Heinrich Kruse
Seegeschichten. Zweite Sammlung
Heinrich Kruse

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Konrektor im Sacke.

        Höret den lustigen Streich, den ich einst als Schüler verübte;
Denn von allen Geschichten der Welt sind Schülergeschichten
Immer die schönsten – wenn nicht für den Hörer, doch für den Erzähler!
Hört nun den herrlichen Spaß von dem Herrn Konrektor im Sacke.
Dieser und auch sein Freund, Herr Rektor, die Häupter der Schule,
Waren aus Sachsen gebürtig, dem Mistbeet unsrer Pedanten,
Wo man am reinsten das – Sächsische spricht. Um die Wahrheit zu sagen,
Wußte der Rektor das Deutsch nur kaum soeben zu reden,
Vix et ne vix quidem! in seinem Lateine zu sprechen,
Bloß fürs Haus, so sagt er, zu reden mit Frau und mit Dienstmagd.
Aber er mußte sich doch zu einigen Stunden bequemen,
Wo er auf deutsch vortrug, nach dem genio saeculi, klagt' er.
Denn tief waren die Zeiten nach seinem Bedünken gesunken, 122
Echte Gelehrte nur noch auf dem Saale zu Leiden zu finden,
Dort wo Scaliger hängt an der Wand und die andern Perücken,
Seit Thomasius las in deutscher Sprache, der Ketzer! –
Weil er Latein nicht verstand, so pflegte der Rektor zu sagen, –
War es mit echter Gelehrsamkeit aus und mit gutem Lateine.
Nun war aber das Deutsch ihm viel zu nüchtern und mager;
Darum spickt' er es stets mit den schönsten lateinischen Phrasen.
Kam er in Zorn, was öfters geschah, so verließ ihn das Deutsch ganz.
Stockend versucht' er es noch in dieser barbarischen Sprache;
Doch bald floß ihm im schönsten Latein sein Zorn von den Lippen.
Ebenso schwärmte der Herr Kollege für gutes Lateinisch;
Aber er lebte darüber in ewigem Streit mir dem Rektor.
Denn Konrektor, er ließ nichts gelten, als Ciceros Schriften,
Nichts, als goldnes Latein, und Ciceros Werke, sie waren
Ihm ein heiliges Buch. – Einst badet er sich in der Saale,
Und man siehet ihn nackt im Wasser behaglich herumgehn;
Über sich hält er ein Buch und schauet nach oben und lieset,
Während das Wasser ihm spritzt um die Hüften. Und seine Bekannten
Rufen vom Ufer ihm zu: »Was treiben Sie unten im Wasser?«
»»Was ich treibe? Ich treibe den Cicero! Ciceros Schriften
Sind ex manibus nie zu deponieren. Man treibt sie
Nimmer genug; man muß sie terra marique traktieren!««
Über den Cicero lag er beständig im Streit mit dem Rektor. 123
»Amicissime,« sprach er zu ihm, »ich begreife Sie gar nicht.
Wenn Sie lauteres Gold doch haben, warum denn, warum nur
Wollen Sie schlechter Metall mit dem lauteren Golde vermischen?
Nein, ich begreife Sie nicht! Quae te dementia cepit?«
Aber seit dem Programm, das Rektor zu Ostern geschrieben,
War es vorbei mit dem freundlichen Streit, und beide Gelehrte
Lebten in offenem Bruch und grüßten sich schweigend und finster.
Rektor hatte sich dort in den silbernsten Phrasen ergangen,
Und Konrektor erklärt, daß Rektor Latiums Sprache
Gänzlich verlernt und so schlechtes Latein wie Tacitus schriebe.
Seitdem wurde von ihm in seiner Sekunda den Schülern
Silberne Latinität mit doppelter Kreide gestrichen.
»Denn«, so sprach er mit Seufzen, »in Prima bleibt es ja stehen!
Darum streich' ich Euch an zwei Fehler für einen im voraus.
Ja, Ihr Buben, Ihr dankt es mir noch, wenn ich lange gestorben!«
O, harmlose Gelehrte! Und seid Ihr nicht glücklich zu preisen,
Daß Ihr, in rosige Wolken gehüllt, wie homerische Helden,
Weder die Welt um Euch, noch Mangel bemerket und Undank?
Nun, ich spielte damals mit meinen Genossen im Garten
Und gab Herrn Konrektor zum besten, auf vieles Verlangen,
Sprach sein sächsisches Deutsch, als wär' ich in Leipzig geboren,
Während den Rektor ein anderer macht. Zu aller Ergötzen
Unterhielten wir uns vom Sittenverderben der Jugend,
Über das schlechte Latein und über die schlechten Gehalte,
Wie wir oft es belauscht, wenn sie wandelten über den Schulhof. 124
Und nun lag ein Sack, für Nüsse bestimmt, in dem Garten;
Darein steckten sie mich und banden mir lachend den Sack zu.
Ich war fröhlicher Laune nun 'mal und ließ mich nicht stören,
Immer im lauten Gespräch mit dem Herrn Kollegen begriffen;
Aber vom lauten Gelächter gelockt, wer erscheinet am Fenster?
Ja, in der Haube, das dürre Gesicht, Frau Rektorin war es.
»Ei,« so rief die gefürchtete Frau, »was hast Du denn, Männchen,
Mit Konrektorchen wieder zu thun? So ereifert Euch doch nicht!«
Doch wie die Jugend die Stimme vernahm, so lief sie von dannen.
»He, wo wollt Ihr denn hin?« so rief Frau Rektorin, »Jungen!«
Aber sie rannten davon, kein Wörtchen der Alten erwidernd.
Ich Unseliger blieb allein zurück. In dem Sacke
Saß ich und konnte nicht fort. Wie wird das werden? so dacht' ich.
»So was lebt nicht!« rief kopfschüttelnd die Rektorin. Eilig
Ging sie zum Rektor herab und schalt ihn, daß er so zankte.
»Männchen, was hattest Du denn mit dem Herrn Konrektor im Garten?«
Sie war völlig erstaunt, als Männchen behauptete, gar nicht
Eben im Garten gewesen zu sein. »Du warst in dem Garten,
Männchen, ich hört' es ja selbst!« Doch standhaft leugnete jener.
»Nun, das weiß ich gewiß, Konrektorchen war in dem Garten.
Geh und sieh, was die Buben mit ihm schon wieder begannen.«
Männchen, er folgte, wie immer, der Frau und trat in den Garten,
Wo sich die Mönche des Klosters vor Zeiten im Kühlen ergingen.
»Herr Kollege, wo stecken Sie denn?« so rief er. Die Schalkheit 125
Plagte mich sehr, und ich dachte bei mir: Was kann es dir schaden?
Schuldig bist du ja schon, drum führe den Scherz nur zu Ende.
Also behielt ich die Sprache des guten Magisters getrost bei,
In der »Pirna« klingt wie »Börne«, wo »Kupiter« »Plitze«
Und »Boseiton« den »Treuzack« schwingt, und schrie aus dem Sacke:
»»Hier! hier steck' ich im Sack, Herr Rektor!«« – »Mehercle, das seh' ich!
Medius Fidius! Herr Kollege, wie kamen Sie da 'rein?«
»»O, das haben die Buben gethan, die abscheulichen Buben!««
Rief ich im Sack. »Ja, freilich! ja, freilich!« so sagt' er. »Videre est!«
»»Was?«« so rief ich im Zorn, wie mein Konrektor so oft that,
Stieß er auf silberne Latinität. »»Wie!«« rief ich, »»Vider' est!
Liebster, das wäre Latein? Vider' est! Himmel, vider' est!
Weisen Sie mir im Cicero nach eine einzige Stelle!
Aber das können Sie nicht. Potest videri! so heißt es.««
»Aber es kommt im Plinius vor!« so warf mir der Rektor,
Kleinlaut nur, zur Verteidigung ein. »»Was Plinius!«« rief ich,
Schnaubend vor Zorn, wie oft Konrektor in seiner Sekunda.
»»Was schiert Plinius mich und sämtliche späteren Schmierer?
Plinius ist ein Hund, Sueton und Gellius Esel –««
»Ei, mein wertester Herr Kollege!« so rief er. »Ich bitte!
Wenn ein Schüler das hörte! Bedenken Sie doch, was Sie sagen!
Aber ich muß Sie doch erst aus dem Sacke befreien, Geehrter!« 126
Aufzubinden versucht' er den Sack, doch der Arme verstand ja
Nichts als Latein! Er verstand nicht den Knoten des Sackes zu lösen.
Also geht er davon, um Frauchen zu Hilfe zu holen.
Indes eilet ein Schüler herbei und bindet den Sack auf,
Und wir rennen davon, so rasch uns die Füße nur tragen. –
Als nun unser Beherrscher mit seiner Beherrscherin wieder
Kam zum Garten herein, so lag dort offen der Sack noch,
Doch Konrektor, er war, mirabile dictu! verschwunden.
Groß war freilich das Staunen des Rektors ob solches Verschwindens;
Größeres Staunen ergriff Konrektorn am folgenden Tage,
Als ihm jener erzählt', wie er gestern im Sacke gesessen.
»Ich im Sacke gesteckt!« so rief er erzürnt. »In dem Sacke?
Herr, Sie stecken mich nie in den Sack! Ich stecke wohl eher
Sie in den Sack und Ihr ganzes Latein!« Und er lächelte höhnisch:
»Quid tibi vis -« »»mulier nigris dignissima barris!««
Also ergänzte der Rektor den Vers aus schierer Gewohnheit;
»»Aber, geehrtester Freund, wie kamen Sie nur aus dem Sack 'raus?««
Und so zankten sie sich noch lange, bis Rektor es faßte,
Daß sein Freund ableugnet den Sack und die ganze Geschichte.
Nun war freilich das Staunen an ihm, und die beiden Gelehrten
Wußten der Sache nicht Rat und schüttelten wechselnd die Köpfe.
Endlich verfielen sie doch auf die Buben; es wurde die Sache 127
»Strenge verhört«, mit gewohntem Erfolg, und der Thäter gefunden:
Niemand war es gewesen, und niemand kam in den Karzer!
Doch pflegt Gutes zu keimen aus Schlimmem; die beiden Gelehrten
Waren von neuem zusammengeführt durch die Wundergeschichte,
Wandelten wieder versöhnt und in Eintracht über den Schulhof,
Unterhielten, wie sonst, sich vom Sittenverderben der Jugend,
Über das schlechte Latein und über die schlechten Gehalte.
Das ist der köstliche Schwank von dem Herrn Konrektor im Sacke!

 


 


 << zurück weiter >>