Heinrich Kruse
Seegeschichten. Zweite Sammlung
Heinrich Kruse

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Adelaide.

        Deutschlands Fleiß macht blühend die Welt; doch gelangte noch nimmer,
Adelaide, zu dir und den Paradiesesgefilden
Deines gesegneten Strandes ein Schiff auswandernder Deutschen.
Unser vortreffliches Schiff, Gesina von Bremen, gekupfert
Und schnell segelnd, es war an diesen Gestaden das erste,
Welches die heimische Flagge entfaltete, nämlich die Bremer.
War es daheim auch traurig bestellt mit der Einheit der Deutschen,
Fühlten sie doch sich verwandt in der Fremde. Ein alter Stettiner
Nahm gastfreundlich uns auf. Hierher verschlagen als Seemann,
War er alles geworden, wobei ein Verdienstchen ihm winkte:
Fuhrmann, Bauer und Gärtner und Lederhändler und Krämer,
Das ist der einzige Weg, sein Glück zu machen in neuen
Ländern wie Adelaide. Wer Rollen verschmäht wie ein eitler
Hofschauspieler, der bringt es nicht weit. Jetzt blüht er als Gastwirt
Auf mit dem Hafen zugleich. Wir saßen zusammen, der Landsmann, 16
Der uns bewirtete, ohne Bezahlung zu nehmen, ich selber,
Der noch diente als Jüngster im Schiff, und ein älterer Seemann,
Als sein perlendes Glas erhob der vergnügte Stettiner:
»Sehet das Land Euch an; denn fruchtbar ist es wie Gosen;
Und erzählet zu Hause davon!« So sagte der Gastfreund,
Welcher die Gastfreundschaft mit kluger Berechnung verknüpfte.
Und so holt' er für uns aus dem Stall zwei muntere Pferdchen
Die wir bestiegen zum freundlichen Ritt bei dem heitersten Wetter;
Wir galoppierten am Strand, den lockere Schwämme bedeckten,
Und dann jagten wir fort, nach den Hügeln hin. Alles war anders
Als auf unserer Seite des Weltmeers. Selber die Blätter
Stehn an den Bäumen verkehrt, senkrecht, und wimpeln im Winde.
Und hier bellt nicht der Hund, hier flieget der Fuchs, auf dem Fluß schwamm,
Schwarz wie die Nacht, ein prächtiger Schwan; stolz bog er den Nacken
Hinter sich, sah wie verachtend uns an mit dem purpurnen Schnabel,
Und dann schoß er davon mit gewaltigem Klatschen und Spritzen.
Wunderbar, fehlet den Bäumen die Rinde? Nur Lappen und Fasern
Hingen am Stamme herum, doch grünten sie lustig im Wipfel.
Ja, hier leben sogar vierfüßige Vögel, so sagt man.
Mir schien alles ein Traum und nicht auf Erden gelegen
Dieses verzauberte Land. Wir wechselten stets das Erstaunen.
Also drangen wir vor in die herrliche Kette der Hügel, 17
Wo wir das Pferd anbanden im Schatten gewaltiger Bäume.
Frei war hier von Gesträuchen das Gras. Wir schauten hinüber
Hier auf das bläuliche Meer, das unendliche, welches sich höher
Hebt mit jeglichem Schritt, den der Mensch am Ufer emporsteigt,
So wie Gott stets höher sich hebt vor dem denkenden Geiste;
Dort, wenn wir wandten den Blick nach der inneren Seite des Landes,
Breitete weit sich die Flur voll mannshoch wallender Halme;
Blumen zu Tausenden, nicht mit Namen belegt von den Menschen,
Schossen dazwischen hervor, und der Wind schlug Wellen im Grase.
Mittag war es bereits; wir setzten uns nieder zum Mahle.
Siehe, was naht aus dem fernen Gebüsch? Ein Rudel von Rehen?
Sind Springratzen es wohl? Wie hüpfen die braunen Geschöpfe!
Doch als näher sie kamen, so sahen wir Menschengestalten,
Ach, kaum besser als Tiere des Feldes! Sie wissen von Scham nichts.
Wenn vom Gebirge sie kommen herab zu den Siedlern, den Weißen,
Um zu beschaun die werdende Stadt, so zwingt man sie freilich,
Sich zu schürzen. So hatten wir dort schon die bräunliche Horde
Flüchtig erscheinen gesehn und verschwinden. Sobald sie der Fremden
Seltsame Wohnstatt haben im Rücken, so werfen sie lachend
Ab von den Hüften das Fell. Nackt kamen die Männer und Weiber
Näher und näher heran. Sie wurden gelockt von der Mahlzeit; 18
Denn stets plagt ja der Hunger die Armen. Sie leben von allem,
Raupen und Schlangen sogar. Und es baut ein Haus sich der Biber,
Doch nicht dieses verlass'ne Geschlecht. Sie stecken im Halbkreis
Nur Baumzweige herum und schlafen geschützt vor dem Winde,
Morgens verlassen auf immer sie wieder die Wohnung des Abends,
Ein halbfertiges Nest! So leben die Söhne der Wildnis.
Anfangs standen sie fern, mißtrauisch; dann kamen sie näher,
Drängten heran und schwirrten davon, wie Vögel vom Baume.
Doch bald schöpften sie Mut und warfen sich alle zu Boden,
Wiesen hinein in den hungernden Mund und kauten die Lüfte.
Was wir hatten, wir warfen es hin. Sie verschlangen es gierig.
Ach, gern hätten den Armen wir geistige Speise geboten!
Aber es schienen nur Körper zu sein. O, nicht doch! Es wohnet
Auch in ihnen der göttliche Hauch! Sie beginnen zu reden,
Schwalbengezwitscher nur schien's, doch konnten den Dank wir verstehen.
Siehe, sie singen sogar! Wie sollten sie Seelen nicht haben?
Denn was ist der Gesang als die Flügel entfaltende Seele?
Heiter sangen die Wilden, mit Seelen, vom Danke beflügelt!
Und sie wollten uns auch nach schwachem Vermögen vergelten,
Wollten mit Tanz uns erfreun. Hier traten die Männer zusammen,
Drüben die Frau'n. Sie begannen zuerst mit fröhlichen Sprüngen;
Doch dann zeigten sie uns abwechselnd ihr ärmliches Leben
Im nachahmenden Bild. Hier gingen die Männer auf Jagd aus, 19
Schwangen den Speer im Lauf und verfolgten mit Hunden den Vogel.
Still dann setzten dagegen die Frauen sich hin, auf dem Halse
Über sich tragend das Kind, und angelten über der Wiese.
Hoch auf den Baum springt plötzlich der Mann und verfolget das Kätzchen;
Tief nach Perlen hinab taucht unter das Wasser das Mädchen.
Also spielten vor uns sie im Schatten der prächtigen Bäume,
Und uns gab nicht die Kunst, die Natur selbst gab uns ein Schauspiel.
Sieh, nun raubt sich der Jüngling das Mädchen; sie sucht zu entlaufen,
Wie ein schüchternes Mädchen bei uns, wenn der Freier das Wort sprach.
Blitzschnell wurde geboren ein Kind; wir lachten darüber;
Aber es nahten die Frau'n und bewunderten schmeichelnd den Säugling.
Dann kam Trauer ins Volk; ein Häuptling mit prächtigem Kopfschmuck
Sinkt ins Gras und ist tot; ein Arzt kommt, schüttelt so weise
Drüber den Kopf, als wär' er geprüft vom preußischen Staate:
»Ja, nun ist es zu spät! Wenn man früher mich hätte gerufen –«
(In Neu-Holland glaubt man noch immer an Zaubrer und Ärzte!)
Darauf tragen sie ihn mit Trauer und Klagen zur Erde, 20
Preisen den Mann – wohl über Verdienst – und schütten das Grab auf.
Also spielten vor uns so fröhlich die harmlosen Wilden.
Sieh, ihr Leben ist nur das unsre, der Hüllen entkleidet!
Anfangs hielten wir sie noch unter dem ersten der Menschen,
Welcher, nachdem er gefallen, den Rock von Fellen sich umthat,
Doch nun waren sie uns wie vertraut, wie verschwistert. Sie schienen
Gar so häßlich nicht mehr mit den mageren Schenkeln und Armen,
Dürftiges Leben nur bringt sie herab und der Mangel an Speise.
Wohl sind die Schultern geformt, und es strahlt aus den Augen wie Liebreiz,
Und wo wär' ein Menschengesicht, das Freude nicht schön macht?
Plötzlich mit Wehegeheul entfliehen erschrocken die Wilden,
Während in Zweifel wir stehn, ob Dichtung es wieder und Spiel sei,
Oder ob wirkliche Furcht, springt aus den Gebüschen ein Jäger,
Schnobernde Hunde vorauf, und schießt mit Fluchen die Flinte
Hinter den Fliehenden her. Dampf wallt in die Lüfte. Er wendet
Um sich nach uns und reitet heran. Auf feurigem Rosse
Sitzt nachlässig, doch fest er, nach Weise der Briten. Es folgen
Blank und betreßt zwei Diener dem Herrn. Wie im Parke von London
Zog er daher; wir erkannten uns gleich, und er nickte mit Grinsen.
Siehe, das war ja der Mann, der uns neulich bewirtet, der reichste 21
Unter den Reichen des Orts. Unermeßliche Herden, so sagt man,
Weiden für ihn vom Meer zu den Bergen, und über den Bergen.
»Diesmal ist das Gesindel entflohn!« so sprach er mit Lachen.
»Doch heut früh war besser die Jagd. Mit der nämlichen Kugel
Schoß ich das saugende Kind und die Mutter, so hatt' ich gezielet.«
»»Herr!«« so rief ich entsetzt und sprang auf die Füße . . . »»Was sagt Ihr?
Herr, Ihr redet doch nicht im Ernst?«« »Ich spaße so leicht nicht,«
Sagte der Brite. »Ihr nehmet Euch wohl das Gesindel zu Herzen?«
Schweigend steig' ich zu Roß. »»Ihr seid ein Wüterich!«« schreiet
Wild mein älterer Freund. »»Ein Abscheu! Seid in die Hölle,««
Rief er, »»verdammt!«« Wir ritten entsetzt und schaudernd von dannen.
Aber uns holt' auf mächtigem Pferd bald wieder der Herr ein,
Und er geruhte nicht mal, sich die Rede verdrießen zu lassen,
Nur zu belustigen schien ihn unsere Jugend und Einfalt,
Und er begann das Gespräch mit Lächeln von neuem: »Die Deutschen
Sind doch ein sehr gutmütiges Volk; drum bleibt Ihr zurück auch!«
Noch war fast ich ein Kind und wagte nicht, weg ihn zu weisen.
Also fuhr er denn fort: »Ein Dieb muß hängen in England.
Hängen und schießen, das bleibet sich gleich. Was meint Ihr? Die Wilden 22
Sind Schafdiebe – wenn Menschen sie wären; doch sind sie nur Dinge,
Tiere des Walds, Raubtiere. So gut in die Herde der Dingo
– So ist der Name des rötlichen Hunds mit dem buschigen Schweife –
Einfällt während der Nacht und zwanzig Schafe mir anbeißt,
Und ein jegliches Stück von dem giftigen Bisse verrecket,
Grad so fallen die Hunde mir auch in die Herden. Ihr wißt doch,
Daß feinvließige Schaf' ich zuerst einführte zu Schiff hier,
Ganz auf meine Gefahr; die mehren sich hier wie die Sterne;
Denn wo fänden sich Weiden wie hier? Nicht des Ozeans Nebel
Feuchten so herrlich das Land am Severn, oder die Eb'nen
Dorsetshires, wo der Schäfer nun geht seit Julius Cäsar.
Dort, dort bin ich geboren und weiß, was gehört zu der Schafzucht.
Seht Ihr die Weiden da drüben? Schier möchte man werden zum Schafe,
Um zu genießen das herrliche Grün und die saftigen Blumen.
Wirklich, ich freue mich auch an den Blumen; sie schaden dem Vieh nicht.
Aber ich muß mich stets vor den Wilden bewahren. Ich schicke
Bis an die Zähne bewehrt auf die andern Seite der Berge
Meine Schäfer hinaus. Ihr solltet die Menschen 'mal sehen!
Die sind anders zu schau'n, wie im linnenen Kittel der Schäfer,
Der da folget der Herde zu Haus und Strümpfe sich stricket
Unter dem Schatten der Eibe, und will er die Schafe versammeln, 23
Hat er nur nötig zu rufen, so kommen sie alle gegangen,
›Und sie hören darauf,‹ wie der Psalm sagt; denn in der Bibel
Weiß ich Bescheid, mit dem Buch plagt viel man die Kinder in England.
Ein halb Jahr wohl gehn sie herum mit der Herde, verlassen,
Fern vom Menschengetriebe, von tüchtigen Hunden begleitet,
Und dann kommen sie wieder im Herbst mit Schafen und Lämmern.
Doch fehlt manches daran, denn sie stehlen, die listigen Wilden.
Wißt Ihr, wie sie es machen, die Schufte? Sie werfen sich nieder
Platt auf den Bauch. Nun kriechen sie an und bewegen das Gras kaum,
Das dastehet wie Rohr, wie Roggen in Blüte, so üppig.
Hintereinander, so kriechen sie fort in doppelter Reihe
Und rechtwinklig hinein in die arglos weidende Herde.
Dumm gafft an sie das Vieh; doch sie schieben so sacht sich dazwischen,
Daß kein einziges Tier sich erschreckt, kaum blöken die Dinger.
Darauf schließen zusammen die Reihen, und wenn von der Herde
So sie ein Hundert der Schafe getrennt, dann springen sie plötzlich
Auf mit lautem Geschrei und treiben die Beute von dannen,
Hinter sie her schießt freilich der Hirt, doch trifft er nur selten,
Denn sie verschwinden zu rasch. Wer will sie verfolgen im Riedgras?
Und sie teilen den Raub und verzehren die Lämmer mit Freuden.
Das ist den Dieben ein leckeres Mahl. Stets hungert das Pack ja, 24
Da nicht Beeren einmal hier haben die Wälder und Berge,
Oft klar Wasser nicht 'mal. In der Dürre versiegt in dem Felsspalt
Selber der reichlichste Quell. An Vorrat denket das Volk nicht,
Und man sah sie sich ritzen den Arm, mit dem Blut sich zu letzen.
Wie der verlorene Sohn, so laben sie sich an dem Lammfleisch,
Und stets sind sie gereizt, von neuem den Raub zu versuchen.
Darum hab' ich schon lange den Hirten befohlen, zu schießen,
Wo sie was Wildes erblicken, und reit' auch selbst auf die Jagd aus.
Rein ward ziemlich die Gegend bereits und sicher die Weide.«
»»Also darum schießt Ihr die Mütter und Säuglinge nieder?««
Sprach mit verhaltenem Grimm mein Reisegefährte. »»Und alles,
Sagt Ihr, nach englischem Recht und Gesetz? Ihr lehrt es den Wilden!
Doch ein einziges Wort, wenn Worte noch irgend Dich kümmern.
Willst Du denn ganz nach englischem Recht und Gesetzen verfahren,
Wes ist, sage, das Land? Wo hast Du die Schenkung? Den Kaufbrief?
Sprich, wem zahlst Du die Pacht? Wem bringst Du die Renten und Zehnten? –
Wenn sie nun glauben, die Wilden, ihr Land sei ihnen gehörig
Und sie dürften dafür sich Pacht ein wenig erheben
Vom unendlichen Gut, das Gott in Gnaden Dir zuströmt?
Wenn sie so denken und sich, vom Hunger gepeinigt, ihn stillen,
Sprich, Unmensch, wie willst Du das wehren nach englischem Rechte?«« 25
»Ja, das grübelt nur aus in Deutschland!« sagte der Brite.
»Leider hab' ich nicht Zeit, des Gespräches mich ferner zu freuen,
Herrn, so belehrend es ist. Da kommt schon,« sprach er, »vom Hügel
Mein Heerzug in das Thal. Ich zieh' nach Morgen. Ich will dort
Gründen ein Dorf. Drum komm' ich hinab mit Menschen und Wagen,
Fertigen Häusern sogar und dem Stamm von künftigen Herden.
Habt Grundsätze nach Lust, ich habe die meinen!« so sprach er,
»Und hab' gut mich dabei, gottlob! noch immer befunden.
Lebet für diesmal wohl, Ihr jungen Verehrer der Menschheit!«
Also ritt er davon, vornehm, nachlässig uns grüßend,
Hoch von Gestalt, von gefälligem Wuchs und sorglich gekleidet,
Immer beherrschend das eigne Gefühl (sofern er Gefühl hat).
Ein vollkommener Mann, so nennt es die gute Gesellschaft,
Wohlanständig, gewandt, gastfrei, mit verbindlichem Lächeln.
Links zog jener hinab mit dem Zug; wir ritten nach Hause.
Also ward uns verleidet der herrliche Tag, und es war uns
Gleich, als wenn wir gefunden im Paradiese die Schlange.
Schweigend gaben die Pferde wir ab bei dem freundlichen Manne,
Der uns am Morgen die Rosse geliehn, und gingen zum Hafen,
Noch mit Schaudern erzählend den Unsern die Greuelgeschichte,
Und wir wünschten, daß Blut für Blut, nach englischem Rechte,
Nähmen die Wilden noch einst. Am anderen Morgen erfüllte
Adelaide Verwirrung und Lärm. Mit Blute besprengt lief,
Siehe, ein lediges Pferd bald hier, bald dort durch die Straßen, 26
Und sie konnten es kaum einfangen; es riß wie geängstigt
Immer sich los und sprengte davon mit schrecklichem Wiehern.
Als man es hielt, so erkannte man gleich das gewaltige Jagdpferd,
Welches dem britischen Herrn von gestern gehörte. Bestürzung
Füllte der Siedler Gemüt. Sie sandten hinaus nach dem Wege,
Links auf dem Strand zu dem Dorf, das jener zu gründen gedachte.
Bis an den Wald nur sah'n sie die Spuren der Räder und Tiere,
Weiter ins Dickicht gedrungen indes erblicken die ganze
Karawane sie dort zusammen im Thale des Waldbachs,
Lagernd in Ruh; doch in ewiger Ruh! Ein schrecklicher Anblick!
Blut schwimmt rings noch umher, Rüstwagen und Karren, sie stehen
Mitten darin, vor ihnen geschirrt an der Deichsel die Pferde,
Sterbend zusammengestürzt mit verworrenen blutigen Mähnen.
Und neun Menschen dabei, sechs, sieben mit klaffenden Wunden,
Welche der Speer, mit Muscheln gespitzt, tief riß in das Fleisch ein;
Ohne Verwundungen zwei. Sie waren mit Keulen erschlagen,
Und die Gesichter zerquetscht, nicht mehr zu erkennen. Der Herr selbst
Hing, mit der Lanze darein zum Zeichen gelassen, am Rande
Über den Gießbach hin, mit dem Kopfe nach unten; es lockte
Noch sich das zierliche Haar. So übten die Wilden die Rache!
Nichts war verstümmelt am Leib der Gefallenen oder geschändet;
Wunden genug für den Tod schien jeder gerade zu haben; 27
Wie sie gestorben, so lagen sie da, wie verächtliches Wildbret.
Also hatten die Wilden die Leichen der Weiber und Kinder
Liegen gefunden im Gras. Sie vergalten mit Gleichem den Weißen.
Als zurück zu der Stadt nun die blutige Kunde gebracht ward,
War ein jeder entsetzt, vor allem die Freunde des Mannes.
Gestern noch saß er mit ihnen am Tisch, nun grinst er im Tode!
Also schauderten einst im Saal des Herodes die Gäste,
Als auf blutiger Schüssel das Haupt des Johannes gebracht ward.
Freunde, Verwandte, der letzte sogar von den Siedlern, sie hielten
Nicht sich verletzt allein, auch tief, von Negern! erniedrigt.
Weh euch Inseln des südlichen Meeres, ihr glücklichen Menschen,
Welche getroffen der Fluch, entdeckt zu werden! Des Hochmuts
Söhne, sie kommen zu euch, und predigen, predigen Demut,
Und wie lieblich die Füße der Boten, die Frieden verkünden.
Aber sie bringen den Krieg, Mord blickt aus den Seiten der Schiffe.
»Blutige Rache!« so hört man rufen in Adelaide.
Doch wir Deutschen, wir standen von fern und murmelten leise,
Daß es die Strafe nur sei, die gerechte, des grausamen Frevels.
Aber es rüsten die Briten zum Krieg, und die streitbare Mannschaft
Rückte am anderen Morgen hinaus und umstellte die Gegend,
Weit sich verteilend im Kreis, dann enger sich schließend und enger.
Also treibt man zusammen das farbige Wild, und der ganze 28
Stamm wird rings zusammengepfercht. Unwissende Menschen!
Schon sind wieder zurück sie gekehrt zum friedlichen Leben.
Harmlos, sanft ist der Wilden Gemüt; nur, reizt man sie maßlos,
Faßt sie der Zorn wie ein Sturm, der aus heiterem Himmel herabfährt,
Donnernd und leuchtend im südlichen Meer mit Wirbeln des Wassers,
Zündet den Mast und verschlinget das Schiff, dann saust er vorüber,
Und ein heiterer Himmel umlächelt von neuem das Weltmeer.
Sorglos schwärmten sie wieder am Strand nach ihrer Gewohnheit,
Schwammen und tauchten umher und spielten, gesehn von den Weißen.
Glaubten die Sache sie nur mit dem britischen Häuptling zu haben,
Der wie der Böse sie quälte? Und wähnten sich sicher vor Rache,
Weil sie die ganze Gefolgschaft vertilgt. Sie tanzten und sangen
Abendlich noch auf den Höh'n, wo heut kein Weißer sich zeigte,
Bis ein Wölkchen von Licht fern über der dunkelen Tiefe
Ihnen noch schien, und genossen des goldenen Tages, des letzten.
Früh schreckt aber sie auf von der Erde das Rufen und Lärmen,
Bald springt aus dem Gebüsch mit heiserem Bellen die Dogge,
Fletschet die Zähne mit Wut in die nackenden Körper. Sie fliehen,
Fliehn, das geängstigte Wild, stets näher umkreist von den Jägern.
Kunstreich war entworfen die Jagd, und richtig gelang sie.
Atemlos rennen die Wilden hinein zu der Mitte des Kreises,
Grad an der Pforte des Thals, das quer durchsetzt das Gebirge. 29
Nicht ein einziger war entkommen, so glaubt man, vom Stamme.
Und dann trieb man sie weiter hinaus mit den wütenden Rüden.
Höher erheben die Felsen sich stets und verengen die Thalschlucht,
Bis sie zuletzt aufhört und ein Fels in den Himmel hinaufstarrt,
Welcher das Thal abschließt. Dort trieb man die Wilden zusammen.
Winters brauset ein Strom von der schwindelnden Höhe, das Wasser
Kommt mit Wolken von Dunst in regnenden Tropfen herunter,
Unten versammelt es sich und wütet herab aus der Thalschlucht,
Doch war Sommer es jetzt, Weihnachten, und Quellen und Bäche
Alle versiegt; man ging in dem trockenen Bette des Flusses.
Nur ein nicht zu ergründender See war übrig geblieben
Unten am Fuße des Felsen, ein Teich mit düsterem Spiegel.
Hier nun wurden hinein von dem Ufer die Wilden getrieben,
Stürzten und rollten hinab und erfüllten mit Schreien die Lüfte.
Kein Entrinnen war hier! Drei Seiten gebildet von Felsen,
Wo hinauf kaum schwindelt der Blick, auf der vierten die Weißen,
Unzugänglicher noch als Felsen. Wie heidnische Götter
Wollen zur Strafe des Frevels sie nun im Wasser verderben,
Sieh, ein ganzes Geschlecht, schuldlose wie schuldige Menschen!
Noch war keiner der Wilden im Wasser getötet, denn alle
Wissen von Kindheit an auf dem Wasser zu liegen und scherzen,
Und das unmündige Kind umhalst mit den Ärmchen die Mutter,
Wenn es sich nicht im Gedränge verlor. Nun beginnet das Morden. 30
Fürchterlich hallen die Felsen von endlos rollenden Schüssen.
Welch ein Geheul in der Tiefe und Stöhnen und Wimmern! Den Sandstein,
Der wie Tafeln, so glatt, aus dem See steigt, klimmen die Menschen,
Sieh, mit des Wahnsinns Krallen hinauf! Sie dienen zum Zielen,
Stürzen zurück in den Pfuhl, in das scheußliche Menschengewimmel.
Blutrot färbt sich der Pfuhl, dicht steiget darüber ein Dampf auf,
Flammen durchzucken den Dampf. O die Hölle! die Hölle! Nur sind nicht
Schuldige drin! Schon ruhiger wird's und ruhiger. Kaum noch
Hebt ein Arm sich empor, mit schwarzen und glänzenden Locken
Kaum noch ein Schmerzensgesicht. Ein einziger bleibt nur zuletzt noch,
Alt von Jahren, doch stark und von zähem, gewaltigem Leben.
Unter dem Wasser verbirgt er sich bald, bald hinter den Leichen,
Von zehn Kugeln durchbohrt, doch lebt er noch. Einer noch fehlet,
Noch ist die Rache der Christen nicht voll! Da trifft ihn die elfte.
Hochauf fähret der Greis, dann verläßt ihn die Kraft und das Leben.
Und nun schwimmen sie still ineinander. Nur Röcheln noch hört man
Bis in die sinkende Nacht, wie in Nächten des Frühlings der Unken 31
Fernes Gestöhn, dann schweiget auch das. Der Gemordeten Klage
Hat kein Ohr des Erbarmens erreicht. Es verhallt in der Brandung,
Welche die Insel umbraust. Das Gerücht selbst drang nicht herüber.
Niemand kümmert das Jammergeschick der australischen Wilden,
Niedergemetzelt im See. Wenn die Erde die Toten zurückgibt,
Werden auch sie vor dem Richter der Welt sich klagend erheben.

 


 


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