Pjotr Alexejewitsch Kropotkin
Die Große Französische Revolution 1789-1793 – Band II
Pjotr Alexejewitsch Kropotkin

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Schluß.

Wenn man sieht, wie dieser schreckliche, dieser mächtige Konvent in den Jahren 1794 und 1795 zusammenbricht, wie die stolze, kraftvolle Republik verschwindet und Frankreich 1799 nach der demoralisierenden Wirtschaft des Direktoriums unter das militärische Joch eines Bonaparte kommt, muß man sich fragen: ›Was nützt die Revolution, wenn die Nation von neuem unters Joch kommen muß?‹ Und so haben denn im Verlauf des ganzen neunzehnten Jahrhunderts viele, insbesondere die Ängstlichen und die Zufriedenen, die das Losbrechen neuer Revolutionen befürchteten, diese Frage immer wieder aufgeworfen.

Die vorstehenden Seiten geben die Antwort. Nur wer in der Revolution lediglich eine Änderung im Regierungssystem gesehen hat, nur wer nichts von ihrer wirtschaftlichen und ihrer erzieherischen Arbeit weiß, kann eine solche Frage stellen.

Das Frankreich, das wir in den letzten Tagen des achtzehnten Jahrhunderts, im Augenblick des Staatsstreiches des achtzehnten Brumaire vor Augen haben, ist nicht mehr dasselbe Frankreich, wie es vor 1789 gewesen war. Hätte dieses entsetzlich arme Land, in dem jedes Jahr der dritte Teil der Bevölkerung der Hungersnot preisgegeben war, jemals die napoleonischen Kriege aushalten können, die den furchtbaren Kriegen, wie sie die Republik von 1792 bis 1799, wo sie sich ganz Europas zu erwehren hatte, führen mußte, unmittelbar folgten?

Ein neues Frankreich ist in den Jahren 1792, 1793 entstanden. Wohl herrscht noch in vielen Departements die Hungersnot, und sie macht sich mit all ihren Schrecknissen nach dem Staatsstreich des Thermidor fühlbar, als der Maximalpreis für die Lebensmittel abgeschafft worden war. Es gibt noch immer Departements, die nicht genügend Getreide für ihre Ernährung produzieren, und da der Krieg fortdauert und die Transportmittel von ihm mit Beschlag belegt sind, herrscht in diesen Departements die Hungersnot. Aber durch vielerlei Zeugnisse wird bewiesen, daß Frankreich bereits viel mehr Lebensmittel aller Art hervorbrachte als im Jahre 1789.

Nie ist so energisch gepflügt worden, sagt Michelet, als im Jahre 1792, wo der Bauer den Pflug über die Länder gehen ließ, die er den Herren, den Klöstern, den Kirchen wieder abgenommen hatte, wo er, wenn er seine Ochsen antrieb, rief: Hüh, Preuß! Hüh, Österreich! Niemals ist so viel Land urbar gemacht worden – auch die royalistischen Schriftsteller räumen es ein –, als in diesen Jahren der Revolution. Die erste gute Ernte, im Jahre 1794, brachte über zwei Drittel Frankreichs den Wohlstand. Allerdings nur in den Dörfern; in den Städten drohte es in all der Zeit immer noch an Lebensmitteln zu fehlen. Aber nicht, weil in Frankreich Mangel daran war oder weil die sansculottischen Gemeindeverwaltungen keine Maßregeln zur Ernährung derer, die keine Arbeit fanden, ergriffen hätten, sondern weil alles Zugvieh, das nicht zum Pflügen gebraucht wurde, requiriert war, um den vierzehn Armeen der Republik Proviant und Munition zuzuführen. Es gab damals keine Eisenbahnen, und die Sekundärstraßen waren im nämlichen Zustand wie heutzutage in Rußland.

Ein neues Frankreich war in diesen vier Jahren Revolution heraufgekommen. Der Bauer aß sich satt – zum ersten Male seit Jahrhunderten. Er richtete seinen gebückten Rücken wieder auf! Er wagte zu reden! Man lese die ausführlichen Berichte über die Rückkehr Ludwigs XVI., wie er im Juni 1791 als Gefangener von Varennes nach Paris gebracht wurde, und man sage selbst: War etwas der Art, war dieses Interesse an den öffentlichen Angelegenheiten, diese Hingabe an sie und diese Unabhängigkeit des Urteils, – war das alles vor 1789 möglich? Eine neue Nation war geboren, ganz wie wir in diesem Augenblick in Rußland, in der Türkei eine neue Nation zur Welt kommen sehen.

Und nur durch diese Wiedergeburt war Frankreich imstande, die Kriege der Republik und Napoleons auszuhalten und die Prinzipien der Großen Revolution nach der Schweiz, nach Italien, Spanien, Belgien, Holland, Deutschland – bis in den Bereich Rußlands zu tragen. Und wie all diese Kriege vorbei sind, die die französischen Heere bis nach Ägypten und Moskau geführt haben, könnte man wohl erwarten, im Jahre 1815 ein verarmtes, dem Elend preisgegebenes, verwüstetes Land zu finden; aber nein! das Land, selbst im Osten und im Jura, ist noch blühender, als es in der Zeit war, wo Pétion Ludwig XVI. die üppigen Ufergelände der Marne zeigte und ihn fragte, ob es ein schöneres Reich in der Welt gäbe als das, das der König hatte verlassen wollen. Diese Dörfer bergen eine solche innere Spannkraft, daß Frankreich binnen wenigen Jahren das Land der wohlhabenden Bauern wird, und bald entdeckt man, daß es trotz allen Aderlässen, trotz allen Verlusten durch seine Produktivität das reichste Land Europas ist. Es zieht seine Reichtümer nicht aus Indien oder dem Außenhandel, sondern aus seinem Boden, seiner Liebe zum Boden, seiner Geschicklichkeit und seinem Fleiß. Es ist durch die Verteilung seiner Reichtümer unter viele das reichste Land; und noch reicher ist es an Möglichkeiten, die es für die Zukunft bietet.

Das ist die Wirkung der Revolution. Und wenn der oberflächliche Blick in dem napoleonischen Frankreich nur die Ruhmsucht sieht, so kommt der Historiker dahinter, daß auch die Kriege, die Frankreich in dieser Periode führt, nur geführt werden, um die Früchte der Revolution sicherzustellen: das Land, das man den Herren, den Priestern, den Reichen abgenommen hat, die Freiheiten, die man dem Despotismus, dem Hof abgerungen hat. Wenn Frankreich den letzten Blutstropfen hergibt, nur damit die Deutschen, die Engländer und Russen ihm keinen Ludwig XVIII. aufzwingen, so geschieht es, damit die Rückkehr der royalistischen Emigranten nicht die Zurücknahme des Landes, das sie den ehemaligen Herren abgenommen und das sie schon mit ihrem Schweiße gedüngt haben, nicht die Zurücknahme der Freiheiten bedeutet, die sie schon mit dem Blute der Patrioten begossen haben. Und der Kampf wird dreiundzwanzig Jahre lang so gut geführt, daß Frankreich, als man es zwingt, die Bourbonen wieder anzunehmen, ihnen seine Bedingungen stellen kann: die Bourbonen dürfen herrschen, aber das Land bleibt in den Händen derer, die es den Feudalherren abgenommen haben; auch der weiße Schrecken der Bourbonen wagt es nicht, daran zu rühren. Das Ancien régime kann nicht wiederhergestellt werden.

Das war der Gewinn aus der Revolution.

Noch etwas anderes muß hervorgehoben werden.

Es kommt in der Geschichte der Völker eine Periode, in der eine tiefgehende Veränderung im ganzen Leben der Nation vor sich geht. Das absolute Königtum und der Feudalismus mußten im Jahre 1789 untergehen: es war nicht möglich, sie aufrechtzuerhalten; sie mußten aufgegeben werden.

Aber zwei Wege zeigten sich damals: die Reform oder die Revolution.

Es gibt immer einen Augenblick, wo die Reform noch möglich ist. Hat man aber diesen Augenblick nicht benutzt, hat man sich darauf versteift, sich den Erfordernissen des neuen Lebens zu widersetzen, läßt man es zu dem Augenblick kommen, wo das Blut in den Straßen fließt, wie es am 14. Juli 1789 geflossen ist – so ist die Revolution da. Und ist die Revolution einmal da, muß sie sich mit Notwendigkeit bis in ihre letzten Konsequenzen entwickeln, das heißt, bis zu dem Punkt, den sie bei der jeweiligen Verfassung des Geistes in diesem Moment der Geschichte, und wäre es auch nur vorübergehend, erreichen kann.

Wenn wir den langsamen Fortschritt einer Entwicklungsperiode mit einer Linie auf dem Papier bezeichnen, so sehen wir, wie diese Linie allmählich und langsam in die Höhe geht. Aber dann kommt eine Revolution, und die Kurve schnellt plötzlich in die Höhe. Sie steigt in England bis zur puritanischen Republik Cromwells, in Frankreich bis zur sansculottischen Republik von 1793. Aber der Fortschritt kann sich auf dieser Höhe nicht halten; die Kräfte, die ihm feindlich sind, verbünden sich, um ihn zu stürzen, und die Republik muß, nachdem sie sich zu dieser Höhe erhoben hat, wieder weichen; die Kurve sinkt. Es kommt die Reaktion. In der Politik zum wenigsten fällt die Kurve des Fortschritts sehr tief. Aber allmählich hebt sie sich wieder, und wenn der Friede wiederhergestellt ist – 1815 in Frankreich, 1688 in England –, sind die beiden Länder schon auf einem viel höheren Niveau als vor der Revolution.

Die Evolution beginnt wieder; unsere Linie fängt wieder an, langsam zu steigen; aber dieses Steigen geht auf einem viel höheren Niveau vor sich als vor dem Sturm; fast immer ist ihr Steigen ein schnelleres.

Das ist ein Gesetz des menschlichen Fortschritts, auch des Fortschritts jedes Individuums. Die Geschichte Frankreichs in unserer Zeit, das durch die Kommune hindurchgeht, um zur dritten Republik zu kommen, ist wiederum eine Bestätigung dieses Gesetzes.

 

Das Werk der französischen Revolution beschränkt sich nicht auf das, was sie erreicht hat und was sich in Frankreich gehalten hat; es ist auch in den Prinzipien enthalten, die sie dem kommenden Jahrhundert vermacht hat, in dem Markzeichen, das sie für die Zukunft gesteckt hat.

Eine Reform bleibt immer ein Kompromiß mit der Vergangenheit; aber ein Fortschritt, der auf dem Wege der Revolution vollzogen wurde, ist immer ein Versprechen neuer Fortschritte. Die Große Französische Revolution zieht das Ergebnis aus einem Jahrhundert der Evolution und stellt zugleich das Programm der Evolution auf, die sich im ganzen Lauf des neunzehnten Jahrhunderts vollziehen wird. Es ist ein Gesetz der Geschichte, daß die Periode von etwa hundert bis hundertdreißig Jahren, die zwischen zwei großen Revolutionen verstreicht, ihren Stempel von der Revolution aufgedrückt erhält, mit der diese Periode eingesetzt hat.

Die Völker bemühen sich, das Erbe, das ihnen die letzte Revolution vermacht hat, in ihren Einrichtungen zu verwirklichen. Alles, was sie nicht in Wirklichkeit umsetzen konnte, alle die großen Ideen, die während des Sturms in Umlauf gesetzt wurden und die die Revolution aus den oder jenen Gründen nicht lebendig machen konnte, all die Versuche zu sozialem Aufbau, die während der Revolution an den Tag gekommen sind – all das ist in der Epoche, die der Revolution folgt, der Inhalt der Evolution. Es kommen nur all die neuen Ideen hinzu, die diese Evolution wieder bei dem Versuch gebiert, das ererbte Programm des letzten Sturmes in Wirklichkeit zu verwandeln. Dann entsteht in einer andern Nation eine neue große Revolution, und diese stellt wiederum das Problem für das folgende Jahrhundert auf.

So war bis heute der Gang der Geschichte.

Zwei große Errungenschaften bezeichnen in der Tat das Jahrhundert, das seit 1789 bis 1793 verstrichen ist. Beide haben ihren Ursprung in der französischen Revolution, die ihrerseits wieder das Werk der englischen Revolution aufgenommen und es erweitert und um den ganzen Fortschritt bereichert und belebt hatte, der vollbracht worden war, seit das englische Bürgertum seinen König enthauptet und die öffentliche Gewalt in die Hände des Parlaments gelegt hatte. Diese beiden großen Errungenschaften sind die Abschaffung der Leibeigenschaft und die Abschaffung der absoluten Monarchie, und durch sie hat das Individuum persönliche Freiheiten erlangt, von denen der Leibeigene und der Untertan des absoluten Königs nicht zu träumen gewagt hatten, und sie haben zugleich zur Entwicklung der Bourgeoisie und des Kapitalismus geführt.

Sie stellen das Hauptwerk des neunzehnten Jahrhunderts vor, das im Jahre 1789 in Frankreich begonnen und sich im Laufe des Jahrhunderts, das wir hinter uns haben, langsam über Europa verbreitet hat.

Das Werk der Befreiung, das 1789 von den französischen Bauern begonnen wurde, wurde in Spanien, in Italien und der Schweiz, in Deutschland und Österreich von den Armeen der Sansculotten fortgesetzt. Leider drang es kaum nach Polen und gar nicht nach Rußland.

Es wäre schon in der ersten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts um die Leibeigenschaft geschehen gewesen, wenn das französische Bürgertum, das im Jahre 1794 über die Leichen der Anarchisten, der Cordeliers und der Jakobiner weg zur Herrschaft gelangte, den revolutionären Aufschwung nicht zum Stillstand gebracht, die Monarchie wiederhergestellt und Frankreich dem kaiserlichen Gaukler, dem ersten Napoleon ausgeliefert hätte. Der frühere Sansculottengeneral beeilte sich, die Aristokratie wieder Wurzeln fassen zu lassen. Aber der Anstoß war gegeben, und die Einrichtung der Leibeigenschaft hatte einen tödlichen Stoß erhalten. Man schaffte sie, trotz des zeitweiligen Sieges der Reaktion, in Italien und Spanien ab. In Deutschland war sie schon 1811 stark eingeschränkt und verschwand 1848 endgültig. Rußland sah sich 1861 gezwungen, seine Leibeigenen zu befreien, und der Krieg von 1878 machte der Leibeigenschaft auf der Balkanhalbinsel ein Ende.

Der Kreis ist jetzt geschlossen. Das Recht des Grundherrn über die Person des Bauern existiert in Europa nicht mehr, auch da nicht, wo noch die Ablösung der Feudallasten besteht.

Die Historiker achten auf diese Tatsachen zu wenig. Sie sind ganz in die politischen Fragen versenkt und übersehen darum die Bedeutung der Abschaffung der Leibeigenschaft, und doch ist sie der Wesenszug des neunzehnten Jahrhunderts. Die Rivalitäten zwischen den Nationen und die Kriege, die daraus entsprangen, die Politik der Großmächte, mit denen man sich so viel abgibt, all das entspringt einer großen Tatsache, der Abschaffung der persönlichen Hörigkeit und der Entwicklung des Lohnsystems, das an ihre Stelle getreten ist.

Der französische Bauer, der sich vor hundert Jahren gegen den Herrn empörte, der ihn die Teiche schlagen ließ, damit ihn das Quaken der Frösche nicht im Schlafe störte, hat damit die Bauern Europas befreit. Damit, daß er die Papiere verbrannte, in denen seine Knechtschaft besiegelt war – wobei es im Lauf der vier Jahre oft genug vorkam, daß die Schlösser mitverbrannten und daß die Bauern so weit gingen, die Herren zu richten, die sich weigerten, ihre Menschenrechte anzuerkennen –, damit hat er Europa, das heutzutage überall von dieser entwürdigenden Einrichtung der Leibeigenschaft befreit ist, in Schwung gebracht.

Und ebenso hat auch die Abschaffung der absoluten Fürstengewalt hundert Jahre gebraucht, um in Europa herumzukommen. Das Königtum von Gottes Gnaden, das in England schon 1648 angegriffen und in Frankreich 1789 besiegt wurde, besteht heutzutage nur noch in Rußland; aber auch da liegt es in den letzten Zügen. Selbst die kleinen Balkanstaaten – und endlich auch die Türkei – haben ihre Vertreterversammlungen. Rußland tritt ebenfalls in diesen Kreis ein.

So hat in dieser Hinsicht die Revolution von 1789 bis 1793 ihr Werk getan. Europa hat die Gleichheit vor dem Gesetz und die Repräsentativregierung so ziemlich in all seinen Verfassungsurkunden. In der Theorie wenigstens ist das Gesetz für alle gleich, und alle haben das Recht, mehr oder weniger an der Regierung teilzunehmen.

 

Der absolute Monarch und der Grundherr – der Herr des Bodens und der Bauern auf Grund seines Geburtsrechts – sind verschwunden. Das Bürgertum herrscht in Europa.

Aber zugleich hat uns die Große Revolution andere Prinzipien hinterlassen, deren Bedeutung außerordentlich viel größer ist: die Prinzipien des Kommunismus. Wir haben gesehen, wie die kommunistische Idee sich während der ganzen Revolution Bahn brechen wollte und wie nach dem Sturz der Kommunisten zahlreiche und manchmal weitgehende Versuche in diesem Sinne gemacht werden. Der Fourierismus stammt in direkter Linie von L'Ange einerseits und von Chalier anderseits ab. Babeuf ist unmittelbar das Kind der Ideen, die 1793 die Volksmassen begeisterten. Er, Buonarroti und Sylvain Maréchal haben weiter nichts getan, als sie etwas in ein System zu bringen, oder auch nur, sie in einer literarischen Form vorzutragen. Aber aus den geheimen Gesellschaften von Babeuf und Buonarroti entspringen die geheimen Gesellschaften der ›materialistischen Kommunisten‹ [›communistes-materialistes‹], in denen Blanqui und Barbès unter der Bürgermonarchie Louis-Philippes ihre Verschwörungen spinnen. Später entsteht aus ihnen in direkter Abstammung die Internationale.

Was den ›Sozialismus‹ angeht, so weiß man heutzutage, daß dieses Wort aufgebracht wurde, um zu vermeiden, sich ›Kommunist‹ zu nennen – was in einer bestimmten Zeit gefährlich war, weil die geheimen kommunistischen Gesellschaften, da sie Aktionsgesellschaften geworden waren, von dem herrschenden Bürgertum aufs äußerste verfolgt wurden.

So besteht eine ununterbrochene Geschlechterfolge von den Enragés von 1793 und dem Babeuf von 1795 bis zur Internationale.

Aber ich erlaube mir zu behaupten, daß der volkstümliche Kommunismus der zwei ersten Jahre der Republik, so unbestimmt er auch war, so wenig er sich auf Argumente von wissenschaftlichem Anstrich stützte und so wenig Gebrauch er von der pseudowissenschaftlichen Sprache der bürgerlichen Nationalökonomen machte, doch klarer sah und seine Untersuchung tiefer hineintrieb als der moderne Sozialismus.

Aber ebenso fest steht die Abstammung der Ideen. Der Sozialismus unserer Zeit hat den Ideen, die von 1789 bis 1794 im französischen Volke umliefen und die das französische Volk im Jahre II der Republik in Wirklichkeit zu verwandeln suchte, nichts, absolut nichts hinzugefügt. Der Sozialismus unserer Zeit hat nur diese Ideen in Systeme gebracht und Gründe zu ihren Gunsten gefunden, entweder, indem er einige ihrer eigenen Definitionen gegen die bürgerlichen Nationalökonomen wandte, oder, indem er die Tatsachen des industriellen Kapitalismus im Laufe des neunzehnten Jahrhunderts verallgemeinerte. Zuvörderst faßten die stolzen Republikaner von 1793 den Kommunismus des Konsums ins Auge – die Kommunalisierung und Nationalisierung des Konsums. Das war es, was sie betrieben, als sie in jeder Gemeinde ihre Getreide- und Lebensmittelspeicher errichteten, als sie eine Enquête veranstalteten, um den ›wahren Wert‹ der ›Lebensbedürfnisse erster und zweiter Ordnung‹ festzustellen und festzumachen, als sie Robespierre das profunde Wort eingaben, nur der Überfluß der Lebensmittel dürfe Gegenstand des Handels sein: das Notwendige gehöre allen.

Der Kommunismus von 1793, der unmittelbar aus den Notwendigkeiten des stürmischen Lebens dieser Jahre emporgestiegen war, mit seiner Betonung des Rechts aller auf die Lebensmittel und auf den Grund und Boden, um sie zu erzeugen, sein Verwerfen der Grundeigentumsrechte jenseits dessen, was eine Familie selber bestellen könnte (das Gut von ›120 Morgen, die Meßrute zu 22 Fuß gerechnet‹) und sein Versuch, den Handel zu kommunalisieren – dieser Kommunismus ging den Dingen gerader auf den Grund als alle Minimalprogramme und selbst die Maximalprinzipien unserer Zeit.

Jedenfalls weiß man jetzt, wenn man die Große Revolution erforscht, daß sie die Quelle aller kommunistischen, anarchistischen und sozialistischen Anschauungen unserer Zeit ist. Wir kannten unser aller Mutter schlecht; aber wir finden sie jetzt unter den Sansculotten wieder, und wir sehen, was wir von ihr zu lernen haben.

 

Die Menschheit geht von Etappe zu Etappe weiter, und ihre Etappen waren seit mehreren hundert Jahren von großen Revolutionen bezeichnet. Nach England, das seine Revolution von 1648–1657 machte, kam Frankreich daran. Heute ist die Reihe vielleicht an Rußland.

Jede große Revolution hat überdies etwas Originelles, Besonderes an sich gehabt. England und Frankreich haben beide die absolute Monarchie abgeschafft. Aber England hat sich dabei vor allem mit den persönlichen Rechten des Individuums – insbesondere in Sachen der Religion – sowie mit den lokalen Rechten jedes Kirchspiels und jeder Gemeinde beschäftigt. Frankreich hat seine Aufmerksamkeit hauptsächlich auf die Bodenfrage gerichtet und hat damit, daß es das Feudalwesen ins Herz traf, auch zugleich den Großgrundbesitz getroffen und den Gedanken der Nationalisierung des Bodens und der Sozialisierung des Handels und der Hauptindustrien in die Welt geworfen.

Welche Nation wird die Aufgabe auf sich nehmen – eine furchtbare Aufgabe, die aber mehr ist als furchtbar –, die nächste große Revolution zu machen? Man hat einen Augenblick glauben können, daß es Rußland sein wird. Wenn es aber seine Revolution über eine bloße Einschränkung der Gewalt des Kaisers hinaustreibt, wenn es die große Grundeigentumsfrage revolutionär anfaßt – wie weit wird es gehen? Wird es den Fehler der französischen Nationalversammlungen zu vermeiden wissen und den vergesellschafteten Boden denen geben, die ihn mit eigenen Händen bestellen wollen? – Wir wissen es nicht. Wer diese Frage beantworten wollte, müßte prophezeien können.

Sicher ist eines. Welche Nation es auch sein mag, die in unsern Zeiten einmal den Weg der Revolutionen betritt, sie wird erben, was unsere Vorfahren in Frankreich geschafft haben. Das Blut, das dabei vergossen wurde, ist für die Menschheit geflossen. Die Leiden, die sie durchgemacht haben, haben sie für die ganze Menschheit erduldet. Ihre Kämpfe, die Ideen, die sie in die Welt brachten, der Zusammenprall dieser Ideen – das alles ist das Erbe der Menschheit. Das alles hat seine Früchte getragen und wird noch andere, noch schönere tragen, wird uns immer weiter und weiter führen in dem Sinne, den wir in den Worten der Großen Revolution

Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit

finden, die wie ein Flammenzeichen leuchten, dem wir entgegenmarschieren.

 


 


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