Heinrich Kruse
Seegeschichten. Zweite Sammlung
Heinrich Kruse

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Die Siegelbewahrer.

        Kennt Ihr Reval, die Stadt am äußersten Rande der Ostsee,
Wo's neun Monate Winter und drei schlecht Wetter im Jahr gibt?
Aber die Stadt ist deutsch, und man fühlet sich dort wie zu Hause.
Nun, da war ich einmal mit meinem vortrefflichen Schoner,
Der Karl Heinrich getauft nach dem ältesten Sohne des Reeders
Und schon lange von mir mit beständigem Glücke geführt war.
Als auf der Reede der Anker mit donnerndem Schwalle gefallen,
Und ich mit glattem Gesicht und geputzt schon, fertig zum Landen,
Dasteh' auf dem Verdeck und betrachte den stattlichen Domberg,
Ganz mit Schlössern bedeckt und herrlichen Kirchen: da klettern
Auch schon die Hafenmeister an Bord, vollbärtige Russen,
Leute, gering von Stand und geringer an Geist und Begriffen.
Wunderlich; aber es hat im Zorne der Kaiser befohlen,
Daß nicht seinen Beamten mit Stickereien am Kragen,
Sondern dem bärtigen Volk zu vertrauen das Siegel des Reiches,
Denn von den sämtlichen Sprüchen der Schrift mißfällt den Beamten
Rußlands keiner so sehr als jener: »Gebet dem Kaiser, 33
Was des Kaisers ist!« Und mit Listen und groben Praktiken
Fegen sie stets, was dem Kaiser gehört, in den eigenen Beutel.
Da ist endlich dem Kaiser die Galle – wer kann's ihm verdenken –
Übergelaufen. Es kam ein Ukas mit Donner und Blitzen
Gegen das schändliche Laster: Bestechlichkeit. Allen Beamten,
Welche von nun an sich am Gute des Staates vergriffen,
Wurde die Aussicht auf Sibiriens Freuden eröffnet.
Nicht mehr sollte zum Wächter die Bildung und listige Klugheit,
Sondern die Einfalt, hieß es, die ehrliche, künftig bestellt sein.
Unsere Hafenmeister, das waren die Leute, die führten
Jetzo das Siegel des Reiches allein. So wollt' es der Kaiser
Nikolaus und hatt' es mit: »Dem sei also!« genehmigt.
Sie nur durften das Wappen in Wachs ansetzen, das alle
Waren und Räume verschließt und sichert vor jeder Berührung:
Niemand durfte das Siegel des Reichs abnehmen, sie selbst nicht,
Sondern gemeinsam nur und im Beisein aller Behörden
War das geheiligte Wachs mit dem Doppeladler zu lösen,
Das wie ein Amulett von den gläubigen Russen verehrt wird.
Und nun mag man sich denken, ob unsere Hafenmeister,
Die im ledernen Sack mit dem Siegel des Reiches sich schleppten,
Wichtig sich dünkten, und ob es die höhern Beamten verdrossen,
Vorgesetzte, die nun von den Untergebnen bewacht sind
Und von manchem Verdienst, den früher sie hatten, geschieden;
Aber die Katze, sie lässet das Mausen nicht! saget das Sprichwort. 34
»Steuerbares?« So kamen die bärtigen Russen auf Deck an,
Schmunzelnd und freundlich nach ihrer Natur. Ich sagte: »Ich weiß nicht;
Das ist Euer Geschäft. Ich kenne nicht Eure Gesetze.«
»»Nun, Kapitänchen, was führet Ihr? Sprecht.«« – »Was soll ich denn führen?
Sand und Steine ja nur; ist dafür Zoll zu bezahlen?«
»»Nein, Kapitänchen! O nein! Eu'r Gnaden belieben zu scherzen.
Aber was führet Ihr sonst?«« – »Was sonst? Nur zu essen und trinken,
Erbsen und Graupen und Gries und etwas verschimmelten Zwieback.« –
»»O, das ist nichts – Paschol! Doch führet Ihr keine Getränke?««
»O ja, Leute, da stehet ein Faß!« So sagt' ich und zeigte
Ihnen die Wassertonne. Sie schnoberten drüber und drunter,
Bis sie merkten den Spaß und laut auflachend erklärten:
»»Das ist Wasser ja nur! Wir fragen nach geist'gen Getränken!««
»Geistige? Ja ich halte von Wein mir 'nen tüchtigen Rückhalt
Und den vorzüglichsten, köstlichsten Rum in versiegelten Krügen.«
»»Wollt Ihr den Wein und den Rum an hiesigem Orte genießen,
Müßt Ihr die Steuer bezahlen dafür.«« – »Ich werde den Henker!
Nein, ich gedenke damit zu Hause mir gütlich zu thun noch.
Wenn ich in Rußland bin, so trinke ich immer nur Branntwein.«
»»Warum das, Kapitänchen?«« – »I,« sagt' ich, »der russische Branntwein 35
Ist ein kräft'ges Getränk, wie nirgends man sonsten es antrifft,
Ist Vitriol auf Wasser verdünnt und kratzet den Magen
Wie mit Bürsten. Den trink' ich mit Dank auf des Kaisers Gesundheit,
Welcher mit Liebe die Herzen erfüllt und die Magen mit Branntwein.
Sagt doch, er schlägt darauf wohl ein artiges Sümmchen zusammen?«
»»Ja, Kapitänchen, man könnt' mit dem jährlich vertrunkenen Branntwein
Füllen ein Loch, ein gewaltiges Loch; wenn der Turm von Olai
Ständ' in dem Loch, ging über den Hahn noch der flutende Schnaps weg.
Also Ihr wollt das Getränk nicht hiesigen Ortes versteuern?««
»Nein!« »»So müssen wir unter Verschluß es wohl bringen?«« – »Natürlich.«
»»Nun, so zeiget uns denn, Kapitänchen, wo liegen die Sachen?««
»Kommt nur mit!« so sagt' ich und führte sie in die Kajüte.
»Seht, hier lagert der Wein und der Rum, hier unten im Keller.
Dies ist die Kellerthüre.« So zeigt' ich im Boden die Thüre,
Die in den Keller hinab, den verschlossenen Raum auf dem Kiel führt.
»»Dies ist die Thür zum Keller? Wohlan, die müssen wir schließen.««
Also holten sie dann aus dem ledernen Säckchen das Siegel, 36
Holten das Wachs zum Siegeln hervor und machten sich Licht an;
Denn sie sind mit allem versehn. Hilf, Himmel, wie langsam
Machten sie feierlich ab das Geschäft und drückten das Siegel
Groß und breit in rötlichem Wachs auf die Thüre des Kellers!
Drauf empfahlen sie sich mit Bücklingen. »Wollt Ihr noch etwas?«
Aber sie dienerten fort. Da gab ich denn fünfzig Kopeken,
Und sie küßten den Rock und verließen das Schiff mit Vergnügen.
Bald drauf kamen an Bord auch die höheren Steuerbeamten,
Artige Leute von viel Anstand, die deutsch von Geburt sind
Oder doch deutsche Erziehung gehabt, so daß sich mit ihnen
Umgehn läßt; sie sind von milden und höflichen Sitten,
Übrigens Russen, das heißt, für Geld zu haben, wie alle,
Bis zum Minister hinauf und den Adjutanten des Kaisers;
Doch sie entschuldigen sich mit der Not und der kargen Besoldung.
Diese belachten das Thun und Treiben der Siegelbewahrer.
»Meinen Sie,« sagte zu mir ein Rat der Tamoschna, der immer
Heiteren Sinnes und immer gelaunt zu Schwänken und Kurzweil,
Wirklich ein lustiger Rat – Tatischnischew, glaub' ich, so hieß er –
»Solch ein Tölpel von Kerl, dem aller Verstand in den Bart wuchs,
Halte mich ab zu thun, was ich will? Wir lachen darüber!«
Wirklich, er hatte zuviel nicht geprahlt. Ich sah es ja selbst an,
Wie die Beamten ihr Spiel mit den Siegelbewahrern – so nennen
Sie zum Spotte das bärtige Volk – zu treiben gewohnt sind. 37
Neben mir lag ein finnisches Schiff, ein gewaltiger Kasten,
Plump, doch geräumig gebaut, das stets von der finnischen Küste
Hin nach der esthnischen fuhr und zurück von Abo nach Reval:
Was es betrieb, das ward Holzhandel genannt, doch in Wahrheit
War es zum Schmuggel bestimmt, denn Finnland, müsset Ihr wissen,
Ist noch von russischen Zöllen befreit. Da werden in Abo
Mechelner Spitzen zusammengepackt und Kölnisches Wasser,
Uhren von Genf und die Seide Lyons und türkische Shawle,
Schuppenpelze und alles, was hoch zu verzollen in Rußland
Oder verboten wohl gar – das legt der betriebsame Kaufmann,
Der vom Gelde so denkt wie der römische Kaiser: »Man riecht nicht,
Wo's herkommt« – in lange, wie Balken erscheinende Kisten,
Die er geschickt wegstaut und zwischen dem Holze verstecket.
Nachher werden die Sachen in Reval heimlich geschmuggelt.
Ja, man treibt das Geschäft manchmal ganz offen am Tage,
Nämlich wie folgt: Man holet hervor die verbotenen Waren,
Und man verpacket sie samt und sonders in mächtige Säcke,
Wie ein Träger sie grad' auf die Achsel zu nehmen im stand' ist.
Damit schleppen zur Stadt um die Mittagsstunde die Träger,
Aber am Thore, da wachen die ehrlichen Siegelbewahrer,
Pflichttreu rufen sie: »Halt!« und beschlagen die Säcke der Träger,
Aber was weiter geschieht mit den Säcken, das sollt Ihr erfahren.
Neben dem Thore gelegen erhebt sich das stattliche Zollamt,
Und da sitz' ich einmal mit den Steuerbeamten und plaudre; 38
Denn sie sind, wie gesagt, umgängliche, artige Leute;
Leben und leben lassen, das ist so ihre Devise.
Pocht es da nicht an der Thür? Ja wohl, doch schüchtern und leise,
Daß durch die Thüre man schon die Unterthänigkeit spüret.
Auf ein lautes Herein! von Tatischnischews flötender Stimme,
Der heut mehr noch als sonst zu Ränken und Schwänken geneigt schien,
Oft aus dem Fenster sah und den Schnurrbart schmunzelnd sich glatt strich,
Kamen die Siegelbewahrer herein mit tiefer Verbeugung:
»Hier drei Säcke,« so meldeten sie, »mit geschmuggelten Waren,
Die wir eben ertappt.« – »»So!«« sagte Tatischnischew ernsthaft,
»»Woher wisset Ihr denn, daß geschmuggelte Sachen im Sack sind?««
»O, wir wissen es nicht, Herr Rat, wir vermuten es aber;
Daher brachten wir Ihnen die Säcke; Sie können sie prüfen.«
»»Nun, ich werde sogleich vornehmen die dienstliche Prüfung;
Schert Euch!«« setzt' er hinzu; »»denn dies sind amtliche Sachen!««
Damit mußten die bärtigen Kerls aus dem Zimmer sich trollen.
Als kaum hinter dem Volke die Thür sich geschlossen, so lachten
Heiter die Herrn, und es wurde zur Amtsgebarung geschritten,
Einfach darin besteh'nd, daß man alle zu schmuggelnde Waren
Aufschreibt und sie sortiert und den passendsten Käufern sie zuweist,
Die sie vertreiben auf halben Gewinn mit den Steuerbeamten.
Als nun alles in Ordnung gebracht und zum Scheine belieb'ge 39
Dienstpapiere zusammengeschmiert, so wurden die armen
Teufel, die Siegelbewahrer, von neuem ins Zimmer gerufen.
Ganz Amtsmiene, das Dienstreglement in der Hand, so empfing sie
Zornig der Rat und warf anfangs nur vernichtende Blicke
Schweigend auf sie, die jene mit Zittern und Zagen ertrugen.
»Sagt, was habt Ihr schon wieder gemacht?« so begann er die Rede.
»Diese Säcke,« so sprach er pathetisch und wies auf die Säcke
Wie ein Rechtsanwalt, der vor den Geschworenen redet,
Auf die glänzend von ihm ans Licht gezogene Unschuld,
»Diese Säcke, sie sind vor meinen eigenen Augen
Amtlich aufs strengste geprüft, und was, was hat sich ergeben?
Alles in Richtigkeit – nichts Steuerbares darunter!
Hier sind Stück für Stück die gefundenen Waren verzeichnet,«
Sprach er, das Dienstpapier aufhebend und stark daraufschlagend.
»Sämtliche Waren gehören zu C. 2 oder zu C. 11
Oder zu D. 13, F. 18, 27
Litera c und d; das sind die verzeichneten Nummern.
Könnt Ihr lesen?« so schnauzt er sie an. Sie bejahten es zitternd,
Wie wenn, wer zu lesen versteht, zu hängen verdammt sei.
»Nun, Schwernöter, so les't! Les't selber im Reglement nach.
Hier ist das Reglement und hier, wo den Finger ich halte,
Stehen die Nummern der Waren, die sich in den Säcken gefunden.
Was steht hier? Helleborus! Seht! Und weiter da? Spießglas!
Ocker – Ich muß umschlagen; was macht Ihr mir, Tölpel, für Mühe! – 40
Sassafras, Kardamom, Perlgraupen und gelbe Karotten,
Cerealien – Seht! Dies ist F. 27.
Also seht Ihr nun selbst, daß nichts in den Säcken vorhanden
Als Helleborus und Perlgraupen und gelbe Karotten,
Sassafras und Kardamom, Spießglas, Cerealien, Ocker,
Lauter Erzeugnisse, welche nach Allerhöchster Bestimmung
Zollfrei sind. Was fällt Euch denn ein, zollfreie Artikel
Anzuhalten, die Leute zu scheren und uns zu berauben
Unserer kostbaren Zeit? Euch soll ja –« schrie er; die armen
Siegelbewahrer erschraken und flehten ihn an um Verzeihung,
Daß sie ein solches Versehen gemacht und die Herren belästigt.
Aber der Rat fuhr fort, auf sie zu schelten und toben:
»Kommt das noch einmal vor, so muß ich berichten nach Pet'sburg.
Wie oft soll ich Euch sagen, Halunken, daß unser erhabner,
Allergnädigster Herr höchstselbst nachdrücklich geboten,
Nicht unnötige Last Kaufleuten und Schiffern zu machen,
Handel und Wandel zu fördern und nicht zu hindern! Wie dürft Ihr
Seiner Majestät Befehlen zum Trotze« – Indem er
So sich ereiferte, zwickt er dem einen das Ohr und dem andern
Zupft er am Bart und teilt Kopfnüsse und Püffe und Knüffe
Reichlich unter sie aus und jagt sie zuletzt aus dem Tempel. 41
Als sie sich rasch aus der Thür gedrängt, brach aus das Gelächter,
Das mit dem Schnupftuch kaum noch die Herren Beamten bezwungen.
»Nein, das ist doch zu arg!« so sagt' ich mit Schütteln des Kopfes.
Aber sie lachten mich aus und sprachen: »»So lebt man in Rußland!««
Freilich, wie können die Leute, die so man behandelt, bestellt sein,
Um die Gesetze zu hüten und ihnen als Wächter zu dienen?
Meine Kajüte, sie könnte davon berichten am besten.
Als an Bord, wie oben erzählt, die Beamten gekommen,
Nötigt' ich sie zur Kajüte herab – das lieben die Herren;
Denn wir Schiffer, wir schleppen uns mancherlei Gutes zusammen,
Und die Kajüte, die ist für uns, was der Bau für den Hamster.
Nun, ich bewirtete sie nach meinem geringen Vermögen;
Aber sie sahen zuweilen sich um und erwarteten etwas.
»Ach, ich merke, Sie sind am Ende wohl durstig!« so sagt' ich.
»Leider hab' ich den Herren nichts vorzusetzen als Wasser;
Oder mögen Sie Bier? Kajütswacht, hole das Bier her.«
Aber Kajütswacht sagte: »»Das Bier ist sauer geworden!««
»Sehen Sie, werteste Herren, so bleibt nichts anderes übrig,
Als ich schick' in der Jolle den Jungen nach Reval, damit er
Branntwein hole –« Doch kaum als die Herren nur hörten von Branntwein,
Russischem Branntwein, wehrten sie ab mit Händen und Füßen.
»»Pflegtet Ihr Herren doch sonst Euch besser im Punkt der Getränke 42
Vorzusehen!«« so sagte der Rat Tatischnischew. – »Freilich,«
Sprach ich. »Ich führ' auch alten Bordeaux und aus sicherster Quelle
Echten und feinen Jamaika-Rum in Krügen die Menge;
Aber es ward ja alles versiegelt. Da sehet nur vor Euch,
Grad vor der Mitte des Tisches, da geht in den Keller die Thüre.
Darauf schauet in Wachs das gewaltige Siegel des Reiches;
Das ist der Talisman, der meine Schätze gebannt hält.«
»»Waren die Kerle schon da? Wahrhaftig, die Siegelbewahrer
Haben den Boden bereits mit dem Wachse bekleckst und beklebet.
Hol' sie der Henker! Ich wollte, sie müßten mit eigenem Körper
Siegeln das brennende Wachs!«« So rief Tatischnischew zornig.
Aber er ward bald anderen Sinnes und sagte mit Lachen:
»»Wissen Sie was, Kapitän? Wir scheren uns nicht um das Siegel,
Reißen Sie's ab! Ganz dreist!«« Ich sagte: »Ich muß mich bedanken,
Solche Verantwortung kann ich nicht über mich nehmen.«
»»Ei, so thu' ich es selbst!«« Und ohne sich viel zu besinnen,
Bückt er sich nieder und reißet das Siegel des Reichs von der Fallthür.
Jubelnd drängte sich drauf in den Keller die ganze Gesellschaft,
Wo kaum Platz zum Stehn, und schleppten als wie im Triumphe
Flaschen und Krüge heraus. Da wurde gezecht und gesungen
Und ein lustig Gelag beim Klange der Gläser gehalten. 43
»Das ist alles, Ihr Herrn, recht schön,« so sagt' ich am Ende;
»Aber wie wird es uns gehn? Wir haben das Siegel des Reiches
Freventlich abgerissen. Es stehen entsetzliche Strafen,
Sagt man, darauf. Ihr müßt nun freilich am besten es wissen,
Was Ihr gethan habt. Aber ich seh' im Geist Euch schon alle
Auf die Kibitke gepackt und das, Paschol! nach Sibirien.«
»»Freundchen, das hat nicht not! Laßt mich nur machen!«« so sprach er.
»»Seht, hier nehm' ich das Siegel – allein schier hätt' ich's vergessen,
Herr Kapitän, ich hätte vorher noch etwas zu bitten.««
»Womit kann ich Euch dienen? Es wird mir zur Ehre gereichen.«
»»Könntet Ihr von dem vortrefflichen Rum ein zehne bis zwanzig
Krüge mir wohl ablassen?«« »Warum nicht?« sagt' ich: »Mit Freuden.«
Und so holt' er sich denn die geforderten Krüge und mehr noch,
Erst aus dem Keller heraus und sagte: »»Ich danke verbindlichst.
Über den Preis, da werden wir uns schon später vergleichen!««
Nun, ich wußte vorher, daß er abzurechnen vergäße.
Darauf nahm er zur Hand das abgerissene Siegel,
Legt' es behutsam ganz auf die richtige Stelle, daß halb es
Deckte die Thür und halb den Boden; es lag in der Mitte
Grad vor dem Tisch, auf dem rund standen die Flaschen und Gläser; 44
Und dann stampft er darauf, mit dem Fuß breit tretend das Siegel,
Daß es nur flach als ein Fladen zu sehn und das Wappen verwischt war.
»»Geh' nun einer,«« so sagte der Rat, »»und hole die Kerle!««
Und so kamen an Bord noch einmal die Hafenmeister.
»»Sind sie da?«« so fragte der Rat. »»Dann ruft mir den Hauptkerl,
Den mit dem rötlichen Bart. Ihr sollt sehn, wie ich es mache.
Wenn ich ihn fest anseh' mit scharfem Blicke, so sieht er
Dienstlich mir wieder ins Aug' und kann nicht sehn, wo er hintritt,
Wenn ich das Glas ihm reich' hier über die Mitte des Tisches.
Und dann trappt er darauf, auf das Siegel, und glaubt in der Dummheit –
Aber so ruft mir den Kerl mit dem fuchsigen Bart nur herunter.
Solche Komödie saht Ihr noch nie! Doch dürft Ihr nicht lachen.
Ernsthaft also!«« So wurde der fuchsige Kerl denn gerufen.
Als er hereintrat, stand Tatischnischew hinter dem Tische,
Sah ihn feierlich an mit einem durchbohrenden Blicke,
Und mein Russe, er sah ihm dienstlich wieder ins Auge.
»»Komm her!«« sagte zu ihm sein Vorgesetzter und streckte
Über die Mitte des Tisches das volle Glas ihm entgegen,
»»Komm und trinke! Ich weiß, du verschmähst nicht etwas, das gut ist.««
Nun, mein Russe, er trat auch heran, indem er die Augen 45
Unverwandt auf den Rat Tatischnischew hatte gerichtet,
Kaum nach dem lockenden Glas seitwärts sich getrauend zu blinzeln,
Nahm sein Glas und bückte sich rings vor der ganzen Gesellschaft,
Dankte gehorsamst und leerte das Glas bis zur Neige auf eins aus.
Wischte vergnügt sich den Bart und setzte das Glas auf den Tisch hin.
Aber da kaum zwei Schritt' er zur Thüre sich wieder entfernt hat,
Schreit ihn schon Tatischnischew an: »»Was hast du begangen?
Unglückseliger, schau! In deiner Gier nach dem Glase
Hast du den Fuß auf das Siegel gesetzt und es schmählich zertreten!««
O, wer schildert den Schrecken des bärtigen Siegelbewahrers,
Als er das heilige Siegel als flachen Oblaten erblickte,
Nichts vom Wappen zu sehn, ganz schmählich beschimpft und zertreten!
Und in wohlgeheuchelter Wut und großer Entrüstung
Riß Tatischnischew flugs von der Kellerthüre das Siegel,
(Und das wurd' ihm nicht schwer, denn es lag ja nur auf dem Boden!)
Hielt es ihm vor und sprach: »»Unglücklicher, sieh, das ist dein Werk!
Wie wird dir es ergehen!«« Der Russe, er fiel auf die Kniee;
»Ach, mein gnädigster Herr! Herr Rat, so verzeiht mir die Sünde!
Stehn mir die Heiligen bei, ich sah es ja nicht, wo ich hintrat!«
Und da hatte er recht! Ich, welcher genau darauf acht gab, 46
Sah recht gut, daß er kaum mit der Zeh' auf das Siegel getreten;
Aber er hielt sich schuldig an allem, der arme Betrog'ne.
»Zeiget mich nur nicht an, Herr Rat! Sonst bin ich verloren!«
Also fleht' er und küßte den Rock und war in Verzweiflung.
»»Ja, wie soll ich es machen, Gregorowitsch? Ist doch das Siegel
Gänzlich verschimpft, und kommt die Kommission nun zum Nachseh'n –««
»Ach, mein gnädigster Herr, das ginge mir ja an den Kragen!
Redet doch nicht von der Kommission! Die nimmt mir die Stelle,
Stecket mich ein – O erlaubet mir doch, noch einmal zu siegeln!
Seht, ich habe ja Frau und Kinder!« so flehte der Russe.
»»Ja, wenn du Frau und Kinder besitzest,«« so sagte der Rat da,
»»Das ist freilich was andres. Da will ich ein übriges thun, Sohn,
Und dir das Siegel darauf noch einmal zu setzen erlauben.
Streng ist's freilich verboten, am Siegel, sobald es gesetzt ist,
Wieder zu rühren. Allein ich bin barmherzig, ich habe
Selber ja Frau und Kinder zu Haus. Ich will's dir erlauben.
Doch das beding' ich mir aus, und du mußt es mir heilig versprechen,
Wenn uns künftig einmal mit dem Siegel so etwas passieret,
Mußt du für uns so gefällig auch sein und siegeln noch einmal!««
Mein Bartrusse gelobt es mit Freuden. »»Nun spute dich aber,
Siegle, so rasch du nur kannst!«« Mein Russe, mit zitternden Händen,
Holte das Wachs und das Siegel herbei. So schnell er nur konnte, 47
Schloß er die Thüre des Kellers von neuem mit mächtigem Siegel,
Und obgleich er die Hand in der Eil' mit dem Wachse verbrannte,
Ging er doch froh wie ein König davon. So lebt man in Rußland!Die Erzählung spielt vor fünfzig Jahren unter der Regierung des Kaisers Nikolaus. Seitdem ist in Rußland vieles anders und besser geworden.

 


 


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