Pjotr Alexejewitsch Kropotkin
Die Große Französische Revolution 1789-1793 – Band II
Pjotr Alexejewitsch Kropotkin

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63. Die Vernichtung der Sektionen

Zwei rivalisierende Gewalten standen zu Ende des Jahres 1793 nebeneinander: die beiden Ausschüsse, der Wohlfahrtsausschuß und der Sicherheitsausschuß, die den Konvent beherrschten, einerseits und die Kommune von Paris andrerseits. Die wahre Kraft der Kommune jedoch bestand weder in ihrem Bürgermeister Pache noch in ihrem Prokurator Chaumette oder seinem Substituten Hébert, noch in ihrem Generalrat. Sie beruhte in den Sektionen. Daher bemühte sich denn auch die Zentralregierung ohne Unterlaß, die Sektionen ihrer Autorität zu unterwerfen.

Als der Konvent den Sektionen von Paris die ›Permanenz‹, das heißt das Recht entzogen hatte, ihre allgemeinen Versammlungen einzuberufen, so oft sie wollten, fingen die Sektionen an, ›Volksgesellschaften‹ oder ›Sektionsgesellschaften‹ zu begründen. Aber diese Gesellschaften wurden von den Jakobinern, an die nun die Reihe gekommen war, Regierungsmänner zu sein, sehr scheel angesehen, und zu Ende des Jahres 1793 und im Januar 1794 sprach man im Jakobinerklub viel gegen diese Gesellschaften – um so mehr, als die Royalisten einen wohlorganisierten Versuch machten, in sie zu dringen und sich ihrer zu bemächtigen. ›Aus dem Leichnam der Monarchie‹, sagte Simond, einer der Jakobiner, ›ist eine Menge giftiger Insekten hervorgegangen, die nicht so dumm sind, die Auferstehung der Monarchie ins Werk setzen zu wollen‹, aber die versuchen, die Krämpfe des politischen Körpers zu verewigen.Jacobins, Bd. II, S. 623. Besonders in der Provinz haben diese ›Insekten Erfolg. Eine Unmenge Emigranten‹, fuhr Simond fort, ›Juristen, Finanzmänner, Agenten der früheren Regierung‹ überschwemmten das Land, drangen in die Volksgesellschaften ein und wurden ihre Präsidenten und Sekretäre.

Es ist kein Zweifel, daß die Volksgesellschaften, die in Paris nichts anderes waren als Sektionsversammlungen, die unter einem andern Namen veranstaltet wurden,Man sehe z. B. bei Ernest Mellié die Statuten der von der Sektion Poissonière gegründeten Volksgesellschaft. sich bald ›gesäubert‹ hätten, um die verkappten Royalisten auszuschließen, und sie hätten das Werk der Sektionen fortgesetzt. Aber ihre ganze Tätigkeit war den Jakobinern, die den Einfluß dieser ›Neulinge‹, die sie ›an Patriotismus überflügeln wollten‹, mit eifersüchtigen Augen betrachteten, mißliebig. – ›Wenn man sie hört‹, sagt derselbe Simond, ›sind die Patrioten von 89 . . . nichts weiter als abgerackerte oder sieche Lasttiere, die man totschlagen muß, weil sie diesen Kiekindiewelt nicht mehr auf der politischen Bahn der Revolution folgen können.‹ Und er verriet die Befürchtungen des jakobinischen Bürgertums, wenn er von der ›vierten Gesetzgebenden Versammlung‹ sprach, die diese Neulinge zu bilden versucht hätten, um weiterzugehen als der Konvent. ›Unsere ärgsten Feinde‹, fügte Jean Bon Saint-André hinzu, ›sind nicht draußen; wir sehen sie; sie sind mitten unter uns; sie wollen die revolutionären Maßnahmen weiter führen als wir.‹Jacobins, Bd. V, S. 624, 625.

Danach spricht Dufourny gegen alle Sektionsgesellschaften, und Deschamps nennt sie ›Vendéen im kleinen‹.

Robespierre seinerseits beeilt sich, sein Lieblingsargument anzubringen – die Umtriebe des Auslandes. »Meine Besorgnisse«, sagte er, »waren nur zu begründet. Ihr seht, die gegenrevolutionäre Tartüfferie herrscht in ihnen. Die Agenten Preußens, Englands und Österreichs wollen durch dieses Mittel die Macht des Konvents und den patriotischen Einfluß der Jakobinergesellschaft vernichtenJacobins, Sitzung vom 26. Dezember 1793, Bd. V, S. 578. Als der Cordelier Momoro die Bemerkung gewagt hatte, die Cordeliers hätten sich oft gefragt, ob sie das Recht hätten, der Bildung der Volksgesellschaften ein Hindernis in den Weg zu legen, da ›das Recht, sich in Volksgesellschaften zu versammeln, geheiligt‹ sei, antwortete Robespierre geradeheraus: »Alles, was das öffentliche Wohl gebietet, entspricht ohne jeden Zweifel den Prinzipien.« Und was das öffentliche Wohl gebot, hatten ohne jeden Zweifel die Jakobiner festzustellen!

Die Feindseligkeit der Jakobiner gegen die Volksgesellschaften ist offenbar eine Feindseligkeit gegen die Sektionen von Paris und die gleichartigen Organisationen in der Provinz, und diese Feindseligkeit ist nur der Ausdruck der Feindschaft der Zentralregierung. Und so wurde den Sektionen sofort, nachdem die revolutionäre Zentralregierung durch das Dekret vom 14. Frimaire (4. Dezember 1793) begründet worden war, das Recht, die Friedensrichter und ihre Sekretäre zu wählen – das sie schon 1789 erobert hatten –, entzogen. Die Richter und ihre Sekretäre sollten künftighin vom Generalrat des Departements ernannt werden (Dekrete vom 8. Nivôse, 28. Dezember 1793, und vom 23. Floréal, 12. Mai 1794). Selbst die Ernennung der Sektionsausschüsse für die öffentliche Wohltätigkeit wurde im Dezember 1793 den Sektionen genommen, um dem Wohlfahrts- und dem Sicherheitsausschuß übertragen zu werden. Der volkstümliche Organismus der Revolution war damit an der Wurzel getroffen.

Hauptsächlich jedoch aus der Konzentration der Funktionen der Polizei ersieht man das Vorgehen der jakobinischen Regierung. Wir haben (im vierundzwanzigsten Kapitel) die Bedeutung der Sektionen als Organe des Gemeindelebens, des revolutionären Lebens von Paris kennengelernt; wir haben gezeigt, was sie für die Verproviantierung der Hauptstadt, für die Musterung der Freiwilligen, für die Aushebung, Bewaffnung und Verschickung der Bataillone, die Fabrikation des Salpeters, für die Organisation der Arbeit, die Sorge für die Bedürftigen usw. getan haben. Aber neben diesen Funktionen erledigten die Sektionen von Paris und die Volksgesellschaften der Provinz auch die Geschäfte der Polizei. Das hatte in Paris schon am 14. Juli 1789 begonnen, als sich Distriktsausschüsse gebildet hatten, die die Polizei übernahmen. Das Gesetz vom 6. September 1789 bestätigte sie in dieser Tätigkeit, und im folgenden Oktober gab sich die damals noch provisorische Gemeindeverwaltung von Paris ihre Geheimpolizei unter dem Namen Fahndungsausschuß. So hatte die aus der Revolution entsprungene Gemeindeverwaltung eine der schlimmsten Traditionen aus der Zeit der Feudalmonarchie übernommen.

Nach dem 10. August bestimmte die Gesetzgebende Versammlung, daß die ganze ›allgemeine Sicherheitspolizei‹ den Departements-, Distrikts- und Gemeinderäten übertragen wurde, und es wurde ein Überwachungsausschuß gebildet, dem in jeder Sektion besondere Ausschüsse unterstanden. Bald aber, je heftiger der Kampf zwischen den Revolutionären und ihren Feinden tobte, waren diese Ausschüsse immer mehr mit Arbeit überbürdet; und so wurden am 21. März 1793 in jeder Gemeinde und in jeder Sektion der Gemeinden der großen Städte, die wie Paris in Sektionen eingeteilt waren, Revolutionsausschüsse gebildet, deren jeder zwölf Mitglieder hatte.

Auf diese Weise wurden die Sektionen vermittelst ihrer Revolutionsausschüsse zu Polizeiabteilungen. Die Geschäfte dieser Ausschüsse waren allerdings zunächst auf die Überwachung der Fremden beschränkt; aber bald bekamen sie Rechte, die ebenso weitgehend waren wie die der Abteilungen der Geheimpolizei in den monarchischen Staaten.Siehe die Rechte, die die Sektion des Panthéon ihrem Ausschuß gab; angeführt bei Ernest Mellié, S. 185.

Und zugleich sieht man, wie die Sektionen, die anfangs Organe der Volksrevolution waren, sich von den Polizeigeschäften ihrer Ausschüsse aufsaugen ließen und wie diese letztern immer weniger Organe der Gemeinde blieben und sich in einfache untergeordnete Organe der Polizei verwandelten, die dem Sicherheitsausschuß unterstellt waren.Man findet in dem Werk von Ernest Mellié, S. 189 ff., sehr interessante Einzelheiten über den ›Wohlfahrtsausschuß des Departements von Paris‹, der ein Organ der Geheimpolizei war, und weitere Mitteilungen.

Der Wohlfahrts- und der Sicherheitsausschuß lösten diese Ausschüsse mehr und mehr von der Kommune – ihrer Nebenbuhlerin, die sie auf diese Weise schwächten – ab und verwandelten sie, indem sie sie an Disziplin und Botmäßigkeit gewöhnten, in Räder des Staatsmechanismus. Und schließlich machte der Konvent unter dem Vorwand, Mißbräuche zu unterdrücken, bezahlte Beamte aus ihnen; er unterstellte zugleich die 44 000 Revolutionsausschüsse dem allgemeinen Sicherheitsausschuß, dem er sogar das Recht beilegte, sie zu ›säubern‹ und ihre Mitglieder selbst zu ernennen.

Der Staat also suchte, wie es die Monarchie im siebzehnten Jahrhundert getan hatte, alles in seinen Händen zu zentralisieren; er nahm der Reihe nach den Organen des Volks das Recht der Ernennung der Richter, der Verwaltung der Einrichtungen für die öffentliche Wohltätigkeit (ohne Frage ebenso ihre andern Verwaltungsgeschäfte) ab; er unterwarf sie in Sachen der Polizei seiner Bureaukratie: das war der Tod der Sektionen und der revolutionären Gemeindeverwaltungen.

In der Tat waren, nachdem das vollbracht war, die Sektionen in Paris und die Volksgesellschaften in der Provinz völlig tot. Der Staat hatte sie verschlungen. Und ihr Tod war der Tod der Revolution. Seit Januar 1794, sagt Michelet, war das öffentliche Leben in Paris vernichtet. ›Die allgemeinen Versammlungen der Sektionen waren nicht mehr, und die Gewalt war in die Hände ihrer Revolutionsausschüsse übergegangen, die selber, da sie nicht mehr gewählt wurden, sondern schlechtweg von der Zentralgewalt ernannte Beamte waren, nicht mehr viel Leben hatten.‹

Wenn es der Regierung beliebte, die Kommune von Paris zu vernichten, konnte sie es jetzt tun, ohne fürchten zu müssen, gestürzt zu werden.

Das tat sie im März 1794 (Ventôse des Jahres II).


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