Heinrich Kruse
Seegeschichten. Zweite Sammlung
Heinrich Kruse

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Der schwedische Löwe.

            Kapitän Aden, der Schwede genannt, denn er hatte, da Stralsund
Preußisch wurde, verlassen die Stadt und lebte in Ystad
Als ein schwedischer Bürger seitdem, damit ihm die blaue
Flagge mit gelbem Kreuz auch ferner zu führen erlaubt sei.
Schweden bezahlte Tribut an die Deys von Tunis und Algier,
Und so fuhren, versehn mit Türkenpässen, die Schweden
Ungefährdet und frei im Mittelländischen Meere.
Kapitän Aden, er war von hohem und stattlichem Wuchse,
Wettergebräunt, ein Adlergesicht mit blitzenden Augen;
Mut und Entschlossenheit sprach aus jeglichem Zuge des Mannes.
Strenge war er im Dienst und geachtet, doch mehr noch gefürchtet,
Ja, man flüsterte sich in die Ohren, es habe in fremden
Landen der Schwede mit Mord sich befleckt. Als Kapitän Aden
Einst im Schwanen am Whisttisch saß und rauchte behaglich,
Sprach man hinter ihm leise vom Mord am Rio la Plata.
Aber er hatt' es vernommen und wandte sich um zu den Sprechern.
»Nein, das ist nicht wahr!« so rief er mit donnernder Stimme.
»»Herr Kapitän,«« so sagte man schüchtern, um ihn zu besänft'gen, 188
»»Wenn Ihr bestreitet die That, wird niemand, Herr, daran glauben.««
»Was ich bestreite, ist nur,« so sagte der Schwede mit Nachdruck,
»Daß ich einen getötet. Ich will,« so rief er, »verdammt sein.
Wenn ich nicht zwei Neger im Rio la Plata ersäufte,
Denn sie hatten's, die Schurken, verdient, ich rühme mich dessen.
Höret mir zu, so ist es geschehn.« Da rückten die Gäste
Näher zusammen, der Kellner vergaß die Bestellung zu machen
Und stand offenen Mauls an der Thür, der Erzählung zu lauschen,
»Seht,« sprach Aden, vorher aufdeckend mit Ruhe den Strohmann,
»Ah! sechs Trümpfe,« so rief er vergnügt und leerte mit einem
Zuge das Glas mit Grog, das neben ihm pflegte zu stehen,
Winkte dem Kellner und reicht' es ihm hin, es aufs neue zu füllen.
»Also, ich lag mit der Brigg Felicitas, kürzlich von London
Nach Buenos Ayres gelangt, auf der Reede vor Anker.
Mehr als halb schon war ich wieder beladen mit Häuten,
Steif und fest; man zog den Rinderherden der Pampas
Ab vom Leibe die Haut und das übrige ließ man verwesen;
Damals machte man's so, jetzt weiß man das Fleisch zu benutzen.
Mancherlei hatt' ich zu thun in der Stadt vor baldiger Abfahrt,
Und so ging ich ans Land; vier Mann von meiner Besatzung
Fuhren mit mir, ich ging zunächst nach dem englischen Kaufmann,
Einzukassieren die Fracht von London auf dortigen Hafen.
Nun, in Noten der englischen Bank ward alles mir richtig 189
Ausgehändigt. Die englische Bank ist sich'rer, als alle
Könige sind. Ich schob die Papiere vergnügt in die Tasche
Und dann ging ich zum Konsul von Schweden, der mich für die Häute
Hatte nach Havre befrachtet, und plaudre in seinem Kontore,
Als mein Bootsmann kommt und dringend mich bittet: ich möchte
Urlaub ihm und den drei Matrosen erteilen, sie wären
Unvermutet im Hafen auf alte Bekannte gestoßen,
Und so wollten sie zechen, das Wiedersehen zu feiern.
›Wie lang' bleibt Ihr denn aus?‹ ›Bis zwölf Uhr.‹ ›Spätestens,‹ sagt' ich.
›Aber wie kommt Ihr an Bord? Doch behaltet nur lieber die Jolle,
Denn ich finde ja Böte genug am Ufer mit Negern,
Die mich rudern nach unserer Brigg für ein billiges Fährgeld.‹
Darauf zeichne ich noch beim Konsul die Konossemente,
Und dann schlendr' ich hinab zum Hafen, da stehn schon die Neger.
›Boot, Herr?‹ fragen sie mich, und ein Schwarm von Schwarzen umringt mich.
›Seht Ihr die Brigg? Dort liegt sie beglänzt von der sinkenden Sonne,
Dorthin rudert Ihr mich und sputet Euch.‹ Und vor Vergnügen
Grinsten die beiden von mir erlesenen, kräftigen Bursche.
›Dank Euch, Massa,‹ so riefen sie aus, ›Ihr werdet zufrieden
Sein mit den braven Niggers.‹ Sie sprangen ins Boot und sie halfen 190
Mir sehr höflich hinein und legten sich aus mit den Riemen;
Bei mir hatte ich nichts, als das spanische Rohr mit dem großen
Goldenen Knopfe verziert, wie's trägt Leibmedicus Sager.
Arglos zog ich die Uhr, um zu sehn, wie lange wir fuhren –
Vom Großvater geerbt, ein häufig bewundertes Prachtstück.
Doppelgehäusig, das Äußere war von zierlichem Schildpatt,
Aber das Innre gediegenes Gold mit getriebnen Figuren,
Nur zu dick war die Uhr und verdarb mir immer die Weste;
Dies und die goldene Kette mit Siegelring und Berlocken
Mochte der Neger Begier anreizen, auch griff ich wohl manchmal
Hin an die Brust, ob noch mein Geld am richtigen Orte.
Kurz, sie sahen auf mich mit mörderischen Gedanken.
Anfangs merkt' ich es nicht, vertieft in meine Geschäfte,
Denn ich berechnete mir, was die Fracht für die Häute betrage
Und Kaplaken für mich. Da ich endlich vom Brüten erwache
Und aufblicke, so rief ich: ›Was soll das, Ihr Schurken, bedeuten?
Hol' Euch der Teufel! Ihr fahret ja nicht im richtigen Kurse,
Dort liegt rechts mein Schiff, Ihr rudert mich links nach dem Meer zu.‹
Sie antworteten etwas in ihrem verzweifelten Rotwelsch,
Lenkten ein wenig auch ein, doch der rege gewordene Argwohn
Legte sich nicht, sie wurden nur mehr und mehr mir verdächtig.
Dämmrig ward es bereits, doch konnt' ich es deutlich bemerken,
Daß sie Zeichen sich machten, mit gierigen Blicken mich messend.
Da läßt einer der Neger den Riemen schleifen im Dullen 191
Und zieht still aus der Brust ein großes, gewaltiges Messer.
Ich das erspähn und stürzen auf ihn war ein und dasselbe,
Daß vor Schrecken sofort sein Messer ihm fiel in das Wasser,
Denn das erbärmliche Boot war halb voll Wasser gelaufen.
Und so pack' ich den stämmigen Schuft mit gewaltigen Fäusten,
Heb' ihn empor in die Luft, als wär' er ein Bündel von Wäsche,
Und dann schleudre ich ihn im Bogen hinaus in die Wellen.
Zweimal taucht' er noch wieder hervor, laut schreiend und jammernd,
Aber ich ließ ihn getrost im Namen des Teufels ersaufen.
Hätt' ich nur eine Sekunde gezögert, so wären sie beide
Auf mich gestürzt und hätten mich so mit den Messern behandelt,
Daß ich mich niemals wieder am Whist im Schwanen ergötzte.
Zitternd sah und zähneklappernd der andere Nigger
Seinen Gesellen ertrinken. ›Du ruderst nun tüchtig und richtig,‹
Rief ich ihm zu und wies auf das Schiff, und er ruderte emsig.
Als wir die Brigg nun erreicht, so stieg ich die Fallreepstreppe
Nicht hinauf, ich ließ vielmehr zwei starke Matrosen
Steigen ins Negerboot. ›Hört, untersuchet den Kerl da!‹
Rief ich. Sie fanden sofort ein ähnliches Messer verborgen
Zwischen dem Kleid und dem Hemd, auf der Brust; das genügte mir völlig,
Und so befahl ich: ›Ergreifet den Neger und werft ihn ins Wasser,
Wie ich dem anderen that.‹ Die Matrosen erschraken und wollten
Nicht daran. Da packt' ich den Neger entschlossen und warf ihn 192
Über den Bord in das Meer. Er klammerte sich an das Steuer,
Aber ich stieß ihn hinab und er kam nicht wieder zum Vorschein,
Ein paar Blasen mit Luft nur stiegen empor aus der Tiefe.
Als ich erzählt', wie alles geschehn war, sagt' ich zum Schlusse:
›Neger sind zwar nur um ein weniges besser als Affen,
Doch wenn es heißt: ich oder ein andrer! besinn' ich mich gar nicht,
Zwanzig Weiße zu opfern, um mir mein Leben zu sichern.‹
Alles war still auf dem Schiff, doch endlich sagte der Steu'rmann:
›Herr, Ihr hattet wohl recht, den ersten Neger zu töten,
Denn Ihr standet in Lebensgefahr und mußtet Euch retten.
Aber der andere Neger! Er war unschädlich, Ihr konntet
Laufen ihn lassen.‹ ›Was, laufen ihn lassen? Nein! daß ich ein Narr wär'!
Hätt' er sofort doch Lärm in Buenos Ayres geschlagen,
Und ich würde verhaftet und als ein Mörder verurteilt.
Kann ich ja doch nicht leugnen, daß ich auf bloßen Verdacht hin
Habe die Menschen getötet und kann den Verdacht nicht beweisen,
Denn ich vermag vor Gericht nicht Mienen zu stellen und Zeichen.
Und dann bin ich – bedenket das wohl – ich bin ja ein Ketzer;
Ein ausländischer Ketzer, geschmückt mit dem Strange als Halsband,
Ist für die hiesigen Christen ein auserlesenes Schauspiel.
Ja, ich hätte wohl schwerlich den Kopf aus der Schlinge gezogen.
Selber im glücklichsten Fall, der kaum doch zu hoffen ist, wär' ich
Drei, vier Monat' in Haft und Untersuchung geblieben, 193
Und was wär' indessen aus Schiff und Ladung geworden?
Doch nun hab' ich gerettet das Leben für Frau und für Kinder,
Und für die Reeder das Geld; Raubmord war der Neger Begehren,
Und sie litten nur, was sie verdienten.‹ ›Da habt Ihr nicht unrecht,‹
Sagte der Steu'rmann drauf und rückte die Mütze und kratzte
Hinter den Ohren, ›jedoch –‹ ›Was habt Ihr denn noch für Bedenken?‹
›Herr, Ihr wart nicht zum Richter bestellt; aufrichtig gestanden
Ist es mir lieb, daß Ihr, nicht ich so entschieden gehandelt.
Denn gar manches ist doch zu bedenken bei dieser – Ihr nennt es
Prompten Justiz.‹ ›Ja,‹ sagt' ich, ›wer alles bedenken
Und abwägen vorher erst will, kommt gar nicht zum Handeln.‹
›Herr, Ihr seid ein verwegener Mann,‹ so sagte der Steu'rmann,
›Ich, ich wäre dazu zu zage gewesen.‹ ›Das glaub' ich;
Gott sei Dank, ich bin kein Hase, der alles erwägen
Und sich bedenken erst muß, bis daß es lange zu spät ist.
Nein, mich hat die Natur zum Löwen geschaffen, und wenn mich
Tadeln die Hasen, was liegt mir daran.‹ Da fragte der Steu'rmann:
›Wollen das Negerboot wir behalten?‹ Ich sagte: ›Bewahre!
Lassen wir's treiben. Ich will mich mit fremdem Gut nicht bereichern.
Ich bin weder ein Dieb noch ein Mörder!‹« So sagte der Schwede,
Spielte den Whist dann fort und gewann auch glücklich den Robber. 194
Wilhelm Fabricius selbst, der Justizrat, hätte nicht besser
Wohl für den Schweden gesprochen, als Aden mit eigenem Munde.
Seitdem nannte den stolzen Kap'tän man nicht mehr den Schweden,
Sondern sie hießen den Mann, ihn bewundernd, den »schwedischen Löwen«.

 


 


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