Heinrich Kruse
Seegeschichten. Zweite Sammlung
Heinrich Kruse

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Die Stimme von oben.

        Unser Kap'tän war ein heiliger Mann, fromm über und über,
Welcher die Bibelsprache bald mehr, bald weniger passend
Immer im Munde führt' und zum Kirchenbesuch uns ermahnte,
Auch zum heiligen Abendmahl recht fleißig zu gehen.
Daß es ihm Ernst damit war, mit der Frömmigkeit, zweifel' ich gar nicht;
Aber er hatte dabei doch menschliche Schwächen, vor allem
War er zu eifrig bedacht, auf Kosten der Mannschaft zu sparen.
Was wir an Erbsen bekamen, war hart vor Alter, das Fleisch war
Nicht zu beißen, so zäh, voll Maden und Milben der Käse,
Und sein Schiffszwieback so lebendig von allerlei Tierchen,
Daß wir Volk im Logis schon lang uns beklagten und murrten.
Aber es kann nichts helfen, die Faust in der Tasche zu machen,
Und so entschlossen wir uns zur förmlichen Klage. Der Bootsmann
Ward zum Sprecher erwählt und machte die Sache nicht übel.
»Herr Kapitän,« so sprach er, »wir haben im Sturm, da bereits wir
Nahe der Strandung waren, um abzukommen, das Unsre
Redlich gethan, durchnäßt bis zur Haut, und unsere Kräfte 172
Gänzlich erschöpft, und sie zu ersetzen, bedürfen wir Nahrung,
Gute und reichliche Nahrung, die wir vom Koch nicht erhalten.«
»»So? Ihr seid mit dem Koch nicht zufrieden? Das hör' ich nicht gerne,
Und ich werd' ihn christlich ermahnen, doch besser zu sorgen
Für die Brüder im Herrn. Was einem derselben, und wär' es
Auch der geringste, wir thun, das betrachtet der gütige Heiland
Als ihm selber gethan.«« »Was kann das helfen?« so sagte,
Ungerührt von dem salbungsvollen Sermone, der Bootsmann,
Unser Sprecher, darauf; »denn Koch sagt: ›Wenn man verlanget,
Daß ich Hasenpastet' anrichte, so muß man 'nen Hasen
Mir doch liefern zuvor. Ihr habt ganz recht, daß Ihr bess're
Kost Euch fordert, doch kann ich sie Euch, Gott straf' mich! nicht schaffen,
Da der Kap'tän mir immer die schlechtesten Sachen nur einkauft,
Denn das besorget er selbst. Wenn ich einkaufe, so sagt er
Scheltend, es sei zu teuer. Er nimmt nur die billigsten Waren,
Reis, der verkauft in Auktion von einem gestrandeten Schiffe,
Im Seewasser erweicht und wieder getrocknet; und Pflaumen,
Weiß vor Alter bereits, und lauter verdorbene Sachen.
Haltet Euch an den Kap'tän!‹« »»Ja,«« sagte der Kapitän Rassow
Milde und fromm, mit sanftem Gesicht und gefälliger Rede,
»»Daß ich auf Billigkeit seh' und Sparsamkeit, räum' ich Euch gern ein, 173
Denn das bin ich ja schuldig den Reedern des Schiffes.«« So sagt' er.
Aber ihm selber gehörte der größeste Part in dem Schiffe,
Wohl fünf Achtel und mehr von der Galeasse Gesina,
Und so spart er hinein in den eigenen Beutel. Er hat ja
Haus und Hof und Acker und Wiesen zu Haus auf dem Darsse,
Leiht sein Geld auch aus zu nicht ganz niedrigen Zinsen.
Aber je mehr man hat, um desto mehr noch begehrt man.
»»Sind auch die Sachen nicht gut, sie auf fürstliche Tafeln zu setzen,««
Fuhr der Kap'tän drauf fort in seiner gelassenen Rede,
»»Sind sie doch gut genug für gemeine Leute, wie Ihr seid.
Daß Ihr das Essen verschmäh't, ist Hochmut, sündiger Hochmut,
Seid demütig und nehmet vorlieb, was Gott Euch beschert hat.««
Bootsmann murrte wohl noch in den Bart, man solle dem Ochsen,
Der da drischet, das Maul nicht verbinden, doch gegen den Schiffer
Kamen wir Leute nicht auf mit Sprüchen der Bibel. Er zeigt uns,
Wie viel besser es jetzt die Matrosen hätten, als früher,
Wo es nur Dienstags gab und Freitags Fleisch in der Woche,
Und entließ uns freundlich und sanft, unverrichteter Sache.
Was war nun zu thun? Wir kratzten uns hinter den Ohren;
Konnte sich Steu'rmann nicht, der viel galt bei dem Kap'täne,
Unserer Sache vielleicht annehmen mit besserm Erfolge?
Freilich, dem thut es im Magen nicht weh, wenn wir ranzige Butter 174
Und Seereis und verdorb'ne Rosinen herunter uns würgen,
Denn der ißt ja vom Tisch des Kap'täns in dessen Kajüte,
Die viel besser versorgt und im höheren Stile gehalten.
Gleichviel, hieß es, wir wollen verwahren uns auch bei dem Steu'rmann
Wegen der schlechten Verpflegung – der Hundskost, könnte man sagen.
Und die Gelegenheit wurde benutzt, um mich wieder zu hänseln,
Der als Neuling im Dienst von den alten Matrosen gehöhnt ward.
»Heinrich,« sagten sie mir, »geh' gleich doch mal zu dem Steu'rmann,
Der grad' in der Kajüte zusammen ist mit dem Kap'täne,
Sag' ihm, wir ließen ihn bitten, den Butterquast uns zu schicken.«
»»Butterquast?«« so gab ich befremdet den Leuten zur Antwort,
»»Was ist das für ein Ding?«« »Das weißt Du nicht? Kann man so gänzlich
Unerfahren noch sein? Du kennst doch unsere Butter,
Die Kunstbutter man nennt. Sie ist bei der Hitze zerflossen,
Daß sie nicht schmieren sich läßt. So nimmt man den Quast und bestreichet
Sich mit dem Pinsel die Schnitte von Brot. So macht man ein Dutzend
Butterbrote zurecht viel rascher, als sonst mit dem Messer.
Geh und hole den Quast.« Ich verrichtete pünktlich den Auftrag, 175
Aber der Steu'rmann wußte nicht, was er zu hören bekäme.
»»Butterquast? – was soll das, Junge, bedeuten?«« Ich brachte
Hierauf alles zu Markt, was mir mit heimlichem Lachen
Hatte die Mannschaft gelehrt und eingetrichtert. Da fuhren
Steu'rmann und Kapitän, wie von der Tarantel gestochen,
Auf vom Sitz und gegen mich los. »Was schnackst Du für Unsinn?
Was? Kunstbutter? und Butterquast? – Was erlaubst Du Dir, Schlingel?
Bist Du auch denn schon ein Kostverächter geworden?
Aber der Butterquast ist das Tollste doch!« sagte der Steu'rmann,
Und so versetzte er denn, ganz ohne mit Worten sich weiter
Aufzuhalten, mir rechts und links Kopfnüsse die Menge.
»Dummbart,« sprach er, »Du wurdest gewarnt; Du fragtest mich neulich,
Wie man es mach', ein Reff – ein Reff! – zu stecken im Stampfstock,
Denn das hätt' ich von Dir, Du dösiger Junge, gefordert.
Damals trieb ich mit Lachen Dich weg, doch drohte Dir, Kindskopf,
Ließest Du Dich noch einmal zum Narren machen, so gäb' es –
Diese da!« sagt' er erzürnt, mir noch etliche Püffe versetzend.
Schmalhans war und blieb so Küchenmeister im Schiffe,
Bis es dem Bootsmann glückte, den Geiz des Kap'täns zu besiegen.
Wunderbarlich genug, doch also ist es geschehen:
Unser Kap'tän war fromm, so bemerkt' ich schon, frommer doch niemals 176
Als in Not und Gefahr. Dann ging er in seine Kajüte,
Nahm das Gesangbuch vor, und las da die frömmsten Gebete,
Wie sie für jeglichen Fall dort aufgezeichnet sich finden,
Für Dachdecker sogar, indes sie fallen vom Dache,
Um sich vorzubereiten zu einem gesegneten Ende.
Und laut las er es vor, denn das war so seine Gewohnheit,
Als wenn Gott sonst nicht die Gebete zu hören vermöchte.
Nun stand offen das Loch, das Licht bringt in die Kajüte,
Das für gewöhnlich ein Deckel von dickem Glase verschließet.
Bootsmann hörte Kap'tän, der in großen Sorgen und Ängsten,
Weil sein Schiff fest saß auf einer der häufigen Bänke,
Die alljährlich der Sturm aufwühlt an den friesischen Inseln.
Kam sein Schiff vor der Ebbe nicht los, so war es verloren,
Da stets wütender wurde der Sturm, und es krachte im Schiffe,
Als wenn bersten es müss', und es rechts und links sich herabbog.
Und inbrünstig und seufzend beschloß sein Gebet so der Schiffer:
»Ist es indessen Dein heiliger Wille, mich nicht zu erretten,
So nimm gnädig mich auf, barmherziger Gott, in den Himmel.«
Bootsmann hatte das alles gehört, und nahe der Öffnung
Sprach er mit dumpfem Ton und schauerlich klang es herunter:
»»Nein, Du kannst in den Himmel nicht kommen, Du geiziger Schiffer,
Denn Du hältst die Matrosen zu schlecht und ernährst sie mit Speisen, 177
Die für die Menschen nicht sind, nein, nur für den Trog und die Schweine.«
Also erklang von oben die Stimme. Des Schiffers Gewissen
War wie vom Donner gerührt, und er glaubte nicht anders, ein Engel
Rede mit ihm, wenn nicht Gott selbst. Von Reue gepeinigt,
Rief er in Todesangst, mit knirschenden Zähnen: »In Zukunft
Soll das anders werden. Errette mich, Gott, nur noch einmal.«
Als nun plötzlich das Schiff mit der Hochflut glücklich davon kam
Wieder aufs offene Meer, so glaubt' er ein Wunder geschehen,
Wie er geheimnisvoll und feierlich öfters erzählte.
Gleich drauf ließ er das widrige Fleisch und die ranzige Butter
Über den Bord fortwerfen und speiste aus eigenem Vorrat
Seiner Kajüte das Volk und hielt uns, wie sich's gebühret.
Und er erzählte davon noch oft in späteren Jahren,
Wie er im Sündenschlafe gelegen und wie er erweckt sei.
»Wenn ich den Herrn in der Not anrufe,« so sagte der Schiffer,
»Und er mich gnädig erhört, so bezahl' ich ihm meine Gelübde.
's gibt ja Leute genug, die nicht mehr glauben an Wunder,
Und so werden sie sagen, es sei Einbildung von mir nur,
Daß ich die Stimme gehört, nur die Stimme des schlechten Gewissens
Habe gesprochen in mir. Doch nein, ich hörte die Worte,
Welche von oben erschollen, so deutlich und laut und vernehmlich,
Wie einst Paulus die Stimme vernahm auf dem Weg nach Damaskus. 178
Ja, ich bin ein Brand, den Gott aus dem Feuer gerissen.
Immer bekommen bei mir seit jenem Ereignis die Leute
Gute und reichliche Nahrung, und Klagen vernahm ich nicht wieder.
Damit steh' ich mich gut bei meiner Rechnung im Himmel,
Und ich habe seitdem auf dem Schiff auch bessere Leute.
Ja, ich glaube fürwahr, mir hat ein Engel gerufen!«
Bootsmann nickte vergnüglich dazu und lächelte schweigend,
Aber er sagte nachher: »Seh' ich wohl aus wie ein Engel?«

 


 


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