Artur Landsberger
Bankhaus Reichenbach
Artur Landsberger

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Erster Teil

1.

Das Bankhaus der Gebrüder Reichenbach & Co. am Berliner Gendarmenmarkt war eins der angesehensten Privatinstitute der Reichshauptstadt. Im Jahre 1778 von Ferdinand Reichenbach gegründet, den König Friedrich II. mit dem Titel Hofbankier auszeichnete, sah es bald der Feier seines hundertfünzigjährigen Bestehens entgegen. Auch gesellschaftlich spielte die Familie Reichenbach bis zum Weltkriege eine Rolle. Nicht durch geräuschvolle Feste und Hervortreten bei öffentlichen Veranstaltungen. Man sah sie weder bei den Premieren im Opernhaus, noch auf den Subskriptions- und Pressebällen, weder zu den Paraden auf dem Tempelhofer Feld, noch bei den Rennen in Hoppegarten und Karlshorst. Aber es galt für einen Vorzug, bei Reichenbachs zu verkehren, selbst für die Offiziere der Gardekavallerie, die sich bekanntlich nicht gerade in die bürgerlichen Salons drängten. Die Botschafter und Gesandten der fremden Staaten gaben bei ihnen die Karten ab, und zwar zuerst, was den Neid gesellschaftlich ehrgeiziger Familien, die sich mehr dünkten, erregte. Zu alledem taten Reichenbachs nichts. Darin gerade lag ihre Stärke. Sie suchten nicht, sie ließen sich suchen. Das taten viele. Aber von den vielen unterschieden sie sich dadurch: sie taten nichts dazu, daß man sie fand.

Die Umstellung nach dem Kriege und der Revolution bot Menschen ohne Tradition, selbst wenn sie Gewissen hatten, keine Schwierigkeit. Am allerwenigsten den Angehörigen des Bankgewerbes. Gerade ihnen hatte man Generationen hindurch den Staat als das Muster eines redlichen Kaufmanns vor Augen gehalten. Warum sollten sie sich da nicht auch jetzt auf ihn als Vorbild berufen, wenn sie Dinge taten, die, über das ungeschriebene Gesetz der guten Sitten hinaus, gegen Treu und Glauben verstießen. Wer sich wie Leonard Reichenbach aber die Frage vorlegte: wie hätte dein Vater, Groß- und Urgroßvater in einem solchen Falle gehandelt, der rettete zwar seinen guten Ruf, der um das Jahr 1928 herum nicht hoch im Preise stand, verlor aber sein Vermögen.

Als Leonard Reichenbach damals, um durch den Krieg unterbrochene Geschäftsverbindungen wieder anzuknüpfen, mit den Direktoren anderer Banken nach Neuyork fuhr, erwiesen sich Tradition und Charakter für ihn als schwere Belastung. Denn während jene Direktoren, die im Interesse der von ihnen geleiteten Banken reisten, in erster Linie an die Rettung ihres eigenen Vermögens dachten, sah Reichenbach seine Hauptaufgabe darin, die ihm anvertrauten Kapitalien seiner Kunden zu retten.

So kam es, daß Reichenbach nach seiner Rückkehr sich stolz sagen konnte, alle, die sich ihm anvertraut hatten, wenn auch nicht vor Verlusten, so doch vor dem Zusammenbruch bewahrt zu haben. Er selbst aber hatte den größten Teil seines Vermögens verloren. Und als der Staat bald darauf seine Bürger durch die völlige Entwertung einer neuen Anleihe erneut um die ihm anvertrauten Sparanlagen betrog, räumte Reichenbach allen Kunden, denen er im Vertrauen auf den Staat zur Zeichnung geraten hatte und die nun in Bedrängnis waren, Kredite ein.

Das führte zu Verbindlichkeiten, denen das bereits geschwächte Bankhaus nicht gewachsen war. Eines Tages sah sich Reichenbach vor die Notwendigkeit gestellt, seine Firma und sein bei Brandenburg gelegenes Gut mit Schloß Reichenbach dem bekannten Grundstücksspekulanten Heinrich Morener gegen Übernahme sämtlicher Verbindlichkeiten auszuliefern. Und er mußte mit dieser Lösung, die ihm mit Frau und Tochter gerade noch die Möglichkeit einer bescheidenen Existenz ließ, noch zufrieden sein. Denn die Übernahme erfolgte nicht etwa auf Grund einer Bilanz, die unzweideutig den Zusammenbruch und die Passiva in Höhe von vielen Millionen Mark ergab, sondern sie war dem Zufall zu danken, daß der Großspekulant Heinrich Morener von dem Ehrgeiz besessen war, ein von der guten Gesellschaft anerkannter, sogenannter feiner Mann zu werden. Und man mußte schon eine Urkunde gefälscht oder silberne Löffel gestohlen haben, um als Chef des Hauses Gebrüder Reichenbach & Co. nicht als feiner Mann zu gelten.

Morener hatte denn auch aus seinen Motiven kein Geheimnis gemacht und gesagt:

»Wenn ich kein Geschäft mehr anrühre und als Wohltäter der Menschheit mein Vermögen opfere, so bleibe ich in den Augen der Welt doch immer der Grundstücksspekulant Heinrich Morener. Als Inhaber des Bankhauses Gebrüder Reichenbach auf Schloß Reichenbach aber wird aus Heinrich Morener ein anderer Mensch. Und das lasse ich mich etwas kosten.«

Leonard Reichenbach empfand bei diesen Verhandlungen so starkes seelisches und körperliches Unbehagen, daß er oft nachgab, nur um zu einem Ende zu kommen. Im übrigen befand er sich in einer Lage, in der Morener diktieren konnte. Auch jetzt, als er die Herausgabe der in seinem Privatbureau und im Konferenzsaal hängenden Familienbilder als etwas Selbstverständliches forderte, erwiderte Morener:

»Sie gehören zur Firma, um die Kontinuität zu wahren. Ihr Aus- und mein Eintritt muß als ununterbrochene Fortdauer eines Ganzen erfolgen. Wenn der Zusammenhang unterbrochen wird, so entsteht etwas Neues, und ich kann statt Reichenbach ebensogut Morener firmieren. Mir aber liegt gerade daran, das Alte fortzusetzen.«

Reichenbach verstand das nur zu gut. Die Einwände Moreners waren ja gerade die Gründe, aus denen er alles, was an seine Vorfahren erinnerte, aus dem Kauf hatte ausschließen wollen.

Als Morener sah – staunend sah, wie schwer es Reichenbach wurde, sich von diesen Bildern zu trennen, die ihm seiner Ansicht nach doch nichts mehr nützen konnten, schlug er ihm vor, in der Firma zu bleiben – als Chef, wenn er wolle – neben ihm.

»Reichtum und Wohlbefinden sind relative Begriffe,« erwiderte Leonard Reichenbach. »War es bis heute für mich ein Erlebnis, wenn eine meiner hochgezogenen Stuten fohlte, so wird es mir von morgen ab genau dieselbe Freude bereiten, wenn meine Jagdhündin Junge wirft.«

»Und schließlich werden Sie sich damit begnügen, daß eines Ihrer Hühner Eier legt. – Mein lieber Kommerzienrat, Sie verzeihen – aber bei der Weltanschauung wundert es mich nicht, daß Sie dahin gekommen sind, wo Sie heute stehen.«

»Und wenn ich Ihnen erkläre, Herr Morener, daß ich auch da, wo ich heute stehe, noch nicht mit Ihnen tausche.«

»Was heißt das? Sie haben mit mir getauscht – und zwar so gründlich, daß ich auch als Mensch an Ihre Stelle treten werde.«

»Das möchte ich nicht erleben.«

»Es ist der einzige Grund, aus dem ich derartige Opfer bringe. Für nichts anderes zahle ich meine Millionen als für den hundertfünfzigjährigen Glanz Ihres Namens, von dem ich in diesem Augenblick, in dem ich meinen Namen unter diese Urkunde setze, Besitz ergreife – um ihn nie wieder freizugeben.«

»Sie begnügen sich nicht mit dem Bankhaus, der Firma, dem Schloß, dem Gut, dem Gestüt – Sie wollen mich mit Haut und Haaren fressen.«

Und wenn man den hochgewachsenen, breitschultrigen, schweren Heinrich Morener jetzt vor dem schmächtigen, zarten Leonard Reichenbach, der ihm kaum bis zur Schulter reichte, stehen sah, konnte man es beinahe für möglich halten.

»Mein Ziel ist es,« erwiderte Morener, »daß, wenn in ein, zwei Jahren irgendwo der Name Morener fällt – Jeder fragt: »Sie meinen Morener–Reichenbach?« – Das mag eine fixe Idee von mir sein – möglich! Aber ich habe sie und führe sie – wie alles, was ich anpacke – durch.«

»Wenn mit mir auch der Geist Reichenbach verschwände – dann vielleicht. Aber Sie irren, wenn Sie glauben, daß Sie an die Stelle eines Toten treten. Sie werden auf einen unsichtbaren Widerstand stoßen – überall, wo Sie versuchen werden, sich über diesen Geist hinwegzusetzen.«

»Das klingt vorzüglich, Herr Kommerzienrat. Aber über alle diese Dinge ist die Zeit hinweggeschritten – erbarmungslos hinweggeschritten.«

»Diese Dinge leben, sage ich Ihnen – und sie kehren wieder.«

»Dann wird man sich ihnen anpassen.«

»Man kann sich nur Dingen anpassen, die man erlernen kann.«

»Wie meinen Sie das?«

»Daß Tradition unerlernbar ist.«

»Sie sehen überall Reibungsflächen und konstruieren Gegensätze, die gar nicht vorhanden sind.«

»Gibt es größere Gegensätze als unsere Weltanschauungen?«

»Weltanschauungen? – Ich habe keine Zeit, mir eine zu bilden. Ich denke und handle. Meine Weltanschauung ist der Erfolg – und danach allein werden Sie heute beurteilt.«

»Haben Sie Ihren Neffen Karl Morener, der doch voraussichtlich mal an Ihre Stelle treten wird, auch in diesem Geiste erzogen?«

»Allerdings! Und ich gebe Ihnen den Rat, auch auf Ihren Neffen Heinz, den ich nach unserem Vertrage ja mit übernehmen soll, in diesem Sinne zu wirken.«

»Das geht über meine Verpflichtung hinaus.«

»Es wird sein Fortkommen erleichtern.«

»Ich lehne es trotzdem ab. Sie, Herr Morener, werden sich nicht ändern! Aber ich hoffe, daß in dem unabwendbaren Kampf zwischen unseren Neffen die Reichenbachsche Weltanschauung siegen wird.«

»Ich sehe nur voraus, daß Sie eine neue Enttäuschung erleben werden.«

»Warten wir ab,« erwiderte Reichenbach, nahm die Feder und unterschrieb. Nach ihm Morener. Und als sie sich nach vollzogener Unterschrift die Hände reichten, fühlten sie, daß dieser Vertrag trotz langwieriger Verhandlungen, die vorausgegangen waren, kein Abschluß, sondern ein Anfang war.

Das Geschäft freilich, ganz geführt in Moreners Geiste, der ja der Geist der Zeit war, entwickelte sich derart, daß Gebrüder Reichenbach & Co. schon nach zwei Jahren wieder die erste Privatbank Berlins war. In diesem Jahre starb Leonard Reichenbach. Nach Jahren zum ersten Male erinnerte man sich wieder der Verdienste dieses seltenen Mannes, um den sich nach seinem Zusammenbruch kein Mensch mehr gekümmert hatte. Sein Begräbnis war ein weithin sichtbares Zeichen seiner einstigen geschäftlichen und gesellschaftlichen Bedeutung.

Viele der früheren Freunde drückten wohl etwas beschämt die Hände der Frau Kommerzienrat Reichenbach und ihrer eben erwachsenen Tochter. Und wenn mancher dabei versprach – und es in dieser Stunde wohl auch so meinte – daß er sich nun der Witwe und der Tochter annehmen werde, so wußten Mutter und Kind doch, daß dieser Händedruck der letzte war.

Heinrich Morener aber, der neben der Witwe stand, war so stark von dieser letzten Kundgebung zu Ehren Reichenbachs beeindruckt, daß er sich in seinem gesellschaftlichen Ehrgeiz bei jedem, der Frau Reichenbach die Hand reichte, fragte: »Wird der wohl auch an meinem Begräbnis teilnehmen?« – Wohl nicht ganz frei von diesem Gedanken, bot er der Witwe am nächsten Tage außer seinem Trost eine in dem Vertrage nicht vorgesehene Rente aus dem Reingewinn der Bank. Frau Reichenbach lehnte in höflichster Form eine Unterstützung ab, die nicht im Sinne ihres in Gott ruhenden Mannes sei. Sie gab aber ihrer großen Freude über das Anerbieten Ausdruck, weil sie daraus ersehe, daß der Geist Reichenbach auch unter Heinrich Moreners Leitung fortlebe. Weniger die Ablehnung als die Begründung stimmte Morener nachdenklich –.


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