Artur Landsberger
Bankhaus Reichenbach
Artur Landsberger

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10.

Als am nächsten Morgen der Bureauvorsteher Runge wie seit zwanzig Jahren täglich um acht Uhr früh seinen Arbeitsraum betrat, meldeten ihm die Reinemachefrau und der Bureaudiener, daß die Scheibe der Glastür, die zum Bureau des Abteilungsdirektors Urbach führte, eingeschlagen sei. Seine erste Frage war: »Wann haben Sie das bemerkt?«

»Vor einer halben Stunde.«

»Und was haben Sie während der halben Stunde getan?«

»Nichts – das heißt, wir haben hier und nebenan im Sitzungssaal aufgeräumt.«

»Wieso haben Sie nicht die Polizei alarmiert?«

»Polizei? – Ja wir dachten . . .«

»Was dachten Sie?«

»Daß der Wind – weil doch das Fenster offen steht – und« – der Diener wies durch die zerschlagene Scheibe in das Bureau – »die Papiere sämtlich auf dem Boden liegen.«

Runge war an die Tür getreten und sah hinein, dann sagte er:

»Und den eisernen Schrank hat am Ende auch der Wind gesprengt.«

Die beiden traten erschrocken an die Tür.

»Wahrhaftig! – Der Schrank!« rief der Bureaudiener, und die Reinemachefrau sagte:

»Das ist aber das erstemal – ich kann mir nich erinnern, daß der je offen stand.«

Runge drückte die Klinke herunter und sagte:

»Verschlossen!«

»Die schließt doch immer erst der Herr Direktor auf, weil er nicht will, daß jemand vor ihm da hineinkommt.«

Runge steckte den Arm durch die Öffnung, tastete die Tür auf der Bureauseite ab und sagte:

»Von innen verriegelt.«

»Wie ist das möglich?« fragte der Diener.

»Die Kerle sind vermutlich durch das Fenster gestiegen.«

»Großer Gott!« rief die Frau. »Doch nicht etwa ein Einbruch?«

»Den Eindruck macht es,« sagte Runge spöttisch, ging an den Apparat und ließ sich mit dem Bureau von Reichenbach verbinden.

»Herr Reichenbach ist noch nicht da,« erwiderte die Sekretärin.

»Er ist doch sonst immer der erste.«

»Ich wundere mich auch. Aber er wird jeden Augenblick kommen.«

Runge rief darauf in dem Bureau Karl Moreners an.

»Fragen Sie bitte gegen elf noch einmal an,« gab die Sekretärin zur Antwort. »Vorher ist es zwecklos.«

Nun benachrichtigte er die Direktoren Urbach und Meßter. Die setzten sich sofort mit dem Kommissar für Bankeinbrüche im Polizeipräsidium in Verbindung.

»Ich komme sofort! Rühren Sie nichts an, bitte, bevor ich da bin.«

Reichenbach und Karl Morener wurden in ihren Privatwohnungen benachrichtigt und eilten zur Bank. Da trafen sie zur gleichen Zeit mit dem Kommissar und dessen Kriminalwachtmeister ein.

Die Untersuchung ergab: Es war versucht worden, den Geldschrank gewaltsam zu öffnen. Das war trotz verzweifelter Anstrengung, von der die übel zugerichteten Eisentüren Zeugnis ablegten, nicht gelungen. Sauerstoffapparate hatte man offenbar nicht zur Anwendung gebracht. Man hatte es sodann mit den Schlössern versucht. Die waren gewaltsam zerstört. Es ließ sich auf den ersten Blick aber nicht feststellen, auf welchem Wege die Öffnung erfolgt war. Damit, daß man die Schlösser vernichtete, öffnete man an sich noch nicht die Schranktüren. Die Art, in der hier gearbeitet war, ließ nicht auf gewerbsmäßige Geldschrankknacker schließen. Vermutlich waren die Einbrecher von außen eingestiegen – da das innere Gebäude, vor allem aber die erste Etage – und in dieser wiederum der Flur, auf dem die fraglichen Räume lagen, von alten, erprobten Wächtern mit starken Hunden bewacht waren. Zudem war die schwere eiserne Tür, die in das Zimmer des Bureauvorstehers führte, am Morgen, als Runge erschien, ordnungsmäßig verschlossen gewesen. Wenn die Einbrecher aber von außen, durch das im ersten Stock gelegene, unvergitterte Fenster eingestiegen waren, wie erklärte sich dann die zerschlagene Tür? Daß sie, um im Falle der Entdeckung Zeit für die Flucht zu gewinnen, den Riegel vorgeschoben hatten, war verständlich. Aber der Grund für das Zerschlagen der Scheibe, was noch dazu Lärm verursachte, war unerfindlich. Denkbar war, daß die Einbrecher, um von der Spur abzulenken, vorzutäuschen suchten, sie seien nicht von außen, sondern durch das innere Gebäude eingedrungen. Aber dann hätten sie die Fenster, wenn sie sie auch von außen wieder hatten schließen können, zum mindesten doch angezogen. Wenn der Einbruch aber von außen stattgefunden hatte, dann mußten die Fenster, da sie weder eingedrückt, noch eingeschlagen waren, offen gestanden haben. Der Bureaudiener bestritt das. Aber der Direktor gab die Möglichkeit zu und meinte, es wäre jedenfalls nicht das erstemal, wenn man vergessen hätte, die Fenster zu schließen.

Das gab dem Kommissar Veranlassung zu folgender Erklärung:

»Ich halte es durchaus für möglich, daß die offenen Fenster überhaupt erst die Anregung zu dem Einbruch gegeben haben – daß das Verbrechen also nicht von langer Hand vorbereitet war, sondern impulsiv erfolgt ist. – Ja, ich gehe noch weiter, und erblicke in dem Versäumnis, die unvergitterten Fenster eines in der ersten Etage befindlichen Raumes, in dem ein vermutlich nicht leerer Geldschrank steht, eine grobe Fahrlässigkeit. Da werden Sie wohl mit der Versicherungsgesellschaft Schwierigkeiten haben.«

»Das wäre böse,« erwiderte Reichenbach, der während der Untersuchung mit Runge den Inhalt des Geldschranks geprüft hatte. »Denn es fehlen nach oberflächlicher Schätzung Devisenpakete im Betrage von etwa einer halben Million Mark.«

»Ich fürchte, die werden Sie wohl abschreiben müssen.«

»Haben Sie so wenig Vertrauen zu sich selbst?« fragte Reichenbach den Beamten, der gekränkt erwiderte:

»Mir scheint, daß man viel eher Ihnen einen Vorwurf machen kann. Eine derartige Fahrlässigkeit fordert ja geradezu zu einem Diebstahl heraus. Es sollte mich nicht wundern, wenn einer Ihrer Angestellten, der die Verhältnisse kennt und weiß, was für Werte sich hier befinden, beobachtet hat, daß die Fenster öfter unverschlossen bleiben. Das hat ihn dann wahrscheinlich erst auf den Gedanken gebracht.«

»Es fehlt nur noch, daß Sie uns wegen Anstiftung belangen,« meinte Reichenbach bitter, und Karl Morener fügte hinzu:

»Ich muß auch sagen: ein offen stehendes Fenster ist doch noch keine Offerte, einzusteigen.«

Der Kommissar tat, als wenn er die Äußerungen überhörte, und machte sich mit dem Wachtmeister daran, das wichtigste Beweismaterial, die Fußspuren und Handabdrücke, zu sichern. Schon nach wenigen Augenblicken sagte der Wachtmeister:

»Ich finde nichts. Die Kerle haben mit Handschuhen gearbeitet.«

»Amateure waren es demnach nicht,« meinte Reichenbach, und der Kommissar fuhr fort:

»Hoffentlich haben wir mit den Fußspuren mehr Glück.«

Aber obgleich der Kiesweg unterhalb des Fensters noch nicht geharkt war, konnte man nicht die leiseste Spur entdecken. – Der hinaufbeorderte Portier erklärte, daß der von der Straße durch ein mannshohes Gitter getrennte Kiesweg nie begangen werde, daß es ihm daher unter allen Umständen hätte auffallen müssen, wenn sich Spuren von Fußtritten dort befunden hätten.

»Dann haben sie eben eine Leiter benutzt,« erklärte der Kommissar.

»Und die elektrische Klingelanlage, die sich um das Hochparterre und die ganze erste Etage zieht?« fragte Karl – »die bei der geringsten Berührung eines Fensters einen Höllenlärm verursacht?«

»Warum haben Sie das nicht gleich gesagt?« fragte der Kommissar – und Karl erwiderte:

»Um in Ihre Ermittelungen nicht einzugreifen.«

Nachdem man mit Sicherheit festgestellt hatte, daß die elektrische Leitung in Ordnung, vorschriftsmäßig des Abends eingestellt und um sieben Uhr früh wieder ausgeschaltet war, sagte der Kommissar:

»Demnach scheidet die Möglichkeit aus, daß der Einbruch von außen erfolgt ist. – Was liegt über diesem Raum?«

»Mein Privatbureau,« erwiderte Reichenbach.

»Ist das nachts über verschlossen?«

»Mein Sekretär hat die Schlüssel.«

»Wer ist Ihr Sekretär?«

»Ein junger Doktor der Nationalökonomie, für den ich mich verbürge.«

»Seit wann haben Sie ihn?«

»Als Privatsekretär seit einem Jahr. Vorher war er zwei Jahre in der Depositenabteilung beschäftigt. Sein Vater ist Abteilungsvorsteher und hat im vorigen Monat sein fünfundzwanzigjähriges Dienstjubiläum in der Bank gefeiert.«

»Sein Name?«

»Paul Stegmeier – aber ich wiederhole Ihnen . . .«

»Ich weiß! Ich spreche auch keinerlei Verdacht aus. Aber mir scheint, daß der Dieb weder von innen, noch von außen, sondern von oben – vermutlich vom Dach aus, eingestiegen ist. – Wieviel Etagen befinden sich noch über Ihrem Bureau, Herr Reichenbach?«

»Zwei. – Es sind die Arbeitsräume der Angestellten.«

»Verschlossen nachts?«

»Verschlossen und bewacht.«

»Und zwar ständig,« ergänzte Karl. »Nicht nur durch Rundenwächter.«

»Dann käme noch das Dach in Frage.«

»Das ist gerade an dieser Seite des Gebäudes steil und abschüssig.«

Der Kommissar besichtigte das Dach und sämtliche in Frage kommende Räume. Auf dem Dach waren Fußspuren, die aber nicht frisch waren und ebensogut von Schornsteinfegern oder Dacharbeitern herrühren konnten.

Der Kommissar machte ein nachdenkliches Gesicht und sagte:

»Ein mysteriöser Fall.«

»Was wollen Sie damit sagen?« fragte Reichenbach.

»Daß ich Ihren Sekretär vernehmen muß.«

»Ich sagte Ihnen doch, daß ich für ihn einstehe.«

»Es liegt mir fern, ihn zu beschuldigen. Ich will ihn nur hören, wie ich Sie gehört habe. Vielleicht etwas gründlicher.«

Doktor Paul Stegmeier, ein gut aussehender Mann Mitte der zwanziger Jahre erschien. Der Kommissar unterrichtete ihn von dem Einbruch. Er schien erstaunt – weniger vielleicht über den Vorfall selbst als über die Tatsache, daß man ihn in diesen Kreis rief, um ihm davon Kenntnis zu geben.

»Wir haben festgestellt,« sagte der Kommissar, »daß der Einbruch aller Wahrscheinlichkeit nach weder von außen noch von innen, sondern von oben erfolgt ist.«

»Ja – und?« fragte Dr. Stegmeier arglos.

»Wer arbeitet in den Räumen, die an das Privatkontor des Herrn Reichenbach stoßen?«

»Ich mit zwei Sekretärinnen – das heißt, ich habe mein Zimmer für mich – nebenan sitzen die beiden Damen.«

»Was sind das für Damen?«

»Ich verstehe die Frage nicht.«

»Solide?«

»Ich kümmere mich nicht um das, was sie außerhalb des Bureaus tun.«

»Unterstehen die Damen Ihnen?«

»Ja.«

»Halten Sie sie für zuverlässig?«

»Sie sind fleißig und pünktlich.«

»Auch ehrlich?«

»Ich halte sie für ehrlich, solange ich nicht das Gegenteil von ihnen weiß.«

»In einer Bank sollte man doch die Ehrlichkeit genau so prüfen wie die Tüchtigkeit?«

»Ich wüßte nicht, wie das geschehen soll,« mischte sich Reichenbach in das Gespräch. »Im übrigen müssen Sie uns schon überlassen, unter welchen Gesichtspunkten wir unsere Leute engagieren.«

»Haben die Damen gestern abend vor oder nach Ihnen die Räume verlassen?« fragte der Kommissar, ohne auf Reichenbachs Bemerkungen einzugehen.

»Vor mir.«

»Sind Sie dessen sicher?«

»Ja.«

»Wie lange vor Ihnen?«

»Ich habe noch etwa eine halbe Stunde länger gearbeitet.«

»Die Damen sind auch nicht zurückgekommen?«

»Während ich da war, nicht. – Ja, Sie glauben doch nicht etwa, daß eine der Damen –?«

»Ich glaube vorläufig nichts und alles. – Es wäre immerhin möglich, daß man sich beispielsweise mit einem Strick von dem Bureau des Herrn Reichenbach aus eine Etage hinuntergleiten ließe und dann durch das geöffnete Fenster hier einstiege.«

»Ausgeschlossen!«

»Inwiefern glauben Sie, daß das unmöglich wäre?«

»Das Bureau des Herrn Reichenbach ist stets verschlossen. – Keine der Damen besitzt einen Schlüssel.«

»Wer besitzt ihn denn?«

»Herr Reichenbach und ich.«

»Wäre es nicht möglich, daß Sie oder Herr Reichenbach einmal vergessen hätten, zuzuschließen?«

»Das ist noch nie vorgekommen.«

»Es ist ein sehr raffiniertes Kunstschloß, dessen Öffnung selbst einem Fachmann Schwierigkeiten machen würde.«

Dr. Stegmeier zog den Schlüssel aus der Tasche und sagte:

»Daraufhin habe ich mir den Schlüssel noch nie angesehen. Ist das Schloß denn lädiert?«

»Eben nicht.«

Dr. Stegmeier sah den Kommissar scharf an und sagte.

»Jetzt verstehe ich – Sie verdächtigen mich.«

»Ich verdächtige niemanden. Ich tue nur meine Pflicht, indem ich genau wie an die Herren dort, auch an Sie Fragen richte.«

»Bitte!«

»Wo waren Sie heute nacht?«

»Herr Kommissar, das geht doch zu weit,« warf Reichenbach ein – und der erwiderte:

»Ich muß Sie bitten, mich in der Ausübung meines Amtes nicht zu stören.« Dann wandte er sich wieder an den Sekretär und wiederholte seine Frage.

»Ausnahmsweise nicht zu Haus.«

»Sondern?« fragte der Kommissar und sah zu Reichenbach hinüber, als wenn er sagen wollte: er ist der Engel nicht, für den du ihn hältst.

»Auf einer Feier meines Regiments im Rheingold. Und zwar von neun Uhr abends bis vier Uhr früh. Um vier bin ich mit ein paar Kameraden« – er nannte die Namen – »in einem Automobil nach Wannsee gefahren, wo wir gebadet und gefrühstückt haben. Um halb sieben sind wir in demselben Automobil nach Berlin zurückgekehrt, um halb acht war ich zu Haus, habe mich schnell umgezogen und bin mit meinem Motorrad in die Bank gefahren.« Alles das sagte er in gereiztem Ton und fügte hinzu: »Es bleibt nun Ihrem Scharfsinn überlassen, Herr Kommissar, festzustellen, wie ich da noch Zeit zu diesem Einbruch gefunden habe, der« – er wies auf den Schrank – »nach der geleisteten Arbeit zu urteilen, immerhin ein paar Stunden Zeit erfordert hat.«

»Wenn Ihre Angaben zutreffen, woran ich im übrigen nicht zweifle . . .«

»Sehr liebenswürdig,« sagte Dr. Stegmeier nicht ohne Spott.

». . . so kommen Sie natürlich nicht in Frage.«

»Das habe ich Ihnen ja gleich gesagt,« meinte Reichenbach, und der Kommissar wandte sich zu ihm und fragte:

»Den zweiten Schlüssel hatten Sie?«

»Ja.«

»Ein dritter ist nicht vorhanden?«

»Meines Wissens nicht.«

»Herr Dr. Stegmeier, Ihnen ist von der Existenz eines dritten Schlüssels auch nichts bekannt?«

»Nein.«

»Sie sind Mitinhaber der Bank?« fragte er Reichenbach.

»Nein. Ich bin Prokurist.«

»Angestellter also?«

»Gewiß.«

»Darf ich fragen, wo Sie die heutige Nacht verbracht haben?«

»Erlauben Sie mal!«

»Es ist meine Pflicht, Sie danach zu fragen – auch wenn ich davon überzeugt bin, daß Sie nichts mit dem Einbruch zu tun haben.«

»Dieser Gedanke allein! – Ich bin stolz, den Namen dieses in der ganzen Welt bekannten Bankhauses zu tragen – und Sie erlauben sich Fragen an mich zu richten, um festzustellen, ob ich an einem ganz gemeinen Einbruch in eben dies Bankhaus beteiligt bin.«

»Sie dürfen das nicht persönlich nehmen.«

»Das ist leicht gesagt.«

»Sie brauchen mir nur zu sagen, daß Sie die Nacht über in Ihrer Wohnung zugebracht haben und der Fall ist erledigt.«

»Und wenn ich Ihnen sage, daß ich nicht zu Hause war – was dann?«

»Dann darf ich Sie bitten, mir zu sagen, wo Sie waren.«

»Dazu sehe ich mich nicht veranlaßt.«

»Die Sache verlangt es, daß Sie mir Antwort geben.«

»Ich bedaure – ich lehne das ab.«

»Aus welchem Grunde, bitte!«

»Auch darüber verweigere ich die Aussage.«

»Ich bitte Sie, sich zu überlegen, daß Sie sich damit Unannehmlichkeiten aussetzen.«

»Welcher Art wären die?«

»Man könnte unter Umständen aus Ihrer Weigerung falsche Schlüsse ziehen.«

»Etwa den – daß ich – Wer wird das wagen?«

»Ich ersuche Sie nochmals, sagen Sie mir, wo Sie heute nacht gewesen sind.«

»Geben Sie sich keinerlei Mühe, ich sage es nicht.«

Der Kommissar wandte sich an die anderen Herren.

»Weiß es einer von Ihnen vielleicht?«

Karl Morener trat einen Schritt näher an den Kommissar heran. Es schien, daß er es wußte und auch sagen wollte. Er warf schnell noch einen Blick auf Reichenbach, der ihm, ohne daß der Kommissar es sah, zu verstehen gab, daß er schweigen solle. Da der Kommissar aber eine Erklärung erwartete, so sagte Karl:

»Herr Reichenbach ist in Abwesenheit meines Onkels, Heinrich Morener, die Seele der Bank. Er hat große Einnahmen und lebt weit unter seinen Verhältnissen. Herr Reichenbach ist seit acht Jahren mit mir befreundet. Er ist ein Ehrenmann vom Scheitel bis zur Sohle. Ein Verdacht so niedriger Art reicht an ihn nicht heran. Ich« – er wandte sich an die Direktoren – »und die Herren da decken ihn mit unserer eigenen Person.«

»Ich nehme diese Ehrenerklärung gern zur Kenntnis und erkläre noch einmal, daß ich weit davon entfernt bin, hier irgendeinen Verdacht gegen eine bestimmte Person zu äußern. Ebensowenig kann ich bei Feststellung des Tatbestandes mich aber von etwas anderem leiten lassen, als von den tatsächlichen Wahrnehmungen – und zwar ohne Rücksicht auf die Personen, die davon betroffen werden. Der Tatbestand läßt es zum mindesten als denkbar erscheinen, daß der Täter aus dem Privatbureau des Herrn Reichenbach in diesen Raum hier eingedrungen ist. Die Tatsache, daß die Fenster des Privatbureaus ganz ungewöhnlicherweise offen standen, desgleichen die Fenster zu dem Raum hier unten, bestärken diese Annahme. Ohne sichtbare Spuren zu hinterlassen, konnte aber nur derjenige des Nachts das Bureau des Herrn Reichenbach betreten, der es erbrach oder der die passenden Schlüssel dazu hatte. Da die Türschlösser nicht die geringste Spur einer gewaltsamen Öffnung zeigen, im übrigen aber äußerst kompliziert sind, so liegt die Vermutung nahe, daß sie mit den passenden Schlüsseln geöffnet worden sind. Wir haben festgestellt, daß nur zwei Schlüssel existieren. Der eine Schlüsselinhaber hat sein Alibi nachgewiesen – der andere gibt zu, des Nachts nicht zu Haus gewesen zu sein, weigert sich aber, zu sagen, wo er sich in der fraglichen Nacht aufgehalten hat. Über diese Tatsache kommt man nicht hinweg. Im Interesse des Herrn Reichenbach und des guten Rufs der Bank, der darunter leiden würde, wenn ich zu Ihrer Festnahme schreiten müßte, stelle ich daher zum dritten und letzten Male an Sie die Frage: Wo waren Sie heute nacht?«

»Ich bitte Sie, mir zwei Stunden Zeit zu lassen. Ich werde Ihnen nach Ablauf dieser zwei Stunden sagen, ob ich Ihre Frage beantworten kann oder nicht.«

»Was gedenken Sie während der zwei Stunden zu tun?«

»Ihnen das erklären, hieße Ihre Frage beantworten.«

»Dann werden Sie erlauben, daß der Wachtmeister während dieser zwei Stunden in Ihrer Nähe bleibt.«

»Unmöglich!«

»Ich stehe mit meiner Person für Herrn Reichenbach ein!« erklärte Karl, woraufhin die Direktoren und Runge die gleiche Erklärung abgaben. Der Kommissar ließ es sich von den drei Herren in die Hand geloben, beteuerte mehrmals, daß er von der Unschuld des Herrn Reichenbach überzeugt sei, nach Lage der Dinge aber nicht anders handeln könne – verbeugte und entfernte sich. Der Kriminalwachtmeister folgte ihm.

Als die beiden gegangen waren, sagte Reichenbach:

»Was sagen Sie dazu, meine Herren!«

»Grotesk,« erwiderte Karl. »Aber so sinnlos es ist – von seinem Standpunkt aus tut der Mann seine Pflicht.«

»Was geschieht nun weiter?«

Karl wandte sich an die Direktoren und Runge und sagte:

»Bitte, lassen Sie uns allein.«

Heinz Reichenbach und Karl Morener standen sich gegenüber.


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