Pjotr Alexejewitsch Kropotkin
Die Große Französische Revolution 1789-1793 – Band II
Pjotr Alexejewitsch Kropotkin

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62. Der Unterricht – Das metrische System – Der neue Kalender – Antireligiöse Versuche

In all diesen Kämpfen verloren die Revolutionäre die große Frage des öffentlichen Unterrichts nicht aus dem Auge. Sie versuchten, dazu die gleichheitliche Grundlage zu legen. Eine außerordentliche Arbeit wurde in dieser Richtung geleistet, wie man sich an Hand der in neuerer Zeit veröffentlichten Dokumente des Ausschusses für öffentlichen Unterricht überzeugen kann.Procès-verbaux du Comité d'instruction publique de l'Assemblée législative et Procès-verbaux du Comité d'instruction publique de la Convention Nationale, publiés avec annotations et préfaces par James Guillaume, Paris, 7 Bde., 1889-1907. Man verlas im Konvent den wundervollen Bericht von Michel Lepeletier über den Unterricht, der nach seinem Tode aufgefunden wurde, und der Konvent nahm eine Reihe von Maßregeln für den Unterricht in drei Stufen an: die écoles primaires (unsere Elementar- und Mittelschulen umfassend), die écoles centrales (unsern Hochschulen entsprechend) und die écoles speciales (Schulen zu besonderer Ausbildung, vornehmlich in technischen Wissenschaften und Betätigungen).

Das schönste Denkmal des Geistes aber in der Epoche der Revolution war das metrische System. Dieses System tat viel mehr, als daß es in die Einteilung der Längen-, Flächen- und Hohlmaße und der Gewichte das Dezimalsystem einführte, das die Grundlage unseres Zahlensystems ist – obwohl das schon viel war, um den Unterricht in den mathematischen Fächern zu vereinfachen und den mathematischen Geist zu entwickeln. Es gab außerdem dem Grundmaß, dem Meter, eine Länge, die immer annähernd gleich nach dem Umfang der Erde wiedergefunden werden konnte – und das eröffnete dem Denken neue Horizonte. Überdies aber bereitete das metrische System, indem es zwischen den Einheiten der Länge, der Fläche, des Volumens und des Gewichtes einfache Beziehungen herstellte, den großen, genialen Sieg der Naturwissenschaften im neunzehnten Jahrhundert vor – die Einsicht in die Einheit der physischen Kräfte, in die Einheit der Natur.

Der neue republikanische Kalender war die notwendige Konsequenz daraus. Er wurde vom Konvent auf Grund von zwei Berichten von Romme, die am 20. September und 5. Oktober verlesen wurden, und einem andern Bericht von Fabre d'Eglantine, der am 24. November 1793 zur Verlesung kam, angenommen.Das republikanische Jahr war in zwölf Monate eingeteilt, von denen jeder dreißig Tage hatte; ihre Namen waren von Fabre d'Eglantine gefunden worden – Vendémiaire, Brumaire und Frimaire (Weinmonat, Nebelmonat und Reifmonat) für den Herbst, vom 22. September bis 20. Dezember; Nivôse, Pluviôse und Ventôse (Schneemonat, Regenmonat und Windmonat) für den Winter, vom 21. Dezember bis 20. März; Germinal, Floréal und Prairial (Keimmonat, Blühmonat, Wiesenmonat) für das Frühjahr, vom 21. März bis 18. Juni, und Messidor, Thermidor und Fructidor (Erntemonat, Hitzemonat und Fruchtmonat) für den Sommer, vom 19. Juni bis 16. September. Fünf Ergänzungstage, die man die Sansculottenfeste nannte, der 17., 18., 19., 20. und 21. September, beschlossen das Jahr. Jeder Monat war in drei Dekaden eingeteilt, die Tage hießen Primidi, Duodi, Tridi usw., der Feiertag war der zehnte Tag, der Decadi. Er eröffnete in der Zählung der Jahre eine neue Ära, die mit der Verkündung der Republik in Frankreich, am 22. September 1792 (das war auch die Herbst-Tagundnachtgleiche), begann, und gab die christliche Woche auf. Der Sonntag verschwand – der Decadi wurde zum Feiertag.Der Gedanke, die astronomische Anschauungsweise in dem neuen Kalender auszudrücken, war vortrefflich (der, alle fünf Ergänzungstage ans Ende des Jahres zu setzen, war es viel weniger), und die Monatsnamen waren ausgezeichnet gewählt. Aber außer allen Voreingenommenheiten, die gegen diesen Kalender sich erheben mußten, weil er die Revolution verherrlichte, ist es sehr wahrscheinlich, daß die Idee, die Woche von sieben Tagen (den vierten Teil eines Mondmonats) durch eine Periode von zehn Tagen, die für unsere Gewohnheiten zu lang ist, zu ersetzen, gegen seine Aufnahme ein Hindernis war und sein wird.

Dieser Beschluß des Konvents, der den christlichen Kalender aus unserm Leben entfernte, mußte alle die ermutigen, die in der christlichen Kirche und ihren Dienern die stärkste Stütze der Knechtschaft sahen. Die Erfahrung, die man mit der Geistlichkeit gemacht hatte, die den Eid auf die Verfassung geleistet hatte, hatte bewiesen, wie unmöglich es war, die Geistlichkeit für die Sache des Fortschritts zu gewinnen. Daher drängte sich notwendig der Gedanke auf, das Kultusbudget zu unterdrücken und es den Gläubigen zu überlassen, die Geistlichen für ihren Gottesdienst selbst zu unterhalten. Cambon brachte den Vorschlag schon im November 1792 im Konvent vor. Aber dreimal beschloß der Konvent, so streng er auch gegen die reaktionären Priester vorging, die dem Staat unterstellte Nationalkirche beizubehalten.

Gegen die reaktionären Priester erließ man sehr strenge Gesetze: Die Deportation für die, die den Eid verweigerten, und seit dem 18. März 1793 die Todesstrafe für die, die sich an den Unruhen aus Anlaß der Truppenaushebungen beteiligten, oder die hätten deportiert werden sollen und sich auf dem Gebiet der Republik ergreifen ließen. Am 21. Oktober 1793 dekretierte man noch entschiedenere Gesetze, und die Deportation traf auch die verfassungsmäßigen und vereidigten Geistlichen, wenn sie von sechs Bürgern ihres Kantons des Mangels an Bürgertugend bezichtigt wurden. Das hing damit zusammen, daß man sich mehr und mehr überzeugte, daß die ›Schwörer‹ oft ebenso gefährlich waren wie die ›Nichtschwörer‹ oder ›Papisten‹.

Die ersten Versuche der ›Entchristlichung‹ wurden in Abbeville und in Nevers gemacht.In dieser ganzen Darlegung schließe ich mich eng an die treffliche Monographie des Professors Aulard, Le culte de la Raison et le culte de l'Être suprême, 2. Auflage, Paris 1904, an. Ein Auszug aus diesem Werk findet sich auch in seiner Histoire politique, 2. Auflage, S. 469 ff. Der Konventsdelegierte Fouché, der nach Nevers entsandt war und ohne Frage im Einverständnis und vielleicht unter dem Einfluß von Chaumette handelte, den er in dieser Stadt traf, erklärte am 26. September 1793 ›den abergläubischen und heuchlerischen Kulten‹ den Krieg, um an ihre Stelle ›den Kultus der Republik und der natürlichen Moral‹ zu setzen.Er veröffentlichte auch eine Verfügung, auf Grund deren ›jeder Geistliche oder von der Nation bezahlte Priester verpflichtet sein soll, sich zu verheiraten oder ein Kind zu adoptieren oder einen bedürftigen Greis zu verpflegen, widrigenfalls er sein Amt und sein Gehalt verlieren soll‹. (Aulard, Culte de la Raison, S. 27.) Einige Tage nach der Annahme des neuen Kalenders erließ er (am 10. Oktober) eine neue Verfügung, nach der die gottesdienstlichen Zeremonien nur im Innern ihrer jeweiligen Tempel ausgeübt werden durften; alle ›religiösen Abzeichen, die sich auf den Straßen‹ usw. finden, sollten vernichtet werden, die Priester sollten sich nur noch in ihren Tempeln in ihren Trachten zeigen dürfen, und schließlich sollten die Beerdigungen ohne irgendeine religiöse Zeremonie auf Feldern, die mit Bäumen bepflanzt sein sollten, vor sich gehen, ›unter deren Schatten sich eine Statue erheben soll, die den Schlaf vorstellt. Alle andern Zeichen und Denkmäler sollen zerstört werden‹, und ›auf dem Tor zu diesem Felde, das in frommer Scheu den Manen der Toten gewidmet sein soll, soll die Inschrift stehen: Der Tod ist ein ewiger Schlaf‹. Er erklärte auch der Bevölkerung mit Hilfe von Vorträgen über den Materialismus den Sinn dieser Dekrete.

Zur gleichen Zeit verwandelte Laignelot, ein anderer in die Provinz entsandter Konventsdelegierter, in Rochefort die Pfarrkirche in einen ›Tempel der Wahrheit‹, in dem acht katholische Priester und ein protestantischer Geistlicher sich am 31. Oktober 1793 ›entpriesterten‹.

Am 14. Oktober wurde in Paris unter dem Einfluß von Chaumette der Gottesdienst außerhalb der Kirchen verboten, und am 16. wurde die Verfügung Fouchés über die Beerdigungen im Prinzip von der Kommune angenommen.

Daß diese Bewegung keineswegs überraschend kam und daß sie durch die Revolution selbst und ihre Vorgänger in den Geistern vorbereitet war, ist fraglos. Jetzt warf sich, durch die Akte des Konvents ermutigt, die Provinz auf die ›Entchristlichung‹. Auf Grund der Initiative des Fleckens Ris-Orangis entsagte die ganze Landschaft des Corbeil dem Christentum und wurde im Konvent, als ihre Delegierten es dort am 30. Oktober verkündeten, gut aufgenommen.

Sechs Tage später fanden sich Delegierte der Gemeinde Mennecy, mit Chorröcken bekleidet, im Konvent ein. Sie wurden ebensogut aufgenommen, und der Konvent erkannte das ›Recht aller Bürger‹ an, ›den Kultus zu wählen, der ihnen zusagt, um die Zeremonien zu unterdrücken, die ihnen mißfallen‹. Eine Deputation des Departements Seine-et-Oise, die verlangte, der Bischof von Versailles, der kürzlich gestorben war, sollte keinen Nachfolger erhalten, wurde gleichfalls mit ehrenvoller Erwähnung empfangen.

Der Konvent ermutigte also die Bewegung gegen das Christentum – nicht nur durch die Art, wie er die Entchristlichung aufnahm, sondern auch durch die Bestimmung, die er den Gerätschaften der Kirchen gab – den Heiligenschrein der Sainte-Geneviève inbegriffen, den er in die Münze zu bringen befahl.Man erinnert sich, daß die Konstituierende Versammlung schon ähnliche Beschlüsse gefaßt hatte.

Durch diese Haltung der Regierung wahrscheinlich ermutigt, gingen Anacharsis Cloots und Chaumette noch einen Schritt weiter vor.

Cloots, ein preußischer Baron, der sich von ganzem Herzen der Revolution angeschlossen hatte und der mit Mut und vielem Gefühl die Internationale der Völker verkündete, und der Prokurator der Kommune, Chaumette, dieser wahrhafte Repräsentant des Geistes der Pariser Arbeiterschaft, bestimmten den Bischof von Paris, Gobel, seine kirchlichen Funktionen niederzulegen. Und so erschien Gobel, nachdem er die Billigung der Ratsversammlung des Bistums erhalten und dem Departement und der Kommune seine Amtsniederlegung mitgeteilt hatte, am 17. Brumaire (7. November 1793) in Begleitung von elf Vikaren und gefolgt vom Bürgermeister Pache, dem Prokurator Chaumette und zwei Mitgliedern des Departements, Momoro und Lulier, im Konvent, um seine Attribute und seine Titel niederzulegen.

Er hielt eine für diese Gelegenheit sehr würdige Rede. Immer ›den ewigen Prinzipien der Gleichheit und der Moral zugetan, die die unumgänglichen Grundlagen jeder wahrhaft republikanischen Verfassung sind‹, gehorchte er der Stimme des Volkes und verzichtete darauf, ›die Funktionen des Geistlichen des katholischen Kultus‹ auszuüben. Er legte sein Kreuz und seinen Ring ab und setzte sich die rote Mütze auf, die ihm eines der Mitglieder überreichte.

Nunmehr ergriff die Versammlung eine Begeisterung, die man nur mit dem Enthusiasmus der Nacht des 4. August vergleichen kann. Zwei andere Bischöfe, Thomas Lindet und Gay de Vernon, und ebenso andere geistliche Mitglieder des Konvents eilten auf die Tribüne, um dem Beispiel Gobels zu folgen. Der Abbé Grégoire lehnte es ab, sich ihnen anzuschließen. Sieyès erklärte, er hätte seit einer großen Zahl Jahre jedes geistliche Abzeichen von sich getan, er hätte keinen andern Kultus als den der Freiheit und Gleichheit, und seine Wünsche riefen seit langem den Triumph der Vernunft über den Aberglauben und den Fanatismus herbei.

Diese Konventsszene übte eine ungeheure Wirkung aus. Ganz Frankreich, alle Nachbarnationen erfuhren davon, und überall in den herrschenden Klassen brach wilder Haß gegen die Republik aus.

In Frankreich verbreitete sich die Bewegung mit großer Schnelligkeit in den Provinzen. Binnen weniger Tage hatten mehrere Bischöfe und eine große Zahl Priester Amt und Titel niedergelegt, und diese Abdankungen waren manchmal mit ergreifenden Szenen verbunden. Es ist in der Tat rührend, zum Beispiel die folgende Beschreibung über die Abdankung der Priester in Bourges zu lesen, die ich in einer lokalen Flugschrift der Zeit finde.Extraits du régistre de la Société populaire de Bourges, séance du quintidi 25. Brumaire de l'an deuxième de la République Française, une et indivisible (15. November 1793). Flugschriften des British Museum, F. 16 (7).

Nach Erwähnung eines Geistlichen, J. Baptiste Patin, und des Benediktiners Julien-de-Dieu, die ihre kirchlichen Attribute niederlegen, fährt der Verfasser fort: ›Privat, Brisson, Patrou, Rouen und Champion, frühere erzbischöfliche Vikare, waren nicht die letzten, die herzutraten; Eupic und Calende, Dumantier, Veyreton, frühere Benediktiner, Ranchon und Collardot folgen ihnen; ihnen schließen sich der frühere Domherr Désormeaux und sein Amtsbruder Dubois, beide von der Last der Jahre gebeugt, mit langsamen Schritten an.‹ Da ruft Lefranc: »Verbrennt, verbrennt unsere Priesterurkunden! Möge das Andenken unsres früheren Standes in den Flammen, die sie verzehren sollen, verschwinden! Ich lege diese silberne Medaille auf den Altar des Vaterlandes nieder; auf ihr ist der letzte der Tyrannen abgebildet, die der interessierte Ehrgeiz der Geistlichkeit ›die allerchristlichsten‹ nannte.« Man verbrennt alle Priesterdiplome auf einem Scheiterhaufen, und tausend Rufe ertönen: ›Nieder mit dem Andenken an die Priester für immer! Nieder mit dem christlichen Aberglauben! Es lebe die erhabene Religion der Natur!‹ Darauf folgt die Aufzählung der patriotischen Gaben. Sie ist rührend. Sehr zahlreich sind Gaben von Leinwand und silbernen Schuhschnallen. Die Patrioten und die ›Brüder‹ sind arm: sie geben, was sie haben.

Im allgemeinen scheint die antikatholische Stimmung, in der sich eine ›Naturreligion‹ mit der patriotischen Begeisterung vermengte, viel tiefergehend gewesen zu sein, als man ohne Kenntnis der Dokumente der Zeit angenommen hat. Die Revolution verhalf zum Denken und gab dem Denken Kühnheit.

Inzwischen beschlossen in Paris das Departement und die Kommune, den folgenden Decadi, den 20. Brumaire (10. November), in Notre-Dame zu begehen und da ein Fest der Freiheit und der Vernunft zu veranstalten, bei dem vor der Statue der Freiheit patriotische Gesänge gesungen werden sollten. Cloots, Momoro, Hébert und Chaumette machten in den Volksgesellschaften lebhafte Propaganda dafür, und das Fest war ein völliger Erfolg. Dieses Fest ist so oft beschrieben worden, daß wir uns bei seinen Einzelheiten nicht aufhalten wollen. Bemerkt werden muß jedoch, daß man zur Darstellung der Freiheit ein lebendes Wesen einer Statue vorzog, weil, wie Chaumette sagte, ›eine Statue immer noch dem Götzendienst zu nahe gewesen wäre‹. Wie schon Michelet (Buch XIV, Kap. III) hervorgehoben hat, empfahlen die Gründer des neuen Kultus, ›zur Darstellung einer so hehren Rolle Personen zu wählen, deren Charakter die Schönheit achtbar macht, deren Sittenstrenge und hoheitsvoller Blick die leichtfertige Lüsternheit zurückweist‹. Die Zeremonie war weit entfernt, parodistisch zu sein, sie war vielmehr, sagt Michelet, der, wie man weiß, für die Entchristlichung von 1793 viel Sympathie hatte, ›züchtig, düster, trocken, langweilig‹. Die Revolution, sagt er, war schon ›alt und müde, zu alt, um fruchtbar zu sein‹. Der Versuch von 1793 entsprang nicht dem flammenden Schoß der Revolution, ›sondern den vernünftelnden Gelehrtenschulen aus den Zeiten der Enzyklopädie‹. In der Tat sah er der modernen Bewegung der Ethischen Gesellschaften (Ethical societies) zum Verwechseln ähnlich, die geradeso außerhalb der Volksmassen bleiben.

Was uns heute vor allem auffällt, ist die Tatsache, daß es der Konvent trotz der Aufforderungen, die von verschiedenen Seiten an ihn gerichtet wurden, ablehnte, an die große Frage der Abschaffung der Besoldung der Priester heranzugehen. Dagegen setzten die Kommune von Paris und die Sektionen die Entchristlichung offen in die Praxis um. In jeder Sektion wurde mindestens eine Kirche dem Kultus der Vernunft geweiht. Der Generalrat der Kommune wagte es sogar, den Ereignissen zu trotzen. Als Antwort auf die religiöse Rede Robespierres vom 1. Frimaire (siehe weiter unten) faßte er am 3. Frimaire (23. November) unter dem Einfluß Chaumettes einen Beschluß, der anordnete, es sollten in Paris sofort die Kirchen und Tempel aller Religionen geschlossen werden, der alle Priester persönlich für religiöse Unruhen verantwortlich machte, die Revolutionsausschüsse aufforderte, die Priester zu überwachen, und den Konvent aufforderte, die Priester jeder Art öffentlicher Ämter zu entkleiden. Zugleich richtete man einen ›Moralunterricht‹ ein, um die Prediger des neuen Kultus vorzubereiten; man beschloß, die Glockentürme einzureißen, und in verschiedenen Sektionen veranstaltete man Feste der Vernunft, bei denen der katholische Kultus verspottet wurde. Eine Sektion verbrannte die Meßbücher, und Hébert verbrannte in der Kommune Reliquien.

In der Provinz, sagt Aulard, schienen sich fast alle Städte, insbesondere im Südwesten, dem neuen nationalistischen Kultus anzuschließen.

Die Regierung jedoch, das heißt der Wohlfahrtsausschuß, machte der Bewegung von Anfang an geheime Opposition. Robespierre war geradezu dagegen, und als Cloots ihm mit Begeisterung von der Abdankung Gobels sprach, gab er seine Feindseligkeit scharf zu erkennen; er fragte, was die Belgier, deren Vereinigung mit Frankreich Cloots wollte, dazu sagen sollten.

Er verhielt sich indessen noch einige Tage schweigend. Aber am 20. November kehrte Danton nach einem langen Aufenthalt in Arcis-sur-Aube, wohin er sich mit seiner jungen Frau, die er, unmittelbar nach dem Tode seiner ersten Frau – in der Kirche – geheiratet hatte, zurückgezogen hatte, nach Paris zurück. Und gleich am Tag darauf, am 1. Frimaire (21. November) hielt Robespierre im Jakobinerklub eine erste Rede, die sehr heftig war, gegen den Kultus der Vernunft. Der Konvent, sagte er, würde niemals den verwegenen Schritt tun, den katholischen Kultus zu ächten. Er werde die Freiheit der Kulte aufrechterhalten und nicht erlauben, daß man die friedlichen Geistlichen verfolge. Dann betonte er, daß die Idee ›eines großen Wesens, das über die unterdrückte Unschuld wacht und das Verbrechen bestraft‹, durchaus volkstümlich sei, und er behandelte die Christentumsfeinde als Verräter, als Agenten der Feinde Frankreichs, die solche Ausländer zurückstoßen wollten, die Moral und gemeinsames Interesse zur Republik zögen!

Fünf Tage später sprach sich Danton im Konvent ungefähr im selben Sinne aus und griff die antireligiösen Maskeraden an. Er verlangte, daß man ihnen ein Ende machte.

Was war in diesen wenigen Tagen geschehen, um Robespierre und Danton einander so zu nähern? Was für neue Kombinationen, diplomatischer oder anderer Natur, boten sich in diesem Augenblick, daß Danton sich veranlaßt sah, nach Paris zu kommen und sich der antichristlichen Bewegung in den Weg zu stellen – gerade er, der ein wahrer Jünger Diderots war und seinen materialistischen Atheismus auch auf dem Schafott nicht verleugnete? Diese Taktik Dantons ist um so auffallender, als der Konvent in der ersten Hälfte des Monats Frimaire nicht aufhörte, die Bekämpfer des Christentums wohlwollend zu behandeln.Aulard, Histoire politique, S. 475. Noch am 14. Frimaire (4. Dezember) brachte der Robespierrist Couthon Reliquien auf die Tribüne des Konvents und machte sich über sie lustig.

Man muß also sich fragen, ob Robespierre nicht irgendeine neue Wendung in den Verhandlungen mit England benutzte, um Danton zu beeinflussen und seinen religiösen Ideen freien Ausdruck zu geben: denn diesem Deisten, dem Schüler Rousseaus, war die Religion immer am Herzen geblieben.

Gegen die Mitte des Monats entschloß sich Robespierre, den die Unterstützung Dantons stark machte, zu handeln, und am 16. Frimaire (6. Dezember) verlangte der Wohlfahrtsausschuß vom Konvent ein Dekret über die Freiheit der Kulte, dessen erster Artikel ›alle Gewalttätigkeiten und die Freiheit der Kulte beeinträchtigenden Maßnahmen‹ verbot. War dieser Schritt von der Furcht eingegeben, das Landvolk könnte sich erheben? Denn auf dem Lande war die Schließung der Kirchen im allgemeinen sehr übel aufgenommen worden.Mehrere Briefe von Konventsdelegierten in den Provinzen sprechen davon. Die meisten dieser Briefe, wie die von Dartigoëyte, Lefiot, Pflieger, Garnier, sind jedoch erst nach dem Dekret geschrieben (Actes du Comité de salut public, veröffentlicht von Aulard, Bd. IX, S. 385, 759, 780). Fest steht jedenfalls, daß von diesem Tage an der Katholizismus triumphierte. Die robespierristische Regierung hatte ihn unter ihren Schutz genommen. Er wurde wieder Staatsreligion.Da mehrere Konventsdelegierte in der Provinz sehr strenge Maßregeln gegen den katholischen Kultus ergriffen hatten, fügte der Konvent diesem Dekret einen Paragraphen hinzu, wonach es nicht die Absicht sei, zu mißbilligen, was von seinen Vertretern bis zu diesem Tage getan worden sei.

Später, im Frühjahr, ging man weiter. Man versuchte, dem Kultus der Vernunft einen neuen Kultus, den des höchsten Wesens, entgegenzustellen, das nach Rousseaus savoyardischem Vikar aufgefaßt war. Jedoch vermischte sich dieser Kultus trotz der Unterstützung der Regierung und der Androhung der Guillotine für seine Gegner mit dem Kultus der Vernunft, auch wenn er sich Kultus des höchsten Wesens nannte, und unter diesem Namen verbreitete sich ein halb deistischer und halb rationalistischer Kultus noch weiter, bis die Reaktion des Thermidor die Oberhand gewann.

Das Fest des höchsten Wesens, das mit großem Gepränge am 20. Prairial (8. Juni 1794) in Paris gefeiert wurde und auf das Robespierre, der sich als Gründer einer neuen Staatsreligion gebärdete, die den Atheismus bekämpfte, viel Wert legte, scheint als volkstümliche theatralische Darstellung schön gewesen zu sein, aber es fand kein Echo im Herzen des Volkes. Da es überdies auf Grund des Beschlusses des Wohlfahrtsausschusses gefeiert wurde – nachdem Chaumette und Gobel, die der Masse des Volkes sympathisch waren, wegen ihrer irreligiösen Anschauungen guillotiniert worden waren –, hatte dieses Fest zu sehr das Gepräge des blutigen Triumphes der jakobinischen Regierung über die radikalen Elemente des Volkes und der Kommune an sich, als daß es dem Volke hätte sympathisch sein können. Durch die unverhohlen feindselige Haltung mehrerer Konventsmitglieder gegen Robespierre während des Festes selbst war es das Vorspiel zum 9. Thermidor – das Vorspiel des Endes.

Aber wir wollen den Ereignissen nicht vorgreifen.


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