Artur Landsberger
Bankhaus Reichenbach
Artur Landsberger

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8.

Als Heinz Reichenbach wenige Stunden später ein Telegramm des Inhalts erhielt: »Bitte, Herr Reichenbach, machen Sie mir das Vergnügen, heute abend um acht Uhr bei mir zu essen. Ihre ergebene Hedda Morener« – hielt er es zunächst für eine Mystifikation. – Irgendwer war so geschmacklos, sich einen Scherz mit ihm zu machen. Am besten also, man beachtete es nicht und warf das Telegramm in den Papierkorb.

Aber ehe er sich dazu entschloß, las er es noch einmal. Fast ein Jahr lang hatte er täglich auf ein paar Zeilen von ihr gewartet. Aber so fest er daran glaubte, so deutlich fühlte er, daß aus diesen Worten nicht der Geist Heddas sprach. Schon das Unpersönliche des Telegramms berührte ihn eigenartig. Wenn sie ihm nach länger als einem Jahr etwas zu sagen hatte, weshalb schrieb sie ihm dann nicht ein paar Zeilen? Einen Augenblick lang erwog er, ob er Karl Morener ins Vertrauen ziehen und ihm von dem Telegramm Mitteilung machen sollte. Der kam unter Menschen, der sah Hedda, kannte manche Zusammenhänge, die ihm fremd waren. – Seltsam, daß es in diesem Augenblick an die Tür klopfte – und kein anderer als Karl Morener ins Zimmer trat.

»Ich habe gerade an dich gedacht!« sagte Heinz.

»Und ich an dich,« erwiderte Morener und hielt ihm zwei Karten für die Oper vors Gesicht. »Du kommst doch mit?«

»Leider muß ich dir einen Korb geben. Ich habe so selten etwas vor. Aber gerade heute abend bin ich verhindert.«

»Das glaube ich dir einfach nicht.«

Statt einer Antwort reichte ihm Heinz das Telegramm und fragte:

»Was hältst du davon?«

»Daß du meine Tante jeden Abend, eine Uraufführung von Richard Strauß aber nur einmal, und zwar heute, genießen kannst.«

»Du glaubst also wirklich . . .?«

»Was?«

»Daß das Telegramm von deiner Tante ist?«

»Ich weiß es sogar. Sie hat mir davon gesprochen.«

»Sie hat – mit dir – davon – gesprochen?«

»Ja! – Sie sagte mir, daß sie dich bitten wolle. Was findest du dabei so sonderbar?«

»Nichts!« erwiderte Heinz nervös. »Gar nichts.«

»Du wirst ihr absagen und mit mir in die Oper gehen.«

»Nimm es mir nicht übel, Karl, aber ich habe das Gefühl, als wenn ich auf das Telegramm hin zu ihr muß.«

»Gefühl! Was du immer mit deinen Gefühlen hast.«

»Es ist mir, als wenn ich an das Bett eines Kranken gerufen würde.«

»Weißt du, was ich nicht begreife? Daß du mit deinen verrückten Ideen ein so tüchtiger Bankier geworden bist.«

»Ich danke dir für die gute Absicht,« erwiderte Reichenbach und drahtete an Frau Hedda: »Ich komme gern.« – Zwar hatte er Hemmungen. Denn da er immer nur im Zusammenhang mit der Kuanyin an sie zurückdachte, deren Züge sie in seiner Vorstellung schon angenommen hatte, so fürchtete er, daß er von dem Wiedersehen enttäuscht sein würde.

Aber es kam anders. Als sie ihm am Abend entgegentrat, da glaubte er, die zum Leben erwachte Kuanyin vor sich zu sehen. – Sie reichte ihm lächelnd die Hand und sagte mit leiser Stimme:

»Heinz Reichenbach.«

Er beugte sich über ihre Hand, küßte sie und erwiderte: »Sie haben mich lange warten lassen, Frau Hedda.«

»Glauben Sie mir: ich habe es schwer zu bereuen. Hätten wir uns nur wiedergesehen! Es wäre besser für mich gewesen.«

»Sie haben sich gegen das Schicksal gewehrt!«

»Vielleicht unbewußt. Jedenfalls habe ich zu weit gedacht. Denken Sie, mein Mann wäre zurückgekehrt und ich hätte ihm sagen müssen: ich gehöre dir nicht mehr!«

»Heinrich Morener ist ein kluger Mann, der uns gewiß verstanden hätte.«

»Alles hätte er verstanden! Das nicht! Wenn ich ihn hintergangen hätte – er hätte vielleicht nicht einmal gefragt: mit wem? – Aber seelischen Verrat! Nein! Den hätte er nie verziehen.«

»Wenn Sie doch aber seelisch nie beieinander waren!«

Frau Hedda lächelte und sagte:

»Was ein Mann so unter Seele versteht! Wenn man auf seine Schwächen eingeht – seine Gefühle streichelt – ihm hin und wieder sagt, wie gut er ist, und ihm ein wenig schmeichelt, gerade da, wo er seine Schwächen fühlt und gern anders sein möchte – so glaubt er, daß man ein Herz und eine Seele mit ihm ist.«

»Wenn wir uns wirklich liebten, hätten wir da nicht das Recht, ihm zu sagen, daß er sich irrt?«

»Das Recht, einem Menschen weh zu tun, der gut zu einem ist, hat man nie – einem Kranken gegenüber schon gar nicht!«

»Jeder Mensch hat Anspruch auf Glück?«

»Es sei denn, daß er sich den Weg dahin aus egoistischen Gründen selbst versperrt. – Das habe ich getan. Ich habe nur an mich gedacht. – Sehr viel später erst kam es mir zum Bewußtsein, daß ich ihn verkannt hatte und daß es meine Pflicht ist, auch an ihn zu denken.

»Sie sind die geblieben, die Sie waren.«

»Haben Sie geglaubt, daß ich mich ändern würde?«

»Nein! – Und ich habe es auch nicht gewünscht – denn wer weiß, ob ich Sie dann nicht verloren hätte.«

Frau Hedda sah ihn erstaunt an und fragte:

»Verloren? – Mich? – Ja, hoffen Sie denn noch immer, daß wir uns jemals . . . Ja, womit rechnen Sie?«

»Ich rechne nicht. Ich verlasse mich auf mein Gefühl. Ich habe es das ganze Jahr über, in dem wir uns nicht gesehen haben, gefühlt, daß Sie mir gehören. Und ich bin sehr glücklich – nun, wo ich sehe, daß mein Gefühl mich nicht getäuscht hat.«

»Und Sie werden dreißig Jahre lang weiter glücklich sein, auch wenn alles so bleibt, wie es bisher war?«

Heinz Reichenbach schüttelte den Kopf und sagte:

»Es bleibt nicht so! Es kann so nicht bleiben. Die Natur ist nicht sinnlos. Sie handelt nach Gesetzen – denen auch Sie unterworfen sind – Sie mögen sich wehren oder nicht.«

Hedda nahm seine Hand und sagte:

»Auch den Glauben muß ich Ihnen nehmen – so schwer es mir fällt.«

»Das können Sie nicht – es sei denn, daß Sie einen anderen lieben. Dann aber wären Sie nicht so, wie Sie sind.«

»Wen sollte ich lieben, wo ich für Sie soviel empfinde? – Aber das Bild, das Sie von mir haben, ist falsch. Ich bin es nicht wert, daß Sie Ihr Leben auf mich einstellen – auf diese Ungewißheit!«

»Wenn es mir doch genügt.«

»Und wenn ich bekenne, daß ich aus Einsamkeit oder aus Leidenschaft, die mit meinem Gefühl zu Ihnen nichts zu tun hat – vielleicht sogar aus Sehnsucht nach Ihnen – aber das täusche ich Ihnen und mir nur vor – viel eher aus Furcht vor dem, was mich zu Ihnen treibt – damit die Scham mich zurückhält, Sie zu rufen – daß ich aus diesem Gefühl und dieser Absicht heraus Sie und meinen Mann betrüge – wenn ich Ihnen das bekenne, sehen Sie dann, daß Sie sich irren? Macht Sie das frei von mir?«

Heinz führte die Hände vor das Gesicht. Nach einer Weile sagte er:

»Und deshalb – um mir das zu sagen – haben Sie mich kommen lassen?«

»Nein! Ich hatte nicht die Absicht. Aber da ich Sie um etwas bitten muß, so wollte ich, daß Sie Ihre Entscheidung nicht auf Grund einer falschen Vorstellung über mich treffen. Sie mußten vorher wissen, wie schlecht ich bin.«

»Und Ihre Bitte?«

»Geben Sie Ihre Reise nach Rio auf.«

Heinz sah auf und fragte:

»Aus welchem Grunde?«

»Ersparen Sie mir die Antwort.«

»Darauf war ich freilich nicht vorbereitet,« erwiderte Heinz. »Viel eher auf das Gegenteil.«

»Wäre Ihnen das lieber gewesen?«

»Vor einer Stunde noch hätte ich nein gesagt. – Jetzt freilich macht es keinen großen Unterschied mehr.«

»Ich bin also tot für Sie?«

»Wie können Sie das glauben, Hedda? – Stellen Sie sich vor, Sie wären Mutter, und Ihr Kind, das Sie lieber haben als alles auf der Welt, täte Ihnen weh – so weh, wie Sie mir taten – wäre es darum tot für Sie? – Oder liebten Sie es im Gefühl, wie sehr es Ihres Schutzes bedarf, nicht womöglich noch mehr?«

Frau Hedda wäre ihm jetzt am liebsten um den Hals gefallen und hätte sich ihm in allem anvertraut. Aber sie beherrschte sich und sagte trocken:

»Dann ist es also nicht ausgeschlossen, daß Sie meine Bitte erfüllen?«

»Ihnen liegt viel daran?«

»Sehr viel.«

»Werde ich Sie, wenn ich bleibe, öfter zu sehen bekommen als bisher?«

»Vermutlich überhaupt nicht mehr.«

»Sie haben die Absicht . . .?«

»Ich bitte Sie, Heinz, stellen Sie keine Fragen an mich.«

»Lassen Sie mich diesmal wenigstens verhüten, daß Sie etwas tun, was Sie später gereut.«

»Ich wünschte, es ginge, Heinz! Aber ich schwöre Ihnen, es ist zu spät.

Der Diener meldete: »Es ist angerichtet.«

Frau Hedda nahm Reichenbachs Arm und ließ sich von ihm zu Tisch führen. Während des Essens unterhielten sie sich völlig unbefangen. Frau Hedda fragte:

»Erinnern Sie sich noch des Abends, an dem wir zum ersten Male zusammen hier saßen? Frau Reichenbach war da mit ihrer Tochter. Ich lernte an jenem Abend meinen Mann kennen.«

»Und verlobten sich noch am selben Abend mit ihm.«

»Obgleich ich mit seinem Neffen Karl so gut wie versprochen war.«

»Mit Karl Morener? – Den wollten Sie heiraten?«

»Wieso wundert Sie das? Finden Sie ihn so unmöglich?«

»Durchaus nicht!«

»Wenn ich nicht irre, sind Sie doch befreundet mit ihm.«

»So weit zwei so grundverschiedene Menschen miteinander befreundet sein können.«

»Sie halten ihn für oberflächlich?«

»Nein! Ich glaube im Gegenteil, er ist im Sport ebenso gründlich wie in der Liebe. – Man kann daher nicht gut von ihm verlangen, daß er es auch in der Arbeit ist.«

»Sie glauben nicht, daß ich glücklich mit ihm geworden wäre?«

»Wenn Sie ihn sehr geliebt hätten – schon.«

»Und wenn ich – ihn nicht – sehr – geliebt hätte? Wenn ich ihn womöglich gar nicht liebgehabt hätte?«

»Dann hätten Sie als Sportkameraden und Gesellschaftsmenschen vielleicht auch ohne Reibung nebeneinander gelebt – wie es die meisten Menschen heutzutage tun. Aber ob Ihnen das auf die Dauer genügt hätte, bezweifle ich.«

Frau Hedda schien nachdenklich und sagte:

»Da mögen Sie recht haben.«

Aber Heinz Reichenbach, zu rücksichtsvoll, um mehr zu fragen, hatte das Gefühl, daß sie ihm Wesentliches verschwieg. Der Wunsch, ihr zu helfen, hielt ihn bis tief in die Nacht im Schloß. Die Dienerschaft lag auf Frau Heddas Weisung längst in den Betten und schlief – da saßen die beiden noch immer in ernstem Gespräch beieinander. Aber was Hedda bedrückte, erfuhr Heinz nicht. Als er um vier Uhr morgens in seinem Auto aus dem Schloßpark hinausfuhr, stand Hedda am Fenster. Er sah sie nicht. Aber je weiter er sich von Schloß Reichenbach entfernte, um so stärker fühlte er sich trotz allem, was sie ihm eröffnet hatte, mit ihr verbunden.


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