Pjotr Alexejewitsch Kropotkin
Die Große Französische Revolution 1789-1793 – Band II
Pjotr Alexejewitsch Kropotkin

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43. Soziale Forderungen – Zustand der Geister in Paris – Lyon

So heftig auch der parlamentarische Kampf zwischen dem Berg und der Gironde zuzeiten war, hätte er sich doch wahrscheinlich in die Länge gezogen, wenn er auf den Konvent beschränkt geblieben wäre. Aber seit der Hinrichtung Ludwigs XVI. überstürzten sich die Ereignisse, und die Trennung zwischen Revolutionären und Gegenrevolutionären wurde so scharf, daß für eine unentschiedene Zwischenpartei zwischen den beiden kein Platz mehr blieb. Die Girondisten, da sie sich der natürlichen Entwicklung der Revolution entgegenstemmten, fanden sich bald mit den Feuillants und den Royalisten in den Reihen der Gegenrevolutionäre und mußten als solche unterliegen.

Die Hinrichtung des Königs hatte in Frankreich einen ungeheuren Eindruck gemacht. War das Bürgertum angesichts einer solchen Kühnheit von Seiten der Bergpartei von Schrecken ergriffen und zitterte für sein Vermögen und sein Leben, so sah dagegen der intelligente Teil des Volkes darin den Beginn einer neuen Ära, die Annäherung an jenen Wohlstand für alle, den die Revolutionäre den Enterbten versprochen hatten.

Groß war jedoch die Enttäuschung. Der König war tot, das Königtum verschwunden, aber die Anmaßung der Reichen wurde immer größer. Sie stellte sich in den reichen Stadtvierteln zur Schau, sie protzte sogar auf den Tribünen des Konvents, während in den Armenvierteln das Elend immer schlimmer gespürt wurde, je mehr man in den düstern Winter von 1793 hineinkam, der den Brotmangel, die Arbeitslosigkeit, die Teuerung der Lebensmittel und das Sinken der Assignaten mit sich brachte. Und all das zu einer Zeit, wo von allen Seiten Trauerbotschaften anlangten: von der Grenze, wo die Armeen zusammengeschmolzen waren wie der Schnee, von der Bretagne, die sich mit Hilfe der Engländer zu einem allgemeinen Aufstand rüstete, von der Vendée, wo hunderttausend rebellische Bauern die Patrioten unter dem Segen der Priester totschlugen, von Lyon, das die Hochburg der Gegenrevolution geworden war, von der Schatzkammer, die nur von neuen Emissionen, von Assignaten lebte – vom Konvent endlich, der hin und her trippelte, ohne etwas fertigzubekommen, und sich in inneren Kämpfen erschöpfte.

All das mußte bei dem herrschenden Elend die revolutionäre Begeisterung lähmen. In Paris kamen die armen Arbeiter, die Sansculotten nicht mehr in genügender Zahl in die Sektionen, und die Gegenrevolutionäre des Bürgertums hatten den Nutzen davon. Im Februar 1793 waren diese, die ›culottes dorées‹, in Massen in die Sektionen gedrungen. Sie setzten, wenn es not tat mit Knütteln, reaktionäre Beschlüsse durch, setzten die sansculottischen Beamten ab und ließen sich an ihrer Stelle wählen. Die Revolutionäre waren sogar genötigt, sich zu reorganisieren, um den Nachbarsektionen zu Hilfe zu eilen und den Sektionen, in die die Bürgersleute eingedrungen waren, Beistand leisten zu können.

In Paris und in der Provinz wurde sogar die Frage erwogen, bei den Gemeindeverwaltungen zu beantragen, solche bedürftigen Männer aus dem Volke, die den Sitzungen beiwohnten und Ämter in den Ausschüssen annahmen, mit vierzig Sous für den Tag zu entschädigen. Daraufhin beeilten sich die Girondisten, im Konvent zu beantragen, alle diese Organisationen, Sektionen, Volksvereine und Föderationen der Departements sollten aufgelöst werden. Sie merkten nicht einmal, welche Widerstandskraft das alte Regime noch besaß, sie sahen nicht, daß eine solche Maßregel in diesem Augenblick den sofortigen Sieg der Gegenrevolution und ›den tarpejischen Felsen‹ für sie selbst herbeigeführt hätte.

Trotz allem bemächtigte sich der Sektionen des Volkes noch keine Entmutigung. Aber es ist Tatsache, daß neue Ideen in den Geistern hochkommen wollten, daß neue Strömungen durchbrachen, und diese Bestrebungen suchten nach ihrer Formel.

Die Kommune von Paris hatte vom Konvent erhebliche Mittel für den Ankauf von Mehl erlangt, und so gelang es ihr allmählich, den Preis des Brotes auf drei Sous für das Pfund zu halten. Aber wer dieses Dreisousbrot bekommen wollte, mußte die Hälfte der Nacht vor der Tür des Bäckers auf der Straße stehen. Und dann sah das Volk ein, daß die Kommune, da sie das Korn zu den Preisen kaufen mußte, die ihr die Getreidewucherer auspreßten, diese lediglich auf Kosten des Staates bereicherte. Damit blieb man immer in einem circulus vitiosus zum direkten Nutzen der Spekulanten.

Die Spekulation hatte schon einen furchtbaren Maßstab erreicht. Die eben erst entstehende Bourgeoisie bereicherte sich durch dieses Mittel im Handumdrehen. Nicht nur die Armeelieferanten – die ›Mehlwürmer‹ – kamen zu skandalösen Vermögen, sondern, da man mit allem, im großen und im kleinen, spekulierte: mit dem Korn, dem Mehl, den Fellen, der Seife, den Kerzen, dem Blech usw., ohne von den kolossalen Spekulationen mit den Nationalgütern zu reden, entstanden die Vermögen mit einer märchenhaften Geschwindigkeit aus dem Nichts, und alle Welt sah es und wußte es.

Die Frage: ›Was tun?‹ drängte sich also in der tragischen Form auf, die sie in den Zeiten der Krise annimmt.

Solche Leute, für die das letzte Heilmittel für alle Schäden der Gesellschaft ›die Bestrafung der Schuldigen‹ ist, wußten nichts anderes vorzuschlagen als die Todesstrafe für die Spekulanten, die Reorganisation des Polizeiapparates, des Sicherheitsausschusses, das Revolutionstribunal, was im Grunde nichts weiter war als die Rückkehr zum Tribunal Maillards, nur ohne die Offenheit, aber keine Lösung.

Jedoch entstand auch in den Faubourgs eine tiefergehende Strömung, die konstruktive Lösungen suchte, und sie fand ihren Ausdruck in den Predigten eines Arbeiters in den Faubourgs, Varlet, und eines früheren Priesters, Jacques Roux, die von jenen ›Unbekannten‹ unterstützt wurden, die die Geschichte unter den Namen der Enragés kennt. Diese sahen ein, daß die Theorien von der Freiheit des Handels und Gewerbes, die im Konvent von den Condorcet und Sieyès verkündet wurden, falsch waren, daß die Lebensmittel, die sich nicht im Überfluß im Handel befanden, von den Spekulanten mit Leichtigkeit aufgekauft wurden – besonders in einer solchen Periode wie die, in der sich die Revolution befand. Und sie fingen an, Ideen zu propagieren über die Notwendigkeit, den Handel zu kommunalisieren und zu nationalisieren, den Austausch der Produkte zum Herstellungspreis zu organisieren – Ideen, die später die Gedankengänge Fouriers, Godwins, Robert Owens, Proudhons und ihrer sozialistischen Nachfolger erzeugten.

Diese Enragés hatten also begriffen – und wir sehen bald, wie ihre Ideen einen Anfang zu praktischer Ausführung gewinnen –, daß es nicht genügte, jedem das Recht auf Arbeit oder sogar das Recht auf den Boden zu garantieren: daß noch nichts getan sei, solange die Ausbeutung durch den Handel noch da war, und daß man, um sie zu verhindern, den Handel kommunalisieren müsse.

Zur selben Zeit entstand eine ausgesprochene Bewegung gegen die großen Vermögen, die Ähnlichkeit mit der hat, die heutigentags in den Vereinigten Staaten gegen die Vermögen, die von den Trusts oder Wucherergesellschaften mit großer Schnelligkeit zusammengebracht werden, im Gange ist. Den besten Geistern der Zeit drängte es sich auf, wie unmöglich es sei, eine demokratische Republik einzurichten, ohne daß man zugleich gegen die ungeheuerliche Ungleichheit der Vermögen vorging, die schon zutage trat und immer schlimmer zu werden drohte.Der feine Geist Michelets hatte die Bedeutung dieser kommunistischen Volksbewegung schon gut bemerkt, und Michelet hatte schon die Hauptpunkte hervorgehoben. Jaurès, Histoire socialiste IV, S. 1003 ff., hat jetzt eingehendere, sehr interessante Nachrichten über diese Bewegung in Paris und in Lyon gegeben.

Diese Bewegung gegen die Aufkäufer und Spekulanten mußte mit Notwendigkeit auch eine Bewegung gegen die Spekulation mit den Tauschmitteln hervorrufen, und am 3. Februar 1793 verlangten Delegierte der Kommune von achtundvierzig Sektionen und von den ›vereinigten Verteidigern der 84 Departements‹ beim Konvent, er solle der Entwertung der Assignaten, an der die Spekulation schuld war, ein Ende machen. Sie verlangten die Abschaffung des Dekrets der Konstituierenden Versammlung, auf Grund dessen das gemünzte Geld zur Ware erklärt worden war, und die Todesstrafe gegen die Börsenspekulation.Konnte die Börsenspekulation den Kurs der Assignaten beeinflussen? Mehrere Historiker haben sich diese Frage gestellt und haben sie mit Nein beantwortet. Der Kurssturz der Assignaten, sagen sie, kam daher, daß eine zu große Menge dieser Tauschzettel in Umlauf gebracht worden waren. Das stimmt; aber wer die Bewegungen der Kornpreise auf dem Weltmarkt oder der Baumwollpreise an der Börse von Liverpool oder der russischen Assignaten an der Berliner Börse verfolgt hat, wird ohne weiteres zugeben, daß unsere Großväter sehr recht hatten, daß sie der Börsenspekulation zum großen Teil die Schuld an der Entwertung der Assignaten zuschrieben. Selbst heutzutage, wo die Finanzoperationen bei weitem ausgedehnter sind als 1793, hat die Spekulation immer die Wirkung, daß sie die Wirkungen von Angebot und Nachfrage in einem bestimmten Moment unverhältnismäßig vergrößert. Wenn die Spekulation mit den Transport- und Tauschmitteln von heutzutage ein Bodenprodukt oder ein Papier nicht dauernd in die Höhe treiben kann, so verstärkt sie doch immer die natürliche Hausse und vergrößert in maßloser Weise die zeitweiligen Schwankungen der Preise, die die Folge entweder der schwankenden Produktivität der Arbeit (z. B. bei der Ernte) oder der Schwankungen von Angebot und Nachfrage sind.

Das war, wie man sieht, eine völlige Rebellion der Klasse der Armen gegen die Reichen, die aus der Revolution allen Vorteil gezogen hatten und nichts davon wissen wollten, daß sie den Armen zugute kam. Und als darum die Petitionierenden erfuhren, die Jakobiner, Saint-Just eingeschlossen, hätten sich aus Furcht, die Bourgeois zu beunruhigen, ihrer Petition widersetzt, genierten sie sich nicht, gegen die zu sprechen, ›die kein Verständnis für die Armen haben, weil sie alle Tage gut essen‹.Jaurès, IV., S. 1023.

Marat versuchte ebenfalls, die Erregung zu beruhigen; er mißbilligte die Petition und nahm die Bergpartei und die Abgeordneten von Paris gegen die Angriffe von seiten der Petitionierenden in Schutz, aber er kannte das Elend aus der Nähe und stellte sich, als er die Klage der Arbeiterfrauen hörte, die am 24. Februar in den Konvent gingen, um den Schutz der Gesetzgeber gegen die Spekulanten zu verlangen, sofort auf die Seite der Elenden. In einem sehr heftigen Artikel seiner Nummer vom 25. Februar predigte er, da er daran ›verzweifelte, daß die Gesetzgeber durchgreifende Maßregeln ergriffen‹, ›die völlige Vernichtung dieser verfluchten Brut‹ – ›der Kapitalisten, der Spekulanten, der Monopolisten‹, die von den ›feigen Volksvertretern durch die Straflosigkeit ermutigt‹ würden. Man spürt in diesem Artikel die Wut der Straße; bald verlangt Marat, die schlimmsten Aufkäufer sollten vor ein Staatsgericht gestellt werden, bald empfiehlt er revolutionäre Akte und sagt, ›die Plünderung einiger Magazine, an deren Türen man die Aufkäufer gehängt hätte, würde bald diesen Gaunereien ein Ende machen, die 25 Millionen Menschen zur Verzweiflung treiben und Tausende im Elend zugrunde gehen lassen‹.

Am Morgen dieses Tages hatte das Volk in der Tat einige Läden geplündert und Zucker, Seife und dergleichen mitgenommen, und man sprach in den Faubourgs davon, die Septembertage gegen die Aufkäufer und Wucherer, die Börsenspekulanten, die Reichen zu wiederholen.

Man kann sich denken, wie diese Bewegung, die übrigens nicht über einen kleinen Krawall hinausging, von den Girondisten ausgebeutet wurde, um die Departements zu dem Glauben zu bringen, Paris wäre ein Glutofen, in dem es für niemanden mehr Sicherheit gäbe. Sie waren glücklich, in Marats Artikel den Satz über die Plünderung zu finden, den wir eben anführten, und schlugen daraus Kapital, um den Berg und die Pariser alle miteinander zu beschuldigen, sie wollten alle Reichen umbringen. Die Kommune wagte es nicht, den Krawall zu billigen, und selbst Marat mußte seine Worte verleugnen und behauptete, die Royalisten hätten ihn geschürt. Und Robespierre verfehlte nicht, das Gold der ausländischen Feinde für ihn verantwortlich zu machen.

Und doch tat der Krawall seine Wirkung. Der Konvent erhöhte die Summe, die er der Kommune vorstreckte, um den Preis des Brotes auf drei Sous für das Pfund zu halten, von 4 auf 7 Millionen, und der Prokurator der Kommune, Chaumette, setzte vor dem Konvent den Gedanken auseinander, der später in das Gesetz über das Maximum eingeführt wurde: daß es sich nicht einzig und allein darum handelte, das Brot zu einem erschwinglichen Preis zu bekommen. Es war auch nötig, sagte er, ›daß die Lebensbedürfnisse zweiten Ranges‹ für das Volk erreichbar seien. Es existiert kein ›gerechtes Verhältnis mehr zwischen dem Tagelohn des Arbeiters und diesen Lebensbedürfnissen zweiten Ranges‹. ›Der Arme hat soviel wie der Reiche und mehr wie der Reiche für die Revolution getan. Alles hat sich für den Reichen gewandelt, er allein (der Arme) ist in derselben Lage geblieben, und die Revolution hat ihm nichts gebracht als das Recht, sich über sein Elend zu beklagen.‹Dieser sympathische Mann, der ein weiter blickender Nationalökonom war als so viele Nationalökonomen von Beruf, traf den Kern der Frage und zeigte, wieso der Spekulant die Wirkungen der Zustände, die der Krieg und die Assignaten erzeugt hatten, verstärkte. ›Der Krieg mit der Seemacht‹, sagte er, ›der Aufruhr, den wir in unseren Kolonien hatten, der Kursverlust und insbesondere eine Emission von Assignaten, die nicht mehr im Gleichgewicht mit dem Bedürfnis der Handelstransaktionen ist, das sind einige der Ursachen für die starke Hausse, unter der wir leiden; aber wie groß ist ihre Wirkung, wie schrecklich und verhängnisvoll ist das Ergebnis, wenn es daneben Böswillige, Aufkäufer gibt, wenn die öffentliche Not die Grundlage für selbstsüchtige Spekulationen einer Unzahl Kapitalisten bildet, die nicht wissen, was sie mit den ungeheuren Fonds, die die Liquidationen hervorgebracht haben, anfangen sollen.‹

Diese Bewegung vom Ende Februar in Paris trug sehr viel zum Sturz der Gironde bei. Während Robespierre noch hoffte, die Girondisten auf gesetzlichem Wege im Konvent in Schach halten zu können, begriffen die Enragés, daß es keinen tatsächlichen wirtschaftlichen Fortschritt geben konnte, solange die Gironde in der Nationalversammlung herrschte; sie wagten laut zu sagen, daß die Aristokratie des Geldes, der Großkaufleute, der Finanzmänner sich auf den Ruinen der Adelsaristokratie erhob und daß diese neue Aristokratie im Konvent so stark war, daß die Könige es nicht gewagt hätten, Frankreich anzugreifen, wenn sie nicht auf ihren Beistand gerechnet hätten. Es ist sogar sehr wahrscheinlich, daß von da an Robespierre und seine getreuen Jakobiner sich sagten, man müsse die Enragés benutzen, um die Gironde zu vernichten, wobei man später, je nach der Wendung, die die Dinge nahmen, immer noch sehen konnte, wo man mit ihnen gehen oder sie bekämpfen sollte.

Sicher mußten Gedanken wie diese von Chaumette geäußerten den Geist des Volkes in allen großen Städten beschäftigen. In der Tat hatte der Arme alles für die Revolution getan, und während die Bürger sich bereicherten, hatte er allein nichts davon. Selbst da, wo es keine Volksbewegungen gab, die denen in Paris und Lyon ähnlich gewesen wären, mußten die Armen dieselbe Betrachtung anstellen. Und überall mußten sie sehen, daß die Girondisten das Element der Sammlung für alle waren, die um jeden Preis verhindern wollten, daß die Revolution den Armen zugute kam.

In Lyon zeigte der Kampf genau dieselbe Form. In dieser großen Manufakturstadt, in der die Arbeiter von einer Luxusindustrie lebten, muß ein schreckliches Elend geherrscht haben. Es fehlte an Arbeit, und das Brot wurde zu Hungersnotpreisen, zu sechs Sous das Pfund, verkauft.

Zwei Parteien waren in Lyon wie überall vorhanden: die Volkspartei, die von Laussel und hauptsächlich von Chalier vertreten wurde, und die Partei der Bourgeoisie, der ›Commerçantistes‹, die sich um die Girondisten gesammelt hatte, aber nur den günstigsten Augenblick abwartete, um zu den Feuillants überzugehen. Der Maire, Nivière-Chol, ein Girondist, war der Mann der Bürgerpartei. Viele reaktionäre Priester hielten sich in der Stadt verborgen, deren Bevölkerung immer einen Hang zum Mystizismus gehabt hat, und die Agenten der Emigranten kamen in großer Zahl hin. Lyon war ein Sammelpunkt für die Verschwörer, die von Jalès (siehe 31. Kapitel), Avignon, Chambéry und Turin kamen.

Gegen sie hatte das Volk nur die Kommune, deren zwei populärsten Männer Chalier, ein früherer Priester, der jetzt ein mystischer Kommunist war, und ein anderer früherer Priester, Laussel, waren. Die Armen beteten Chalier an, der nicht müde wurde, gegen die Reichen zu wettern.

Die Ereignisse, die in Lyon in den ersten Tagen des März vor sich gingen, sind in ihren inneren Zusammenhängen nicht recht bekannt. Man weiß nur, daß die Arbeitslosigkeit und das Elend schrecklich waren und daß unter den Arbeitern eine starke Gärung herrschte. Diese verlangten festgesetzte Preise für das Getreide und ebenso für die Lebensmittel, die Chaumette ›Lebensmittel zweiten Ranges‹ genannt hatte (Wein, Holz, Öl, Seife, Kaffee, Zucker usw.). Sie verlangten das Verbot des Handels mit Geld und wollten einen Tarif für die Gehälter. Man sprach auch davon, die wucherischen Aufkäufer zu ermorden oder zu guillotinieren, und die Kommune von Lyon (die sich dabei wahrscheinlich auf das Dekret der Gesetzgebenden Versammlung vom 29. August 1792 stützte) ordnete Haussuchungen ähnlich denen an, die am 29. August in Paris stattgefunden hatten, um sich der zahlreichen royalistischen Verschwörer, die in Lyon wohnten, zu bemächtigen. Aber die vereinigten Royalisten und Girondisten sammelten sich um den Maire Nivière-Chol, es gelang ihnen, sich der Gemeindeverwaltung zu bemächtigen, und sie machten Miene, gegen das Volk mit größter Härte vorzugehen. Der Konvent mußte einschreiten, um die Gegenrevolutionäre an der Ermordung der Patrioten zu hindern, und schickte drei Kommissäre nach Lyon. Nunmehr stützten sich die Revolutionäre auf diese Kommissäre und erlangten wieder die Macht in den Sektionen, in die die Reaktionäre eingedrungen waren. Der girondistische Maire wurde genötigt zurückzutreten, und am 9. März wurde ein Freund Chaliers an Stelle von Nivière-Chol gewählt.

Der Kampf war damit noch nicht zu Ende, und wir werden später sehen, wie das Volk und die Patrioten, nachdem die Girondisten ihren Einfluß wiedergewonnen hatten, Ende Mai niedergemetzelt wurden. Für den Augenblick genügt uns, zu erwähnen, daß in Lyon wie in Paris die Girondisten das Element der Sammlung nicht bloß für die waren, die sich der Volksrevolution widersetzten, sondern auch für alle die – Royalisten und Feuillants –, die nichts von der Republik wissen wollten.Am 15. April hatte das Bürgertum von Lyon eine Delegation der Sektionen, die es beherrschte, an den Konvent geschickt, um sich zu beklagen, daß ihre Stadt unter der Tyrannei einer jakobinischen Verwaltung seufzte, die unaufhörlich das Eigentum der reichen Kaufleute anzutasten versuchte. Es forderte das Pariser Bürgertum auf, sich ebenfalls der Sektionen zu bemächtigen. Und Ende April veröffentlichte Pétion seinen Brief an die Pariser, in dem er die Bürger gegen das Volk aufrief und ihnen sagte: ›Euer Eigentum ist bedroht, und ihr schließt die Augen vor der Gefahr . . . Man drangsaliert euch auf jede Weise, und ihr ertragt es mit Geduld.‹ Das war ein direkter Aufruf an das Bürgertum gegen das Volk.

Die Notwendigkeit, der politischen Macht der Gironde ein Ende zu machen, trat also immer deutlicher hervor, und nunmehr kam noch der Verrat Dumouriez' dazu und gab der Bergpartei einen neuen Anstoß.


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