Robert Kraft
Die Vestalinnen, Band 1
Robert Kraft

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42.

Die Insel der Glücklichen.

An der Südostküste Australiens liegt eine kleine Insel im Meer, weitab vom Festlande, sodaß man gut einen Tag zu segeln hat, ehe man sie erreicht, zwei Tage aber, ehe man nach dem ersten größeren Hafen, Cooktown, kommt. Sagte ich, sie wäre klein, so meinte ich im Gegensatz zu anderen Inseln, denn es muß schon eine sehr große und genaue Landkarte sein, auf der dieses Eiland im Weltmeere verzeichnet ist, obgleich sich auf ihm eine ganze Kolonie durch Fischerei und eigene Handindustrie ernährt.

Vor vielen, vielen Jahren, so erzählen noch die ältesten der dort hausenden Fischer, soll an dieser Küste ein spanisches Schiff gestrandet sein, die Passagiere sollen nichts weiter als das nackte Leben gerettet und lange Zeit ein Dasein wie Wilde geführt haben, bis wieder nach einigen Jahren ein Schiff landete, dessen Besatzung aus Sträflingen bestand, die von England nach Australien deportiert werden sollten. Unterwegs hatten sie eine Meuterei angezettelt, ihre Wächter überwältigt und beschlossen, sich auf der ersten Insel, welche sie unbewohnt fänden, als Kolonisten niederzulassen.

Da trafen sie auf dieses Eiland.

Sie schafften alles, was sie als notwendig erachteten, an Land und verbrannten dann das Schiff, dessen Planken sie mit dem Blute der Matrosen und Soldaten gerötet hatten, um keinen Zeugen ihrer Greuelthaten mehr zu haben, fest entschlossen, im fremden Land ein neues Leben anzufangen.

Kein Haus, keine Hütte, kein Feuer fanden sie im Innern der Insel, die mit Laubwäldern bedeckt war, aber sie trafen auf Geschöpfe, welche ein Mittelding zwischen Menschen und Affen bildeten, nackt, verwildert, die kleine Tiere im Sprunge fingen und roh verzehrten, oder Stöcke unter die Scharen von Papageien und anderen Vögeln schleuderten und diese erlegten. Der Himmel war ihr Zelt, oder höchstens schliefen sie unter einigen zusammengebogenen Büschen, der weiche Rasen war ihr Bett, sie tranken aus der hohlen Hand, und schon fehlten ihnen für einige Dinge die Begriffe.

Es waren die gestrandeten Passagiere des spanischen Schiffes, Männer, Weiber und Kinder. Mit der Zeit vermischten sich die neuen Ankömmlinge mit den früheren Bewohnern der Insel, es entstanden Häuser, Gärten und Felder. Mit den Booten wurde Fischerei betrieben, und als die Fahrzeuge nicht mehr langten, wurden neue gebaut, denn die Buchten wimmelten von Fischen. Die Wälder lichteten sich, teils weil das Holz zum Häuser- und Bootsbau gebraucht, teils weil der Boden zum Ackerbau benutzt wurde, kurz, es dauerte nicht lange, so war auf der erst unbewohnten, dann von tierähnlichen Menschen bevölkerten Insel eine ansehnliche Kolonie entstanden.

Das alles war aber, wie schon bemerkt, nur eine Sage, die sich unter den Bewohnern fortpflanzte; genauer konnte über die Entstehung der Fischerkolonie niemand etwas bestimmen. Behauptete man, daß sowohl das spanische, wie auch das englische Blut unter den Insulanern vertreten sei, so geschah dies mit Recht, denn die hohen, kräftigen Gestalten der Männer, ihre scharfen Nasen und die energischen Gesichtszüge waren die der Engländer, dagegen das schwarze Haar, und ganz besonders die zarten Figuren, der schlanke und doch üppige Wuchs der Frauen waren Merkmale der Spanier.

Einen Namen hatten sie der Insel nie gegeben, aber die ersten, welche vom Festland herüberkamen, waren entzückt von diesem kleinen Fleckchen Erde, wo alles Ruhe und Frieden atmete, und nannten es Happyland, das würde zu deutsch etwa heißen: das glückselige Land.

Und glücklich konnte man die Insulaner auch wirklich heißen.

Das Dörfchen lag am Ufer der Bucht, idyllisch, von Palmenwäldern eingerahmt. Ein aus dem Innern kommender Bach floß murmelnd zwischen den Hütten hindurch, in denen fleißige Weiber spannen und blühende Kinder spielten, sehnsüchtig der Rückkehr des Vaters wartend, der draußen auf dem Meere mit seinen Genossen fischte und sich schon auf den Augenblick freute, da er Weib und Kind begrüßen konnte. Die zurückgebliebenen Fischer saßen in ihren Kähnen, welche die Bucht bedeckten, und flickten Netze.

Es war nicht mehr alles so, wie es früher gewesen.

Vor einigen Jahren noch hatten sich die Leute damit begnügt, dem Meere nur soviel Beute abzujagen, wie sie für sich und die Ihrigen zum Unterhalt bedurften, seitdem aber erst einmal ein reicher Fischzug nach Cooktown verkauft worden war, fischte man nicht nur für sich selbst, sondern dachte auch daran, möglichst viel fangen und verkaufen zu können.

Ein Unternehmer hatte auf der Insel ein Haus angelegt, wohin die Fische gebracht wurden, nachdem sie ausgeladen worden waren. Dort wurden sie gewogen, bezahlt, in Eis gelegt und dann mittels eines Dampfers nach Cooktown gefahren, von wo aus sie in die großen Städte gingen.

Dadurch hatten die Fischer es zu einer gewissen Wohlhabenheit gebracht, denn der Verdienst war ein guter. Die Hütten verdienten diesen Namen nicht mehr, hatte ihr Aeußeres auch noch das Aussehen von solchen, so herrschte doch in ihrem Innern eine Bequemlichkeit, um die sie mancher reiche Bauer beneidet hätte. – – –

Durch die Dorfstraße schritten zwei Männer.

Der eine von ihnen zeigte den Typus der übrigen Insulaner, er war hoch gewachsen, mit schwarzem Haupthaar und Schnurrbart, wahrend der andere mehr das Aussehen eines Schweden oder Norwegers hatte. Er war bedeutend kleiner als die Bewohner der Insel, dafür aber sehr breitschultrig, und, was das Merkwürdigste war, er hatte lange, braune Locken und blaue Augen, was man sonst bei keinem der Fischer fand.

Die beiden Männer waren so gekleidet wie alle übrigen: hohe Wasserstiefel, lederne Hosen, von den Frauen gestrickte enge Jacken, und auf dem Kopf den Südwester, jenen Wachstuchhut, welcher vorn aufgeschlagen ist, hinten aber weit herunterhängt, um das ablaufende See- und Regenwasser nicht in den Nacken fließen zu lassen.

Der Kleinere sprach lebhaft auf den Größeren ein, der, ein Fischernetz über der Schulter, die lange Kalkpfeife im Mundwinkel, finster zu Boden blickte.

»Warum willst du meine Bitte abschlagen, Harris?« fragte der Blauäugige und legte seinem Genossen freundlich die Hand auf die Schulter. »Wie du mich vor vier Jahren als Bettler aufgenommen hast, heimatlos, freundlos, hungrig, fast nackt, so biete ich dir nun das an, was ich seitdem erworben habe. Nimm alles an, was ich dir geben kann, mein Boot, mein Haus – wende dich nicht so finster ab,« sagte er schnell, als sich der andere halb zur Seite wendete, »ich weiß, du bist noch kein Bettler, aber das Unglück hat dich schwer verfolgt, du besitzest fast nichts mehr als das Stück Land, das dir weder das Meer verschlingen, noch das Feuer verzehren konnte.«

»Laß mich, Björnsen,« sagte Harris dumpf. »Was mich bedrückt, weißt du am wenigsten. Was mache ich mir daraus, daß ich arm geworden bin! Noch habe ich zwei Arme, und mit denen will ich das wieder dem Meere abringen, was es mir genommen hat.«

»Aber du hast kein Boot mehr,« unterbrach ihn Björnsen, »ich bitte dich, betrachte meinen Ewer als den deinigen! Mein Knecht ist alt, er sitzt lieber in der Stube auf der Bank und schürt das Feuer, als daß er dem Sturm Trotz bietet –«

»Soll ich auch noch dein Knecht sein?« murrte der Fischer.

»Du hast mich falsch verstanden, weil du mich nicht ausreden ließest. Ich lasse den Knecht gern zu Hause, er hat schon längst sein Gnadenbrot verdient, aber fahre du mit mir zusammen auf dem Ewer, was wir fangen, teilen wir, und in einigen Wochen hast du genug zusammen, um dir ein neues Fahrzeug zu kaufen.«

»Ich habe dir schon einmal gesagt, ich nehme nichts geschenkt,« herrschte ihn der andere an.

»Du hast mein Geld allerdings ausgeschlagen, ich würde dies an deiner Stelle auch gethan haben, aber was ich dir hiermit anbiete, kannst du annehmen. Arbeite mit mir zusammen, und wir teilen redlich das Verdiente. Willst du?«

»Nein,« brauste Harris auf, »ich nehme weder von dir, noch von sonst jemandem etwas an.«

Der Blauäugige blieb stehen und legte dem Fischer beide Hände auf die Schulter.

»Was hast du gegen mich, Harris?« sagte Björnsen, und sein Gesicht hatte einen traurigen Ausdruck. »Waren wir früher nicht immer die besten Freunde, die vor Freude jubelten, wenn sie sich nach langer Trennung wiedersahen? Was ist zwischen uns getreten? Seit einem halben Jahre gehst du mir aus dem Wege; treffen wir uns, so drehst du um, setze ich mich neben dich, so stehst du auf. Endlich habe ich dich einmal gefaßt, und nun sollst du mir Rede stehen. In der Not zeigt sich der Freund, sagt ein Sprichwort meiner nordischen Heimat, und ich will es hier im Süden bewahrheiten. Komm mit mir, noch einmal, betrachte alles Meine als dein Gut!«

Als der andere schwieg, fuhr er fort:

»Warum arbeitest du im Eishaus für Tagelohn, ein jeder von den Insulanern nimmt dich auf, und wenn er dir auch nicht viel Geld giebt, so bist du doch unter deinen Kameraden!«

»Auch du bist ein Fremder,« stieß, Harris hervor.

Björnsen blieb erstaunt stehen.

»Das sagst du mir, du, der mich erst zum Hierbleiben genötigt hat? Doch ich sehe, du bist schlechter Laune! Komm' in mein Hans, das Mittagsessen wird fertig sein! Ich muß noch einmal an den Hafen, und Nancy wird dich inzwischen aufheitern.«

»Nimmermehr!« rief Harris heftig.

»So zwinge ich dich,« lachte Björnsen. »Was solltest du für einen Grund haben, mein Haus zu verschmähen?«

Er faßte den Freund, der ihn mied, unter den Arm und zog ihn in die Thüre seines Häuschens, vor dem sie sich gerade befanden.

»Hier, Nancy!« rief der junge Fischer und schob den sich Sträubenden in die Stube, »unterhalte ihn gut, und sorge dafür, daß er nicht wieder ausreißt! In zehn Minuten bin ich wieder zurück.«

Vor dem offenen Küchenfeuer saß ein Weib, welches sofort aufstand und dem Eintretenden mit ausgestreckten Händen entgegenging.

War es ihre Schönheit, die Harris blendete, daß er die Augen zu Boden schlagen mußte, oder paßte die Anmut, die Holdseligkeit, die von der Gestalt ausging, nicht zu seiner finsteren Stimmung?

Schwarze Locken umrahmten den Kopf, der einem Raphael zum Modell gedient haben könnte; die dunklen, feuchtglänzenden Augen, so feurig und doch so schwärmerisch, blickten freundlich auf den stumm Dastehenden, der keine der beiden annahm, dieser kleinen, schlanken Kinderhände. Sie trug ein einfaches, graues enganschließendes Kleid, und auf den Locken saß ein Mützchen von derselben Farbe.

»Sei mir herzlich willkommen, Harris,« sagte sie mit wohlklingender Stimme. »Es ist das erste Mal, daß du mich besuchst, seit ich verheiratet bin. Warum bist du nicht früher schon einmal gekommen, waren wir doch Gespielen zusammen? Weißt du noch, wie ich dir immer die Hälfte von meinem Butterbrot geben mußte, wenn du keins bekamst, weil du nicht artig warst?«

Harris achtete nicht auf das fröhliche Lachen. Er strich die Haare aus der Stirn zurück, warf das Netz in einen Winkel der Stube und ließ sich schwer auf einen Stuhl fallen.

Alles in diesem Raum glänzte vor Sauberkeit. Der Tisch, die Stühle, die Diele waren blank gescheuert, an den Wänden hingen Bilder und eine gemütlich tickende Uhr, und über den Kamin lief ein Sims, auf dem allerhand zierliche Nippsachen standen.

Die junge Frau hatte sich dem schweigenden Gast gegenübergesetzt.

»Was hast du nur seit einiger Zeit, Harris?« fragte sie nach einer Pause. »Es ist ein herbes Unglück, was dich betroffen, aber noch hast du Freunde genug, die dir wieder aushelfen. Sieh meinen Mann an, er brennt vor Verlangen, dir das vergelten zu können, was du an ihm gethan. Zu seiner Schande muß ich gestehen, daß er sich fast freute, als er von deinem Verlust hörte. Er konnte die ganze Nacht nicht schlafen, immer erzählte er mir seine Pläne, die er mit dir vorhatte; bald wollte er dir einen neuen Ewer kaufen, bald dir heimlich ein neues Haus bauen lassen und so weiter, und schließlich, als ich ihm sagte, daß er dich doch erst fragen müsse, ob du auch einwilligest, wurde er ordentlich böse auf mich. Und nun schlägst du ihm alles rundweg ab. Er ist sehr unglücklich darüber, er hatte sich so sehr darauf gefreut.«

Sie legte ihre Hand auf die des Mannes.

Harris zuckte zusammen, als berühre ihn glühendes Eisen, aber er beherrschte sich. Langsam senkte er die Augen und betrachtete die zierliche Hand, an deren einem Finger ein Goldreif funkelte.

»Unglücklich ist er, sagst du?« begann er leise. »Bist du glücklich. Nancy?«

»Gott sei Dank, ich bin's,« entgegnete das junge Weib, und seine Augen bezeugten, daß es die Wahrheit sprach, »aber ich meine ja nur so, daß Björnsen unglücklich ist, weil du seine Freundschaftsangebote abschlägst. Nein, wir beide sind die Glücklichsten auf der glücklichen Insel.«

Sie nahm in ihrem Eifer seine Hand und drückte sie, aber mit einem kleinen Schmerzensschrei zog sie dieselbe zurück.

»Du hast mir weh gethan, ihr Männer seid so stark.«

»Entschuldige, Nancy, gieb mir nicht wieder die Hand, dann thue ich dir auch nicht wieder weh,« sagte Harris mit rauher Stimme.

Nancy hatte jedoch schon wieder andere Fragen.

»Du arbeitest jetzt im Eishaus, Harris?«

»Ja.«

»Wieviel bekommst du denn da den Tag?«

»Zwei Schilling.«

»Das ist sehr wenig.«

Der Mann zuckte mit den Achseln.

»Besser als das Gnadenbrot essen,« meinte er dann.

»Wie ist denn der neue Direktor?« fragte Nancy wieder.

»Mister Elidoff? Ein sehr tüchtiger Mann, wenn er auch als Russe hier nicht sehr angesehen ist. Aber er besitzt Kenntnisse im Fischhandel.«

»Du sollst ja recht intim mit ihm verkehren?«

»Ich?« und Harris blickte auf. »Woher weißt du das?«

»Nun, man sagt so, du bist mehrere Male mit ihm im Walde gesehen worden.«

»Allerdings, ich mußte ihn öfters auf seinen Spaziergängen begleiten, weil er von mir Näheres über die hiesigen Fischerverhältnisse erfahren wollte.«

»Er lebt ja äußerst zurückgezogen, man bekommt ihn fast gar nicht zu sehen.«

»Elidoff ist sehr fleißig,« sagte Harris kurz, stand auf und ging nach seinem Netz.

»Du willst schon gehen?« rief das junge Weib überrascht. »Ich hoffte, du würdest bei uns zu Mittag bleiben. Mein Mann würde sich sehr darüber freuen.«

»Thut mir leid, Nancy! Adieu.«

»Und kann ich ihm nicht wenigstens sagen, daß du mit ihm fahren willst? Er geht wahrscheinlich schon in einigen Tagen mit seinem Fischewer in See und bleibt einige Zeit draußen.«

Harris blieb auf der Thürschwelle sinnend stehen. Plötzlich preßte er die Lippen fest zusammen, drehte sich um und murmelte:

»Sage ihm, ich würde ihm morgen früh bestimmten Bescheid geben! Lebewohl!«

Einige Minuten später trat Björnsen ins Zimmer.

»Also du hast ihn nicht halten können?« rief er. »Das ist sehr schade. Ich sah ihn die Dorfstraße entlang gehen, aber so schnell, daß ich ihn nicht einholen konnte, ehe er das Eishaus erreicht hatte. Und in dem mag ich nichts zu thun haben.«

»Warum nur nicht, Björusen, du gingst doch früher immer hin, um mit Mister Jenkins ein Stündchen zu plaudern.«

»Seit der neue Direktor darin ist, habe ich vor dem Hause einen Abscheu bekommen. Drei Tage ist der Russe nun hier, und ebenso lange quäle ich mein Gehirn ab, wo ich diesem Gesicht, dieser richtigen Spitzbubenphysiognomie, schon einmal begegnet bin. Mir ist es, als sehe ich immer ein Unglück vor Augen, wenn ich diesem Mann begegne, obgleich er mir auszuweichen sucht, wo und wie er nur kann. Neulich traf ich ihn einmal allein am Ufer stehen, ich wollte ihn mir recht genau betrachten, sah ihm direkt ins Gesicht, und wie er es merkte, hielt er sich schnell ein Taschentuch vor, als hatte er Zahnschmerzen, und wandte sich ab.«

»Aber trotzdem begreife ich nicht, was du gegen ihn hast. Er ist ein so hübscher, ruhiger Mann, immer sauber gekleidet, nicht so wie der vorige Direktor, dessen Kleidung immer voll Fischschuppen war.«

»Das kam vom Geschäft,« lachte der junge Fischer.

»Dagegen den Mister Jenkins, den kann ich nicht leiden, der stottert, schielt und –«

»Laß mir Mister Jenkins in Ruhe,« rief Björnsen ernst, »das ist ein Ehrenmann durch und durch, auf den lasse ich nichts kommen!«

»Ach geh, du willst schon Streit anfangen, und wir sind erst einen Monat verheiratet,« sagte Nancy und hing sich an den Hals ihres Mannes. »Was gehen uns Elidoff und Jenkins und alle übrigen an?«

»Du hast recht,« erwiderte Björnsen und küßte sein Weibchen zärtlich, »komm' und laß uns noch etwas zusammen schwatzen, bis das Essen fertig ist!«

Er setzte sich auf die Bank und zog Nancy auf seine Kniee.

»Weißt du schon, daß es morgen gerade vier Jahre her sind, seit ich auf die Insel kam?« begann er.

Nancy nickte eifrig.

»Unglücklich kam ich hierher, aber die Insel hat ihren Namen mit Recht, jetzt bin ich der Glücklichste der Sterblichen geworden,« fuhr der Fischer fort.

»Durch was denn?«

Das junge Weib that ganz erstaunt und hob schelmisch den Kopf.

»Durch dich, mein Schatz,« sagte Björnsen zärtlich und drückte einen Kuß auf die dargebotenen Lippen. »Mein Haus, mein Weib – was sollte ich noch mehr verlangen, um glücklich zu sein?«

»Björnsen,« hob das junge Weib an, »nie hast du mir erzählt, wie du in die Nähe dieser Insel kamst, da du doch aus Schweden stammst. Du hast vorhin selbst gesagt, daß du unglücklich hier an Land gebracht wurdest, so erzähle mir deine Geschichte jetzt!«

Der Fischer seufzte tief auf.

»Die Geschichte ist kurz genug, aber sehr traurig. Doch du hast recht, wir sollen keine Geheimnisse voreinander haben, ich wüßte auch keinen Grund, warum ich sie dir nicht erzählen sollte, und da sich der Hauptteil derselben gerade heute vor vier Jahren zutrug, will ich sie dir jetzt mitteilen.«

Nancy schmiegte sich dicht an die Brust ihres Mannes, und dieser begann:

»Wie du weißt, bin ich ein Schwede und war früher nicht Fischer, sondern Landwirt. Ich besaß in meiner Heimat ein kleines Bauerngut und lebte darauf mit meiner Mutter und Schwester, arbeitete von früh bis abends spät, ohne mehr zu erwerben, als wir eben bedurften, aber ich war schon glücklich, wenn ich meine Lieben gesund und munter sah. Da starb die Mutter, und mit ihrem Tode fing mein Unglück an. Ein strenger Winter zerstörte die Frühsaat, ein regenloser Sommer ließ das Getreide nicht aufkommen, kurz, ich hatte Mißernten, und zwar nicht nur einmal, sondern mehrere Jahre hintereinander. Die konnte ich auf meinem Gütchen nicht aushalten, ich wurde gezwungen, Schulden zu machen. Aber immer neue Unglücksschläge kamen hinzu, Feuer, Hagelschlag, sodaß ich schließlich dem Ruine meines Vermögens entgegensah.

»Da wurde bei uns bekannt, daß in Australien gutes Land für einen Spottpreis verkauft würde. Ich erkundigte mich näher und erfuhr auch, daß man sich dort mit wenig Mitteln, aber durch eisernen Fleiß eine schöne Existenz gründen könne. Sofort war mein Entschluß gefaßt. Ich verkaufte mein Gut, raffte alles bare Geld zusammen und verließ mit meiner Schwester mein Heimatland, um auf einem Dampfer nach Australien zu fahren.«

Björnsen seufzte tief auf und fuhr dann fort:

»Wir hatten stets schönes Wetter, unsere Fahrt ging sehr schnell von statten, und ich entsinne mich noch, daß einmal der erste Steuermann mit dem Kapitän einen heftigen Streit hatte, weil er so ungeheuer schnell fahre; ob er vielleicht glaube, er dürfe sich das erlauben, weil das Schiff so außerordentlich hoch versichert worden sei. Eines Abends legten wir uns in der Erwartung in die Koje, am anderen Morgen die Südost-Küste von Australien zu sehen, wohin unser Ziel gerichtet war, aber ach, es kam anders!«

Wieder schwieg der Mann und sah starr vor sich hin, bis ihm Nancy zärtlich die Wange streichelte.

»In der Nacht hörte ich ein heftiges Laufen und Stampfen an Deck, ich glaubte, die Küste wäre in Sicht, und da ich mir den ersten Anblick meines zukünftigen Heimatlandes nicht entgehen lassen wollte, warf ich schnell einige Sachen über und eilte an Deck. Ich konnte gerade noch hören, wie der erste Steuermann nach dem Kapitän schrie, der nirgends zu finden sei, da, Nancy, erschrick nicht ...«

Das junge Weib schmiegte sich fest an die Brust des starken Mannes, der mit entgeisterten Augen vor sich hinstarrte.

»Da geschah plötzlich ein furchtbarer Knall, ich fühlte mich in die Luft geschleudert, und als ich wieder zu mir kam, lag ich im Wasser – von dem großen Schiff war nichts mehr zu sehen, nur Trümmer bedeckten das Meer, und zerstückte Leichname schwammen umher.«

Der Fischer senkte den Kopf und bedeckte die Augen mit seiner Hand.

»Alles, alles fort!« begann er nach einer Weile wieder mit dumpfer Stimme. »Ich klammerte mich an ein Stück Mast und wurde lange, lange Zeit an der Unglücksstätte herumgetrieben, kein anderer Mensch war noch zu sehen, und – auch meine Schwester nicht, ich war der einzige Lebende. Einen ganzen Tag hing ich an dem Holze, der Abend kam und brachte heftigen Wind mit sich, und in der Nacht wühlte ein Sturm die Wogen auf, daß ich bald hoch emporgeschleudert wurde, bald wie in einen Abgrund hinabstürzte. Hundert Male schon hatte ich den Gedanken gefaßt, den Mast fahren zu lassen und mein Grab in den Wellen zu suchen, anstatt mich immer wieder der Hoffnung hinzugeben, aber es war mir, als ob mir stets eine Stimme zuflüsterte: ›Halte fest, Björnsen, halte fest, du wirst nach deinem Glücke gebracht!‹ Ich weiß nicht, wie viele Stunden der Nacht schon verflossen waren, da sah ich plötzlich ein Lichtchen in der Ferne auftauchen. Ich schrie, ich heulte, aber ach, der Sturm übertönte meine Stimme! Und doch kam das Licht immer näher. Mit einem Male tauchte der Mond hinter den Wolken vor, und nun sah ich, wie ein Fischewer bald hoch oben auf den schäumenden Wellen tanzte, bald wie ein Pfeil in die Tiefe stürzte, aber es war eine starke, sichere Hand, die das Schiffchen lenkte. Der Mann hatte sich vor dem Steuer festgebunden und beobachtete aufmerksam den Kompaß, dann wieder das einzige, noch stehende Segel, den hilflosen Mann im Wasser hatte er noch nicht gesehen. Aber Gott lenkte seinen Blick; plötzlich drehte er das Steuer, damals glaubte ich, mit dem Seewesen völlig unbekannt, jetzt müsse er vorbeifahren, während er vorhin direkt auf mich zukam, doch ich hatte mich getäuscht, der Mann machte die kühnsten Versuche, außerhalb des Windes an mich heranzukommen, dadurch wurde ihm der Klüverbaum abgebrochen, aber endlich lag ich an Deck des Ewers.

»Harris nahm mich auf, wie ein Bruder den andern, er gab sich nicht zufrieden, mir das Leben gerettet zu haben, sondern er sorgte auch dafür, daß ich es weiter erhalten konnte. Er kleidete den nackten Fremden, er speiste ihn und ließ ihm sein Haus offen.

»In zwei Jahren war der einstige Bettler so weit, daß er sich einen eigenen Ewer anschaffen konnte, und wieder ein Jahr später, da lernte er dich kennen, Nancy, und vor einem Monat ist aus dem armen Schiffbrüchigen, der mit halb verzweifelndem Herzen hier gelandet wurde, der glücklichste Mensch unter der Sonne geworden!«

»Armer Mann, was hast du gelitten!« sagte Nancy zärtlich und schlug die Arme um seinen Hals. »So hast du niemanden mehr auf der Welt, der Anteil an dir nimmt?«

»Niemanden als dich, Nancy, und Harris; mag sein Benehmen auch noch so sonderbar sein, mag er mir auch noch so geflissentlich aus dem Wege gehen, ich will ihm ein Freund sein, auf den er in der Not zählen kann; nicht Leben, nicht Tod, nicht sein Zorn sollen mich davon abbringen. Wie er einst sein Leben für das meinige hingeben wollte, so bin ich auch jetzt bereit, das meinige für ihn zu opfern!« – – – – – –

Unterdessen schritt Harris die Dorfstraße entlang, bog dann links ab und stieg eine kleine Anhöhe hinauf, auf welcher ein großes, fensterloses Gebäude stand, dessen Mauerwerk, wie auch das Dach mit blendendem Weiß bestrichen waren. Es war dies das sogenannte Eishaus, in welchem die Fische in mit Eis abgekühlten Räumen so lange aufgehoben wurden, bis ein Dampfer kam und sie nach Kooktown brachte. Es war allerdings schwer, hier, dem Aequator nahe, Eis längere Zeit zu halten, aber es mußte sein, und so brachte zweimal wöchentlich ein Dampfer das Eis, und in dem weißen Gebäude, welches die Sonnenstrahlen stark reflektierte, also nicht aufsaugte, hielt es sich ziemlich gut.

Dicht an dieses Gebäude lehnte sich ein kleines, freundliches Häuschen mit grüngestrichenen Fensterkreuzen, an denen sich Weinreben emporrankten; hier wohnten Mister Elidoff, der Stellvertreter des in Kooktown wohnenden Fischhändlers, und Mister Jenkins, sein Buchhalter, welcher von Anfang an hier thätig gewesen war, aber seiner sonderbaren Eigenschaften wegen nicht dazu gepaßt hatte, den erst vor einigen Tagen abgegangenen Direktor zu ersetzen, sodaß ein neuer, Elidoff, vom Prinzipal hergeschickt worden war.

Während des ganzen Weges hatte Harris, kurze Sätze ausstoßend, ab und zu den Kopf geschüttelt, war stehen geblieben und dann wieder mit zögernden Schritten weiter gegangen.

»Was für ein Thor bin ich gewesen,« murmelte er vor sich hin, »mein eigenes Glück zu verscherzen, es dem an den Hals zu werfen, der mir alles zu danken hat! Und doch, mußte es nicht so kommen? Darf ich mich darüber wundern? Nein, ich selbst bin daran schuld, ich war blind. Zwei Gefühle streiten in meinem Herzen, das der Liebe und das des Hasses. Ich hielt Björnsen für meinen Freund, und gerade er hat mir alles geraubt. Doch nein, that er dies wirklich? Wußte er, daß ich Nancy liebte? Wußte Nancy, daß sie mir den Todesstoß gab, als sie dem Fremdling die Hand reichte? Nein, ich war ein Narr, daß ich mich ihr nicht offen erklärte – sie konnte es nicht wissen, sie hielt mich für ihren Freund, ahnte aber nicht, daß die glühendste Leidenschaft mir das Herz zerriß! Und nun, da es zu spät ist, zermartere ich mich mit Eifersucht, ich quäle mich mit dem Gedanken, wie ich mein Glück wiedererlangen kann.«

Seufzend strich sich der Fischer über die braune Stirn.

»Zu spät, zu spät,« murmelte er vor sich hin.

Als er die Anhöhe emporgestiegen, sah er ein bärtiges Gesicht im Fenster des Eishauses auftauchen.

»Was will nur dieser Russe von mir?« dachte er. »Er sucht meine Freundschaft auf jede Weise zu gewinnen, bald mit süßen Schmeichelworten, bald mit Geld. Als der Morgen nach jener Nacht anbrach, die mir meinen Ewer, wie auch mein Haus geraubt hatte, war er der erste, der mir das Geld anbot, mir alles wieder kaufen zu können. Warum zieht er sich so von aller Welt zurück, warum sind ich und Jacko die einzigen im Dorfe, mit denen er verkehrt? Dies ist mir nicht schmeichelhaft, denn Jacko ist der Abschaum der Insulaner, ein verworfenes Subjekt, das einzige, das auf der Insel existiert, die Schande für uns alle. Und gerade mit diesem habe ich ihn mehrere Male im Gespräch gesehen. Da winkt er mir schon wieder, will sehen, was er mir zu sagen hat.«

Statt nach dem Eishaus zu gehen, schritt Harris auf das Wohngebäude zu.

Mister Elidoff empfing ihn in seinem Schreibzimmer.

Er war, wie schon sein Name sagt, ein Russe, wenigstens gab er sich für einen solchen aus, aber ein Menschenkenner hätte ihn eher für einen Italiener gehalten. Das dunkelrote Gesicht war über und über mit einem dichten, schwarzen Barte bedeckt, der fast nur Stirn und Augen freiließ, und diese Augen hatten einen so stechenden Blick wie die der Tiger. Er war unbedingt ein schöner Mann, besonders die edelgebogene Nase machte ihn zu einem solchen, wenn nur nicht die Augen so unruhig gewesen wären. Man mußte immer glauben, daß dieser Mensch ein böses Gewissen habe, das ihm keine Ruhe ließ.

»Harris,« begann Elidoff und schob dem Eintretenden einen Stuhl zu, »wie gefällt Euch die Arbeit im Eishaus?«

»Schlecht! Ich sehne mich zurück nach dem Meere. Habe ich mir genug gespart, um mir ein neues Boot kaufen zu können, verlasse ich Euch wieder.«

»Setzt Euch nur!« sagte der Russe zu dem noch immer an der Thür Stehenden, und als dieser der Aufforderung Folge geleistet hatte, fuhr er fort: »Es wird aber ein Jahr vergehen, ehe Ihr so viel zusammen habt.«

»Das macht nichts, ich kann warten. Ich könnte mir das Geld dazu schneller erwerben, aber ich bin zu stolz, um bei denen, unter welchen ich früher einer der reichsten war, für Lohn zu arbeiten, hier ist dies etwas anderes. Erst vorhin habe ich ein Angebot bekommen, mit jemandem zusammen zu arbeiten, wodurch ich in einigen Wochen genügend Geld in die Hände bekommen würde.«

»Wer war das?«

»Björnsen, der Schwede, über den Ihr Euch bei mir so genau erkundigt habt!«

»Björnsen?« rief Elidoff und trat auf den Fischer zu. »Habt Ihr es angenommen? Sprecht, Mann!«

»Ich wurde so sehr gebeten, daß ich wenigens versprach, morgen früh eine bestimmte Antwort zu geben. Aber ich werde wahrscheinlich nicht annehmen.«

»Was müßtet Ihr denn bei diesem Schweden arbeiten?«

»Wir fahren zusammen auf seinem Ewer ins Meer hinaus und fischen. Sein Knecht ist alt, er will ihn zu Hause lassen und mir so Gelegenheit geben, schnell in den Besitz von Geld zu kommen, denn er will redlich mit mir teilen. Ein edles Angebot, aber ich werde es doch abschlagen.«

Erregt ging der Russe mit großen Schritten im Zimmer auf und ab, die Brauen gerunzelt und die Augen unheimlich rollend. Plötzlich blieb er vor dem Fischer stehen und begann mit leiser, eindringlicher Stimme:

»Ihr liebt Nancy?«

»Herr!« rief Harris und sprang auf, den Sprecher mit finsteren Blicken messend. »Was geht Euch das an?«

»Jacko hat es mir erzählt.«

»Jacko? Wie kommt er dazu, habt Ihr ihn gefragt?«

»Er hat mir das erzählt, was sich das ganze Dorf zuflüstert. Oder glaubt Ihr, auch ich hätte nicht gleich am ersten Tage gemerkt, daß Euch eine heimliche Leidenschaft verzehrt? Eure leidenden Mienen und mehr noch Eure Augen verraten es.«

»Das ganze Dorf flüstert es, sagtet Ihr?« brachte Harris mit bebenden Lippen hervor.

»Ein jeder weiß davon, was Ihr als Euer Geheimnis zu betrachten scheint, und mehr noch, ein jeder sagt, daß Ihr ein rechter Narr seid.«

»Herr!« brauste Harris abermals ans, »wahrt Eure Zunge, wir stehen hier auf freiem Boden, ich bin nicht Euer Sklave, den Ihr beleidigen dürft!«

»Gemach, gemach,« beschwichtigte ihn der Russe lächelnd und drückte den Aufgesprungenen auf deu Stuhl zurück. »Ich will Euch ganz genau erzählen, wie man über Euch im Dorfe spricht. Sie sagen, Ihr seid ein Narr gewesen, daß Ihr dem Manne das Leben gerettet habt, der Euch dann Eure Braut stahl.«

»Kann ich etwas dagegen thun? War es nicht der Wille des Schicksals? Üeberdies ist Nancy nie meine Braut gewesen!«

»Aber die Erwählte Eures Herzens! Und ob Ihr was dagegen thun könnt? Sie lachen Euch aus, sie spotten darüber, daß Ihr Euch das gefallen laßt. Aber Ihr seid vor Liebe blind und merkt nicht, wie sie lachend hinter Eurem Rücken mit dem Finger auf Euch deuten. ›Dem Tölpel geschieht recht‹ sagen sie, ›er ist Nancy gar nicht wert‹«

Des jungen Fischers Brust atmete schwer.

»Ich wäre Nancy nicht wert?« sagte er tonlos. »Mein Gott, kann ich dafür, daß dies alles so gekommen ist? Meine einzige Schuld ist, daß ich ihr nicht früher meine Liebe gestanden habe, und seitdem ich dies erkannt habe, ringe ich Tag und Nacht mit mir, mein heißes Blut zu beherrschen, denn es ist zu spät, Nancy ist für mich verloren.«

»Heißes Blut?« spottete der Russe. »Man sagt von Euch Insulanern, Ihr wäret Abkömmlinge von Spaniern, und das mit Recht, Ihr besitzt das feurige Temperament dieser Nation. Nur Ihr, Harris, macht diese Behauptung zur Unwahrheit, Ihr seid kalt, wie der Fisch, welchen Ihr fangt.«

»Keiner meiner Kameraden würde anders handeln als ich,« entgegnete Harris. »Wenn ihm etwas auf rechtlichem Wege genommen worden ist, so bezwingt er sich wie ein Mann, den Verlust zu vergessen.«

»Oho,« sagte Elidoff höhnisch, »da kenne ich die Insulaner denn doch besser als Ihr, obgleich ich erst drei Tage hier bin. Wie gesagt, Eure Augen sind vor Liebe blind, Eure Ohren sind verschlossen, sonst würdet Ihr hören, was man über Euch spricht, und wie sich jeder andere an Eurer Stelle benehmen würde.«

»Was sagt man davon?«

Der Russe neigte sich bis an das Ohr des Fischers und zischelte:

»Man sagt, wenn ich jemandem das Leben gerettet habe und er vernichtet mein Glück, ich kann es aber nach seinem Tode wiederbekommen, so –«

Der Russe hielt inne.

»Was dann?« flüsterte Harris atemlos.

»Dann darf ich ihm das Leben wieder nehmen.«

Der Fischer stand langsam auf und mußte sich an der Stuhllehne festhalten, so bebten ihm die Glieder vor Aufregung.

»Das also ist es, was die anderen thun würden?« hauchte er, die Augen starr auf den Russen geheftet.

»Ja, das ist es. Und fürwahr, eine schwache, feigherzige Memme ist der, der es nicht thut.«

»Aber ich kann es nicht,« stöhnte der junge Fischer und schlug die schwieligen Hände vor das Gesicht. »Nancy, Nancy, ich möchte Dich besitzen, aber nicht durch Mord.«

Er sank wie gebrochen auf einen Stuhl.

»Nancy war Euch niemals abgeneigt, ebensowenig, wie sie es jetzt ist,« begann der Russe und nahm Harris gegenüber Platz. »Ihr hättet nur um ihre Hand zu werben brauchen, nie würde das Mädchen sie Euch abgeschlagen haben.«

»Ich weiß es,« stöhnte der Mann, »zu spät – zu spät!«

»Nichts ist zu spät, es läßt sich alles wieder einholen. Wenn ihrem Manne jetzt auf der See ein Unglück zustößt, wie es so oft passiert, so würde sie ein halbes Jahr trostlos sein, ein halbes Jahr würde sie um den Verschollenen noch weinen und dann sich langsam wieder beruhigen, bis ein anderer kommt, der um ihre Hand anhält. Es ist nicht das erste Mal, daß sich so etwas auf dieser Insel ereignet.«

Der Fischer hatte noch immer das Gesicht mit den Händen bedeckt, aber der Russe zweifelte nicht daran, daß die vorgemalten Bilder ihre Wirkung verfehlen würden, und fuhr fort:

»Dann kommt Ihr, Harris, und sprecht: Nancy, einmal ist mir jemand zuvorgekommen, aber das zweite Mal soll dies nicht wieder geschehen, sei mein Weib, Nancy! Und sie wird nicht nein sagen, ich bin davon überzeugt. Unterdessen habt Ihr Euch ein hübsches, neues Haus gekauft, fahrt statt eines Ewers deren zwei, aber nicht mehr selbst, sondern habt Eure Leute dazu. Ihr bleibt zu Hause bei Eurer Nancy und –«

Dem Fischer tönte ein Heller Klang in die Ohren, er blickte auf und sah, wie der Russe einen Haufen Goldstücke von einer Hand in die andere spielen ließ.

Er war aufgesprungen, und der seltsame Ausdruck der schwarzen Augen sagte dem Verführer mehr, als er aus Worten hätte verstehen können: Harris war der Seine.

»Behaltet Euer Geld,« stieß er rauh hervor, »ich mag es nicht. Auch will ich nicht wissen, weshalb Ihr den Schweden haßt – genug, Ihr habt mir einen Weg gezeigt, den ich betreten werde, und führt er auch zur Hölle, wenn er mich nur zuerst durch's Paradies bringt.«

»Verschmäht das Geld nicht,« lächelte der Russe, »es ist der beste Freund der Menschen. Doch noch eins, wann geht Björnsen in See?«

»In einigen Tagen habe ich gehört, und,« setzte Harris mit furchtbarem Blick hinzu, »ich werde mit ihm gehen.«

»Haha,« lachte der Russe und reichte ihm die Hand, »bravo, ich wünsche Euch guten Fischfang! Vergeßt also nicht, heute abend.«

»Ich komme,« antwortete der Fischer kurz und verließ das Zimmer.

»Dem Himmel sei Dank,« stöhnte der Russe auf, als er allein war, »bald werde ich nicht mehr jeden Augenblick zu fürchten haben, von dem Schweden erkannt zu werden. Es ist ein Unglück für mich oder auch ein Glück, daß ich jeden Menschen, den ich nur einmal im Leben gesehen habe, sofort wiedererkenne. Auch dieser Bursche erinnert sich, mich schon einmal getroffen zu haben, aber ehe ihm alles klar zum Bewußtsein kommt, wird er nicht mehr zu den Lebenden zählen, dafür sorgt schon der von ihm betrogene Bräutigam. Hahaha!

»Ich brauche vor Harris nicht ängstlich zu sein, dem Burschen will ich schon noch Geld in die Hände spielen, und auch ohnedies weiß er nichts und hat mich selbst als Angeber zu fürchten. Aber ich muß mich von jetzt ab vor ihm in acht nehmen, denn hat er erst einmal die Verbrecherbahn beschritten, so wandelt er darauf schnell vorwärts. Ich weiß es aus eigener Erfahrung.«

Mit großen Schritten durchmaß er das Zimmer.

»Sonderbar, höchst sonderbar! Auf dieser Insel will ich mich endlich verstecken, um meinen Raub bescheiden, aber in Ruhe verzehren zu können, und gleich beim ersten Tritt auf der Insel begegnet mir dieser blonde Schwede.

»So sind doch einige der Katastrophe entgangen? Vielleicht aber auch nur er? Nun, ist er zum Stillschweigen gebracht, so bin ich in Sicherheit. Fremde kommen hierher nicht, und dann ist es endlich einmal Zeit, mir ein Heim zu schaffen, wie ich es mir längst ersehnt habe. Hier lebt es sich wie im Paradiese, die Mädchen sind alle Schönheiten, und durch den Dampfer kann man sich mit allem Komfort versehen lassen, die sonst nur die größten Städte zu bieten vermögen. Glück auf, ich bin nicht mehr weit vom Ziele entfernt!«

Händereibend ging der Russe auf und ab und malte sich in den schönsten Farben die Freuden aus, die ihn hier erwarteten.

Da schallten Rufe aus dem Dorfe, besonders durchdringende Kinderstimmen jubelten laut, und als Mister Elidoff an's Fenster trat, sah er zu seinem Staunen, wie eben ein großes Vollschiff von einem Dampfer, der aber wie eine Brigg aufgetakelt war, in die Bucht geschleppt wurde.


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