Pjotr Alexejewitsch Kropotkin
Die Große Französische Revolution 1789-1793 – Band II
Pjotr Alexejewitsch Kropotkin

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37. Die Regierung – Kämpfe im Konvent – Der Krieg

Die erste Sorge des Konvents war nicht etwa, zu entscheiden, was mit dem abgesetzten König geschehen sollte, sondern festzusetzen, welche Partei den Nutzen von dem Siege haben sollte, den das Volk über die Tuilerien errungen hatte, wer die revolutionäre Regierung sein sollte. Und darüber entspannen sich Kämpfe, die acht Monate lang die rechte Entwicklung der Revolution hemmten, die großen Fragen des Grundbesitzes und andere bis zum Juni 1793 unentschieden ließen und das Volk dazu brachten, daß es seine Energie erschöpfte, daß es sich der Gleichgültigkeit und Lässigkeit ergab, die das Herz der Zeitgenossen bluten ließ und die Michelet so richtig gefühlt hat.

Die Gesetzgebende Versammlung hatte am 10. August, nachdem sie die Suspension des Königs ausgesprochen hatte, alle Funktionen der zentralen Exekutivgewalt einem Rat übertragen, der aus sechs Ministern, die nicht aus ihrer Mitte gewählt waren, bestand, meistens Girondisten – Roland, Servan, Clavière, Monge und Lebrun – und außerdem Danton, den die Revolution zum Posten des Justizministers erhoben hatte. Dieser Rat hatte keinen Präsidenten; jeder Minister präsidierte abwechselnd eine Woche lang.

Der Konvent bestätigte diese Einrichtung; aber Danton, der die Seele der nationalen Verteidigung und der Diplomatie geworden war und einen überwiegenden Einfluß im Rate ausübte, wurde bald durch die Angriffe der Gironde gezwungen zurückzutreten. Er verließ das Ministerium am 9. Oktober 1792 und wurde durch den unbedeutenden Garat ersetzt. Nunmehr wurde Roland, der Minister des Innern, der diesen Posten bis zum Januar 1793 behielt (er trat nach der Hinrichtung des Königs zurück), der einflußreichste Mann dieses Rates der Exekutive. Auf diesem Posten übte er seinen ganzen Einfluß aus und machte es den Girondisten, die sich um ihn und seine Frau gruppierten, möglich, ihre ganze Energie zu entfalten, um die Revolution daran zu hindern, sich auf den großen Linien weiterzuentwickeln, die ihr seit 1789 vorgeschrieben waren: die Errichtung der Demokratie des Volkes, die endgültige Abschaffung des Feudalwesens und die Vorbereitung der Ausgleichung der Vermögen. Indessen blieb Danton die Seele der Diplomatie, und als im April 1793 der Wohlfahrtsausschuß errichtet wurde, wurde er der wirkliche Minister des Auswärtigen dieses Ausschusses.Aulard gibt in seiner Histoire politique, 2. Auflage, S. 315–317, eine ausgezeichnete Zusammenstellung dieser verschiedenen Veränderungen.

Die Gironde, die so zur Macht gelangt war und den Konvent beherrschte, wußte indessen nichts Positives zu tun. Wie Michelet sehr gut gesagt hat, hielt sie hochtrabende Reden, aber sie tat nichts. Sie hatte weder den Mut zu revolutionären Maßnahmen noch zu offener Reaktion. Infolgedessen blieben die wahre Gewalt, die Initiative und Aktion für den Krieg und die Diplomatie in den Händen Dantons, und für die revolutionären Maßnahmen im Innern in den Händen der Kommune von Paris, der Sektionen, der Volksvereine und zum Teil des Jakobinerklubs. Die Gironde, die zum Handeln unfähig war, richtete ihre wütenden Angriffe gegen die, die handelten, hauptsächlich gegen ›das Triumvirat‹ von Danton, Marat und Robespierre, die sie heftig diktatorischer Bestrebungen beschuldigte. Es gab Tage, wo man sich fragte, ob diese Angriffe nicht zum Ziel führen würden, ob nicht Danton verbannt und Marat aufs Schafott geschickt würde.

Da indessen die Revolution ihre lebendigen Kräfte noch nicht erschöpft hatte, schlugen alle diese Angriffe fehl. Sie bewirkten nur, daß sich das Volk für Marat leidenschaftlich einsetzte (hauptsächlich in den Faubourgs Saint-Antoine und Saint-Marceau); sie vergrößerten den Einfluß Robespierres in den Augen der Jakobiner und des demokratischen Bürgertums; und sie hoben Danton in den Augen aller derer, die das republikanische Frankreich liebten, das im Kampf gegen die Könige stand, und in ihm den Mann des Handelns sahen, der imstande war, der Invasion die Spitze zu bieten, die royalistischen Komplotte im Innern zu vereiteln und die Republik zu befestigen, und der dabei seinen Kopf und seinen politischen Ruf aufs Spiel setzte.

Gleich in den ersten Sitzungen des Konvents erneuerte seine rechte Seite, die Girondisten, schon den gehässigen Kampf gegen die Kommune von Paris, den sie in der Gesetzgebenden Versammlung seit dem 11. August geführt hatte. Dem Aufstand, den die Kommune vorbereitet hatte, verdanken sie ihre Macht – und eben sie greifen sie jetzt mit einem Haß an, den sie gegen die Verschwörer des Hofes nie hatten aufbringen können.

Es wäre ermüdend, hier lang und breit diese Angriffe der Gironde gegen die Kommune zu erzählen. Es genügt, einige zu erwähnen.

Zunächst handelt es sich um das Verlangen nach Rechnungsablegung, das sowohl an die Kommune und ihr Überwachungskomitee wie an Danton gerichtet wurde. Es ist klar, daß in den bewegten Monaten August und September 1792, unter den außergewöhnlichen Umständen, die durch die Bewegung des 10. August und die Invasion des Auslands erzeugt worden war, das Geld von Danton, dem einzigen tatkräftigen Mann des Ministeriums, ohne viel Rechnungen ausgegeben werden mußte, zum Beispiel für die diplomatischen Verhandlungen, die zum Rückzug der Preußen führten, zur Aufdeckung der Fäden des Komplotts des Marquis de la Rouërie in der Bretagne und der Prinzen in England und anderswo. Es ist ferner durchaus einleuchtend, daß es dem Überwachungskomitee der Kommune, das die Freiwilligen ausrüstete und sie jeden Tag in aller Eile zur Grenze schickte, nicht leicht war, sehr genau Buch zu führen. Gerade gegen diesen schwachen Punkt nun führten die Girondisten ihre ersten Hiebe und ihre Verdächtigungen, indem sie (schon am 30. September) eine vollständige Rechnungslegung verlangten. Der Exekutive der Kommune (dem Überwachungskomitee) gelang es, glänzend Rechnung zu legen und ihre politischen Akte zu rechtfertigen.Von 713 885 Livres Einnahme hatte es nur 85 329 Livres ausgegeben, über die es glänzend Rechenschaft ablegte (Louis Blanc, II, 62). Giraud bewies später in seiner Verteidigung auf die Anklage des Schreckensregiments, daß das Komitee in vier Monaten 320 Personen hatte verhaften lassen. Wären nur die girondistischen Terroristen nach dem Thermidor auch so bescheiden gewesen! Aber was die Provinz anging, blieb ein Zweifel hinsichtlich der Ehrlichkeit an Danton und der Kommune hängen, und die Briefe der Girondisten an ihre Freunde und ihre Wähler machten sich diesen Zweifel in jeder nur möglichen Weise zunutze.

Zur selben Zeit versuchten die Girondisten eine gegenrevolutionäre Garde zu bilden. Sie wollten, daß das Direktorium jedes Departements (die Direktorien waren, wie man weiß, reaktionär) vier Mann Infanterie und zwei Berittene – im ganzen 4470 Mann – nach Paris schickte, um den Konvent gegen die möglichen Angriffe des Volks von Paris und seiner Kommune zu schützen. Und es bedurfte einer lebhaften Agitation der Sektionen, die Spezialkommissäre ernannten, um gegen diesen Beschluß vorzugehen, und mit einem neuen Aufstand drohten, um die Bildung dieser gegenrevolutionären Garde in Paris zu verhindern.

Aber insbesondere die Septembermorde hörten die Girondisten nicht auf auszubeuten, um Danton anzugreifen, der in diesen Tagen Hand in Hand mit der Kommune und den Sektionen gegangen war. Nachdem sie diese Tage durch den Mund Rolands ›mit dem Schleier bedeckt‹ und fast gerechtfertigt hatten (siehe 35. Kapitel), wie sie früher die Morde von la Glacière in Lyon durch den Mund Barbaroux' gerechtfertigt hatten,Nach langen Kämpfen zwischen der revolutionären Bevölkerung von Lyon und dem Teil, der den Priestern folgte, und nach der Ermordung des Patrioten Lescuyer in einer Kirche (man zürnte ihm, weil er die geistlichen Güter zum Verkauf gestellt hatte) gab es einen Aufstand der revolutionären Arbeiterbevölkerung, der in der Ermordung von 60 Royalisten gipfelte, deren Leichen in die Tiefe des Turms la Glacière geworfen wurden; der girondistische Abgeordnete Barbaroux rechtfertigte diese Morde. gingen sie jetzt im Konvent so geschickt vor, daß sie am 20. Januar 1793 eine Verfolgung gegen die Urheber der Septembermorde durchsetzten in der Hoffnung, darin den Ruf Dantons, Robespierres, Marats und der Kommune zu begraben.

Allmählich gelang es so den Girondisten, die sich die konstitutionelle und royalistische Strömung zunutze machten, welche sich im Bürgertum nach dem 10. August verstärkte, in der Provinz eine Stimmung zu erzeugen, die gegen Paris, seine Kommune und die ganze Bergpartei feindselig war.

Mehrere Departements schickten sogar Detachements von Föderierten, um den Konvent gegen ›die Agitatoren, die nach dem Tribunat und der Diktatur lüstern sind‹, nämlich Danton, Marat und Robespierre und gegen die Pariser Bevölkerung zu schützen. Auf die Aufforderung von Barbaroux schickte Marseille – dieses Mal das kaufmännische Marseille – im Oktober 1792 ein Bataillon Föderierte nach Paris, das aus reichen jungen Leuten der Handelsstadt gebildet war, die durch die Straßen liefen und die Köpfe von Robespierre und Marat verlangten. Das waren die Vorläufer der Reaktion des Thermidor; aber das Volk von Paris vereitelte diesen Plan, indem es die Föderierten für die Sache der Revolution gewann.

Inzwischen verfehlten die Girondisten nicht, die föderative Vertretung der Sektionen von Paris direkt anzugreifen. Sie wollten um jeden Preis die aufständische Kommune vom 10. August vernichten und setzten Ende November Neuwahlen für den Generalrat der Pariser Gemeindeverwaltung durch. Pétion, der girondistische Bürgermeister, trat zu gleicher Zeit zurück. Jedoch vereitelten die Sektionen auch jetzt noch diese Manöver. Nicht nur hatten die Bergparteiler die Mehrheit der Stimmen bei den Wahlen, sondern ein so vorgeschrittener und volkstümlicher Revolutionär wie Chaumette wurde zum Prokurator der Kommune ernannt, und der Redakteur des Père Duchesne, Hébert, wurde sein Substitut (2. Dezember 1792). Pétion, der der revolutionären Stimmung des Volkes von Paris nicht mehr entsprach, wurde nicht wiedergewählt, und Chambon, ein Gemäßigter, trat an seine Stelle; aber er blieb nur zwei Monate, und am 14. Februar 1793 wurde er durch Pache ersetzt.

So bildete sich die revolutionäre Kommune von 1793, die Kommune von Pache, Chaumette und Hébert, die die Rivalin des Konvents wurde und eine so mächtige Rolle spielte, daß sie am 31. Mai 1793 die Girondisten vertreiben konnte und die volkstümliche, gleichheitliche, antireligiöse und zum Teil kommunistische Revolution des Jahres II der Republik energisch vorwärtsbrachte.

 

Die große Frage des Augenblicks war der Krieg. Vom Erfolg der Armeen hing ohne Frage die weitere Entwicklung der Revolution ab.

Wir haben gesehen, daß die vorgeschrittenen Revolutionäre, wie Marat und Robespierre, den Krieg nicht gewollt hatten. Aber der Hof rief die deutsche Invasion herbei, um den königlichen Absolutismus zu retten; die Geistlichen und Adeligen drängten leidenschaftlich zum Krieg, um ihre alten Privilegien wiederzubekommen; und die Regierungen der Nachbarstaaten sahen in ihm das Mittel, den revolutionären Geist zu bekämpfen, der schon in ihren Gebieten erwachte, und zugleich die Gelegenheit, Frankreich Provinzen und Kolonien zu entreißen. Auf der anderen Seite wünschten die Girondisten den Krieg, weil sie in ihm das einzige Mittel sahen, die Gewalt des Königs zu beschränken, ohne an die Volkserhebung zu appellieren. ›Weil ihr den Appell ans Volk nicht wollt, wollt ihr den Krieg‹, sagte ihnen Marat und hatte recht.

Im Volke sahen die Bauern der Grenzdepartements, als sie gewahrten, wie die deutschen Armeen von den Emigranten herbeigeholt wurden und ihre Massen sich am Rhein und in den Niederlanden versammelten, wohl ein, daß es sich für sie darum handelte, mit bewaffneter Hand ihre Rechte an den Ländereien zu verteidigen, die sie den Adeligen und der Geistlichkeit wieder genommen hatten. Als daher am 20. April 1792 Österreich der Krieg erklärt wurde, ergriff ein furchtbarer Enthusiasmus die Bevölkerungen der Departements an der Ostgrenze. Die Aushebungen von Freiwilligen auf ein Jahr wurden mit großer Begeisterung unter dem Gesang des Ça ira durchgeführt, und die patriotischen Gaben flossen von allen Seiten zusammen. Aber in den Gegenden im Westen und Südwesten war es anders. Da wollte die Bevölkerung nichts von Krieg wissen.

Überdies war nichts für den Krieg vorbereitet. Die Streitkräfte Frankreichs, die nicht über 130 000 Mann stark waren und von der Nordsee bis zur Schweiz zerstreut, überdies schlecht ausgerüstet und von royalistischen Offizieren geführt waren, waren außerstande, der Invasion entgegenzutreten.

Dumouriez und Lafayette faßten zuerst den kühnen Plan, schnell nach Belgien vorzudringen, das schon 1790 versucht hatte, sich von Österreich loszureißen, aber mit Waffengewalt niedergehalten worden war. Die belgischen Liberalen riefen die Franzosen herbei. Aber das Unternehmen ging fehl, und von jetzt an hielten sich die französischen Befehlshaber in der Defensive, um so mehr, als sich Preußen Österreich und den deutschen Fürsten zum Angriff auf Frankreich angeschlossen hatte und als diese Koalition vom Hof von Turin stark unterstützt wurde und von den Höfen von St. Petersburg und London heimlichen Beistand erhielt.

Am 26. Juli 1792 setzte sich der Herzog von Braunschweig, der eine Invasionsarmee von 70 000 Preußen und 68 000 Österreichern, Hessen und Emigranten befehligte, von Koblenz aus in Bewegung und erließ ein Manifest, das die Entrüstung ganz Frankreichs erregte. Er stellte in Aussicht, die Städte, die es wagten, sich zu verteidigen, in Brand zu stecken und die Einwohner als Rebellen erschießen zu lassen. Wenn Paris es wagen sollte, das Schloß Ludwigs XVI. zu erstürmen, sollte es eine militärische Exekution erleben, die exemplarisch und für ewige Zeiten denkwürdig sein sollte.

Drei deutsche Armeen sollten Frankreich überziehen und auf Paris marschieren, und am 19. April überschritt die preußische Armee die Grenze und besetzte ohne Kampf Longwy und Verdun.

Wir haben gesehen, welche Begeisterung die Kommune in Paris beim Eintreffen dieser Nachrichten erregte und wie sie auf sie damit antwortete, daß sie die Bleisärge der Reichen einschmelzen ließ, um daraus Kugeln zu machen, und ebenso die Glocken und Bronzestücke der Kirchen, um Kanonen daraus zu machen, während die Tempel sich in große Werkstätten verwandelten, wo Tausende von Menschen unter dem Gesang des Ça ira und der mächtigen Hymne von Rouget de Lisle damit beschäftigt waren, die Uniformen der Freiwilligen zu nähen.

Die Emigranten hatten die koalierten Könige in den Glauben versetzt, sie würden Frankreich bereit finden, sie mit offenen Armen zu empfangen. Aber die unverhüllt feindselige Haltung der Bauern und die Septembertage in Paris machten die Eindringlinge nachdenklich. Die Bewohner der Städte und die Bauern der Departements des Ostens verkannten nicht, daß der Feind gekommen war, um ihnen alles, was sie erobert hatten, wieder zu nehmen, und hauptsächlich im Osten war es der Erhebung der Städte und der Dörfer geglückt, den Feudalismus niederzuschlagen.

Aber die Begeisterung genügte nicht zum Siege. Die preußische Armee rückte vor, und im Verein mit der österreichischen Armee betrat sie schon den Argonnerwald, der sich auf eine Länge von elf Meilen erstreckt und das Tal der Meuse von der lausigen Champagne trennt. Die Armee Dumouriez' versuchte vergeblich, durch Eilmärsche die Invasion am Vordringen zu hindern. Es gelang ihr nur, rechtzeitig eine vorteilhafte Stellung bei Valmy am Ausgang des großen Waldes einzunehmen, und hier erlitten die Preußen am 20. September ihre erste Niederlage, als sie versuchten, die Abhänge, die von den Soldaten Dumouriez' besetzt waren, zu erstürmen. Unter diesen Umständen war die Schlacht bei Valmy ein wichtiger Sieg – der erste Sieg der Völker über die Könige und wurde als solcher von Goethe begrüßt, der die Armee des Herzogs von Braunschweig begleitete.

In der preußischen Armee, die zuerst von strömendem Regen im Argonnerwald aufgehalten wurde und in den unfruchtbaren Ebenen, die sich vor ihr ausdehnen, an allem Not litt, war die Ruhr ausgebrochen, die furchtbare Verheerungen in ihr anrichtete. Die Wege waren aufgeweicht, die Bauern lauerten den Soldaten auf – alles deutete auf einen unglücklichen Feldzug hin.

Nunmehr verhandelte Danton mit dem Herzog von Braunschweig über den Rückzug der Preußen. Welches die Bedingungen waren, weiß man bis zum heutigen Tage nicht. Versprach Danton, wie man behauptet hat, alles aufzubieten, um das Leben Ludwigs XVI. zu retten? Es ist möglich. Aber wenn dieses Versprechen gegeben wurde, konnte es nur unter Bedingungen geschehen sein, und wir wissen nicht, was für Gegenleistungen die Feinde außer dem sofortigen Rückzug der Preußen versprochen hatten. Wurde ein gleichzeitiger Rückzug der Österreicher in Aussicht gestellt? Sprach man von einem formellen Verzicht Ludwigs XVI. auf den französischen Thron? Wir können darüber nur Vermutungen anstellen.Es besteht Grund zu der Annahme, daß die von den Ministern Katharinas II. vorbereitete Teilung Polens den Rückzug der preußischen Truppen ebenfalls beeinflußt hat. Der König von Preußen bestand bei der Teilung Polens auf seinem Anteil. Im Zusammenhang mit der These, einer der Gründe für den Rückzug der preußischen Truppen aus Frankreich könnte der Wunsch Preußens gewesen sein, auf seinen Anteil an Polen nicht zu verzichten, hat mir Professor Ernest Nys folgenden interessanten Auszug aus den kürzlich erschienenen Memoiren des Comte de Bray zukommen lassen. ›Die Schlacht von Valmy‹, so schreibt der Herausgeber dieser Memoiren, Oberst E. de Bray, ›bestand nur aus einer Kanonade, bei der beide Seiten insgesamt 500 Mann verloren; die französischen Truppen bewiesen Standfestigkeit, und so zogen sich die Preußen, die geglaubt hatten, nur auf eine Räuberbande zu treffen, zurück. Daraufhin nahmen Dumouriez und der Herzog von Braunschweig Verhandlungen auf. Der Konvent verlangte die Räumung des französischen Territoriums. Die Preußen, die auf ihrem Weg nach Paris auf ein solch unerwartetes Hindernis gestoßen waren, begriffen, daß dieses Unternehmen sie beträchtliche, all ihre Mittel verschlingende Anstrengungen kosten würde, während indessen in Polen die Russen frei schalten und walten könnten. Das hätte einen Verzicht auf die Beute um ihres Schattens willen bedeutet. Die Teilung Polens ließ sich leichter bewältigen als die Eroberung Frankreichs . . . Die Politik der Verbündeten orientierte sich auf die polnische Frage.‹ (Mémoire du Comte de Bray, ministre et ambassadeur de S. M. Maximilian, Premier roi de Bavière. Publies par le Colonel d'État-Major E. de Bray, Bd. 1, Brüssel 1912, S. 311 ff.)

Mit dieser Bemerkung kommt Oberst de Bray der Wahrheit sehr nahe, und deshalb ist es wahrscheinlich, daß Ludwig XVI. dem Herzog von Braunschweig keinerlei konkrete Zusagen gemacht hat.

Fest steht nur, daß am 1. Oktober der Herzog von Braunschweig seinen Rückzug über Grand Pré und Verdun antrat. Gegen Ende des Monats zog er bei Koblenz wieder über den Rhein, und die Emigranten sandten ihm ihre Flüche nach.

Daraufhin kam Dumouriez, nachdem er Westermann den Befehl gegeben hatte, die Preußen ›höflich zurückzuführen‹ ohne sie allzusehr zu bedrängen, am 11. Oktober nach Paris, offenbar um das Terrain zu sondieren und festzustellen, wie er sich zu verhalten hatte. Er setzte es durch, daß er der Republik den Eid nicht leistete, was nicht hinderte, daß er von den Jakobinern sehr gut aufgenommen wurde, und seitdem ging er ohne Zweifel daran, die Thronkandidatur des Herzogs von Chartres eifrig zu betreiben.

Die Aufstandsbewegung, die in der Bretagne von dem Marquis de la Rouërie vorbereitet worden war und die zur selben Zeit ausbrechen sollte, wo die Deutschen auf Paris marschierten, wurde ebenfalls unterdrückt. Sie wurde Danton verraten, dem es gelang, alle ihre Fäden sowohl in der Bretagne wie in London aufzudecken. Aber London blieb der Mittelpunkt der Verschwörungen der Prinzen, und die Insel Jersey war das Zentrum der royalistischen Rüstungen zum Zweck einer Landung, die man an der Küste der Bretagne bewerkstelligen wollte, um sich Saint-Malos zu bemächtigen und den Engländern diesen für militärische und Handelszwecke so wichtigen Hafen auszuliefern.

Zur selben Zeit rückte die Südarmee unter dem Kommando von Montesquiou, am Tage der Eröffnung des Konvents, in Savoyen ein. Sie besetzte vier Tage darauf Chambéry und brachte in diese Provinz die Bauernrevolution mit.

Ebenfalls noch Ende September überschritt eine der Armeen der Republik unter dem Kommando von Lauzun und Custine den Rhein und nahm Speyer im Sturm (30. September). Worms ergab sich vier Tage später, und am 23. Oktober wurden Mainz und Frankfurt am Main von den Armeen der Sansculotten besetzt.

Im Norden gab es ebenfalls fortgesetzt Erfolge. Ende Oktober trat die Armee Dumouriez' in Belgien ein, und am 6. November errang sie bei Jemmapes in der Nähe von Mons einen großen Sieg über die Österreicher – einen Sieg, den Dumouriez in der Weise arrangiert hatte, daß er dabei den Sohn des Herzogs von Chartres in den Vordergrund rückte – und zwei Bataillone Pariser Freiwilliger opferte.

Dieser Sieg öffnete der französischen Invasion Belgien. Mons wurde am 8. November besetzt, und am 14. hielt Dumouriez seinen Einzug in Brüssel. Das Volk empfing die Soldaten der Republik mit offenen Armen. Es erwartete von ihnen die Initiative zu einer Reihe revolutionärer Maßnahmen, hauptsächlich in der Frage des Grundbesitzes. Das war auch die Meinung der Mitglieder der Bergpartei, wenigstens Cambons. Er hatte das schwierige und weitverzweigte Geschäft des Verkaufs der geistlichen Güter als Garantie der Assignaten besorgt, organisierte in diesem Augenblick den Verkauf der Güter der Emigranten und hatte den lebhaften Wunsch, dieses System auch in Belgien durchzuführen. Aber ob nun die von der Bergpartei nicht kühn genug waren, infolge der Angriffe, die die Girondisten wegen ihres mangelnden Respekts vor dem Eigentum auf sie machten, ob die Ideen der Revolution nicht die nötige Unterstützung in Belgien fanden, wo sie nur die Proletarier für sich hatten und das ganze wohlhabende Bürgertum und die furchtbare Macht der Priester sich gegen sie wandte – jedenfalls ist es Tatsache, daß die Revolution, die die Belgier und die Franzosen hätte zusammenschmelzen können, nicht zustande kam.

Alle diese Erfolge und Siege mußten den Freunden des Krieges zu Kopfe steigen, und die Girondisten triumphierten. Am 15. Dezember erließ der Konvent ein Dekret, in dem er alle Monarchien herausforderte und erklärte, es würde mit keiner der Mächte Friede geschlossen werden, solange nicht ihre Armeen vom Boden der Republik zurückgetrieben wären. In der Tat indessen sah es im Innern sehr düster aus, und draußen konnten auch die Siege der Republik nichts anderes bewirken, als die Verbindung zwischen den Monarchien befestigen.

Die Invasion Belgiens entschied über die Stellung Englands.

Das Erwachen von republikanischen und kommunistischen Ideen bei den Engländern, das sich in der Gründung von republikanischen Gesellschaften aussprach und 1793 seinen literarischen Ausdruck in dem bemerkenswerten freiheitlich-kommunistischen Werk von Godwin ›Über die politische Gerechtigkeit‹ fand, hatte die französischen Republikaner und insbesondere Danton in die Hoffnung versetzt, sie würden in einer englischen revolutionären Bewegung Unterstützung finden.Man weiß noch nichts über den Inhalt der Verhandlungen, die Brissot im Januar 1793 vor der Hinrichtung des Königs in England pflog. Über die Verhandlungen Dantons siehe den Artikel von Georges Avenel, ›Danton und die religiösen Positivisten‹ in seinen Lundis révolutionnaires 1875, S. 248 ff., und Albert Sorel, L'Europe et la Révolution française. Aber die Interessen der Industrie und des Handels trugen auf den britischen Inseln den Sieg davon. Und als das republikanische Frankreich in Belgien eindrang, sich im Tal der Schelde und des Rheins festsetzte und drohte, sich auch Hollands zu bemächtigen, war die Politik Englands entschieden.

Frankreich seine Kolonien wegnehmen, seine Seemacht zerstören und seine industrielle Entwicklung und seine Expansion in den Kolonien aufhalten, das war die Politik, die die große Menge in England gewann. Die Partei von Fox unterlag, die von Pitt errang die Oberhand. Von jetzt an wurde England, das durch seine Flotte und hauptsächlich durch das Geld, mit dem es die Kontinentalmächte, Rußland, Preußen und Österreich eingeschlossen, subventionierte, das Haupt der europäischen Koalition und blieb es ein Vierteljahrhundert lang. Das bedeutete den Krieg der beiden Rivalen, die die Meere unter sich teilten, Krieg bis zur völligen Erschöpfung. Und diese Kriege führten Frankreich mit Notwendigkeit zur Militärdiktatur.

Und wenn schließlich Paris, das von der Invasion bedroht war, von einer prachtvollen Begeisterung erfaßt wurde und sich freudig den Freiwilligen der ostfranzösischen Departements anschloß, so war es andrerseits ebenfalls der Krieg, der den ersten Anstoß zur Erhebung in der Vendée gab. Er lieferte den Priestern die Gelegenheit, den Widerstand dieser Bevölkerung auszubeuten, die ihre Wälder nicht verlassen wollte, um irgendwo an der Grenze zu kämpfen; er trug dazu bei, den Fanatismus der Einwohner der Vendée zu erwecken und in dem Augenblick, wo die Deutschen französischen Boden betraten, sie zum Aufruhr zu bringen. Und wir sehen später, wieviel Schlimmes dieser Aufstand für die Revolution bedeutete.

Aber wenn es nur die Vendée gewesen wäre! Überall in Frankreich erzeugte der Krieg eine so schreckliche Lage für die große Masse der Armen, daß man sich fragen muß, wie die Republik eine so schreckliche Krise überstehen konnte.

Die Ernte von 1792 war für das Getreide gut ausgefallen. Nur für Gerste und Hafer war sie infolge der Regenfälle mäßig gewesen. Der Getreideexport war verboten. Und trotzdem herrschte die Hungersnot. In den Städten hatte man sie seit langer Zeit nicht so furchtbar erlebt. In langen Reihen warteten Männer und Frauen vor den Bäcker- und Schlächterläden, sie verbrachten die ganze Nacht in Schnee und Regen, ohne doch sicher zu sein, ob sie am nächsten Tag einen Laib Brot zu furchtbar hohem Preis bekommen könnten. Und das in einem Augenblick, wo eine große Zahl Industrien fast völlig stillstanden und es keine Arbeit gab.

Man nimmt nicht ungestraft einer Nation von fünfundzwanzig Millionen Einwohnern fast eine Million Männer in der Blüte der Jahre und fast eine halbe Million Zugtiere für die Zwecke des Krieges; nicht, ohne daß die Landwirtschaft es spürt. Und ebensowenig überliefert man die Lebensmittel einer Nation der unvermeidlichen Verschleuderung infolge der Kriege, ohne daß das Elend der Armen noch schlimmer wird, besonders wenn eine Schar von Ausbeutern sich auf Kosten des Staatsschatzes bereichert.Die Diebstähle, die die Intendanten der republikanischen Armeen begingen, waren kolossal. Manche stahlen in ein paar Monaten ein Vermögen zusammen. Man kann sich auch die Spekulationen vorstellen, die gemacht wurden, als die Intendanten ungeheure Ankäufe von Korn gerade in den Departements vornahmen, in denen die Ernte schlecht gewesen und die Preise sehr hoch waren. Die Getreidespekulation à la hausse, die Septeuil früher auf Rechnung Ludwigs XVI. gemacht hatte (denn ›der gute König‹ verschmähte dieses Mittel, seine Kasse zu füllen, nicht), wurden jetzt für die Bourgeoisie gemacht.

Alle diese Fragen wirbelten in jedem Volksverein der Provinz, in jeder Sektion der Großstädte durcheinander, um von da zum Konvent aufzusteigen. Und vor ihnen allen erhob sich die Hauptfrage, an die sich so viele andere anschlossen: Was sollte mit dem König geschehen?


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