Heinrich Kruse
Seegeschichten. Zweite Sammlung
Heinrich Kruse

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Die Schifferfrau.

        Wer nicht zu beten versteht, so sagt man, muß auf das Meer gehn,
Ja, da lernt er, umringt von Gefahren, die Hände zu falten,
Doch nicht weniger haben die Frauen der Schiffer zu leiden;
Wie sich das Schiff bald hebt auf dem Kamme der Wogen und wieder
Sinkt in das Wellenthal, in den Abgrund, schwanken und schaukeln
Auf und ab auch die Herzen der Fraun, wenn draußen der Sturm heult.
Auch Gesina, die Frau von Onke Eimen, dem Schiffer,
Konnte nicht länger allein zu Hause die Sorgen ertragen;
»Lieber Onke,« so sprach sie zu ihm, »die Frachten sind niedrig
Und Du setzest beständig das Leben für kleinen Gewinn ein;
Ich durchwache die Nächte und weiß mich vor Angst nicht zu lassen,
Längst schon wünsch' ich im stillen, Du mögst aufgeben die Schifffahrt.«
Onke, er hörte das an mit tauben Ohren und murrte: 228
»»Wovon sollen wir denn uns ernähren? Das möcht' ich doch wissen.««
»Wenn Du nur bei uns bleibst, bei Frau und Kindern, so ist mir
Alles ja, Männchen, genehm, ich weiß mich in alles zu schicken;
Aber Du brauchest Dich nicht vom Schiffergewerbe zu trennen,
Siehe, Du bist ein guter Kap'tän und weißt, was im Frühjahr
Alles zum Reeden gehört, was der Koch braucht und die Matrosen;
Darum, denk' ich, Du wirst Schiffshändler in Geestemünde.«
Onke sagte darauf: »»Wie der Igel tauget zum Schnupftuch,
Taug' ich zum Kaufmann, Frau.«« Doch ließ ihm Gesina nicht Ruhe
Und wie ein kluges, erfahrenes Weib kam stets zu demselben
Punkt sie zurück, bis zuletzt ihr Mann sich fügte und nachgab.
Also ward er denn nun Schiffshändler in Geestemünde.
Anzulocken die Käufer und anzupreisen die Waren
War er indes nicht gemacht, er hatte sich richtig gewürdigt.
»Ist denn die Butter auch gut?« So befragt, antwortete Onke:
»»Nun, ich habe schon schlechtre gehabt, doch hat sie 'nen kleinen
Stich.«« Ja, Onke, die ehrliche Haut, war sicher der letzte
Aufzublasen mit Worten geringere Ware wie Kalbfleisch.
Nicht umsonst ist Merkur, der Gott des Verkehrs und des Handels,
Auch der Beredsamkeit Gott; doch Onke verstand nicht zu reden,
Und wie der Seemann ist, war ein Mann von wenigen Worten,
Kurz, es ging mit dem Laden in Geestemünde nicht vorwärts.
Jegliches Frühjahr ward unruhig der Mann, wie im Käfig 229
Ein Zugvogel es wird, und Gesina sagte zum Schiffer:
»Lieber, ich seh' es nun wohl, Du bist für das Land nicht geschaffen,
Haben wir zugesetzt ein wenig von unserm Vermögen,
Blieb, gottlob, noch genug, um ein kleines Schiff uns zu kaufen.«
Onkes Gesicht verklärte sich schier, als er hörte vom Schiffe;
»Ja, wir kaufen ein Schiff, ein kleines, das ganz uns gehöret,
Und da brauchen wir nicht hochmütige Reeder zu fragen,
Ob ich auch mitgehn darf.« »»Du willst mitfahren?«« »Das will ich,
Sieh, dann sind wir zusammen und sparen dabei noch die Wohnung.
Ja, uns genüget das Schiff, dann brauch' ich mich nicht mehr zu ängsten,
Teile mit Dir die Gefahr, und kommt zum Schlimmen das Schlimmste,
Müssen wir Schiffbruch leiden und können das Leben nicht bergen,
Nun, so gehen wir unter, zusammen zu leben und sterben
Ist, mein teuerster Mann, ein sanfter und schöner Gedanke,
Ist wie linderndes Öl auf die stürmischen Wogen des Schicksals.«
So Gesina, mit Rührung den Mann umarmend und küssend.
Onke, man kann es sich denken, war froh wie ein Fischlein im Netze,
Das als zu klein der Fischer, am Strand aussuchend, ins Meer wirft.
Also wurde die Tjalk »die Hoffnung« billig erstanden, 230
Platt für die Fahrt an der Küste gebaut, mit drehbarer Pinne,
Nicht ganz neu, allein aufs neue geteert und gestrichen,
Und mit Resten des Lagers getakelt, nahm sie sich schmuck aus.
Dort nun hauste die Frau, im engen Raum sich behelfend,
Ganz zufrieden und froh mit dem Mann und den sämtlichen Kindern,
Die sie dem Gatten geschenkt, vier Söhnen, von denen die beiden
Ältsten dem Vater schon bald zu helfen vermochten. Der Steu'rmann,
Remmer Janssen, war auch ein naher Verwandter des Mannes,
Und so lebte an Bord nur eine vergnügte Familie;
Glücklich fuhren sie lang' mit der Tjalk von Hafen zu Hafen,
Bis nach Emden, auch wohl dem Texel vorüber nach Schiedam,
Stückgut oder was sonst einnehmend und leidlich verdienend.
Als sie einst auf dem Watt vorbei an den friesischen Inseln
Fuhren mit günstigem Winde dahin und heiterem Wetter,
Sagte Gesina: »Gedenkst Du auch wohl des heutigen Tages?
Heute vor nun fünf Jahren am neunundzwanzigsten Juli
Hatten nicht weit von der Elbe, bei Neuwerk, viel wir zu leiden.«
Onke versetzte darauf: »»Wer könnte das jemals vergessen?
Damals waren wir knapp nur bemannt und die Knaben zu jung noch,
Unser Maat war erkrankt und lag in der Koje mit Fieber,
Unser Steuermann fiel bei dem Sturm und brach sich die Beine,
Und Du, Ärmste, Du hattest erst vor vier Tagen geboren. 231
Doch Du bist ein tapferes Weib und gewöhnt an den Seedienst,
Also standest Du auf und stelltest zur Pinne Dich mutig,
Steuertest richtig das Schiff, ich brauchte Dich nicht zu belehren,
Hatt' auch genug zu thun mit den Segeln, und niemand zu Hilfe,
Als den Kajütswacht nur, den Dümmling. Du hast uns gerettet!
Aber da zucket ein Blitz bei Juist und der Himmel bezieht sich,
Schön war's heute, doch schwül.«« Indem er so redet, da ziehen
Schwärzer und schwärzer die Wolken herauf und es krachet der Donner,
Bald ist im rasenden Sturme die Tjalk nicht mehr zu regieren,
Und so werfen sie aus, was an Bord sie besitzen von Ankern,
Darauf flüchten entsetzt sie alle hinab zur Kajüte.
Wenn ein Glied nur reißt an der Kette, so sind sie verloren,
Und auf das Krachen des Schiffs und das Heulen des Sturms und der Wogen
Lauschen sie bange. »Das Schiff kann nicht auswettern den Nordsturm,
Laßt uns sehn, ob das Rettungsboot von Juist sich herauswagt.«
Also sagte die mutige Frau und wollt' auf das Deck gehn,
Umzuschaun, doch setzte sie kaum nach erkletterter Treppe
Ihren Fuß auf das Deck, an Remmer Janssen sich haltend,
Als sie die Sturzsee faßt und samt dem begleitenden Steu'rmann
Spült über Bord, sie wurden gepackt von der tobenden Brandung,
Die sie schnell wie der Blitz fortträgt und wirft auf den Deich aus. 232
Und dort kamen die Leute von Norddeich ihnen zu Hilfe,
Also wurden die beiden gerettet, indessen das Schifflein
Reißt von den Ankern sich los und wird zerschellt vom Orkane;
Ja, mit Mann und Maus ist untergegangen das Fahrzeug,
Während bewußtlos lag auf dem Deiche die arme Gesina.
Als sie erwacht, so blicket sie wild umher in die Runde,
Doch kein Segel ist rings auf dem wütenden Meere zu schauen,
Das heut' mehr als je sich verdiente den Namen der Mordsee;
Aber man sieht am Strand wohl zwanzig zertrümmerte Schiffe,
Doch soviel sie auch späht, ihr Fahrzeug, das sie genau kennt,
Ist nicht unter der Zahl. »Wo blieb denn die Hoffnung?« so rief sie,
Voll unsäglicher Angst, »wo sind mein Mann und die Söhne?«
Niemand wagte darauf Antwort zu geben, das Meer nur
Gab auf die Frage Bescheid und warf, fortstürmend, den Mann erst
Und dann, nah miteinander verschlungen, die Söhne ans Land aus.
Welch ein markerschütternder Schrei! Sie stürzt an das Ufer,
Als sie den Gatten erblickt, den geliebten, da reißt sie den Mantel
Sich von den Schultern und decket ihn zu, als könnt' es ihn schützen,
Also verwirrten sich schon die Begriffe der armen Gesina.
Aber als gar nun das Meer vier nahe verbundene Leichen
Warf an den Strand und sie die geliebtesten Kinder erkannte, 233
Wurde sie bleich und sank ohnmächtig und stöhnend zusammen.
Und man führte zugleich mit der Totengleichen die Toten
Über nach Norden, da nahm ein Grab bei der Kirche Ludgeri
Unsere fünf Schiffbrüchigen auf in den Hafen der Ruhe.
Solch ein Menschenschicksal ergreift auch die härtesten Herzen
Und so fehlte denn nicht ein stattliches Trauergefolge,
Als man den Schiffer begrub zugleich mit den sämtlichen Söhnen.
Manch ein Auge, das niemals die Opfer des Meeres lebendig
Hatte geschaut, ward leise gefüllt mit gleitenden Thränen.
Nur die verlassene Witwe, sie stand mit trockenen Augen
Stumm und starr bei dem Grab, und ob sie des Predigers Worte,
Rührend für andre, vernahm, das war nicht leicht zu entscheiden.
Auch ein Denkmal wurde gestiftet, doch nicht von der Witwe,
Denn sie hatte ja alles zugleich mit dem Schiffe verloren.
Frau Gesina war wie erstarrt, erst als man ihr freundlich
Eine Sammlung von Geld einhändigte, weinte sie leise,
Und das mußte als Dank den gütigen Gebern genügen.
Ach, so war denn ihr Wunsch, mit dem Manne zu leben und sterben,
Nicht in Erfüllung gegangen nach unerforschlichem Ratschluß.
Remmer Janssen, er mußt' als Seemann Heuer sich suchen,
Darauf ging sie allein zu Fuß zurück nach dem Orte,
Wo sie geboren war, nach Groningen, drüben in Holland,
Und man hörte nicht mehr von der armen, verwaisten Gesina.
Nach drei Jahren nur fand der Küster in Frühe des Morgens, 234
Knieend am Grabe ein Weib, das nachts sich schlich auf den Kirchhof.
Und nachdem es gebetet mit häufigen, bitteren Thränen,
Nahm ein Tuch sie heraus und füllt' es mit Erde vom Hügel.
»Ich bedanke mich auch, daß das Grab im stande gehalten,«
Sagte die Schifferfrau zu dem still sie betrachtenden Küster,
Sonst kein weiteres Wort, sie schied so stumm, wie sie ankam,
Ganz in Trauer, sie zog nie wieder ein helles Gewand an.
Und sie beschloß einsam ihr Leben an ihrem Geburtsort,
Wo sie das Meer nicht erblickt, noch Küsten, noch segelnde Schiffe.

 


 


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