Robert Kraft
Die Vestalinnen, Band 1
Robert Kraft

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15.

Das Gericht in der Wüste.

Vor dem Zelte Mustaphas drängten sich die Beduinen und harrten gespannt der kommenden Enthüllungen.

Schon gestern abend hatten einige von ihnen den Auftrag bekommen, Hassan, der jetzt noch arglos schlief, scharf zu beobachten und seine etwaige Entfernung aus dem Lager zu verhüten. Desgleichen waren andere damit beschäftigt, über das Treiben Dahabs zu wachen.

Hassan lag noch träumend auf seinem weichen Teppich, als plötzlich der Vorhang des Zeltes zurückgeschlagen wurde und ihm jemand den herrischen Befehl gab, sofort aufzustehen und zum Scheich zu kommen.

»Was soll's?« rief Hassan, sich die Augen reibend. »Können diese reisenden Franken ihren Weg nicht allein finden? Soll Hassan ihnen wieder einmal als Wegweiser dienen?«

»Gehorche und komme!« sagte drohend der Beduine.

Jetzt ward Hassan stutzig. Er sah, daß vor dem Eingange seines Zeltes mehrere Mäuner standen, bereit, ihn in Empfang zu nehmen. Sein böses Gewissen machte das Herz schneller schlagen.

Eiligst stand er auf, schlug den Burnus um die Schultern und trat aus dem Zelt. Sofort nahmen ihn zwei Männer in die Mitte, führten ihn nach dem Zelt des Scheichs, und Hassans Gesicht entfärbte sich, als er sah, daß ein Gericht abgehalten werden sollte, und daß er der zu Verhörende sei.

Mustapha saß mit gekreuzten Beinen auf einem Teppich; neben ihm stand eine der Damen, welche gestern gekommen waren, und sprach in einer fremden Zunge zu dem sie begleitenden Neger. Rings um diese Gruppe scharten sich die Stammesgehörigen, aber nur die Männer, die Weiber durften an derartigen Versammlungen nicht teilnehmen. Auf der einen Seite standen die männlichen Gäste, auf der anderen die Damen.

Diese verfluchten Franken! Was führte sie hierher, ein Gericht zu veranlassen? Hatte er sie betrogen? Hatte er ihnen schlechte Pferde verkauft? Nein, er kannte sie gar nicht! Sein Auge schweifte unwillkürlich über die Versammlung hinweg. Wie gewöhnlich, so standen die Pferde der Gastfreunde auch hier um das große Zelt des Scheichs, die Zügel nur leicht über eingerammte Pflöcke geworfen.

Zwischen ihnen erkannte Hassan auch das dem Dahab gehörige. Sofort suchte er diesen unter den Zuschauern, und bald hatte er ihn herausgefunden. Auch Dahabs Gewissen schien nicht ganz rein, denn es gelang ihm nur schwer, seine Aufregung zu verbergen. Die Arme übereinandergeschlagen, die schmalen Lippen fest zusammengepreßt, starrte er finster vor sich hin und würdigte seine Umgebung keines Blickes. Da begegneten seine Augen denen Hassans, und dieser bemerkte, wie jener leicht zusammenzuckte. Neben ihm stand sein Vater, der Scheich eines Stammes der Bauiti, ein ehrwürdiger, guter und allgemein beliebter Mann.

Jetzt trat Hassan vor Mustapha. Er hatte seine Fassung wiedergewonnen; beweisen konnte man ihm nichts, er hatte die Fremdlinge noch nie gesehen, Salim war noch nicht zurück – es war zweifelhaft, ob er überhaupt je wiederkam – und so mußte die Versammlung sicher verschoben werden. Aber er wollte nicht warten, sondern sobald wie möglich für immer verschwinden; der Boden fing an, ihm unter den Füßen zu brennen. Frech blickte er dem alten Scheich ins Gesicht.

Die Einleitung zu der Verhandlung mußte schon vor seiner Vorführung begonnen haben, denn Mustapha erhob sofort die Anklage gegen ihn.

»Vor sechs Monaten,« begann er mit vor Erregung zitternder Stimme, »wurden mein einziges Kind, Sulima, und ein anderes Mädchen, Seddah, mit Gewalt von fremden Räubern entführt, welche sich als Reisende ausgaben und meine Gastfreundschaft beanspruchten. Durch List gelang es ihnen, unsere jungen Männer aus dem Lager zu entfernen, dann führten sie ihren verruchten Plan aus. Ist dir dies bewußt?«

»Ja,« entgegnete Hassan, »und ich ...«

Der Scheich winkte ihm zu schweigen.

»Diese edle Dame hier,« er wies dabei auf die neben ihm stehende Ellen, »kommt weit aus dem Abendlande her, um dich, Hassan-ben-Tomar, zu beschuldigen, du habest jene Räuber angeworben.«

Hatte man erwartet, diese offene Anklage würde Hassan niederschmettern, so war man jetzt enttäuscht, daß sie nicht den geringsten Eindruck auf den abgefeimten Spitzbuben machte.

»Mich?« rief er erstaunt aus. »Wo ist Seddah, daß sie bezeuge, wie gerade ich es gewesen bin, der alle seine Kräfte aufgeboten hat, um die Mädchen wiederzubekommen, und daß es mir auch gelungen ist, sie zu befreien, oder doch wenigstens die eine.«

Er warf einen Blick um sich, als suche er Seddah, sah aber dabei Dahab an, der ihn mit drohenden Augen anstierte. Hassan hatte geahnt, daß diese Anklage gegen ihn erhoben würde, jedenfalls waren diese Fremdlinge der verkauften Sulima irgendwo begegnet, und diese, welche ihm nie günstig gestimmt gewesen war, hatte die Vermutung ausgesprochen, daß er bei ihrer Entführung die Hand im Spiele gehabt habe. Aber die Sache war nicht so schlimm; denn Beweise konnten nicht gebracht werden, selbst wenn Sulima plötzlich wieder erschienen wäre.

Ebenso dachte Dahab, er fühlte sich vollkommen sicher.

»Wo ist Seddah?« fragte er wieder.

»Wir kennen ihre Geschichte genügend, als daß wir sie noch einmal anhören müßten,« entgegnete der Scheich, »aber wir kennen auch deine Schlauheit, mit der du uns schon oft hintergangen.«

»Beweise,« rief Hassan trotzig.

»Sie sollen dir werden.«

Der Scheich winkte, und Salim trat hinter dem Zeltvorhang hervor.

Ein Gemurmel ging durch die Reihen der Beduinen, Hassan zuckte unmerklich zusammen, wechselte einen Blick mit Dahab und sah, wie dieser die Farbe verlor.

»Dieser ist es,« rief Salim und deutete auf Hassan, »der die Räuber gedungen, er hat Sulima verkauft, und weil er für die pockennarbige Seddah keinen Käufer fand sich dann den Anschein gegeben, als hätte er dieselbe befreit.«

Doch Hassan blieb ungerührt, er lächelte höhnisch.

»Mein Sohn,« redete der Scheich Salim an, »bedenke, was du sprichst! Du urteilst über Leben und Tod eines unserer Stammesgenossen.

»Es ist so,« rief aber Salim. »Ich kam in ein Hafenstädtchen und erfuhr dort, daß ein Mann, dessen Beschreibung auf Hassan paßte, vor kurzem mit einem Türken Verhandlungen angeknüpft habe. Dieser aber war in jener Stadt unter den Arabern allgemein als Sklavenhändler bekannt, der sich hauptsächlich mit Mädchenkäufen abgab. In derselben Nacht noch, als Hassan mit diesem gesehen worden ist, wurde aus einem Hause ein Mädchen geholt und an Bord des Sklavenschiffes gebracht, während einige Tage später aus demselben Hause eine andere – es war Seddah – nach einer Stadt, welche etwa zwei Tagereisen weiter südlich liegt, geschleppt wurde. Hier erschien bald darauf Hassan abermals und will, wie er erzählt, Seddah mit Hilfe von geworbenen Helfern durch Gewalt ihren Entführern entrissen haben.«

»Ist dies nicht wahr?« rief Hassan triumphierend. »Ruft Seddah, daß sie es bestätigt!«

»Was aber sagst du zu dem ersten Teil der Beschuldigung?« fragte der Scheich streng.

»Er ist erlogen,« entgegnete der Heuchler entrüstet. »Es giebt noch andere Leute, welche so aussehen, wie ich. Eine Ungerechtigkeit ist es, daß auf die leere Aussage fremder Personen ein Unschuldiger auch nur des Verbrechens verdächtigt wird.«

»Ist dir auch dies eine fremde Person?« fragte der Scheich und wies dabei auf den Eingang des Zeltes, in welchem in diesem Augenblick Sulima erschien. Ein allgemeiner Freudenschrei der Beduinen bewillkommnete die Wiedergefundene.

Mustapha, wie auch Ellen, beobachteten den Delinquenten scharf, aber dieser hatte seine Züge so in der Gewalt, daß in ihnen eher ein freudiges Erstaunen, als Schrecken zu lesen war.

»Sulima!« rief er in herzlichem Tone. »Wie mich das freut, daß du gerettet worden bist!«

Ellen wurde unruhig; sie hatte erwartet, daß diese Begegnung mit Sulima einen anderen Eindruck bei Hassan hervorrufen würde.

Sulima deutete mit ausgestreckter Hand auf Hassan.

»Diesen Mann dort habe ich vom Fenster des Zimmers, in dem ich gefangen gehalten wurde, dabei beobachtet, wie er von einem Türken Goldstücke ausgezahlt bekommen hat.«

»Wie willst du mich erkannt haben, wenn es Nacht gewesen ist?« unterbrach sie Hassan, verlor aber doch für eine Sekunde seine Fassung, als er sich der Unklugheit bewußt wurde, die er eben begangen. Aber es war zu spät, den Sinn des Satzes zu ändern.

Mustapha war aufgestanden und maß den Menschen der eine solche Entrüstung heucheln konnte, mit drohenden Augen.

»Wenn es Nacht gewesen ist?« wiederholte er langsam, Wort für Wort eigentümlich betonend. »Woher weißt du denn, Hassan, daß der Handel zwischen dem Türken und dem Betreffenden, der dir so ähnlich sah, des Nachts abgeschlossen wurde?«

Hassan hatte schnell seine Frechheit wieder gefunden.

»Nun, hat dir's Sulima nicht vorhin selbst gesagt?« fragte er die anderen Zuhörer.

Er warf dabei einen Blick auf Dahab, als hoffe er, daß dieser die Behauptung bejahen würde, aber derselbe preßte die Lippen fest zusammen und beobachtete mit glühenden Augen den Angeschuldigten. Von ihm hatte er also keine Unterstützung zu erwarten.

Ein drohendes Murmeln ging durch die Reihen der Beduinen.

»Du siehst, daß du dich selbst gefangen hast. Gestehe die Wahrheit, gieb deine Mitschuldigen an, und deine Bestrafung soll eine mildere sein!«

Wieder streiften Hassans scheue Augen Dahab. Fast war es, als ob dieser sprechen wollte, aber er schwieg.

»Du beharrst beim Leugnen? Gut so –«

»Wo sind Beweise?« unterbrach ihn aber Hassan trotzig. »Ich bin ein Beni Suef, zwei Zeugen verlange ich, die mich gesehen haben wollen und wider mich auftreten.«

»Bursche,« entgegnete der Scheich drohend, »wir kennen deinen tückischen, dir vom Teufel eingegebenen Geist. Seit Jahren hast du uns betrogen und unseren Gewinn geschmälert. Dein Geiz, deine Habsucht sind zu bekannt, um dir nicht auch einen Raub an unseren eigenen Jungfrauen zuzutrauen.«

»Beweise,« beharrte Hassan, dessen einzige Hoffnung noch darauf beruhte, daß solche nicht gebracht werden konnten; denn Sulimas Aussage genügte umsoweniger, als sie ein Weib war, welches bei den Muhamedanern eine untergeordnete Stellung einnimmt.

»Wir werden deine Zunge gelenk zu machen wissen,« rief der Scheich jetzt erregt, »du weißt, es steht mir die Macht zu, dich zum Geständnis zu zwingen.«

»Nicht einen unseres Stammes,« stammelte Hassan erschrocken. »Du bist wohl zum Scheich erwählt, aber deine Herrschaft hat Grenzen.«

»Elender Wicht,« donnerte der Scheich, »auch deiner Frechheit ist ein Ziel gesetzt. Wisse aber, nicht ich richte dich, sondern die Männer der Beni-Suef, und sie sind damit einverstanden, daß du die Bastonnade erhältst, bis du gestehst.«

Sofort fühlte sich Hassan von hinten umfaßt und zu Boden geworfen. Das war zuviel für den dreisten, aber feigen Beduinen. Schon wurden ihm die Sandalen von den Füßen gerissen, er wollte noch einen hilfesuchenden Blick auf den jungen Scheich der Bauitis richten, aber dessen Platz war leer. Da gellte es entsetzt von seinen Lippen:

»Gnade! Nicht ich bin der Urheber des Streiches, Dahab hat mich dafür bezahlt.«

»Dahab!« schallte es wie ein Echo ringsum.

»Dahab! Ich dachte es mir,« flüsterte dessen Vater, mit der Hand nach dem Herzen fahrend.

»Haltet Dahab, er will fliehen,« heulte wieder Hassans vor Angst heisere Stimme; er fühlte schon in Gedanken die Schläge des Rohres, das bei jedem Hieb die Fußsohlen blutig reißt.

Da vernahm man plötzlich auf dem weißen Sande, fast unhörbar, die Galoppsprünge eines Pferdes, das durch die Zeltgasse jagte, aber an der Menge erst vorüber mußte.

Im nächsten Moment sauste ein braunes Roß vorbei, und auf seinem Rücken saß Dahab, der das Tier in Carriere rücksichtslos durch die überraschten Beduinen trieb.

»Haltet ihn! Er ist der Schuldige!« brüllte Hassan, der ihn sah.

»Haltet ihn!« schrieen jetzt auch die übrigen Männer, aber es war fast zu spät, der Schurke hatte den Ausgang der Zeltgasse erreicht.

Schon war er im Freien, als zwei Araber von beiden Seiten hinzusprangen, um dem Pferde in die Zügel zu fallen. Doch da blitzte es links und rechts zu gleicher Zeit auf, ein Krachen erscholl, und lautlos sanken die beiden Beduinen in den Sand.

Dahab ließ zwei Leichen hinter sich.

Noch standen alle vor Schrecken über dieses neue Verbrechen im Lager wie erstarrt, als wieder der Hufschlag eines flüchtigen Pferdes gehört wurde.

Ein Grauschimmel schoß an ihnen vorbei, aber kein Mann saß im Sattel, sondern ein Weib.

»Ellen!« schrie Harrlington aus. »Ist dieses Mädchen wahnsinnig? Ihr nach!«

Alle Männer stürzten jetzt nach den Pferden, schwangen sich auf und setzten den beiden nach, aber Lord Harrlington, allen anderen voran, sah sofort, daß Ellen kein Beistand zu leisten war, denn ebenso wie der edle Vollbluthengst Dahabs, so übertraf auch ihr prächtiger Grauschimmel alle übrigen Pferde bedeutend an Schnelligkeit. Schon hatten sie einen großen Vorsprung, eine Kugel hätte den Flüchtigen nicht mehr erreicht, während Ellen von Dahab nur etwa dreißig Meter entfernt war und sich ihm immer mehr und mehr näherte.

Dennoch stürmte Harrlington beiden nach, ihm zur Seite Salim, der vor Wut mit den Zähnen knirschte.

Plötzlich stieß der Lord einen Schreckensruf aus. Deutlich konnte er wahrnehmen, wie Dahab die Zügel seines jagenden Rosses fahren ließ und sich mit dem Laden seiner Pistole beschäftigte, aber zugleich zeigte auch Ellen ein sonderbares Benehmen. Auch sie ließ dem Grauschimmel freien Lauf und schien, vornübergebeugt, mit irgendetwas beschäftigt.

Harrlington stöhnte auf und drückte dem Tiere verzweifelt die Sporen in die Weichen. Immer weiter hatten sich die beiden entfernt, aber doch konnte er noch deutlich wahrnehmen, wie sich jetzt Dahab im Sattel wendete und auf Ellen anschlug.

Doch was war das? Warum erhob sie ihre Hand und schien dem Flüchtling zu winken? Sie hätte ihn doch vom Pferde schießen können? Der Lord wußte, daß Ellen stets einen Revolver bei sich führte.

Eben hob Dahab den Arm zum sicheren Schuß, da riß plötzlich Ellen ihr Pferd zurück, und gleichzeitig wurde der Beduine wie durch Zauberkraft aus dem Sattel geschleudert. Ellen lenkte um, hinter sich den Körper Dahabs nachschleppend.

Jetzt verstand Harrlington die Handlung des Mädchens.

Ellen hatte einen Lasso bei sich gehabt, jenen geflochtenen Ledergurt, und er erinnerte sich auch, daß sie bei den Cow-boys aufgewachsen war und von diesen wahrscheinlich den Gebrauch der Wurfschlinge gelernt hatte. Aber ein solches Geschick und solche Kaltblütigkeit, im letzten Augenblick den Flüchtling zu Boden zu werfen, hätte er ihr nicht zugetraut.

»Sie sind diesmal mit mir zufrieden, Lord?« fragte sie lachend, als er sie erreicht hatte.

»Sie stürzen sich in unnütze Gefahren, Miß Petersen,« antwortete dieser. »Was kümmerte es sie, ob Dahab entkam oder nicht?«

»Wer so wie ich viele Jahre unter Cow-boys gelebt und mit ihnen stets verkehrt hat, dem geht diese Lust am wilden Jagen ins Blut. Außerdem war für mich durchaus keine Gefahr vorhanden, ich konnte den Flüchtling jederzeit vom Pferde holen; meine Lehrmeister würden mich allerdings, wenn sie Zuschauer gewesen wären, getadelt haben, daß ich nicht gleichzeitig das Tier mit gefangen habe. Sie sehen, ich passe besser in die Wüste oder in die Prärie als in große Städte; hier würde es nicht so schwer sein, mich zu überwältigen. Doch was macht mein Gefangener? Ihm wird während meines Trabes übel mitgespielt worden sein.«

Das war allerdings der Fall. Der Lasso hatte die Arme Dahabs fest an dessen Seiten geschnürt, sodaß er sich nicht hatte aufrichten können, sondern wehrlos nachgeschleift worden war. Hätte der Boden nicht aus weichem Sand bestanden, so würde er wohl noch anders zugerichtet gewesen sein, aber auch so zeigte sein Gesicht blutende Streifen.

Die Beduinen umringten den Gefangenen und nahmen ihm die Lederschleife ab; an Flucht war jetzt nicht mehr zu denken. Die Augen stier zu Boden geheftet, so schritt er stumm und den Kopf gesenkt, nach dem Lager zurück. Als er an dem Scheich der Bauitis vorbeigeführt wurde, hob er den Kopf, doch sein Vater wandte sich um und spuckte verächtlich vor dem Mädchenräuber aus. Also auch sein Vater verurteilte ihn. So hatte er keine Hoffnung mehr.

Unter den Beduinen Arabiens und Nordafrikas herrscht ein äußerst ritterlicher Sinn. Wohl berauben und plündern sie Karawanen, welche den Durchgangszoll durch das Gebiet der einzelnen Stämme verweigern, und geben die gefangenen Männer und Frauen nur gegen ein Lösegeld heraus, wohl führen sie einer Kleinigkeit willen blutige Kriege gegen einen Nachbarstaat und, wenn dieser besiegt ist und einen an Vieh und Geld geforderten Betrag nicht geben will, vernichten sie ihn, die erbeuteten Frauen und Mädchen als Eigentum in Beschlag nehmend, aber dies alles nennen sie keinen Raub, sondern ihr Recht. Die That hingegen, die Dahab ausgeführt hatte, ein Mädchen von einem befreundeten Stamme, mit dem die Bauitis in Frieden und Tauschhandel leben, durch List, Gewalt oder gar durch bezahlte Wüstenräuber entführen zu lassen, das war eine für einen Beduinen über alle Begriffe schmachvolle Handlung. Hätte Dahab sein Leben aufs Spiel gesetzt, um sich in den Besitz des Mädchens zu bringen, welches er liebte, so wäre er weniger hart beurteilt worden.

Unterdes hatte Sulima noch erzählt, wie sie einst nur durch Salims Dazwischenkunft vor Dahabs Frechheit bewahrt geblieben sei, was vollends den Ausschlag gab. Desgleichen schilderte nun Hassan, wie Dahab ihm zehn Goldstücke gegeben und ihm die doppelte Summe versprochen habe, wenn er Sulima in seine Gewalt bringe, alle Unkosten würde er extra zurückerstatten.

Er, Hassan, habe nun Wüstenräuber, wie sie immer in der Nähe von Städten käuflich sind, gedungen, Sulima zu entführen, und, um gleich mehr Profit von dem Geschäfte zu erlangen, auch noch eine andere rauben lassen. In jenem Hafen aber, den die Räuber zuerst erreichten, und wohin er bald nachfolgte, hatte ihm ein türkischer Mädchenhändler für Sulima eine sehr hohe Summe geboten, sodaß er beschloß, Dahab um die Beute zu prellen. Er verkaufte sie, spiegelte Dahab vor, Sulima sei ihm von anderen mit Gewalt abgenommen worden, und ließ Seddah nach einer abgelegenen Stadt bringen, wo er sie dann, dem Anscheine nach, befreite, um so einen etwaigen Verdacht von sich abzulenken. Dahab hatte ihm zwar nie recht geglaubt, aber er fühlte sich als Mitschuldiger, vielmehr als Veranlasser zu dem Mädchendiebstahl und hätte ihn in Ruhe gelassen, hoffend, daß alles in Dunkel gehüllt bliebe. Hassan habe immer vermieden, mit Dahab unter vier Augen zusammenzutreffen; denn er kannte dessen tückischen Charakter und wußte, daß derselbe nur auf eine Gelegenheit lauerte, den Mitwisser seiner Schuld für immer stumm zu machen.

Als die Verfolger zurückgekommen waren, teilte Salim auch noch den Ueberfall unterwegs durch die fremden Araber mit, und Hassan gestand, daß er von Dahab beauftragt worden wäre, Salim aus der Welt zu schaffen, da er doch etwas von Dahabs Plänen erfahren haben könnte, und außerdem, weil dieser den Jüngling wegen jener Züchtigung glühend haßte.

Die ganze Schlechtigkeit Dahabs schien heute mit einem Male an den Tag zu kommen; die Entrüstung der Beduinen war aufs höchste gestiegen.

Der alte Scheich der Bauitis verließ mit seinen Begleitern das Lager, er wollte dem Gericht über Dahab nicht beiwohnen – er hatte keinen Sohn mehr.

»So führt Dahab vor,« rief jetzt Mustapha, »er ist uns zur Verurteilung überlassen.«

Der Scheich hatte denselben einstweilen binden lassen und in Obhut einiger seiner Leute gegeben.

Sofort sah man, wie zwei Männer in einem Zelt verschwanden und bald darauf den Körper Dahabs heraustrugen, ihn stumm zu den Füßen des Scheichs hinlegend.

Kaum hatte dieser ihn erblickt, als er von seinem Teppich aufsprang und im Tone des Unwillens ausrief:

»Wer hat das gethan? Wer hat den Befehl dazu gegeben?«

»Wir haben es gethan,« sagte einer der Beduinen, welche Dahab getragen hatten, finster, »wir sind die Brüder der beiden Ermordeten; unser ist das Recht, ihn zu töten.«

Schaudernd wandten sich die Damen ab, es graute ihnen vor dem Anblick, der sich ihnen bot; das Gewand des am Boden liegenden war über und über mit Blut bedeckt, seine Brust zeigte unzählige Dolchstiche. Der Tod, der Dahab beschieden, war schneller an ihn herangetreten, als der Scheich gewollt hatte.

Aber durch die Reihen der umstehenden Beduinen ging ein beifälliges Gemurmel– die vier Männer hatten recht gehandelt. Dahab hatte ihre Brüder ermordet, und das Gesetz der Wüste, die Blutrache fordert, daß sie sich keine Gelegenheit entgehen ließen, die Seele des Mörders denen der Getöteten nachzuschicken. Ihre Handlungsweise mußte selbst der Richter billigen.

Ellen ging durch die Zeltstraße, um Johanna zu suchen, welche schon seit einiger Zeit den Richtplatz verlassen hatte. Sie traf das Mädchen, als es eben mit Sulima aus einem Zelte trat, ein Buch in der Hand.

»Tod und Mord,« fagte sie, »wohin man sieht, es ist selbst für meine Nerven zuviel. Ich bereue bitter, Dahab wieder eingefangen zu haben.«

»Thun Sie dies nicht,« bat Sulima, »er wäre weder den Bluträchern, noch Salim entgangen. Aber mir ist es unsäglich leid, daß Sie meinetwegen Zeugin dieser Szene geworden sind. Wie soll ich Ihnen danken?«

Ellen wehrte Sulima freundlich ab.

»Was haben Sie einstweilen ausgeforscht, liebe Jane?« fragte sie Johanna, »Sie sind gewiß abermals auf einer neuen Spur.«

»Allerdings,« lächelte Johanna, »Sulima zeigte mir die Andenken an Salims Mutter, und da habe ich verschiedenes Wichtige gefunden. So zum Beispiel verrät die Bibel, daß Karo-hissar eine Deutsche war, denn das Buch ist in deutschen Lettern gedruckt. Ferner steht eine Widmung darin, welche auf ihren Vornamen schließen läßt. Auch eine Photographie, aber nicht ihre, und einige Briefe mit Daten, Nennung von Städten und Unterschriften habe ich gefunden, alles sehr wichtig, um auf die Spur von Karo-hissars Abstammung zu kommen. Ich werde die Nachforschungen vielleicht später selbst betreiben,« fügte sie nachdenklich hinzu.

»Sie haben eine richtige Spürnase, Miß Lind,« lachte Ellen. »Wissen Sie, wenn Sie ein Mann wären, so müßten Sie Detektiv werden.«

Johanna wandte sich etwas verlegen ab.

»Nun, ich scherze ja nur,« fuhr Ellen schnell fort. »Es ist ein elendes Handwerk, als Spion bezahlt zu werden.«

»Von Salim selbst habe ich nicht das mindeste über seine Mutter erfahren können, nur ihr Aussehen konnte er mir sehr genau beschreiben. Man interessiert sich doch auch für die Eltern derer, denen man Teilnahme gezeigt hat.«

»Gewiß,« bestätigte Ellen.

»Wann gedenken Sie das Lager wieder zu verlassen?«

»So bald wie möglich. Am liebsten möchte ich noch heute aufbrechen, doch die Sonne beginnt schon sich zu neigen. Aber morgen mit Tagesanbruch sollen unsere Pferde gesattelt sein – bis dahin wird uns wohl der Scheich noch Gastfreundschaft gewähren.«

»So lange Sie wollen,« rief Sulima, »ein jeder Tag, den Sie und Ihre Freunde in unserem Zelte weilen, soll uns ein Tag der Freude sein. Wie können Sie nur so fragen!«

Jetzt erschollen Jammertöne von dem Richtplatz aus.

»Was wird das Schicksal Hassans sein?« fragte Ellen das Beduinenmädchen.

»Ich weiß es noch nicht, aber getötet muß er werden. Mädchenraub wird mit dem Tode bestraft, man ist dies schon mir und Salim schuldig. Er wird unter vielen Qualen sterben müssen.«

»Wann wirst du mit Salim vereinigt werden?«

»Wann es mein Vater will,« entgegnete das Mädchen mit einem glücklichen Lächeln. »Diesmal wird Allah nicht wieder unsere Freude stören.«

»Wir wollen es hoffen.«

Die anderen Damen näherten sich der Gruppe.

»Es ist entsetzlich,« sagte eine, »jetzt wird Hassan draußen in der Wüste eingegraben, so daß nur der Kopf aus dem Sande hervorragt. Ueber Nacht kommen die Schakale und Hyänen, fressen erst ...«

»Malen Sie diese Schrecknisse nicht aus,« unterbrach sie Ellen, sich schüttelnd.

»Es giebt noch härtere Strafen für solche Verbrechen,« meinte Sulima.


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