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16.

Die Kinder erben der Väter Sünden, heißt wohl zunächst: sie erben den Glauben der Sünde, wie ihn die Väter gehabt, sie halten das ebenfalls für Sünde, was jene dafür gehalten haben. Gustav empfand die Schmerzen, wie sie ihn die Tante gelehrt hatte – wie wenig Menschen empfinden individuell, so wie der Bezug auf die sogenannte Moralität gerichtet ist!

Diese Pariser Zustände hatten ihn vernichtet: eine Konsequenz bis in's Kindische war ihm von Jugend auf als etwas Nothwendiges, Unverläßliches vorgestellt worden, wie hatte er sie verletzt, als er Angélique in Paris zu sehen meinte! Sein wilder Versuch, sich durch ordinaire Freuden zu entschädigen, wie war er entsetzlich! Sein Verkehr mit Laurette, wie war er unsittlich! Und was blieb nun übrig auf der Welt? Zuerst die äußere Welt verloren, dann des Herzens Welt, nun alle innere – Vernichtung, Fortvegetiren ohne Gedanken, wenn es irgend zu bewerkstelligen war. Schlafen, über Trivialitäten sprechen um nicht zu sich zu kommen, das war das Nächste, mitunter fühlte er's jetzt bei diesen Gesprächen, daß nur ein dünner Nebel zwischen ihm und der Verstandeslosigkeit hinge, den ein rasches, energisches Verlangen seines Geistes und Herzens zerreißen könne; richte, lehne Dich jetzt einmal entschlossen auf, flüsterte es in ihm, und Du bist schnell fertig mit dieser Anschauungswelt. Solch Bewußtsein, unsere Welt des Gedankens und geistigen Verkehrs auf solche Weise in der offnen Hand zu haben, daß man in jedem Momente sich ihrer entäußern kann, hat zugleich etwas Entsetzendes und etwas Beruhigendes.

Wie beneidenswerth erschien Gustav das Unglück, als er von Prag geflohen war! Damals warst Du reinen Unglücks, jetzt bist Du befleckt – fort, weiter! Der Mensch muß immer etwas zu bedauern, zurückzuwünschen haben.

Er setzte sich auf die Post, welche eben abging – ihr Cours war nach Stettin.

Da stand er nun mit übereinander geschlagenen Armen auf dem Damme der hoch und voll gehenden Oder, es war ein frischer, klarer Herbsttag, der Wind jagte einzelne trockne Blätter vor sich her, unten am Flusse war eifrig Treiben und Geschäft, man lud Schiffe aus, und befrachtete andre. Kalt und herbstlich war es in ihm, doch bedünkte es ihm ein Genüge, immer weiter in den Norden hinein zu kommen, den er sich kahl und still und öde dachte.

Ein Schiffer sprach ihn an und fragte, ob er einen Platz suche auf seinem Fahrzeuge, noch heut Abend gehe es ab nach Danzig, und einen sehr mäßigen Preis nannte er für Fahrt und Kost. Nach Danzig? Das ist noch weiter draußen, da hinten, wo es still und einsam wird, dachte Gustav – ja, ich will mit Euch fahren. Der Schiffer fragte nach der Wohnung des schnell gewonnenen Passagiers, um das Gepäck abholen zu lassen – um sieben Uhr war die Abfahrt festgestellt. Als ob er eine Art Beruhigung gewonnen hätte, ging Gustav nach seinem Gasthofe, es war doch ein neues, weiter abliegendes Ziel gefunden; so sehr brauchen wir eine gewisse Bestimmung, um eine üble Existenz zu tragen, es ist, als wäre unsern aufgelösten Kräften dann die nothwendige Leitung abgenommen, wir fühlen uns wieder eingefügt in den Verband der Welt. Soll es doch den Unglücklichen sichrer und ruhiger machen, welchem Tag und Stunde der Hinrichtung angekündigt wird, auch die festgestellte ärgste Strafe ist ihm ein haltender Beweis, daß er wieder in die Rechte und Folgerungen der Gesellschaft eingeschlossen sei. Der Stärkste verlangt mit unbändigem Geiste, allein zu bleiben, aber alle Neigungen in ihm suchen und brauchen einen Verband mit der Welt.

Es war Gustav ganz ungelegen als der Schiffer gegen Abend sagen ließ, die Reise könne erst den andern Morgen angetreten werden, und als sie am andern Morgen wieder bis zum Abende hinaus geschoben wurde, da fühlte er sich äußerst ungeduldig und ärgerlich, obwohl er in Danzig nicht mehr zu suchen und zu erwarten hatte, als in Stettin. Ein junger Kaufmann, der mitreisen wollte und Gustavs Ungeduld sah, drückte ihm sein Bedauern aus, er wisse wohl, wie schmerzlich solch unnützer Verzug sei, wenn man ein dringend Geschäft habe, auch ihm könne ein Verlust erwachsen, wenn der Schiffer noch lange zögere.

Wie trifft es uns empfindlich, wenn wir neben uns den Menschen mit solch bestimmtem Zwecke sehn, das Leben desselben dünkt uns so erfüllt, so glücklich!

Am nächsten Morgen sah sich Gustav auf offner See, so weit das Auge reichte, nichts als Wasserwüste, für das Ohr nichts als klappernde Taue, Geschäftsworte des Schiffers – o, das that ihm wohl! Hier war Alles anders: nichts von den Beziehungen einer Welt, die ihm so verleidet war. Alles abgeschnitten ohne Verbindung! Wie sehnlich wünschte er, das Meer möge nirgends Ufer haben, fort, fort in's Graue und Unendliche möge die Fahrt gehn in dieser Weise, wo nichts zu denken, zu beschließen sei, wo er hineindämmre ohne weiteres Zuthun in eine Zukunft, in eine Vergessenheit.

Daß er Vergessenheit unklar wünschen mochte, war das einzige Zeichen verborgener, bedeckter Jugendkraft in ihm: wenn man vergessen will, dann will man eigentlich auch einen neuen Zustand. Und einen Bootsmann beneidete er, der nach gethaner Arbeit in den groben, starken Fäusten sein schwarzes Brot hielt und es mit unverkennbarem Behagen verzehrte. Könntest Du doch auch etwas verrichten, dachte er, was Dir ein einfach Mahl als erworbenen Gewinn verschaffen könnte. Er bat den Schiffer, ihm eine Beschäftigung anzuweisen, dieser lachte ihn aus, und der junge Kaufmann lachte tüchtig mit, Gustav war nicht stark und klar genug, es durchzusetzen.

So saß oder lag er denn auf dem Verdecke und sah in die Weite; mocht' es ihn auch übrigens quälen, wenn der junge Handelsmann von seinen Plänen und Aussichten für die Zukunft sprach, weil ihm das die Meeresöde zu rauben drohte, so that es doch nicht viel, da des jungen Mannes Bezügnisse und Wünsche all auf materielle Sachen gingen, die Gustav nicht kümmerten, auf Besitz von Gold und Gut und äußere bürgerliche Stellung, und es erlöste ihn von etwas Anderem. In den ersten Momenten des Meergenusses nämlich hatte er gedacht nun allem Denken entrückt zu sein, er wurde aber bald inne, daß man auch in der anhaltslosen Wüste und just in der Wüste Gedanken produciren müsse; den Gedanken entrinnt man so wenig wie der Luft, und sie sind dem Geiste nöthig wie dem Körper das Athmen.

Freilich erinnerte ihn der Gedankengang des Kaufmanns auch an die zusammengeschrumpfte Börse: er zog sie heraus und fand, daß sie nur noch wenige Thaler enthielt; er lächelte, die Folgerungen blieben ihm immer noch fremd.

Heftige Seekrankheit, welche die kurzen, raschen Wellen der Ostsee zu erzeugen pflegen, machte allem Denken ein Ende; in diesem Zustande gibt es nur ein Fürchten, und es soll eine Naturmerkwürdigkeit sein, daß dies entsetzliche, angstvolle Uebelbefinden noch Niemand zum Selbstmorde geführt hat. Todtkrank trat er an's Land in Danzig und ließ sich nach einem Gasthofe führen, unbekümmert um Börse, Herz und Zukunft. Am nächsten Morgen war alles körperliche Uebel verschwunden und vergessen, er betrachtete die stattliche, alte Hansestadt, welcher jener mittelalterliche Hansestempel noch überall aufgedrückt war. Zu seinem Erstaunen fand er vor den Thoren reizende Hügel, von denen über Stadt und Meer eine prachtvolle Aussicht dargeboten wurde, seinem ursprünglichen, unbefangenen Wesen zum größten Genusse, seinem raffinirenden Geiste aber zu einer Art von Betrübniß. In einer stumpfen, reizlosen Welt wollte dieser untergehn, wie er sich vorsagte; aber mit welchen Mitteln konnte er sich nun weiter bringen? Die paar Maler waren nach wenig Tagen im Weinhause verzehrt, wo er zu frühstücken pflegte, im Gasthose bildete sich eine Rechnung, kleine, stündliche Anforderungen an die Börse, welche der Tag mit sich führt, ließen den Mangel nicht mehr ignoriren, die direkteste klägliche Verlegenheit war da und mahnte ungestüm.

Zweitausend Thaler nicht zu haben ist viel weniger unangenehm, als zwei Groschen nicht zu haben, wenn man sonst ein anständig Kleid trägt und einen Roman gelesen hat. Seit das Geld so überaus wichtig und nothwendig geworden ist, daß selbst der Reiche desselben nicht eine Stunde mehr entbehren kann, ohne in Verlegenheit zu gerathen, seit der Zeit ist aller abstrakte Idealismus unmöglich geworden, und es gibt keine ungestörte poetische Verzweiflung mehr.

Wer weiß es nicht, daß die kleinen, jämmerlichen Uebelstände der Gesellschaft tiefer beugen, als die höchsten menschlichen Leiden, wer weiß es nicht, wie viel Erziehung und Gewohnheiten dazu beisteuern! Auch hier ist das Glück Alles. Ein leichtsinniges, ja lüderliches Leben geführt zu haben, was weiter keine Folgen bringt, als daß wir und die Leute viel von uns zu erzählen haben, das macht interessant. Ist es unglücklich abgelaufen, hat es Krankheiten und große Störungen zu Wege gebracht, dann wird es der schneidendsten Beurtheilung und Verurtheilung preisgegeben. Ein Lord, der um seinen Herzenskummer tolle Streiche macht, ist eine poetische Figur, ein mittelloser, unbegüterter Mensch, der innerem Drange rücksichtslos nachgibt, ist eine Misere, wird verspottet, verhöhnt; wenn er die Zeche nicht bezahlen kann, geschmäht und zu den Vagabunden geworfen. Das Verhältniß ist Alles in einer Welt, die durch und durch das Produkt einer Kunst ist, darum kann Niemand das Glück entbehren, denn das Glück ist ein günstiges Verhältniß.

Gustav, auferzogen in diesen geläufigen Beziehungen, die Dinge nach ihren Folgen zu beurtheilen, die Existenz darnach zu schätzen, wie sie sich äußerlich, gesellschaftlich darstellt, fühlte sich ganz und gar vernichtet in seinem jetzigen Zustande, der Gemeinheit rettungslos verfallen. Denn der Begriff von Gemeinheit lag ihm nicht in der Gesinnung, sondern in der Art, wie er gegen die Welt erschien, wie er, der besitzlose junge Mann gegen die Welt erschien. Im Hintergrunde sah er fortwährend seine Tante, wie sie ihn starren Auges und händeringend betrachtete. Dies war der Moment, wo ihm der Tod als einziges Rettungsmittel erschien; so viel gewaltiger wirkt auf solche Menschen das, was sie Schande, als was sie Unglück nennen. Wie oft wundern wir uns, vom Selbstmorde zu hören, den kleinliche Sorgen und Trivialitäten erzeugt haben – es ist ein Bezeichnendes unsrer Zustände, daß uns das Detail über den Kopf gewachsen ist, – in der alten Zeit hat sich nicht leicht Jemand um Nahrungssorgen das Leben genommen, weil die Gesellschaft einfacher, die Bedürfnisse geringer und wohlfeiler waren, da war Raum, nur den größten Regungen sich hinzugeben. Die jetzige Aufgabe ist darum, die Fähigkeit für größere Regungen zu retten, die Aufmerksamkeit aber für alles Detail wach zu erhalten, weil es der ihm gewordenen Bedeutung halber kein Detail mehr ist, sondern größte Bedeutung gewonnen hat.

Großes Uebel hebt und trägt sich selbst, weil es seinen eigenen Dunstkreis mit sich führt, und von einer menschlichen Ewigkeit durchweht ist; kleiner Jammer, der immer ohne Verbindung mit den großen Gefühlen des Menschen bleibt, vereinzelt, wirft in's Haltlose, darum gehen die Menschen öfter an ihm zu Grunde.

Der Gedanke an diese letzte offen bleibende Rettung ließ Gustav noch so einige Tage hinleben, er fand einige poetische Bücher, mit deren kühnen Bezügnissen er sich höhnisch über die Jämmerlichkeiten der bürgerlichen Existenz erhob – das war kein Werk der Einsicht, sondern der Verzweiflung, aber es half doch für den Augenblick. Uebrigens ließ er durch einen Hausirer, den er in einem entfernten Stadttheile aufgriff, seinen Siegelring um den ersten besten Preis losschlagen; er selbst hätte sich geschämt, damit vor den Goldschmied zu treten, und wagte es lieber mit dem Hausirer auf die Gefahr, daß dieser ihm mit dem Ringe davon laufen könnte.

Der Ertrag des Ringes gab die Mittel, wieder einige Tage in das Weinhaus zu gehn, wohin er sich auf eine unerklärliche Weise gezogen fühlte. Dort saß er in einem dunklen Winkel und starrte düster vor sich hin, bis im Nebenzimmer die Stimme eines jungen Mannes sich erhob, welche jedesmal die auffallendste Wirkung auf ihn ausübte; es war, als ob damit eine leise Freude durch sein Herz flöge, und bei dem übrigens dumpfen, erstarrten Zustande desselben war selbst dieser schwache Eindruck ein sehr angenehmer. Das Angesicht des jungen Mannes hatte Gustav niemals ordentlich gesehen, da jener gewöhnlich schon im Nebenzimmer saß, wenn dieser eintrat, und entweder länger blieb, oder beim Weggehn rasch vorüberschritt. Es war eine lange, schlanke Figur, und der Unterhaltung nach war er sehr lebhaft, er sprach meistens von ausgezeichneten Charakteren, wie sie in unserm schlechten Leben gar nicht mehr zu finden seien, von den prosaischen Menschen und Verhältnissen heutiger Zeit, von der plumpen Uebermacht des Geldes. –

Vielleicht waren es diese Richtungen des Gesprächs, welche Gustav so lebhaft an ihm interessirten. Vom Beifall, von der Ungerechtigkeit, vom Publikum war auch wohl die Rede, das ging aber als bezuglos an Gustav vorüber.

Indessen war der wohlfeil verschleuderte Ring auch verzehrt und es mußte an Weiteres gedacht werden; der Zimmerkellner hatte ein so gutes, zuthunliches Wesen, daß sich Gustav mit der goldenen Uhrkette an ihn wandte; sie gewährte allerdings wieder Fristung; aber Gustav hatte es nicht über sich vermocht, den Kellner um Stillschweigen über den Verkauf zu bitten, der Wirth sandte die Rechnung, erschien am Ende selbst; Gustav glaubte in die Erde sinken zu müssen, als er nach einer Lüge greifen und dem Gastwirthe vorreden mußte, er warte auf Briefe und Wechsel.

Du kannst das nicht länger ertragen, und den endlichen Ausbruch solchen Skandals abzuwarten bist Du nicht im Stande, sagte er vor sich hin, nahm seinen Hut und eilte in Verzweiflung fort.


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