Pjotr Alexejewitsch Kropotkin
Die Große Französische Revolution 1789-1793 – Band II
Pjotr Alexejewitsch Kropotkin

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40. Bemühungen der Girondisten, die Revolution zum Stillstand zu bringen

Solange es sich darum handelte, den absoluten Monarchismus zu beseitigen, standen die Girondisten in der ersten Reihe. Feurig, unerschrocken, poetisch, voller Bewunderung für die Republiken des Altertums, zugleich machtgierig, wie sie waren, wie hätten sie sich mit dem alten Regime zufriedengeben können.

Während daher die Bauern die Schlösser und die Verzeichnisse der Feudalabgaben verbrannten, während das Volk die Überreste der Leibeigenschaft vernichtete, war es ihre Hauptbeschäftigung, die neuen politischen Regierungsformen herzustellen. Sie sahen sich schon im Besitze der Macht, sahen sich als Herren über die Geschicke Frankreichs, träumten von Armeen, mit denen sie die Freiheit über die ganze Welt tragen wollten.

Dachten sie auch nur daran, daß das Volk Brot brauchte? Sicher ist, daß sie die Widerstandskraft des alten Regimes unterschätzten und daß der Gedanke, das Volk aufzurufen, um es zu besiegen, ihnen durchaus fremd war. Das Volk sollte Steuern zahlen, wählen und dem Staat Soldaten liefern; aber die politischen Formen der Regierung aufzubauen und zu zerstören, mußte das Werk der Denker, der Regierenden, der Staatsmänner sein.

Als daher der König die Deutschen zu Hilfe gerufen hatte und als diese sich Paris näherten, lehnten es die Girondisten, die den Krieg gewollt hatten, um sich des Hofs zu entledigen, ab, an das aufständische Volk zu appellieren, um die Invasion zu vertreiben und die Verräter aus den Tuilerien zu verjagen. Selbst nach dem 10. August war ihnen der Gedanke, die Fremden mit der Revolution zurückzutreiben, so verhaßt, daß Roland die hervorragendsten Revolutionäre – Danton usw. – berief, um ihnen seinen Plan vorzutragen, der darin bestand, die Versammlung und der gefangene König sollten zuerst nach Blois und dann in den Süden übersiedeln, den Norden also der Invasion preisgeben und irgendwo in der Gironde eine kleine Republik gründen.

Das Volk, die revolutionäre Kühnheit des Volkes, die Frankreich rettete, existiert nicht für sie. Sie waren und blieben Bureaukraten.

Im großen und ganzen waren die Girondisten die getreuen Vertreter des Bürgertums.

Je kühner das Volk wurde, je mehr es die Besteuerung der Reichen und den Ausgleich der Vermögen, die Gleichheit als notwendige Bedingung der Freiheit verlangte, um so mehr kam das Bürgertum zu der Überzeugung, es wäre an der Zeit, die Trennung vom Volk vorzunehmen und es zur Ordnung zurückzuführen.

Die Girondisten folgten dieser Strömung.

Nachdem diese bürgerlichen Revolutionäre, die sich bis dahin der Revolution gewidmet hatten, zur Macht gelangt waren, trennten sie sich vom Volk. Die Bemühungen des Volkes, seine politischen Organe in den Sektionen von Paris und den Volksvereinen in ganz Frankreich festzusetzen, sein Verlangen, weiter der Gleichheit zuzumarschieren, das war in ihren Augen eine Gefahr für die ganze besitzende Klasse und ein Verbrechen.

Und von da an entschlossen sich die Girondisten, die Revolution zum Stillstand zu bringen: eine starke Regierung einzusetzen und im Volk Ruhe zu schaffen – mit der Guillotine, wenn es not tat.

Um das große Drama der Revolution, das zum Aufstand von Paris am 31. Mai und zur ›Säuberung‹ des Konvents führte, zu verstehen, muß man die Girondisten selbst lesen; und in dieser Hinsicht sind die Flugschriften von Brissot: J. P. Brissot à ses commettants (J. P. Brissot an seine Wähler, 23. Mai 1793) und A tous les républicains de France (An alle Republikaner Frankreichs, 24. Oktober 1792) besonders lehrreich.

›Ich glaubte‹, sagte Brissot, ›als ich in den Konvent eintrat, die Patrioten müßten, da das Königtum vernichtet war, da alle Gewalten in den Händen des Volks oder seiner Vertreter waren, ihre Haltung entsprechend der veränderten Lage ändern.

Ich glaubte, die Aufstandsbewegung müßte aufhören, weil Gewalt und Aufstand nicht mehr nötig ist, wo es keine Tyrannen mehr zu bekämpfen gibt.‹ (J. P. Brissot à ses commettants, S. 7.)

›Ich glaubte‹, sagte Brissot im weiteren, ›daß die Ordnung allein diese Ruhe herstellen kann, daß die Ordnung in einer frommen Achtung gegen die Gesetze, die Behörden, die Sicherheit der Personen besteht. Ich glaubte infolgedessen auch, die Ordnung sei ein wahrhaft revolutionäres Verfahren. Ich glaubte also, daß die wahrhaften Feinde des Volkes und der Republik die Anarchisten sind, die Verkünder des Ackergesetzes, die Prediger des Aufruhrs.‹ (S. 8 und 9 der nämlichen Flugschrift.) ›Zwanzig Anarchisten‹, sagte Brissot, ›haben sich im Konvent einen Einfluß angemaßt, den nur die Vernunft hätte haben dürfen.‹ ›Wenn man die Debatten verfolgt, sieht man auf der einen Seite Männer, die fortwährend besorgt sind, den Respekt vor den Gesetzen, vor den öffentlichen Gewalten, die eingesetzt sind, und vor dem Eigentum herzustellen, und auf der anderen Seite Männer, die fortwährend damit beschäftigt sind, das Volk in Erregung zu halten, die öffentlichen Gewalten, die eingesetzt sind, mit ihren Verleumdungen in Mißkredit zu bringen, straflos Verbrechen begehen zu lassen und alle Bande der Gesellschaft zu lockern‹ (S. 13).

Allerdings waren die, die Brissot ›Anarchisten‹ nannte, aus sehr verschiedenen Elementen zusammengesetzt. Aber sie hatten alle das eine gemeinsam, daß für sie die Revolution noch nicht zu Ende war und daß sie entsprechend handelten.

Sie wußten, daß der Konvent nichts tun würde, wozu er nicht vom Volke gezwungen wurde. Und aus diesem Grunde organisierten sie die Volksbewegung. In Paris proklamierten sie die souveräne Kommune, und sie suchten die Einheit der Nation nicht vermittelst einer Zentralregierung, sondern durch unmittelbare Verbindung zwischen der Gemeindeverwaltung und den Sektionen von Paris und den sechsunddreißigtausend Kommunen Frankreichs herzustellen.

Und gerade das wollten die Girondisten nicht zulassen.

›Ich habe‹, sagte Brissot, ›schon im Anfang des Konvents darauf hingewiesen, daß es in Frankreich eine Partei der Störenfriede gibt, die die Republik schon in ihrer Wiege zur Auflösung bringen will. – Ich will heute beweisen: erstens, daß diese Anarchistenpartei von herrschendem Einfluß auf fast alle Beratungen des Konvents und auf das Vorgehen des Rats der Exekutive gewesen ist und noch ist; zweitens, daß diese Partei die einzige Ursache aller inneren und auswärtigen Übel, die Frankreich betroffen haben, gewesen ist und noch ist; drittens, daß man die Republik nur retten kann, wenn man mit Strenge vorgeht, um die Volksvertreter dem Despotismus dieser Partei zu entreißen.‹

Für jeden, der den Charakter dieser Zeit kennt, ist diese Sprache deutlich genug. Brissot verlangte ganz einfach die Guillotine für alle, die er die Anarchisten nannte, die die Revolution fortführen und die Abschaffung des Feudalwesens vollenden wollten und die Bourgeois und hauptsächlich die Girondisten hinderten, im Konvent in Ruhe ihren bürgerlichen Brei zu kochen.

›Es ist also nötig, diese Anarchie zu definieren‹, sagt der girondistische Abgeordnete, und man höre seine Definition:

›Gesetze, die nicht ausgeführt werden, öffentliche Gewalten, die ohne Macht und gedemütigt sind, Verbrechen, die straflos gelassen werden, Angriffe aufs Eigentum, die Sicherheit der Person wird verletzt, die Moral des Volkes verdorben; keine Verfassung, keine Regierung, keine Justiz; das sind die Kennzeichen der Anarchie!‹

Aber haben sich nicht auf diese Weise alle Revolutionen durchgesetzt? Als ob das Brissot nicht selbst wüßte, als ob er es nicht praktiziert hätte, bevor er zur Macht gelangte! Drei Jahre lang, vom Mai 1789 bis zum 10. August 1792, mußte man doch wohl die Autorität und die öffentliche Gewalt des Königs demütigen und eine ›öffentliche Gewalt ohne Macht‹ daraus machen, um sie am 10. August stürzen zu können.

Was Brissot wollte, war nur, die Revolution sollte, nachdem sie soweit gekommen war, am nämlichen Tage aufhören.

Sowie das Königtum gestürzt und der Konvent die oberste Gewalt geworden war, ›mußte‹, sagt er uns, ›jede Aufstandsbewegung aufhören‹.

Was den Girondisten besonders widerstrebte, war die Tendenz der Revolution zur Gleichheit – eben die Tendenz, die in dieser Zeit, wie FaguetL'œuvre sociale de la Révolution française, eine Sammlung mit Einleitung von Emile Faguet. Paris, 1900? (o. J.). sehr richtig bemerkt hat, die Haupttendenz der Revolution war. Daher kann Brissot dem Jakobinerklub nicht verzeihen, daß er nicht den Namen Freunde der Republik, sondern ›Freunde der Freiheit und Gleichheit, der Gleichheit vor allem‹ angenommen hat. Und er kann ›den Anarchisten‹ nicht verzeihen, daß sie die Petitionen ›jener Arbeiter von Paris hervorgerufen haben, die sich die Nation nennen und die ihre Entschädigung nach der der Abgeordneten bewerten wollten‹ (S. 29).

›Die Störenfriede‹, sagt er an anderer Stelle, ›sind die, die alles, das Eigentum, den Wohlstand, den Preis der Lebensmittel, der verschiedenen Dienste, die der Gesellschaft geleistet werden usw., gleichmachen wollen; die wollen, daß der Arbeiter dieselbe Entschädigung erhält wie der Gesetzgeber; die selbst die Talente, die Kenntnisse, die Tugenden gleichmachen wollen, weil sie von alledem nichts haben.‹ (Flugschrift vom 24. Oktober 1792.)


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