Pjotr Alexejewitsch Kropotkin
Die Große Französische Revolution 1789-1793 – Band II
Pjotr Alexejewitsch Kropotkin

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47. Die Volksrevolution – Die Zwangssteuer

Wollte jemand daran zweifeln, daß es für die Revolution eine Notwendigkeit war, die Hauptführer der girondistischen Partei aus dem Konvent zu entfernen, dann brauchte er nur auf das Gesetzgebungswerk einen Blick zu werfen, das der Konvent sofort unternahm, nachdem die Opposition der Rechten gebrochen war.

Die Zwangsbesteuerung der Reichen zur Aufbringung der ungeheuren Kriegskosten, die Festsetzung des Maximalpreises für das Getreide, die Rückgabe der Ländereien, die den Gemeinden seit 1669 weggenommen worden waren, an die Gemeinden, die endgültige Abschaffung der Feudallasten, ohne daß sie abgelöst werden mußten, die Gesetze über die Erbfolge, die dazu bestimmt waren, die Vermögen in kleine Stücke zu schlagen und auszugleichen, die demokratische Verfassung von 1793 – all diese Maßregeln folgten einander sehr rasch, sowie die Parteien der Rechten durch die Vertreibung der girondistischen Führer geschwächt worden waren.

Diese Periode, die vom 31. Mai 1793 bis zum 27. Juli 1794 (9. Thermidor des Jahres II der Republik) dauerte, ist die wichtigste der ganzen Revolution. Die großen Veränderungen in den Beziehungen zwischen den Bürgern, deren Programm die Konstituierende Versammlung in der Nacht des 4. August 1789 skizziert hatte, wurden endlich vom gesäuberten Konvent, unter dem Druck der Volksrevolution, nach vier Jahren des Widerstands in Wirklichkeit umgesetzt. Und das Volk, wie man damals sagte, die Sansculotten, die Ohnehosen, haben nicht nur den Konvent zu dieser gesetzgeberischen Arbeit gezwungen, nachdem sie ihm durch den Aufstand vom 31. Mai die Möglichkeit dazu verschafft haben, sie sind es auch, die diese Maßnahmen mit Hilfe der Volksgesellschaften im Lande, an die sich die in die Provinzen entsandten Konventsmitglieder wandten, als es galt, die Exekutivgewalt an Ort und Stelle zu schaffen, zur Ausführung bringen.

Es herrschte in dieser ganzen Zeit die Hungersnot; und der Krieg, den die Republik gegen die Koalition des Königs von Preußen, des deutschen Kaisers, des Königs von Sardinien und des Königs von Spanien führen muß, die von England vorwärtsgetrieben und mit Geld unterstützt wird, nimmt schreckliche Dimensionen an. Was dieser Krieg erfordert, ist unbeschreiblich; man kann sich kaum eine Vorstellung davon machen, selbst wenn man die Einzelheiten kennenlernt, die man in den Dokumenten der Zeit findet und die ein Bild von dem Geldmangel und dem Ruin geben, dem Frankreich durch die Invasion überliefert war. Unter diesen wahrhaft tragischen Umständen, wo es an allem fehlt – an Brot, Schuhen, Zugvieh, Eisen, Blei, Salpeter, und wo nichts, weder zu Land, durch die vierhunderttausend Mann hindurch, die die Verbündeten gegen Frankreich geworfen haben, noch zur See hereinkommen kann, da die englischen Schiffe die Küste blockieren – unter diesen tragischen Umständen schlagen sich die Sansculotten, um die Republik zu retten, die nahe am Untergang scheint.

Und dazu noch haben sie in dieser Zeit alle, die zum Absolutismus halten, alle, die früher privilegierte Stellungen innehatten, und alle, die hoffen, entweder diese Stellungen wiederzuerlangen oder sich unter der monarchischen Regierungsform, sowie sie wiederhergestellt wäre, neue zu schaffen – die Geistlichkeit, die Adligen, die durch die Revolution reich gewordenen Bürger – alle haben sich gegen sie verschworen. Die ihr treu geblieben sind, müssen den Kampf führen zwischen diesem Wall von Bajonetten und Kanonen, der sie umstarrt, und der Verschwörung im Innern, die ihnen in den Rücken zu fallen sucht.

Das sehen die Sansculotten und beeilen sich, dafür zu sorgen, daß die Reaktion, wenn sie die Oberhand gewinnen sollte, ein neues umgestaltetes Frankreich vorfinden soll: Bauern, die im Besitze des Landes sind, Stadtarbeiter, die an die Gleichheit und die Demokratie gewöhnt sind, einen Adel und eine Geistlichkeit, die der Vermögen beraubt sind, die ihre wahre Stärke ausgemacht hatten, und diese Vermögen schon in Tausenden von anderen Händen übergegangen, zerstückelt, ein ganz anderes Aussehen bietend, sozusagen nicht wiederzuerkennen und unmöglich wiederherzustellen.

Die wahre Geschichte dieser dreizehn Monate – Juni 1793 bis Juli 1794 – ist noch nie geschrieben worden. Die Dokumente, die eines Tages zu ihrer Abfassung dienen werden, liegen in den Provinzialarchiven, in den Berichten und Briefen der Konventsmitglieder, die in Mission unterwegs waren, in den Protokollen der Gemeindeverwaltungen, der Volksvereine usw. Sie sind noch nicht mit der Sorgfalt benutzt worden, die man auf die Akten über die Gesetzgebungsarbeit der Revolution verwandt hat, und man müßte sich sehr beeilen, da sie schnell verschwinden. Das wird ohne Frage die Arbeit eines Lebens erfordern, aber ohne diese Arbeit wird die Geschichte der Revolution unvollendet bleiben.Was für Papiere von höchstem Wert sind erst vor kurzem in Clairvaux vernichtet worden. Wir haben Spuren davon gesehen und haben einige Trümmer der Bibliothek des ›Pélarin‹ aufgefunden, die an einen Spezereihändler und an einen Tabakhändler verkauft worden waren.

Die Historiker haben von diesem Zeitraum hauptsächlich den Krieg – und das Schreckensregiment erforscht. Das aber ist nicht die Hauptsache. Die Hauptsache ist das außerordentliche Werk der Zerschlagung des Grundeigentums, das Werk der Demokratisierung und der Entchristianisierung Frankreichs, das in diesen dreizehn Monaten vollbracht wurde. Von dieser ungeheuren Arbeit zu erzählen, von all den Kämpfen, die an allen einzelnen Orten, in jedem Dorf und in jedem Flecken Frankreichs daraus hervorgingen, das wird das Werk eines künftigen Geschichtsschreibers sein. Heute können wir nur einige Hauptzüge hervorheben.

Die erste wahrhaft revolutionäre Maßregel, die nach dem 31. Mai ergriffen wurde, war die ›Zwangsanleihe bei den Reichen‹ zur Aufbringung der Kriegskosten. Der Staatsschatz befand sich, wie wir gesehen haben, in einer jammervollen Lage. Der Krieg verschlang furchtbare Summen. Der Kurs der Assignaten, die in großen Mengen ausgegeben waren, sank schon. Neue Steuern auf die Armen konnten nichts einbringen. Was blieb also übrig, als die Reichen zu besteuern? Und der Gedanke einer Zwangsanleihe von einer Milliarde, die den Reichen auferlegt werden sollte, ein Gedanke, der schon in den Anfängen der Revolution unter dem Ministerium Necker laut geworden war, faßte im französischen Volke Wurzel.

Wenn man heutzutage liest, was die Zeitgenossen, die Reaktionäre wie die Revolutionäre, vom Zustand Frankreichs sagten, kann man sich des Gedankens nicht erwehren, daß sich jeder Republikaner, gleichviel, wie er über das Eigentum dachte, in den Gedanken der Zwangsanleihe hätte finden müssen. Es gab keinen anderen Weg. Als diese Frage am 20. Mai aufgeworfen wurde, wurde die Steuer von Cambon, der ein Gemäßigter war, empfohlen; aber die Girondisten fielen über die Freunde der Anleihe mit unerhörter Heftigkeit her, und es kam durch sie im Konvent zu einem abscheulichen Auftritt.

Darum konnte man am 20. Mai nichts weiter tun, als den Gedanken einer Zwangsanleihe im Prinzip annehmen. Die Art der Ausführung mußte später erörtert werden – oder niemals, wenn es den Girondisten gelang, die Männer der Bergpartei zum ›Tarpejischen Felsen‹ zu bringen.

Noch in der Nacht aber, die dem Ausschluß der girondistischen Führer folgte, beschloß die Kommune von Paris, daß das Dekret, das den Maximalpreis der Lebensmittel festsetzte, unverzüglich zur Ausführung kommen sollte, daß man sofort zur Bewaffnung der Bürger schreiten, daß die Zwangsanleihe erhoben werden sollte; und daß die revolutionäre Armee sofort organisiert werden sollte: alle waffenfähigen Bürger sollten ihr angehören, aber die ci-devant (das heißt die früheren Adligen, die ›Aristokraten‹) sollten von den Kommandostellen ausgeschlossen sein.

Der Konvent beeilte sich, in diesem Sinne vorzugehen, und am 22. Juni 1793 verhandelte er den Bericht von Réal, der für die Zwangsanleihe die folgenden Grundsätze aufstellte. Das notwendige Einkommen (dreitausend Franken für einen Familienvater und fünfzehnhundert Franken für einen Junggesellen) ist von der Anleihe frei. Die überschüssigen Einkommen werden progressiv versteuert, bis zum Maximum, das für die Junggesellen zehntausend und für die Familienväter zwanzigtausend Franken beträgt. Geht das Einkommen über dieses Maximum hinaus, so wird es als überflüssig betrachtet und ganz und gar für die Anleihe eingezogen. Dieses Prinzip wurde angenommen, nur daß der Konvent in seinem Dekret vom nämlichen Tag das notwendige Einkommen auf sechstausend Franken für die Junggesellen und auf zehntausend für die Familienvorstände festsetzte.Ich folge hier dem Werk von René Stourm, Les finances de l'ancien régime et la Révolution, 1885, Bd. II, S. 369 ff. Die Diskussionen im Konvent waren sehr interessant. Cambon hatte, als er am 26. Mai 1793 die Frage aufs Tapet brachte, gesagt: ›Ich habe den Wunsch, daß der Konvent eine Bürgeranleihe von einer Milliarde aufnimmt, die von den Reichen und den Gleichgültigen getragen werden soll . . . Du bist reich, du hast eine Anschauung, die uns Kosten macht; ich will dich gegen deinen Willen an die Revolution ketten; ich will, daß du der Republik dein Vermögen leihst.‹ Marat, Thuriot, Mathieu hatten das Projekt unterstützt; aber die Opposition war sehr stark. Es ist bemerkenswert, daß ein Departement, das Hérault, mit dem Beispiel einer solchen Anleihe vorangegangen war. Cambon wies in seiner Rede darauf hin. Jacques Roux hatte sie bei den Gravilliers schon am 8. März empfohlen.

Man bemerkte jedoch im August, daß die Anleihe bei diesen Ziffern noch nicht einmal zweihundert Millionen bringen würde (Stourm, S. 372, Anmerkung), und am 3. September mußte der Konvent seinen Beschluß vom 22. Juni umändern. Er setzte das notwendige Einkommen auf tausend Franken für die Junggesellen und fünfzehnhundert Franken für die Verheirateten fest, wozu noch tausend Franken für jedes Familienmitglied kamen. Die überschüssigen Einkünfte wurden mit einer progressiven Steuer belegt, die von zehn bis fünfzig Prozent vom Einkommen stieg. Und die Einkommen über neuntausend Franken wurden in der Art besteuert, daß in keinem Fall mehr als viertausendfünfhundert Franken über das genannte notwendige Einkommen blieben, gleichviel wie hoch das Einkommen des Reichen war. Das bezog sich jedoch nicht auf eine dauernde Steuer, sondern auf eine Zwangsanleihe, die man einmal unter außerordentlichen Umständen aufnahm.

Hier trat nun aber etwas überaus Bemerkenswertes ein, was ein schlagendes Licht auf die Ohnmacht der Parlamente wirft. Gewiß hat es nie eine Regierung gegeben, die mehr Schrecken einflößte als der Konvent im Jahre II der Republik. Und trotzdem wurde diesem Gesetz über die Zwangsanleihe nicht Folge geleistet. Die Reichen zahlten nicht. Die Anleihe verursachte riesige Kosten, aber wie sollte man sie von den Reichen erheben, die nicht zahlen wollten? Pfändung, Versteigerung? Aber das hätte einen ganzen Apparat erfordert, und es waren schon sowieso so viele Nationalgüter zum Verkauf ausgesetzt! In materieller Hinsicht war die Anleihe ein Mißerfolg. Aber es lag auch in der Absicht der Bergpartei, die Geister auf den Gedanken des Ausgleichs der Vermögen vorzubereiten und ihn einen Schritt weiterzuführen, und in dieser Hinsicht erreichten sie ihr Ziel.

Später, sogar nach der Reaktion des Thermidor, nahm das Direktorium ebenfalls, zu zweien Malen, seine Zuflucht zu diesem Mittel – 1795 und 1799. Der Gedanke des Überflüssigen und des Notwendigen hatte seinen Weg angetreten. Und man weiß, daß die progressive Steuer in dem Jahrhundert, das der Revolution folgte, das Programm der Demokratie wurde. Sie wurde sogar in mehreren Staaten zur Anwendung gebracht, aber in einem viel maßvolleren Maßstab, er war so maßvoll, daß nur noch der Name übriggeblieben war.


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