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11.

Gustav war noch nicht weit gekommen, als es ihm einfiel, daß Angélique nur des Jakobs wegen so schnell abgebrochen haben könne, er fühlte so etwas von den plötzlichen Wendepunkten im weiblichen Wesen, welche oft dem Wetter südlicher Gegenden gleichen, wo die Tornados, Gewitterstürme, plötzlich in das schönste hereinbrechen und umgekehrt, er fühlte noch die hingebende Hand, die lockende Wärme derselben. Ohne zu wissen, warum, wendete er sich zurück, und stand in Kurzem wieder vor Angéliques Wohnung.

Es war ein graues steinernes Haus, was selbst in seiner mürrischen, aber gediegenen Außenseite die Solidität wohlhäbiger Reichsbürger verrieth, oder die Verarmung eines glänzenden Kavaliers andeutete, von dem es in feste, harte Hände übergegangen sei. Das Portal wurde von kolossalen Karyatiden getragen, und stützte einen Balkon des ersten Stockwerks.

Dicht neben diesem Balkon war Licht – dort wohnte Angélique. Das Haus warf breiten Schatten, und der Mond ward jetzt oft von dichten Wolken bedeckt, Gustav konnte nicht schnell gesehen werden. Dies bestärkte ihn in abenteuerlichen Plänen, die sich in seinem Kopfe herum tummelten.

Das Licht verschwand, Angélique mochte sich in's Schlafzimmer zurückgezogen haben; Gustav's Hoffnung und Pläne stiebten auseinander, es ward ihm wieder traurig zu Muthe. In schwermüthige Träumereien versinkend stand er da, zum Gehen faßte er keinen Entschluß, ihm war, als könne er nicht heim finden.

Da ging eine Gardine von Angéliques Zimmer in die Höhe, das Fenster ward geöffnet, die Dunkelheit ließ eine weiße Erscheinung sehn.

Gustav schlich leise unter das Portal, und kletterte an den Vorsprüngen der Karyatiden in die Höhe; so kam er bis dicht unter den Balkon ohne Geräusch, und hier lauschte er, ob auch Angélique die weiße Gestalt sei – mit halber Stimme summte diese ein Liedchen vor sich hin, was eine ernstere Melodie hatte, als Angélique zu singen pflegte. So in der Nähe konnte er die Worte verstehn:

Leichte Wolken, leichte Winde
Fliegen unter'm Mond einher,
Schlägt mein Herz doch so geschwinde,
Ist mir doch bald süß, bald schwer. -

Heiß mein Athem, heiß die Wange,
Bleicher Mond, was bringst Du mir?
Ob ich wohl nach Ihm verlange,
Ob ich wünsche: wär' er hier?

Es war ihre Stimme.

Angélique!

Gustav! Herr Gott!

Mit einem kräftigen Griffe hatte er einen Anhalt am Balkone gefaßt, und sich hinaufgeschwungen.

Um Gottes willen, was thun Sie!

Bei diesen Worten streckte sie aber die Hand nach ihm aus, der schon sicher und fest auf dem Balkon stand, gleich als wollte sie ihn halten – hastig griff er darnach, und küßte sie mit Inbrunst, ohne ein Wort zu sprechen.

Wenn uns Jemand sieht!

Es ist ja dunkle Nacht. –

Das Fenster, aus welchem Angélique heraussah, reichte just bis an den Balkon, ohne auf ihn selbst zu führen. Gustav betheuerte ihr in den glühendsten Ausdrücken seine überschwengliche Liebe, und bat auf das Rührendste um Erwiderung des heftigen, reizenden Dranges – Angélique, im weißen Nachtkleide, schön und heiß wie die Braut eines Gottes, der in schweigender Nacht erwartet wird, schwieg; aber die Hand lebte, und sprach unruhig und bewegt; Gustav bückte sich hinüber, legte seine Linke auf ihre Schulter, und schweigend, ganz ohne ein zugestehendes Wort kam ihm das blühende und glühende Antlitz entgegen, der Kuß fand den Kuß brennend und schön wie Tag und Morgen sich in der Morgendämmerung finden.

Erst die Angst, daß er sich zu weit überbeugen könne, brachte ihr Worte, und um die Gefahr für ihn zu verringern, neigte sie sich weiter heraus, und dies also erzeugte Entgegenkommen fachte sein Leben noch höher an – all jene Nebel und Wogen, die unsere befangenen Sinne um sich her glauben, bedeckten die Küssenden, sie vergaßen Situation und Welt und Frage.

Nach Erschöpfung des ersten Sturmes bat Gustav, sie möge in das anstoßende Zimmer kommen, »damit ich Dich näher, inniger habe.« –

Das war nicht möglich, jenes große Mittelzimmer, dessen drei Fenster auf den Balkon führten, war von innen verschlossen, sie mußten sich begnügen. –

Als Angélique ihn forttrieb war noch kein Wort weiter zwischen ihnen gesprochen worden – auch jetzt taumelte er nach Hause, aber wie der Sturmwind tobte das Glück in ihm.

Ist denn das Alles an einem Tage vorgegangen? sagte er zu sich, kann man an einem Tage so grenzenlos unglücklich, und so grenzenlos glücklich sein?

Wirklich vereinte sich Alles, um Gustav's Glauben zu bestärken, daß ihm das Glück in aller Weise und Verkündigung beschert worden sei: die letzten Hindernisse hatten ihm deutlich gezeigt, welch eine Nothwendigkeit, welch ein Schatz das reizende Mädchen für ihn wäre, und er schätzte den schon verloren geglaubten Besitz um so höher; die Eltern Angéliques legten seiner Brautwerbung nichts in den Weg, der dicke Vater bezeigte ihm sogar die größte Zufriedenheit damit, und nannte ihn mehr als nöthig war »Herr Sohn« und »mein Herr Sohn« und schlug gemeinschaftliche Käufe und Unternehmungen vor, die in weite Zukunft reichten, und eine unzertrennlich verknüpfte Existenz voraussetzten, die Tante hatte ebenfalls ihren Segen gegeben, Angélique war ein Engel von Reiz und Liebenswürdigkeit gegen ihn, die Kameraden beneideten und priesen sein Loos, die Gleichgültigen fanden das proklamirte Verhältniß sehr konvenabel, er selbst war gesund, frisch – was fehlte zum Glücke, was ging dazu ab?

Unbesprochen, pflegte die Tante zu sagen, aber das Glück ist Dein, Gustav, und damit Du nicht immer herauszufahren brauchst, was Dir doch in der nächsten Flitterzeit beschwerlich werden dürfte, so werd' ich nach Prag ziehen, Cousin Louis ist eingerichtet in die Geschäfte – hattest doch damals Recht, als Du mir ihn aufnöthigtest – ich kann schon eine Zeitlang abkommen, und wenn Du Dich mit dem Schwiegervater in andre Betriebsamkeit wirfst, so machen wir die Kapitale flüssig, und betreiben die Fabrik nicht mehr als Hauptsache, ist Dir's so zu Willen, Gustav? Ich hab' kein rechtes Bleiben mehr hier, seit der gute Pater Lorenz vorige Woche gestorben ist, ich hatte mich so ganz an ihn gewöhnt, nun, Gott gebe nur jedem Christen einen so sanften seligen Tod: er ist wie ein Licht ausgegangen. Besorg mir dann einen zuverlässigen Kutscher für den Schreibsekretair, den ich doch mit hinein nehmen muß.

So war Alles gelungen, Verlobung war gefeiert, der festgesetzte Hochzeitstag rückte heran, Gustav saß neben Angélique auf dem Sofa, und tändelte. Ein schöner Sommertag glänzte draußen, durch die Luft ging jenes üppige Zittern der Strahlen, was einen festen Sonnenschein bekundet, zwitschernd flogen die Schwalben an der offnen Balkonthür vorbei, in deren Nähe die Glücklichen saßen, der Papagai hüpfte auf dem gelben Ringe umher und quakte sein »Glück zu, Glück zu!«

Schweig Pap, rief Gustav, ich brauche kein Glück mehr dazu, habe genug. –

Glück zu – sprach Pap ungestört. – Angélique, die eine leichte Nadelarbeit vor sich hatte, legte sie in den Schooß, reichte ihm die Hand, und bot ihm den zum Kusse gespitzten Mund hin. Sie sah wirklich selbst wie die Göttin des Glückes aus: ein einfach weißes Kleid von feinem leichtem Stoffe war Alles, was sie schmückte, die Schultern kühlten sich unbedeckt in dem hohen Zimmer, die braunen Locken waren in die Höhe gesteckt, frei und behende wie das einer Gazelle ging das schöne Haupt hin und her vom Munde des Geliebten zur Brust desselben, und hinweg, um ihn zu locken. –

Da klopfte es an die Thür – der Bediente nahm auf Liebesleute Rücksicht, und um nicht zu überraschen, pflegte er anzuklopfen. Lachend rief Angélique »Johann!« und griff nach ihrer Arbeit.

Johann trat ein, und überreichte Gustav einen Brief, mit dem Bemerken, der Bote habe ihn lange vergeblich gesucht – vom Cousin Louis war der Brief. Gustav hatte kaum hineingesehn, da sprang er auf – die Tante ist sehr krank, ich muß hinaus, lebe wohl Angélique! Flüchtig sie küssend eilte er fort.

Die Pferde wurden über die Maaßen gejagt, er kam an – vor der Hausthür war eine kleine Laube, unter ihr saß Louis mit zwei alten Verwandten, einem Vetter und einer Muhme, die von der Tante nie wohl gelitten waren, weil sie im Rufe einer ziemlich ordinairen Gesinnung standen. Er wollte schnell an ihnen vorüber, sie hielten ihn aber auf, bis er sich nicht mehr durch halbe, klägliche Redensarten aufhalten ließ, sondern die Treppe hinauf durch's große Wohnzimmer in's Schlafgemach der Tante eilte – als ob der Blitz vor ihm niederschlüge, taumelte er zurück; das Bett war ganz leer, nur ein Strohsack lag drin, und sah ihm wie eine Ruine entgegen.

Lieber Gustav, begann hinter ihm Cousin Louis. –

Wo habt Ihr die Tante? Lieber Gustav, der Bote ist im Gedräng' verspätet worden, und muß Dich auch in der Stadt erst spät gefunden haben, die selige Tante –

Die selige Tante –?

Ja, die selige Tante ruht schon in geweihter Erde.


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