Artur Landsberger
Bankhaus Reichenbach
Artur Landsberger

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12.

Die Kriminalpolizei verfuhr bei der Festnahme Heinz Reichenbachs weder fahrlässig, noch ließ sie die einem unbescholtenen Bürger von der sozialen Stellung Reichenbachs gegenüber gebotene Rücksicht außer acht. Sie prüfte im Gegenteil den Fall mit aller Gründlichkeit. Wenn auch nur zwei Stunden lang – und zwar während der beiden Stunden, die der Kommissar dem Prokuristen Reichenbach gelassen hatte, um sich eines Besseren zu besinnen. Der Chef der Kriminalpolizei war sich nämlich durchaus im klaren, daß die Verhaftung Heinz Reichenbachs an sich schon geeignet war, in der Öffentlichkeit und vor allem an der Börse Aufsehen zu erregen. Nun gar, wo man ihm zur Last legte, in dem Bankhaus Reichenbach, das seit hundertfünfzig Jahren den Namen seiner Familie trug, einen Einbruch verübt und Devisen im Werte von über einer halben Million Mark gestohlen zu haben. Stellte sich diese Verhaftung hinterher als ein Mißgriff heraus, so war die Kriminalpolizei Anfeindungen aller Art ausgesetzt. Infolgedessen war neben allem Eifer doch Vorsicht geboten.

Schon eine Viertelstunde nach dem ersten Besuch des Kommissars unterzogen zwei Sachverständige den ausgeraubten Geldschrank einer gründlichen Untersuchung. In ihrer Begleitung befand sich ein höherer Beamter der Polizei, um an Ort und Stelle die Ergebnisse der Untersuchung entgegenzunehmen, die sich daraus ergebenden Schlüsse zu ziehen und sofort handeln zu können. – Verstärkte sich der noch völlig vage Verdacht gegen den Prokuristen Reichenbach, so lagen Verdunkelungsgefahr und Fluchtverdacht vor – und schnelles Zugreifen war erforderlich. Schon nach einer halben Stunde waren beide Sachverständige sich klar, daß der durch komplizierte Schlösser gesicherte Geldschrank nicht mit Gewalt, sondern mit den dazu gehörigen Schlüsseln geöffnet worden war. Die völlig sinn- und planlos erfolgte Zerstörung der Schlösser und die Beschädigungen an den äußeren Türen waren völlig unabhängig von dem Öffnen des Schrankes erfolgt – und konnte daher nur den Zweck haben, einen gewaltsamen Einbruch vorzutäuschen. Als Täter kamen also keine gewerbsmäßigen Einbrecher in Betracht – als der Tat verdächtig erschien vielmehr derjenige, der die Räumlichkeiten kannte und im Besitz der Schlüssel war. Da die sämtlichen Schlüssel zu diesem Geldschrank aber nur Reichenbach besaß, den selbst der Direktor erst um den Schlüssel für das Devisenfach bitten mußte, so blieb der Verdacht auf Reichenbach haften, der sich überdies noch durch hartnäckige Weigerung, sich über seinen Aufenthalt während der fraglichen Nacht zu äußern, verdächtig gemacht hatte. – Da er im übrigen Angestellter wie jeder andere war, lag kein Grund vor, ihn anders zu behandeln als irgendeinen anderen Angestellten.

Die erste Sorge Karl Moreners und der beiden Direktoren war jetzt, zu verhüten, daß von der Verhaftung Reichenbachs etwas in die Öffentlichkeit drang. Sie fuhren sofort ins Polizeipräsidium und suchten dem Chef der Kriminalpolizei klarzumachen, daß das Bekanntwerden des Diebstahls und der Festnahme Reichenbachs große Beunruhigung an der Börse und Kursrückgänge zur Folge haben würde, die man im Interesse der deutschen Wirtschaft vermeiden müsse. Auf den Einwand des Chefs der Kriminalpolizei, daß sich die Verhaftung auf die Dauer nicht verheimlichen ließe, erwiderte Urbach:

»Man kann es vorbereiten. Für heute genügt der Einbruch, und es klingt durchaus glaubhaft, daß Herr Reichenbach, auf dem trotz Meßters und meiner Vollmacht die moralische Verantwortung Herrn Heinrich Morener gegenüber lastet, durch den Vorfall einen Nervenschock erlitten hat und fürs erste der Börse fernbleibt. Man kann nach ein paar Tagen dann von den offenen Fenstern als einer Fahrlässigkeit sprechen, für die man Herrn Reichenbach haftbar macht – und von dem Haftbarmachen bis zur Verhaftung ist dann nur noch ein Schritt. In der Zwischenzeit hat man vielleicht den Täter. Jedenfalls aber wird bis dahin soviel Neues, für die Öffentlichkeit Interessantes, in der Welt passieren, daß man der ganzen Affäre, die nur im ersten Augenblick als Sensation wirkte, kaum noch Interesse entgegenbringen wird.«

Der Chef der Kriminalpolizei willigte ein und gab der Pressestelle des Polizeipräsidiums die nötigen Anweisungen. Er rechtfertigte es weniger mit den Gründen, die von den Herren des Hauses Reichenbach vorgebracht wurden, als mit der Tatsache, daß es der Klärung des Falls nur dienlich sein könne, wenn die Ermittelungen ohne störende Einflüsse von außen erfolgten. Die aber waren zu erwarten, wenn die Presse sich des Falls annahm.

Diese Einstellung des Chefs der Kriminalpolizei zeigte, daß er von der Schuld Reichenbachs überzeugt war. Denn, wenn er der Meinung gewesen wäre, daß noch andere Täter in Betracht kamen, so hätte die Nachricht von Reichenbachs Verhaftung diese in Sicherheit gewiegt und vielleicht zu Unvorsichtigkeiten verleitet, die sie sonst nicht begangen hätten. Diesem Gedanken, wenn auch in etwas anderer Form, gab Karl Morener, als er sich von dem Chef verabschiedete, denn auch Ausdruck. Und er fand ihn bestätigt, obgleich der Chef der Kriminalpolizei ihm versicherte:

»Trotz der gegen Herrn Reichenbach sprechenden Verdachtsgründe verfolgen wir weitere Spuren.«

»Hoffentlich führen die nicht auch in unsere Bureaus,« sagte Direktor Urbach, »sondern bewegen sich in einer anderen Richtung.«

»Darüber darf ich Ihnen im Interesse der Untersuchung nichts sagen,« erwiderte der Chef der Kriminalpolizei. Aber Morener und die beiden anderen Herren empfanden das als eine nichtssagende Wendung, die zeigen sollte, wie gründlich die Polizei war.

Nach diesem Besuch fiel Karl Morener die undankbare Aufgabe zu, Frau Kommerzienrat Reichenbach – und nach ihr Frau Hedda von dem Vorfall zu unterrichten. – Der ungewöhnliche Besuch setzte Frau Reichenbach in nicht geringes Erstaunen. In der kleinen Dreizimmerwohnung in der Königin-Augusta-Straße, die noch dazu in einem Gartenhaus lag, sah es aus wie in den Räumen außerordentlich kultivierter Leute, die bei Berlin ihre Besitzung hatten und hier nur bei seltenen Gelegenheiten einmal über Nacht blieben. Jedes Stück Möbel, jedes Bild, jede Decke, jedes Porzellan, das herumstand, war in seiner Art etwas Besonderes – war nicht nur wertvoll, sondern zeugte auch von Geschmack. Es war daher alles andere als eine Redensart, als Karl Morener der Frau Reichenbach mit den Worten begegnete:

»Haben Sie das aber hübsch hier!«

»Ich hänge an der Gegend,« erwiderte Frau Reichenbach, »und wohne lieber hier in den drei Zimmern als in acht am Kurfürstendamm.«

»Ich meine weniger die Gegend als die Art, wie Sie sich das alles hier auf verhältnismäßig kleinem Raume hergerichtet haben.«

Frau Reichenbach, die von Kindheit an an diese Art Milieu gewöhnt war und daher nichts Ungewöhnliches darin sah, glaubte, er wolle ihr irgend etwas Nettes sagen und erwiderte:

»Sie sind sehr liebenswürdig, Herr Morener. Aber darf ich fragen, welchem Umstand ich Ihren Besuch verdanke? Sie verbinden doch wohl irgendeinen Zweck damit.«

»Allerdings – und zwar einen wenig angenehmen. Es handelt sich um einen Einbruch in unsere Bank. Man hat des Nachts einen Geldschrank im ersten Stock erbrochen – oder nicht erbrochen – das weiß man nicht – jedenfalls: der Schrank ist geöffnet, beschädigt – und beraubt. Und zwar fehlen Devisen im Betrage von fünfmalhunderttausend Mark.«

»Wie gräßlich! und was für ein hoher Betrag! – Ich hoffe, die Bank wird keinerlei Schwierigkeiten dadurch haben.«

»Den Verlust wird sie tragen können.«

Eine Pause entstand. Dann sagte Frau Reichenbach:

»Ich finde es sehr taktvoll von Ihnen, Herr Morener, daß Sie mich persönlich davon unterrichten. Wenn ich auch keinerlei Beziehungen mehr zu der Bank meines Mannes habe – sie führt seinen Namen und irgendwie ist man doch mit ihr verwachsen – jedenfalls hätte es mich eigentümlich berührt, wenn ich durch die Zeitungen davon erfahren hätte.«

Karl Morener verbeugte sich kurz und fuhr fort:

»Die vorläufigen Ermittelungen haben leider ergeben, daß der Einbruch, beziehungsweise Diebstahl, nicht von außen erfolgt ist – sondern von innen – das heißt, eigentlich doch von außen – von der oberen Etage vermutlich.«

Diese wirre Art der Schilderung schrieb Frau Reichenbach seiner natürlichen Erregung zugute. Sie interessierte es im Grunde genommen gar nicht, auf welche Weise man das Geld geraubt hatte. Aber um Interesse zu zeigen, sagte sie:

»Wie besonders peinlich, daß das in Abwesenheit Ihres Herrn Onkels passieren mußte.«

»Auch das! Aber das wesentliche ist in diesem Falle die Art des Einbruchs, ich sagte wohl schon, von oben nach unten.«

Frau Reichenbach, die durchaus nicht verstand, weshalb das besonders peinlich war, fragte:

»Ist man den Dieben denn auf der Spur?«

»Leider ja! das heißt, man verfolgt eine bestimmte Spur – hoffentlich ist es die falsche – ich glaube jedenfalls nicht daran.«

»Man verdächtigt einen Bestimmten? – Hoffentlich ist es kein Angestellter?«

»Eben doch! – das ist es ja! – Ein Mann in verantwortungsvoller Stellung.«

»Das ist entsetzlich! – Doch nicht gar einer, der noch von meinem Manne her in der Bank ist?«

»Allerdings – es war der Wunsch Ihres Gatten – freilich auch der meines Onkels, dem daran lag, daß der Name Reichenbach in irgendeiner Form mit der Bank verbunden blieb.«

Frau Reichenbach sprang auf und sagte:

»Herr Morener! Ich will nicht hoffen, daß Sie meinen Neffen verdächtigen.«

»Ich nicht. – Ich weiß, er ist unschuldig – aber die Polizei.«

»Sie hat doch nicht etwa den Mut gehabt, ihm das ins Gesicht zu sagen?«

»Sie hat es getan!«

»Und mein Neffe? – Hat er nicht laut aufgelacht?«

»Gelacht hat er nicht.«

»Er hat die Beschuldigung doch nicht für ernst genommen? – wie? – oder doch?«

»Da die Ermittelungen ergaben . . .«

»Ich will nicht wissen, was sie ergaben. Und wenn man meinen Neffen des Nachts dabei überrascht hätte, wie er das Geld ans dem Schrank nahm – wer darf ihm sagen, daß es in unredlicher Absicht geschah? – Hat man vor dem Namen Reichenbach denn nicht einmal mehr so viel Respekt, daß man es wagt, seinen Träger eines Diebstahls zu bezichtigen?«

»Ich habe für ihn gesprochen wie Sie.«

»Es braucht niemand für ihn zu sprechen! Aber die, die gegen ihn sprechen, werden es zu verantworten haben.«

»Wir versuchen, es geheimzuhalten, bis der Verdacht entkräftet ist.«

»Glauben Sie, mein Neffe wird sich gegen den Vorwurf verteidigen, in einen Geldschrank eingebrochen zu sein? – das muten Sie ihm doch wohl nicht zu? – Das wäre genau so, als wenn mein Kind stirbt – ich will mich nicht versündigen – und man würfe mir vor, ich hätte es vergiftet oder sonstwie umgebracht. – Ja, glauben Sie, daß ich einem Menschen, der mir das sagt – und wenn es der oberste Richter der Welt wäre, auch nur mit einem Worte antworten werde?«

»Wenn der Zufall gegen Sie ist? Wenn Sie mit ein paar Worten sich entlasten könnten?«

»Nein! – Meine Verteidigung gegen einen derartigen Vorwurf – zwischen Diebstahl und Mord ist für mich kein Unterschied – könnte nur darin bestehen, daß ich dem Ankläger immer wieder zuriefe: Sie sind toll!«

»Ich hoffe in unser aller Interesse, daß Ihr Neffe eine andere Art der Verteidigung wählt.«

»Ja, wird es denn dazu überhaupt kommen? Das gäbe ja einen Skandal, den keiner von uns überlebte!«

»Wenn es nicht gelingt, den Täter bald zu fassen, so steht zu befürchten, daß man ihm den Prozeß macht.«

»Prozeß macht!« wiederholte Frau Reichenbach benommen. »Womöglich eine öffentliche Verhandlung, in der mein Neffe als Zeuge oder gar als Angeklagter – nein! das ist absurd, ich tue meinem Neffen nicht die Schande an, diesen Gedanken auch nur eine Minute lang ernstlich in Betracht zu ziehen.«

»Das kann ja doch jedem passieren, daß er irrtümlich einer strafbaren Handlung bezichtigt wird und gezwungen ist, seine Unschuld nachzuweisen.«

»Selbst wenn einem das schließlich gelingt: unter dem Verdacht zu stehen, einen Einbruch begangen zu haben, genügt, um den guten Ruf einer ganzen Familie für Jahrzehnte zu untergraben.«

»Das war vielleicht einmal so, heutzutage nimmt man das alles doch nicht mehr so genau.«

»Ich für meine Person nehme es noch genau so. Und mein Neffe hoffentlich auch.«

»Wer heutzutage Geld hat, dem wird viel verziehen.«

»Da haben Sie recht! Wenn einer reich ist, bei dem vergißt man schnell. Im Anfang, da rückt man vielleicht noch von ihm ab und sagt: ›Das ist ja der, der damals in diesen unsauberen Prozeß verwickelt war!‹ – Sieht man ihn das fünfte- oder sechstemal im Theater, auf dem Rennen oder auf Reisen, hat er für alle schon wieder das normale Ansehen. Man denkt nicht mehr daran! Man vergißt! – Wer aber verschwunden ist wie wir und nichts gerettet hat als den guten Ruf – wenn dem das passiert, von dem heißt es, da man ihn nicht zu sehen bekommt, in alle Ewigkeit: ›der hatte doch damals diese üble Einbruchsgeschichte!‹ – Man wendet sich ab und es macht kaum noch einen Unterschied, ob man ihn damals freigesprochen oder verurteilt hat.«

»Was sollte Ihr Neffe demnach also tun?«

In diesem Augenblick öffnete sich die Tür und Hanni Reichenbach trat ins Zimmer.

Karl Morener begrüßte sie und wußte nicht recht, ob er in ihrer Gegenwart weiter davon sprechen sollte. Aber Frau Reichenbach nahm ihm jeden Zweifel.

»Setz dich, Hanni!« sagte sie zu ihrer Tochter. »Was hier verhandelt wird, geht auch dich an. In das Bankhaus ist eingebrochen worden. Man hat einen Geldschrank ausgeraubt. Durch irgendwelche Umstände ist die Polizei auf die verrückte Idee gekommen, Heinz in Verbindung mit diesem Diebstahl zu bringen.«

Hanni sprang auf, als ob man sie geschlagen hätte, beherrschte sich aber sofort und sagte:

»Das muß ein sehr gescheiter Kriminalist sein. Ich hoffe, Heinz ist ihm die Antwort nicht schuldig geblieben.«

»Leider doch!« erwiderte Karl. »Auf die Frage des Beamten, wo er in der fraglichen Nacht gewesen ist, hat er die Antwort verweigert.«

»Dann werde ich sie dem Beamten geben!«

»Du?« – »Sie?« riefen Frau Reichenbach und Karl Morener zur gleichen Zeit. Und als Morener, der vor Schreck blaß geworden war, fragte:

»Sie glauben, zu wissen?«

»Ich vermute.«

»Wie kannst du wissen, wo Heinz seine Nächte verbringt? Wie kannst du dich auch nur in Gedanken mit einer solchen Frage beschäftigen?«

»Da Ihr Vetter entschlossen ist, das Geheimnis unter allen Umständen zu wahren, so werden Sie ihm keinen guten Dienst damit erweisen, wenn Sie es preisgeben,« erklärte Morener.

»Sie wissen es also auch?«

»Nein! und ich möchte es auch nicht wissen – um nicht in einen Konflikt zu geraten. Denn so sehr mir, schon im Interesse des Prestiges der Bank, an der Rehabilitierung Ihres Vetters liegt . . .«

»Noch ist er ja nicht verurteilt,« fiel ihm Hanni ins Wort – »und er wird es auch nicht werden – von einer Rehabilitierung kann also nicht die Rede sein.«

»Jedenfalls«, fuhr Karl fort, »würde ich, auch wenn ich es wüßte, mir sehr überlegen, ob ich als sein Freund das Recht habe, ein Geheimnis preiszugeben, an dessen Geheimhaltung ihm offenbar mehr liegt als an seinem guten Ruf und seiner Freiheit. Jedenfalls würde ich Ihnen nicht raten, sich als Fräulein Reichenbach in eine Kriminalaffäre zu mischen, von der man noch gar nicht weiß, wie sie ausläuft.«

»Davon kann natürlich keine Rede sein,« erklärte Frau Reichenbach, »daß der Name meiner Tochter in irgendeiner Form in Zusammenhang mit dieser Untersuchung gebracht wird. Das müssen Sie mir versprechen, Herr Morener.«

»Das kann ich nur, wenn Ihr Fräulein Tochter in der Angelegenheit nichts unternimmt, wovon ich nichts weiß.«

»Dafür bürge ich Ihnen. – Im übrigen möchte ich wissen, Hanni, was deine Phantasie da wieder für Gedankensprünge macht. Du weißt doch von dem, was Heinz treibt, genau so wenig wie ich.«

»Ich weiß, daß er nichts treibt, und das genügt mir.«

»Sie meinen, daß er die Nächte über spazieren geht?«

»Nächte? – Soviel ich weiß, ist nur von einer Nacht die Rede.«

»Das wäre dann allerdings ein ganz besonderes Pech, wenn es die einzige Nacht und dann gerade die gewesen wäre, in der der Einbruch erfolgt ist.«

»Solche Zufälle gibt es.«

»Also wissen Sie etwas Bestimmtes?«

»Nein! Aber sein verändertes Wesen.«

»Davon habe ich nichts gemerkt.«

»Was wissen denn Sie von ihm?«

»Hanni!« sagte Frau Reichenbach vorwurfsvoll.

»Er ist teilnahmlos allem gegenüber, was ihn früher interessiert hat. Und da das bei seinen achtundzwanzig Jahren kaum auf Verkalkung zurückzuführen sein dürfte . . .«

»Kind, wie sprichst du nur? So kenne ich dich ja noch gar nicht.«

»Jedenfalls ist die Tatsache, daß er seine sämtlichen Interessen seit länger als einem Jahr auf irgend etwas Bestimmtes konzentriert hat, nicht zu bestreiten. Da aber niemand weiß, was ihn dauernd beschäftigt, von allem anderen fernhält und seine Gedanken völlig ausfüllt, so möchte ich wissen, was das anderes sein kann als eine Frau – und eine große Liebe.«

»Und wer, meinen Sie, ist diese Frau?«

»Auch darüber glaube ich mir im klaren zu sein.«

»Und Sie meinen, daß er gestern nacht bei dieser Frau . . .?« Karl, der mit belegter Stimme sprach, konnte seine Erregung kaum noch meistern.

»Das ist wohl kein Gesprächsstoff für ein junges Mädchen,« erklärte Frau Reichenbach – und Karl, in dem die Eifersucht fast schon so stark wie die Besorgnis war, Hanni könnte durch einen unbedachten Schritt dem Prozeß eine Wendung geben, die seine Absichten durchkreuzte, sagte – und zwar gegen seine Überzeugung:

»Soviel ich weiß, konzentriert sich das außergeschäftliche Interesse Ihres Vetters nach wie vor auf seine chinesische Sammlung.«

»Ach nein! er hat in dem letzten Jahr nicht ein einziges Stück neu erworben.«

»Vielleicht, weil er keine Gelegenheit hatte.«

»Ich habe sie ihm verschafft – um ihn zu prüfen.«

»Du . . . hast . . .?« fragte Frau Reichenbach erstaunt.

»Und zwar mehrmals. Ich bin sogar so weit gegangen und habe auf einer Auktion meine sämtlichen Ersparnisse für eine Pekinger Kuanyin aus Jade angelegt« – Karl horchte auf – und auch Frau Reichenbach war überrascht – »die der seinen zum Verwechseln ähnlich sah – wenn sie vielleicht auch ein paar Jahrhunderte jünger war.«

»Wie kamst du darauf?« fragte Frau Reichenbach – und Karl Morener wiederholte halblaut:

»Eine Kuanyin aus Jade?«

»Ich habe sie in seinen großen Glasschrank gestellt – an die Stelle, an der bis vor einem Jahr seine Kuanyin stand, das schönste und wertvollste Stück seiner Sammlung – und habe bei ihm gewartet, bis er des Abends nach Hause kam.«

»Darum also, um das Geld dazu zu sparen, hast du ein Jahr lang auf jedes Vergnügen verzichtet?«

Hanni erzählte weiter:

»Er achtete gar nicht auf mich, als er ins Zimmer trat – er erschrak, zitterte, blieb stehen und starrte auf die seit einem Jahre leere Stelle in seinem Schrank. Schließlich ging er an den Schrank heran, öffnete zaghaft, nahm die Kuanyin heraus, befühlte und betrachtete sie – und lächelte beglückt, als er sah, daß es nicht seine war.«

»Was sagte er?« fragte Karl kaum noch beherrscht – während Frau Reichenbach nicht begriff, was das alles zu bedeuten hatte.

»Er sah mich, lachte und schien vergnügt. – ›Hast du mir etwa die Figur hineingestellt?‹ fragte er – untersuchte und lobte sie, bestimmte genau ihr Alter und bedankte sich. Dann rückte er in einem der anderen Schränke ein paar Alt-Cloisonné-Vasen auseinander, stellte die Kuanyin dazwischen und sagte: ›Hier steht sie gut – findest du nicht?‹ – Ich erwiderte, daß sie an ihrem vorigen Platze besser gestanden hätte, und daß ich sie überhaupt nur gekauft hätte, um die große Lücke dort auszufüllen.«

»Und er? – Was sagte er?« fragte Karl, der nahe an Hanni herangetreten war.

»Er schüttelte den Kopf und sagte mit einer Bestimmtheit, die mir weh tat: ›Nein! diese Lücke kann nur ein Mensch ausfüllen!‹ – ›Ist dir ein Unglück mit ihr passiert?‹ fragte ich – und er erwiderte: ›Ein Unglück? nein! Ein Glück!‹ –Da nahm ich mir den Mut und fragte ihn: ›Wem hast du sie geschenkt?‹ – Statt einer Antwort schüttelte er den Kopf –und schloß die Augen. – Ich ließ ihn allein mit seinen Gedanken – aber ich wußte: wo seine Gedanken waren, da ist auch Kuanyin – und wo die Kuanyin ist, da war er gestern nacht!«

Karl war aufgesprungen. Er hatte Hannis Hand ergriffen, drückte sie und sagte:

»Ich danke Ihnen.«

Er vergaß alle Formen – stürzte hinaus, ohne sich zu verabschieden, und rief: »Nun weiß ich, was ich zu tun habe!«

Hanni sah ihm nach und sagte ängstlich:

»Mutter!«

Frau Reichenbach schloß ihr Kind in die Arme und erwiderte:

»Ich verstehe von alledem zwar nichts. Aber mir scheint, als hättest du ihm das nicht erzählen sollen.«


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