schwer und warm ging der Nachtwind, und einzelne, große Tropfen fielen aus dem festbedeckten Himmel; auch die Natur glich einem schwer bedrängten Jünglinge, der nicht zum vollen Schmerzensausbruche kommen mag – die Straßen waren todtenstill, sein Tritt hallte wieder.

Angélique erwartete ihn auf dem Balkon und führte ihn rasch in's Zimmer; sie hatte einen schwarzseidnen Mantel umgeschlagen und schien sehr ängstlich. Schnell, schnell, Gustav – flüsterte sie–damit Dich Niemand sieht, und sprich leise.–

Wo ist Deine Kühnheit, Deine Zuversicht hin, Angélique?

Ach, Gustav, seufzte sie und lehnte sich weinend an seine Brust – der Vater hat heute eine ganze Stunde in mich hinein gesprochen; wir haben gar keine Aussicht.

Gustav glaubte Alles zu übersehn. – Den Vortheil gewährt eine reiche Stellung fast immer, daß sie ein Zartgefühl für zweifelhafte Beziehungen lebendig erhält, was in der Trivialität des Mangels leicht untergeht, und bei bedrängten Umständen nur den besten, von Kindesbein an noblen Naturen bleibt. Auch der letzte Schatten von Täuschung, die letzte Illusion unabhängiger Zuneigung, die für ihn bei Angélique vorausgesetzt werden durfte, schwand.

Ja wohl, sagte er, wir haben keine Aussicht, und sind fertig. Dabei umschloß er sie noch einmal krampfhaft, wie ein Schiffbrüchiger, der einen letzten lebhaften Anlauf des Schwimmens versucht, obwohl er weiß, daß er gleich darauf völlig erschöpft sein und untergehn werde. Dies Gefühl schien sich auch Angélique mitzutheilen, sie hielt ihn fest in der Umarmung, welche er rasch beenden wollte, sie drängte sich mit voller Hingebung an ihn, bedeckte ihn mit Küssen, schluchzte und bebte.

Der Augenblick, das wirkliche Leben ist ein Riese gegen alle Zukunft. Auch Gustav gab sich diesem Liebesgenusse der Verzweiflung völlig hin– bei einer Bewegung des Armes stieß er an Pap's Käfig, der in der Nähe stand; halb ermuntert, halb schlafend rief Pap das Einzige, was er wußte, »Glück zu!«

Der Gedanke, daß dies thörichte Wesen Recht gehabt, flog an Gustav's Seele vorüber wie ein schneller Vogel; weiter denken mochte er nicht, weder er noch sie sprachen ein Wort, auch als er sich losriß, und nach dem Balkon eilte –

Falle nicht, Gustav – leb wohl, leb wohl! flüsterte sie aus dem Zimmer nach, wahrend er rasch hinabkletterte.

Der Regen fiel in Strömen vom Himmel – noch einen flüchtigen Rückblick warf Gustav auf das Haus, und murmelte zwischen den Zähnen: Auf Nimmerwiedersehn! Hinter der wogenden Neigung, die nichts Feindliches duldet, schien tief zusammengekauert Entrüstung und Zorn zu lauern.

Er weckte zu Hause den Bedienten, ließ einen Postwagen holen und fuhr in Nacht und Regen aus der Stadt.

Ade, mein Glück, meine Jugend! sprach er, als das Steinpflaster aufhörte, und drückte sich in die Ecke und hüllte sich in den Mantel, um den Schlaf heranzulocken, um bewußtlos zu werden.


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