Heinrich Kruse
Seegeschichten. Zweite Sammlung
Heinrich Kruse

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Die Seekadetten.

        Wißt Ihr, wie unsre Kadetten in obacht nehmen das Wetter?
Denn sie sollen ja täglich nach Wind und Wolken sich umschaun,
Um darüber ein Buch nach Ordnung zu führen und Regel;
Aber es hat ein Kadett ja mancherlei andere Sorgen.
Erstlich muß er von früh bis spät bei jeglicher Mahlzeit
Nicht ausbleiben am Platz und die vorgeschriebene Schiffskost
Pünktlich verzehren – man fragt nicht einmal: Wie schmeckt es den Herren?
Und dann muß er den Dienst und sämtliche Wachen verrichten,
Auch noch die Hundewache, die ihm als Strafe diktiert wird.
Rauchen will er doch auch aus dem Stummel von irdener Pfeife;
Eifrig müht er sich ab, Bleiplatten zu werfen als Diskus,
Oder wie sonst man an Bord verkürzet die schleichenden Stunden.
Und dann sind doch der Herr Kommandant und die Herrn Offiziere
Fleißig zu observieren, um Ton und Gebärde zu merken,
Daß man naturgetreu sie nachzuäffen imstand ist,
Und ihr verehrtes Gesicht mit etwas verlängerter Nase
Aufzubewahren der Welt in gelungenen Karikaturen. 214
Ferner muß man doch auch die Herrn Kameraden zuweilen
Durch handgreifliche Scherze erfreuen und witzige Possen.
Kurz, wer alles bedenkt, was den künftigen Helden des Meeres
Obliegt während der Fahrt, der wird sich am Ende der Woche
Gar nicht wundern, daß leer ihr Schiffsbuch leider geblieben.
Doch kein Seekadett, der sich nicht wüßte zu helfen!
Warum ist es so still in der Messe der Herren Kadetten?
Treiben die Leutchen doch sonst Unfug und Lärmen. Nun ist es
Mäuschenstill und die Thüre verschlossen. Was soll das bedeuten?
Wenn man horcht, so vernimmt man einzelne Worte »Der Wind sprang
Um nach Nord-Nord-West«, »Die Bildung der Wolken war Cirro-
Cumulus.« So war viel von Wind und Wetter die Rede,
Loggen und Knoten. Und Flott diktierte, die anderen schrieben.
Flott war der ält'ste Kadett, ganz nah vor der Prüfung, und stand schon
Zum Offizier. Drum hatte man ihm auch freundlich gestattet,
Teilzunehmen bereits an der Messe der Herrn Offiziere.
Nun, das hatt' er benutzt, um das Logbuch still zu entführen,
Und sein eigenes Heft, worin er das Wetter bemerkte,
Lag vor ihm auf dem Tisch bei dem heimlich entwendeten Logbuch.
Daraus braute denn Flott die Tagesberichte zusammen.
Aber man durfte sie nicht mit der nämlichen Tinte und Feder
Niederschreiben; drum wechselten schlau die Kadetten beständig
Feder und Tintenfaß für die einzelnen Tage der Woche. 215
Seht, so observieren die Seekadetten das Wetter!
Also kam denn der Wochenbericht ganz leidlich zustande;
Aber es war auch Zeit, schon kommt der Inspektor gegangen,
Wochenschau zu halten und Musterung über die Kisten;
Will aufreißen die Thür und findet sie, seht doch! verschlossen.
»Dummheit!« schilt er bereits. Da verstecken sie hurtig die Hefte,
Auch sein Logbuch läßt Karl Flott in die Tasche verschwinden,
Erst dann wird der Inspektor herein zur Messe gelassen.
Jeder Kadett tritt stramm an seine Kiste, die Sachen
Soll er in Ordnung stets und reinlich und sauber erhalten;
Aber es steht manchmal recht schief um die löbliche Ordnung.
Jeglicher Schlüssel steckt im Schlüsselloche zum Beispiel,
Ob es der richtige Schlüssel jedoch, und ob er auch schließe,
Braucht Ihr so wenig zu wissen, wie Herr Inspektor Livonius.
Leichthin wird nur ein Blick in die offenen Kisten geworfen,
Bloß bei Uschnitz erteilt der Gestrenge die Rüge: »Die Last ist
Übel gestaut!« Er erging sich gern in der Sprache des Schiffes,
Und »Last« heißet bekanntlich der unterste Raum an dem Kiele.
Weiter geht er bereits; da hemmt er noch plötzlich die Schritte,
Denn er bemerkt ein seltsames Ding in der Kiste von Uschnitz.
War Lord Uschnitz, so nannten wir ihn, doch ein großer Erfinder,
Der dem Patentamt noch viel Mühe zu machen bestimmt schien.
»Was ist,« frug der Inspektor, »denn das für eine Maschine?«
»»Eine Kurbel!«« versetzte darauf gleichmütig und schläfrig,
Wie er gewohnt, Lord Uschnitz, obgleich er geweckt und gescheit war, 216
Darum hatten ihm auch die Kadetten den Namen gegeben.
»Wozu dient es?« so sprach, neugierig gemacht, der Inspektor.
»»Ja, ich suche so oft ein Ding und kann es nicht finden
In der verzweifelten Kiste. Da bat ich den Zimmermann neulich,
Eine Welle zu machen, und sie zu versehen mit Stiften
Und Querhölzern. Sobald mit der Kurbel die Welle gedreht wird,
Kommt nach oben hinauf, was drunten verborgen gelegen;
Wenn das Gewünschte erscheint, so höre ich auf mit dem Drehen.
Kann man's bequemer verlangen? Ich greife nur zu und ich hab' es.««
Also erklärt' Lord Uschnitz das Neuste im Fach der Erfindung.
»Macht es mal vor!« so sprach der Inspektor und nahm sich 'ne Prise,
Kaum sich das Lachen verkneifend. Da dreht Lord Uschnitz die Kurbel,
Seht, und es kommen im Wirbel herauf nun Hemden und Socken,
Liebesbriefe ein Packen, ein Packen von Varinas-Knaster,
Taschentücher und Westen und Hosenträger und Mettwurst,
Muttern hätte dabei das Herz im Leibe geblutet.
Doch der Inspektor verbiß sich nicht länger das Lachen und alles
Brach unaufhaltsam aus in ein schallendes, frohes Gelächter,
Und in Strafe zu nehmen den Lord ward glücklich vergessen.
Elf Uhr war es bereits und es wurde das Zeichen gegeben:
»All' Mann lustig!« Das ließ sich die Mannschaft gerne gesagt sein.
Bald war's fröhlich und laut auf der Segelfregatte Diana. 217
Feierlich schallte ein Männergesang aus kräftigen Kehlen
Weithin über das Meer gleich Orgelklang und Posaunen,
Wie es am Sonntag morgen sich schickt. Hier wurde gefiedelt
Und in die Runde getanzt; dort spielte man Greifen und turnte.
Neben dem Gangspill standen in eifrig beratender Gruppe
Lauter Kadetten, wohl fünf bis sechs; zwei streckten die Hand aus,
Reichten einander die Rechte und durch die verschlungenen Hände
Schlug ein dritter von oben herab, senkrecht sie zerteilend.
Gleich drauf schlüpfte der schlanke und stolze Geselle Zur Hellen
In die Kajüte hinab und pfiff vor Vergnügen: der beste
Turner und Schwimmer, bekannt als Waghals unter der Jugend.
Während der Trubel und Jubel noch fortging, hörte man plötzlich:
»Mann über Bord!« ausrufen. Das war ein Entsetzen! Der Jubel
War mit einmal erstarrt, und es pflanzte von Munde zu Munde
Rings sich der Notruf fort und auf Deck stürzt alles erschrocken.
Jeder bemüht sich das Seine zu thun. Die klimmen zum Mast auf,
Reffen die Segel ein und mühen sich ab bei dem Brassen,
Um baldmöglichst das Schiff zum Stehen zu bringen. Und andre
Sind bei dem rettenden Boot, um es klar zu machen, beschäftigt.
Aber das Schiff lief schnell, acht Knoten die Stunde. So sehr auch
Jeder sich eilig bemühte, es dauerte manche Minute,
Ehe die schwere Fregatte so weit im Laufe gehemmt ward,
Daß man das Rettungsboot herunterzulassen vermochte.
Und weit greifen die Ruderer aus, um dem Meere das Opfer 218
Noch zu entreißen und ihn, den bei allen beliebten Kadetten,
Hans zur Hellen zu retten. Er war's, der ins Wasser gefallen.
Einige hatten zum Glück es bemerkt und warfen ihm eine
Rettungsboje noch zu vom Achterdecke. Doch war er
Solch ein trefflicher Schwimmer, er hätte sich ohne Besinnen
Flugs nach dem goldenen Becher gestürzt ins Geheul der Charybdis.
Statt an der Rettungsboje sich über dem Wasser zu halten,
Warf er sie hoch in die Luft und vor sich her, um zu zeigen,
Daß ein Schwimmer wie er nicht des Dings da bedürfe. Das Boot kam
Endlich zur Stelle heran, wo Hans zur Hellen herumschwamm;
Und so ward er denn selbst gefischt aus den Wellen mit seinem
Spielball und im Triumph zurück zur Fregatte gerudert.
Als er an Bord kam, ging er mit tänzelndem Schritte zur Brücke,
Wo der Kap'tän just stand, und meldete vorschriftsmäßig
Sich an Bord zurück, als wenn nichts weiter geschehn sei.
Neben dem ältlichen Herrn Kommandanten, der lässig die jungen
Leute gewähren ließ, stand aber der schneidige erste
Offizier der Fregatte. Er hatt' ein wachsames Auge
Auf die Kadetten – er pflegte: »Die Herren Jungens« zu sagen –
Und so bemerkt' er denn auch, daß etwas am Schwimmer hervorsteht,
Links auf der Brust. »Was habt Ihr denn da, Zur Hellen?« so frug er; 219
Aber er untersuchte schon selbst den verdächtigen Ausbausch.
Sieh, und er zog aus der Tasche der Brust 'ne geschliffene Flasche,
Hoch, viereckig, bis oben gefüllt. Er besieht und beriecht sie.
»Schnaps! Das muß ich gestehen! Es darf ein braver Kadett ja
Gar nicht wissen, daß solch' ein Ding, wie Schnaps, auf der Welt ist.
He?» »»Zu Befehl!«« so spricht Zur Hellen in dienstlicher Haltung,
Murmelt jedoch: »»Ich bin kein Musterknabe, das weiß ich;
Möcht' es auch gar nicht sein.«« »Man stoppe gefälligst das Mundwerk!
Sagt, Zur Hellen, wie kommt Ihr zum Schnaps? Das begehr' ich zu wissen.«
Ihm antwortete drauf ganz unverfroren Zur Hellen:
»»Als ich aus Urlaub kam, ich muß es gestehen, da bracht' ich
Heimlich die Flasche an Bord und versteckte sie.«« »Wo?« »»In den Rüsten.««
Rüsten – so nennt man die Wantenbefestigung draußen am Schiffe.
»»Als ich die Flasche mir jetzt zu holen gedachte, da glitscht' ich
Leider vorbei und fiel in die See. So hatt' ich das Unglück.
Darf ich die Kleider mir jetzt wohl wechseln?«« Es ward ihm gestattet,
Nachdem ihm ein Verweis vom Herrn Kapitäne erteilt war;
Aber die Unglücksflasche ward konfiszieret. Die Segel
Wurden dann voll von neuem gebraßt, und die stolze Fregatte 220
Lief vor dem Wind und setzte den innegehaltenen Lauf fort.
Ob die Geschichte sich also begab, wie Zur Hellen erzählte,
Darauf schwören wir nicht. Die Kadetten erzählen sie anders.
Jene geschliffene Flasche mit Danziger Doppellachse
War, wie sie sagen, der Preis, um den Zur Hellen gewettet.
Und er bemächtigte sich vorsichtigerweise des Lohnes,
Eh' er ins Wasser sprang. So hatt' er, wenn etwa die Rettung
Lang ausblieb, doch Stärkung zur Hand beim Treten des Wassers.
Also erzählt' man im Schiff, allein, wer kann es beweisen?
Doch, im Vertrauen gesagt: ich kann's! Ich bin es gewesen,
Der die geschlossenen Hände zerschlug und die Wette bezeugte.
Daß Zur Hellen davon mit einer Ermahnung gekommen
Und dem Verluste der Flasche, das wurmte den eifrigen Leutnant.
»Herr Kapitän sind sehr – sehr milde verfahren.« So sagte,
Innerlich aufgeregt und sich mühsam beherrschend, der Leutnant.
»Was Zur Hellen gethan, das war doch, deucht mir, die keckste
Insubordination. Er sei ins Wasser gefallen,
Sagt er? Er ist mit Fleiß ins Wasser gesprungen, so wett' ich,«
»»Aber wir können es nicht ihm beweisen.«« »Indessen die Flasche –«
»»Das war gegen den Dienst, drum hab' ich den Streich nicht gebilligt,
Vielmehr ernsthaft gerügt und bestraft.«« »Ernst war die Ermahnung,
Aber die Strafe war leicht und macht' auf den Burschen den Eindruck, 221
Glaub' ich, daß sein Streich Euch nicht ganz übel gefallen.«
»»Hat er auch nicht!«« so versetzte der Führer des Schiffes mit Lächeln,
»»Solch ein Wagemut ist für unsere Flotte zu wünschen.
Und, Herr Leutnant, wir sind auch jung gewesen.«« Er strich sich
Schmunzelnd die rechte Wange mit seinem Daumen, die linke
Mit dem Reste der Hand und fragte mit listigem Blicke:
»Können Sie schweigen?« »»Ja wohl, zu Befehl.«« »So erzähl' ich Euch etwas,
Höret im tiefsten Vertrauen, was mir, mir selber begegnet.
Als ich den Dienst zur See antrat auf dem bremischen Barkschiff
›Erna‹, fuhren wir ab von Bahia, mit Zucker befrachtet,
Und wir begannen die Fahrt nach Hause mit günstigem Wetter.
Doch bald flaute der Wind und ließ uns völlig im Stiche,
Zwischen den Wendekreisen erschlaffen ja häufig die Segel.
Müßig darf man nicht sein auf dem Schiff, so lautet die Vorschrift,
Ist nichts eben zu thun, so macht man sich etwas zu schaffen.
Und so wurde denn mir, dem Neuling des Schiffes befohlen:
›Junge, Du streichest das Heck mal an, 's war lange schon nötig,
Aufzufrischen den Spiegel und seine verblichenen Farben.‹
Also ließen sie mich hinab in der Schlinge, ich mußte
Dort mit dem Pinsel hantieren und mächtigen Farbetöpfen.
Anfangs strich ich mit Fleiß, doch ward langweilig die Arbeit,
Und nicht leer zu schöpfen mit Pinseln und Pinseln die Töpfe.
Niemand kann mich ja sehn, wie wär's, ein wenig zu schlafen? 222
Aber was muß ich erblicken? Da stehet die Luke ja offen,
Die in das Heiligtum führt, in die Vorratskammer des Koches.
Mancherlei gibt's da zu naschen, doch mehr anziehend für uns war,
Siehe, die Batterie von Flaschen des köstlichsten Cognaks,
Eingekauft in Bordeaux. Ich sah sie mit lüsternen Blicken
Und kam näher und näher, mit Malen beschäftigt, zur Luke.
Sieht auch niemand wohl über das Heck? Nein, niemand. Wohlauf denn!
Und ich schlüpfte hinein in die Luke; da faß ich und naschte
Gleich wie Hänschen im Haus, das mit Pfannkuchen gedeckt war.
Und nachdem ich geschmaust zur Genüge, begehrt' ich zu trinken,
Leicht war ein Fläschchen entsiegelt und leichter noch war es getrunken.
Ward dabei auch der Kopf mir feurig. Da ruft es – entsetzlich
Ruft es nach mir. Ich zitt're vor Angst. Da ruft es noch einmal,
Und bald hört man auf Deck ein ängstliches Fragen und Schreien.
Nämlich es blickte ein Mann zufällig über das Heck hin,
Um zu sehn, was ich mache und ob ich noch immer nicht fertig.
Siehe, da zeigt mein Sitz sich ihm leer und die Schlinge verlassen.
›Karl Matthissen ist fort, ist in See gefallen,‹ so hieß es.
›Wurde die Schlinge nicht richtig geknüpft? Wie? Oder beim Malen
Hat er den Kopf zu weit nach vorn gebückt? In die Tiefe
Ist er gestürzt. Wie schade! Es hatte der muntere Junge 223
Voll Schelmstreiche den Kopf, doch konnten wir sonst ihn wohl leiden.
Und nun ist er verloren.‹ ›Allein,‹ so hieß es, ›er schwamm doch,
Warum schrie er denn nicht? Mit dem Kopf aufs Ruder geschlagen,
Ward ihm gewiß die Besinnung geraubt.‹ Nun wurde gerufen:
›Mann über Bord!‹ Aus der Luke war keiner im Wasser zu sehen,
Und kein Zweifel, ich selbst der Mann, der ins Wasser gefallen.
Darauf drehte man bei und setzte das Boot aus; man konnte
Mich denn freilich nicht finden, ich saß da ruhig und hielt mich
Mäuschenstill. Als wir mit anderthalb Knoten die Stunde
Kehrten zurück bis zur Stelle, da, wo sie verloren mich glaubten,
Dacht' ich mir: Nun ist's Zeit! Ich steckte in jeden der Stiefel
Mir ein Fläschchen und kroch zurück zum lustigen Sitze,
Wo ich malte, der über der See leer baumelnden Schlinge.
Und ich versteckte die Flaschen am Grunde der Töpfe, die halb noch
Waren mit Farbe gefüllt, woraus ich sie später befreite.
Und mit Vorsicht löst' ich die Schlinge und ließ mich am Seile
Bis zur Tiefe hinab, dann schrie ich im Wasser gewaltig;
Mörderlich schrie ich, so daß im Schiff und im Boot man mich hörte.
Und bald fuhr man herbei und rettete mich aus dem Wasser.
Also ward ich an Bord im Triumphe getragen; ich mußte
Gänzlich erschöpft mich stellen. Man weckte die Lebensgeister 224
Mir mit Glühwein dann, und zur Freude der sämtlichen Mannschaft
Konnt' ich noch trinken. ›Du darfst nicht sprechen,‹ so sagte Kap'tän mir,
›Bringt ihn zu Bette.‹ So ward ich denn sorglich geführt in die Koje,
Und drei Tage noch ward ich geschont und gepflegt wie ein Kranker.
Anderen Tags erzählt' ich, ich hätte nach Hilfe gerufen,
Aber die Mannschaft sei ganz vorne gewesen, man hätte
All mein Schrei'n nicht gehört und das Schiff sei weiter gesegelt.
Selbst nachdem ich vermißt, war das Schiff so leicht nicht zu hemmen,
Und so hat es gedauert 'ne Ewigkeit, bis es zurückkam.
›Nun, zwei Stunden gewiß; das heiße ich tapfer geschwommen.‹
Und so wurde berichtet im Schiffsbuch über den Vorfall,
Und ich mußte das Heldenstück mit dem eigenen Namen,
Karl Matthissen, bezeugen. Sind dreißig Jahre und mehr her,
Und ich erzähle das wahre, doch sehr seltsame Erlebnis
Heute zum erstenmal. Ich schämte mich doch der Geschichte.
Wollen wir denn mit der Jugend nicht allzu streng ins Gericht gehn.«
So war heute den Folgen des Übermutes und Leichtsinns
Noch Zur Hellen, der Schwimmer, für diesmal glücklich entgangen.
Doch acht Tage nachher, als vor Zoppot lag die Fregatte, 225
Hat Zur Hellen sich selbst in der eigenen Schlinge gefangen.
Andere wünscht' er zu foppen und war doch selbst der Gefoppte.
Kam ein älterer Herr sorgfältig gekleidet, mit sanften,
Freundlichen Mienen an Bord und fragte nach unserm Kap'täne.
»Ist nach Danzig. Was steht zu Befehl?« antwortete Hellen;
»»O, ich möchte das Schiff nur besehn.«« So! das Schiff sich besehen!
Ist wohl einer, der nie ein Schiff im Leben gesehn hat,
Etwa ein Gutsherr oder ein Amtsrat. Könnte der Vater
Wohl zu dem Fräulein sein, das neulich besah die Fregatte,
Und auf das Bugspriet zeigend, mich fragte: »Das ist wohl das Steuer-
Ruder, mit dem man regiert das mächtige Schiff und es steuert?«
Warte Papachen, ich werd's dir besorgen! so dachte Zur Hellen.
»Da der Kap'tän nicht an Bord,« begann er zum Fremden, »so werd' ich
Selbst mir die Ehre geben, Euch unsre Fregatte zu zeigen.«
Und so führt er den Fremden herum und redet vernünftig
Über die Teile des Schiffs, doch mischt er zuweilen den gröbsten,
Blühendsten Unsinn ein, wie es Lust und Laune ihm eingab.
Neben dem Kompaßhäuschen, das glänzte von Messing, erklärt er:
»Das ist die Theemaschine für unsre Herrn Offiziere.
Oben, die große Raae, die dient zum Trocknen der Wäsche.«
Und auf die Mündung zeigend von einem Geschütze, bemerkt er:
»Seht, französischer Sekt wird an Bord im Strömen getrunken 226
Und dies dient dabei zum Kühlen des Weines.« »»So, so,«« sprach
Lächelnd der freundliche Herr, als ob ihm doch Zweifel gekommen
Beim Eiskühler, so gläubig er sonst hinnahm die Berichte.
Drauf empfahl er sich denn in bescheidener Weise und sagte:
»Junger Nelson, ich dank' Euch auch für die schöne Belehrung,
Grüßet den Herrn Kapitän und gebt ihm, bitte, die Karte.«
Und vom Kadetten begleitet zur Fallreepstreppe, bestieg er
Rasch, auffallend behend, sein Boot und ruderte landwärts.
Als Zur Hellen die Karte betrachtete, las er mit Schrecken:
Admiral und Chef der Ostseeflotte von Werder.

 


 


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