Pjotr Alexejewitsch Kropotkin
Die Große Französische Revolution 1789-1793 – Band II
Pjotr Alexejewitsch Kropotkin

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

51. Die Nationalgüter

Die Revolution vom 31. Mai übte ihre heilsame Wirkung auch auf den Verkauf der Nationalgüter aus. Bis dahin hatte dieser Verkauf hauptsächlich den reichen Bürgern genützt. Jetzt sorgte die Bergpartei dafür, daß die Güter, die zum Verkauf ausgesetzt wurden, von solchen Armen gekauft werden konnten, die sie selbst bestellen wollten.

Als die Güter des Klerus und später die der Emigranten von der Revolution beschlagnahmt und zum Verkauf ausgesetzt wurden, zerlegte man anfangs einen Teil dieser Güter in kleine Lose und ließ den Käufern zwölf Jahre Zeit zur Zahlung des Kaufpreises. Aber das wurde anders, je mehr die Reaktion von 1790 auf 91 wuchs und das Bürgertum seine Macht befestigte. Andererseits verkaufte auch der Staat, der an Geldmangel litt, lieber sofort an Spekulanten. Man wollte die Güter nicht mehr zerteilen, man verkaufte im ganzen an Personen, die spekulieren wollten und bar bezahlten. Es kam allerdings manchmal vor, daß die Bauern sich zusammentaten und Syndikate bildeten, um kaufen zu können, aber die Gesetzgebung betrachtete diese Syndikate mit mißgünstigen Blicken, und eine ungeheure Menge Güter gingen in die Hände der Spekulanten über. Die kleinen Bauern, die Tagelöhner, die Handwerker in den Städten, die Notleidenden beklagten sich darüber. Aber die Gesetzgebende Versammlung lieh ihren Klagen kein Ohr.Ph. Sagnac, La Législation civile de la Révolution française, S. 777.

Mehrere Wahlhefte hatten verlangt, die Länder der Krone und der toten Hand um Paris sollten geteilt und in Losen von ein bis fünf Morgen verpachtet werden. Die Bewohner von Artois verlangten sogar, die Pachtgüter sollten nicht größer sein als ›dreihundert Ellen im Geviert‹ (Sagnac, S. 80). Aber wie schon Avenel gesagt hat, ›weder in den Reden, die darüber [in der Nationalversammlung] gehalten wurden, noch in den Gesetzen, die beschlossen wurden, finden wir ein einziges Wort zugunsten derer, die kein Land hatten . . . Niemand in der Nationalversammlung schlug die Organisation eines Nationalkredits vor, damit diese Ausgestoßenen sich einige Parzellen erwerben konnten . . . Man beachtete nicht einmal den Wunsch einiger Blätter, wie z. B. des Moniteur, die vorschlugen, die Hälfte der verkäuflichen Ländereien sollten zu Losen im Preise von fünftausend Franken geteilt werden, um eine gewisse Anzahl kleiner Eigentümer zu schaffen.‹Avenel, Lundis révolutionnaires, S. 30; Karejew, S. 519.

Meistens wurden die Grundstücke von den Bauern erworben, die schon Land hatten, oder von Bürgern, die aus der Stadt kamen – was in der Vendée viel böses Blut machte.

Aber nunmehr erhob sich das Volk am 10. August. Jetzt, unter der Drohung des aufständischen Volkes, suchte die Gesetzgebende Versammlung die Klagen zu beruhigen und ordnete an, die Güter der Emigranten sollten in kleinen Lehen von zwei bis vier Morgen zum Verkauf ausgesetzt werden und sollten gegen eine jährlich in Geld zu zahlende Pacht in Erbpacht gegeben werden. Die jedoch, die gegen Barzahlung kaufen, haben immer den Vorzug.

Am 3. Juni 1793 gab der Konvent nach der Ausstoßung der Girondisten das Versprechen, jedem proletarischen Familienvorstand in den Dörfern einen Morgen zu geben, und es gab eine gewisse Zahl Konventsmitglieder, die auf Mission waren, die das in der Tat durchführten und an die ärmsten Bauern kleine Lose Landes verteilten. Aber erst am 2. Frimaire des Jahres II (22. November 1793) ordnete der Konvent an, die zum Verkauf ausgesetzten Nationalgüter sollten soviel wie möglich in kleine Stücke zerteilt werden. Für den Ankauf der Güter der Emigranten wurden günstige Bedingungen für die Armen geschaffen, und sie blieben bis 1796 in Kraft, zu welcher Zeit die Reaktion sie abschaffte.

Es muß jedoch gesagt werden, daß es um die Finanzen der Republik dauernd überaus schlecht bestellt war. Die Steuern gingen schlecht ein, und der Krieg verschlang Milliarden über Milliarden. Die Assignaten sanken im Wert, und in dieser Lage war die Hauptsache, durch den Verkauf der Nationalgüter so schnell wie möglich Geld zu bekommen, um eine entsprechende Menge Assignaten der früheren Emissionen zu vernichten. Das ist der Grund, warum die Herrschenden, die Bergpartei ebensowohl wie die Girondisten, viel weniger an den kleinen Bauern dachten als an die Notwendigkeit, sofort möglichst große Summen in die Hand zu bekommen. Wer bar zahlte, hatte immer den Vorzug.

Und doch, trotz alledem, trotz all den Mißbräuchen und Spekulationen, geschahen beträchtliche Verkäufe in kleinen Losen. Neben den Bürgern, die durch den Ankauf der Nationalgüter mit einem Schlage reich wurden, gab es in manchen Teilen Frankreichs, besonders im Osten, ansehnliche Mengen Landes, die (wie Lutschizky gezeigt hat) in kleinen Losen in die Hände der armen Bauern übergingen. In jenen Gegenden vollzog sich eine wahre Revolution in der Besitzverteilung.

Und es muß hinzugefügt werden, daß es die Idee der Revolution war, die Klasse der adligen Großgrundbesitzer zu treffen und die großen Besitzungen durch die Abschaffung des Erstgeburtsrechts in der Erbfolge zu zerstören. Zu diesem Zweck unterdrückte sie zunächst, schon am 15. März 1790, die feudale Erbfolge, auf Grund deren die Herren ihre Besitzungen einem einzigen ihrer Nachkommen, gewöhnlich dem ältesten Sohne, hinterließen. Im folgenden Jahr (8./15. April 1791) wurde jede gesetzliche Ungleichheit im Recht der Erbfolge abgeschafft. ›Alle Erben gleichen Grades treten in gleichen Teilen die Erbschaft an, die ihnen auf Grund des Gesetzes zukommt.‹ Allmählich wird die Zahl der Erben durch Berücksichtigung der Erbfolge in der Seitenlinie und der natürlichen Kinder vergrößert, und endlich am 7. März 1793 schaffte der Konvent ›die Erlaubnis, über seinen Besitz, sei es für den Fall des Todes, sei es unter Lebenden, sei es durch vertragsmäßige Schenkung in direkter Linie zu verfügen‹, ab; alle Deszendenten sollen vom Besitz der Aszendenten einen gleichen Anteil bekommen.

Damit war die Zerstückelung des Besitzes, wenigstens im Fall der Erbschaft, obligatorisch gemacht.

Was war die Wirkung dieser drei großen Maßnahmen – der Abschaffung der Feudalrechte ohne Ablösung, der Rückgabe der Gemeindeländereien an die Gemeinden und des Verkaufs der der Geistlichkeit und den Emigranten beschlagnahmten Güter? Wie wirkten sie auf die Verteilung des Grundeigentums? Diese Frage wird bis zum heutigen Tage diskutiert, und die Meinungen bleiben immer widersprechend. Man kann sogar sagen, daß sie, je nachdem die Studien des einen oder des andern Forschers sich auf den einen oder den andern Teil Frankreichs erstrecken, verschieden ausfallen.In der Côte-d'Or wurden die geistlichen Güter viel mehr von den Bürgern als von den Bauern erworben. Umgekehrt verhält es sich mit den Emigrantengütern, die in demselben Landstrich hauptsächlich von den Bauern gekauft wurden. Im Laonnais haben die Bauern mehr geistliche Güter gekauft als die Bürger; und die Emigrantengüter verteilten sich in dieser Gegend annähernd gleich auf die beiden Gruppen. Im Norden haben die Bauerngenossenschaften viele Grundstücke gekauft (Sagnac, S. 188).

Eine Tatsache ragt aber über alle andern hervor, und diese steht unbestreitbar fest. Der Grundbesitz wurde geteilt. In den Gegenden, wo die Revolution die Massen ergriffen hatte, gingen große Mengen Landes in die Hände der Bauern über. Und überall begann das frühere düstere Elend, das furchtbare Elend des Ancien régime zu verschwinden. Die chronische Hungersnot, die in bestimmten Zeitabständen in einem Drittel Frankreichs wütete, hat das neunzehnte Jahrhundert nicht mehr gekannt.

Vor der Revolution herrschte in jedem Jahr in einem oder dem andern Teil Frankreichs die Hungersnot. Die Lage war genau dieselbe wie heutzutage in Rußland. Soviel der Bauer auch arbeitete, es gelang ihm nicht, von einer Ernte zur andern Brot zu haben. Er pflügte schlecht, seine Aussaat war schlecht, sein mageres Zugvieh, das aus Mangel an Nahrung erschöpft war, gab ihm nicht den nötigen Dünger, um den Boden zu verbessern. Von Jahr zu Jahr wurden die Ernten schlechter. ›Wie in Rußland‹, muß man sich auf jeder Seite sagen, wenn man die Dokumente und die Werke liest, die von dem bäuerlichen Frankreich unter dem Ancien régime handeln.

Aber die Revolution kommt. Ein furchtbarer Sturm bricht los. Die Leiden, die die Revolution und hauptsächlich der Krieg mit sich führt, sind unerhört, sind tragisch. Manchmal glaubt man den Abgrund zu sehen, in dem Frankreich versinken muß! Dann kommt die Reaktion des Direktoriums, es kommen die Kriege des Kaiserreichs. Es kommt schließlich die Reaktion der Bourbonen, die im Jahre 1814 durch die Koalition der Könige und der Kaiser wieder auf den Thron kommen. Es kommt mit ihnen der weiße Schrecken, der noch furchtbarer ist als der rote. Und da sagen dann die Oberflächlichen: ›Ihr seht wohl, daß die Revolutionen keinen Wert haben!‹ Zwei Dinge jedoch hat keine Reaktion ändern können. Frankreich ist durch die Revolution dermaßen demokratisiert worden, daß niemand, der in Frankreich gelebt hat, in einem andern Lande Europas leben kann, ohne sich zu sagen: ›Man sieht bei jedem Schritt, daß die Große Revolution hier nicht gewesen ist.‹ Der Bauer ist in Frankreich ein Mensch geworden. Er ist nicht mehr ›das wilde Tier‹, von dem La Bruyère gesprochen hat. Er ist ein denkendes Wesen. Der ganze Anblick des ländlichen Frankreich ist durch die Revolution ein anderer geworden, und auch der weiße Schrecken hat es nicht zustande gebracht, daß der französische Bauer in den alten Zustand zurückgekehrt ist. Gewiß gibt es noch viel zuviel Armut in den Dörfern, in Frankreich wie anderswo; aber diese Armut ist Reichtum im Vergleich mit dem, was Frankreich vor hundertfünfzig Jahren gewesen ist, und mit dem, was wir noch heutzutage in den Ländern sehen, wo die Revolution nicht hingekommen ist.


 << zurück weiter >>