Artur Landsberger
Bankhaus Reichenbach
Artur Landsberger

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Dritter Teil

1.

Frau Hedda hatte einen Sohn zur Welt gebracht. Geheimnisvoll sagte sie zu ihrer Umgebung: »An diesem Kinde wird mein Mann genesen.«

Aber die Ärzte lehnten es ab, den kranken Morener von der Geburt zu benachrichtigen.

»Die leiseste Erregung kann ihn um Monate zurückwerfen,« erklärten sie. Aber Frau Hedda erwiderte:

»Oder gesund machen.«

»Das ist mehr als unwahrscheinlich. Und um ein solches Wagnis zu rechtfertigen, müßten wir zum mindesten den Herd seiner Krankheit kennen.«

»Ich kenne ihn.«

»Dann, gnädige Frau, können wir Ihnen den Vorwurf nicht ersparen, durch Ihr Schweigen die Genesung Ihres Gatten aufzuhalten.«

»Wenn ich es Ihnen sagte und Sie es mir glaubten – was noch sehr fraglich ist –, so hätten Sie doch kein Mittel dagegen.«

»Und Sie wüßten eins?«

»Wenn überhaupt jemand, dann ich.«

»Und aus welchem Grunde haben Sie es nicht angewandt?«

»Weil ich es nicht besaß. Sein Zusammenbruch ist zu früh erfolgt.«

»Sie geben uns Rätsel auf.«

»Ich will versuchen, es Ihnen klarzumachen. Mein Mann ist, Sie wissen es, ein Selfmademan. Er litt, wie viele, die so schnell emporgekommen sind wie er, an seiner Vergangenheit. Krankhaft litt er daran – und je höher er stieg, um so mehr kam ihm zum Bewußtsein, daß sein Leiden hoffnungslos war. Man kann sich wünschen, Millionär zu werden oder Minister oder gar Reichspräsident. Alles das sind – wenigstens absolut – erfüllbare Wünsche. Man kann bis einen Tag vor seinem Tode noch an sie glauben. Mein Mann aber litt nicht an der Sehnsucht, als Mensch etwas Höheres zu werden. Er wollte ein anderer Mensch werden. Er hatte sich in die unsinnige Formel verrannt: Morener = Reichenbach.«

»Alles das wissen wir. – Derartige Vorstellungen, daß sich jemand einredet, ein anderer zu sein, sind uns Nervenärzten durchaus nicht unbekannt.«

»Sie haben mich also nicht verstanden! Wer sich das einredet, ist natürlich hoffnungslos krank. Ich habe selbst einen Vetter, der glaubt, Papst zu sein. Er sitzt in einer Anstalt am Bodensee und fühlt sich relativ wohl dabei. Aber mein Mann denkt ganz klar – oder hat bestimmt bis zu seinem Zusammenbruch ganz klar gedacht. Er hat sich nie eingeredet, ein anderer zu sein – er hat sich bemüht ein anderer zu werden. Das ist ein großer Unterschied.«

»Er sucht etwas, was er nicht finden kann! Das ist auch krankhaft, denn er müßte sich sagen: das gibt es nicht.«

»Das hat man von tausend Dingen schon gesagt, die es nachher doch gegeben hat.«

»Auf technischem Gebiet – aber nicht auf geistigem.«

»In der Technik handelt es sich um ja oder nein, während es in der Wissenschaft Kompromisse gibt. Und solch ein Kompromiß glaube ich gefunden zu haben.«

»In diesem Falle könnte es sich doch nur um einen Reichenbach handeln, der ein Morener ist.«

»Oder umgekehrt.«

»Natürlich! – Da aber weder die Wissenschaft, noch die Technik so weit ist, noch je so weit kommen wird – auch in gemeinsamer Arbeit nicht – den künstlichen Menschen zu schaffen . . .«

»Warum den künstlichen?« fragte Frau Hedda und wies auf das Zimmer nebenan, aus dem laut das Geschrei ihres kleinen Sohnes drang.

Der Arzt lächelte überlegen und sagte:

»Also traf meine Diagnose damals doch zu.«

»Ich habe Ihnen den Herd der Erkrankung meines Mannes genannt und Ihnen zugleich ein Mittel in die Hand gegeben, das ihn vielleicht heilen kann. Darüber hinaus bin ich Ihnen keine Rechenschaft schuldig.«

»Ein gewagtes Spiel!« erwiderte der Arzt.

»Auf psychoanalytischer Grundlage, die Sie ja so lieben.«

»Das ist etwas anderes. Denn in diesem Falle gehen Sie den kranken Gedankengängen nicht nur nach, sondern machen Sie sich zu eigen und suchen sie zu bekämpfen, in dem Sie sie übertrumpfen.«

»Der Erfolg entscheidet.«

»Aber er ist mir nicht sicher genug, um zu experimentieren und die exakte wissenschaftliche Basis zu verlassen.«

»Wenn Sie ihn nicht anders heilen können, so bestehe ich darauf, daß man mir die Möglichkeit dazu gibt.«

»Dem steht nichts im Wege – aber erst in dem Augenblick, in dem wir uns überzeugen, daß ärztliche Kunst nichts mehr auszurichten vermag.«

»Hoffentlich wird es dann nicht zu spät sein,« erwiderte Frau Hedda und beschied sich.


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