Robert Kraft
Die Vestalinnen, Band 1
Robert Kraft

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40.

Eine verkommene Grösse.

An einer Wassertreppe des Hafens von Sydney landete ein Mietsboot und setzte zwei elegant gekleidete Damen ans Ufer, und gleichzeitig fuhr eine Equipage vor, welche die beiden aufnahm.

»Horsestreet Nummer 4,« rief das ältere der jungen Mädchen dem Kutscher zu, und als dieser bei Nennung des Namens verwundert zu zögern schien, gab sie nochmals die Adresse an.

»Jedenfalls so eine Art von barmherzigen Schwestern der inneren Mission,« brummte er, als er seine Rosse umlenkte, und der elenden Vorstadt, in welcher die genannte Straße lag, zufuhr.

Ellen und Miß Hope Stannion waren es, welche in dem Wagen Platz genommen hatten. Die letztere, ein sonst so lustiges, ja ausgelassenes Mädchen, war heute recht niedergeschlagen. Das niedliche Gesichtchen hatte einen so schwermütigen Ausdruck, und der Anblick der bunten, wühlenden und sich drängenden Menschenmenge, die die breiten Straßen der großen, fremden Stadt belebte und ihr sonst immer Ausrufe der Bewunderung und der Freude entlockt hatten, vermochten heute ihr trauriges Auge nicht zu fesseln.

Beide hatten eine Zeit lang stumm nebeneinander gesessen, jede mit ihren eigenen Gedanken beschäftigt. Es war, als ob Ellen das Schweigen schon öfters hätte brechen wollen, denn sie räusperte sich zu wiederholten Malen, aber ein Blick auf die niedergeschlagenen Züge ihrer jungen Gefährtin, deren sie sich stets wie eine Mutter annahm, ließ nie das richtige Wort über die Lippen kommen.

Endlich raffte sie sich aber mit einem plötzlichen Entschluß auf und sagte in liebreichem Tone:

»Es muß sein, Hope! Ich habe noch nie mit Ihnen darüber gesprochen; da Sie nun aber wissen, wohin unsere Fahrt geht, so ist es jetzt Zeit.«

»Ach,« seufzte das junge Mädchen, »warum haben Sie mich denn überhaupt mitgenommen; ich vermag ja dabei gar nichts zu thun. Wenn alle Ermahnungen und Bitten derjenigen Verwandten, mit denen sie früher in Verkehr gestanden, nichts bei ihr halfen, wie soll sie dann auf mich hören?«

»Aber es ist doch Ihre Pflicht, wenigstens das Möglichste zu versuchen.«

Hope schüttelte traurig den kleinen Kopf.

»Ich kenne sie besser als Sie, Miß Petersen, ich habe viel von ihr hören müssen, als meine Eltern noch lebten, obgleich sie es mir immer verschweigen wollten. Aber durch zufällig erlauschte Gespräche, durch aufgedrungenes Geschwätz der Dienerschaft, wurde ich schon als Kind mit den Verhältnissen meiner Tante bekannt, und nach dem Tode meiner Eltern mußte mich mein Bruder wegen Regelung von Geldangelegenheiten vollkommen über diese Person aufklären, welche alle ihre Verwandten mit solcher Schande befleckt.«

Ellen stellte noch einige Fragen an das junge Mädchen, so zartfühlend wie möglich, bis sie sich vollkommen über die Person orientiert hatte, die sie besuchen wollten.

Mistreß Forbes war von mütterlicher Seite die Tante von Hope Staunton, war aber von der Natur nicht mit den edlen Anlagen ausgestattet worden, wie ihre Schwester, die Mutter Hopes, sondern besaß alle Untugenden, welche dieser fehlten: Eitelkeit, Hoffahrt und einen alles übersteigenden Leichtsinn. Nur eins hatte sie mit ihrer Schwester gemeinsam, aber zu ihrem Unglück, weil es ihre Untugenden noch unterstützte – ihre Schönheit.

Das Mädchen heiratete noch sehr jung einen reichen Engländer, der sich zum Besuch in Amerika aufhielt, und kehrte mit diesem als Mistreß Forbes nach England zurück. Hatte sie unter Aufsicht der strengen Eltern ihrer Putzsucht Zügel anlegen müssen, so ließ sie derselben als junge Frau freien Lauf, denn ihr Gatte war zu verliebt in sie und zu schwach, um ihr gegenüber energisch aufzutreten.

Nach einigen Jahren erkannte der Mann, wie thöricht er gehandelt hatte, als er seiner Gemahlin völlig freien Willen ließ, als er ihren Schmeicheleien traute, mit denen sie ihn über die Summen zu täuschen suchte, welche sie mit der größten Verschwendung vergeudet hatte; er erkannte erst jetzt, daß sie eine Person war, die der strengsten Aufficht bedurfte, daß sie ohne eine starke Hand ein schwankendes Rohr war, welches der Wind bald hierhin, bald dorthin wehte, aber es war schon zu spät – als Ehrenmann forderte er alle die zahllosen Rechnungen ein, die seine Frau in den Jahren hatte anwachsen lassen, bezahlte sie und sah sich an dem Rande seines Ruins.

»Was ist das weiter,« sagte das sorglose Weib, welches die Verzweiflung ihres Gatten nicht begreifen konnte, »das Vermögen, was ich mitbekommen habe, beträgt noch einmal so viel, denke, du hättest die Schulden mit meinem Gelde bezahlt.«

Furbes aber nahm das angebotene Vermögen nicht. Es war nicht das Geld, dessen Verlust ihn so schmerzte, sondern die Erkenntnis des Weibes, an das er sich für immer gefesselt hatte, welches er wohl bisher für etwas putz- und genußsüchtig, aber nie für eine Person gehalten, die ihn hintergehen konnte, ja, die sich sogar unrechter Mittel bediente, wenn sie in den Besitz eines gewünschten Gegenstandes kommen wollte. Die Bezahlung der Rechnungen hatte ihm die Augen darüber geöffnet.

Der getäuschte Ehemann nahm sich mit aller Kraft zusammen, keinen Pfennig vom Vermögen seines Weibes wollte er berühren, mit eigener Kraft wollte er sich wieder emporarbeiten, aber der Tod machte einen Strich durch seinen Plan – nach einigen Tagen wurde er von einem Schlaganfall dahingerafft, als seine Gattin mit ihren gleichgesinnten Freundinnen lustig auf einem Feste tanzte.

Mistreß Forbes war nun Witwe und, nicht einmal mehr die mahnende Stimme ihres Mannes hörend, stürzte sie sich mit toller Freude in die Genüsse des Lebens. Nach einigen Jahren war ihr eigenes Vermögen auch dahin; sie wäre in die bitterste Armut geraten, denn ihre Verwandten wollten bereits nichts mehr mit ihr zu thun haben, als ihre Mutter starb – zu ihrem Glücke, wie sie lachend sagte – aber sie war außer sich vor Zorn, als sie bei der Testamentseröffnung einige Klauseln fand, welche sie im Genusse des Erbteils einschränkten. Die erste Bedingung war, daß sie nur die Zinsen monatlich ausgezahlt bekam, und dann die zweite, daß sie fernerhin weder in England, noch in den Staaten ihres Heimatlandes, Nordamerika, leben dürfe.

Kurz entschlossen zog sie nach Sydney und begann hier bald ein Leben, wie es verworfener eine Straßendirne nicht hätte führen können. Es war auch zwischen ihr und einer solchen kein Unterschied mehr.

Wenn sie jeden Monat ihre Rente empfing, bestehend aus sechzig Pfund Sterling, also zwölfhundert Mark, so löste sie die versetzten Sachen aus dem Pfandhause ein, mietete eine elegante Wohnung und führte nun für einige Tage mit einem gerade begünstigten Liebhaber ein lustiges Leben. Mit seidenen Kleidern geschmückt, fuhr sie als Miß Forbes durch Sydney; Champagnergelage wechselten ab mit üppigen Festlichkeiten, und war das bare Geld alle, so ging es an das Versetzen der Wertsachen, bis gewöhnlich nach acht Tagen auch das letzte wieder im Pfandhaus war. Dann bezog sie wieder, jetzt natürlich von ihrem Geliebten verlassen, ihre elende Wohnung in der Horsestreet und verbrachte während drei Wochen ein Hungerleben, nährte sich durch Betteln und Schwindeln, froh, wenn sie jeden Tag einiges Geld für Branntwein auftreiben konnte. Noch lieber aber war es ihr, wenn sie es gerade so einrichten konnte, daß sie diese schlechte Zeit im Arbeitshause zubringen konnte, um nicht für ihr Unterkommen sorgen zu müssen, und daß dies oft geschah, dafür sorgte die Polizei.

Schon verschiedene Male hatte die Heilsarmee es versucht, diese Frau zu einem vernünftigen Leben zurückzuführen, aber immer wurden ihre Versuche mit Hohnlachen abgewiesen. Nur einmal schien es den Schwestern gelungen zu sein, das erstarrte Herz zu rühren.

Mistreß Forbes, gerade dem Hungertode nahe, schenkte den Bitten der Schwestern Gehör, ließ sich erst in ihr Quartier bringen, wo sie mit Nahrung und allem nötigen versehen wurde, und folgte dann auch in einer Prozession nach einem Bethaus der Heilsarmee, in dem sie ihre Bekehrung öffentlich bekennen sollte.

Sie sprach die Formel, welche ihr vorgesagt wurde, nach, als sie dann aber ein geistliches Lied singen sollte, stimmte sie Gassenhauer an, und die Heilsarmee machte seitdem keinen Versuch mehr, sie für sich zu gewinnen.

»Sie selbst haben mir nie von Ihrer Tante erzählt,« begann nach einer Weile Ellen wieder, »aber ich habe zufällig von dieser Verwandtschaft erfahren. Wissen Sie auch, was mich dazu treibt, diese Forbes zu besuchen?«

Hope verneinte.

»Heute morgen war eine Schwester der Heilsarmee bei mir, und diese kam im Auftrage der Mistreß Forbes. Sie ließ sagen, sie wäre todkrank, und da sie erfahren hätte, daß viele amerikanische Damen in Sidney wären und sie auch eine Amerikanerin sei, so bitte sie wenigstens eine um ihren Besuch. Wenn es wirklich schlimm mit ihr steht, so müssen Sie die erste sein, welche an ihr Bett kommt, wenn auch alle verwandtschaftlichen Bande zerrissen sind, deshalb habe ich Sie mitgenommen.«

»O, glauben Sie nicht alles, was Ihnen diese Frau sagt,« entgegnete Hope, »sie will nur jemanden zu sich locken, um Geld von ihm zu bekommen. Hat Ihnen dies nicht auch die Heilsschwester gesagt?«

»Nein, ihre Regel verbietet es ihnen streng, daß sie etwas über jemanden aussagen, was ihm schaden könnte. Sie glauben also nicht, daß Ihre Tante wirklich sehr krank ist?«

»Es kann ja sein, warum nicht? Aber eine solche Erkrankung bis zum Tode hat sie schon oft geheuchelt, um bei jemandem Mitleid zu erregen. Vor einem halben Jahre war mein Bruder, der Korvettenkapitän, hier, und Mistreß Forbes lockte ihn unter demselben Vorwande zu sich. Vom Sterben war bei ihr nichts zu merken, sie wollte von meinem Bruder zuerst eine große Summe haben, nur geborgt, wie sie sagte, dann handelte sie immer mehr herunter, bis sie endlich nur um einen Penny bat, um sich dafür Branntwein kaufen zu können.«

»Und was that Ihr Bruder?«

»Er hinterließ der Heilsarmee Geld, daß sie für das Weib sorge, ihr selbst gab er nichts in die Hände!«

»Ebenso würde ich handeln; die Schwester, welche mich aufsuchte, sagte mir, sie würde bei der angeblichen Kranken zu finden sein.«

Der Wagen bog in eine enge, schmutzige Straße und hielt vor einem halbverfallenen Hause.

Die Damen stiegen aus und tasteten sich in dem dunklen Flur – es wurde bereits Abend – eine schmale Treppe hinauf, auf dessen Geländer der Staub fingerhoch lag. Noch ehe sie die erste Etage erreicht hatten, öffnete schon ein Mädchen in der Uniform der Heilsarmee die Thür und hieß sie eintreten.

Wenn die Heilsschwester den kleinen, völlig kahlen Raum nicht erst etwas gesäubert hätte, so würden die Eintretenden entsetzt zurückgewichen sein, denn die Kammer starrte gewöhnlich vor Schmutz, aber auch jetzt noch machte sie einen Eindruck, daß die beiden Mädchen nicht wußten, ob sie eher Abscheu als Mitleid für die Bewohnerin eines solchen Raumes fühlen sollten.

Es war wie gesagt, kein Stuhl, kein Tisch darin, nur in der einen Ecke war ein Lager von Stroh hergerichtet, und auf diesem lag, nur mit wenigen Kleidern bedeckt, Mistreß Forbes, eine noch immer sehr reiche Frau.

Den beiden Damen blickte ein verfallenes, verschwommenes Gesicht entgegen, das einst sehr schön gewesen sein mußte, aber man merkte sofort, daß der unmäßige Genuß von spirituösen Getränken diese Züge so aufgedunsen hatte. Die gläsernen Augen waren starr auf die Eintretenden gerichtet, und als sie dieselben erkannte, deckten die zitternden Hände schnell ein Tuch über einen Gegenstand, der neben dem Strohsack lag.

Ehe sie noch mit der angeblichen Kranken sprachen, flüsterte ihnen die Schwester zu:

»Sie ist erst vor einer halben Stunde erwacht und schwatzte seltsames Zeug zusammen, immer sprach sie von Silber und Gold, das auf sie herabregne. Ich fürchte, sie ist sehr betrunken gewesen und leidet jetzt an den Folgen des Rausches.«

Ellen trat an das Lager heran und begann ohne weiteres:

»Sie haben gebeten, daß einige Damen der ›Vesta‹ zu Ihnen kommen möchten, weil Sie, als Amerikanerin, von Ihren Landsleuten Trost im Sterben haben wollten. Wir sind gekommen; wie geht es Ihnen?«

»Ach, Miß,« seufzte das Weib, »herzlich schlecht; seit acht Tagen habe ich keinen Bissen mehr über die Lippen gebracht, zum Arbeiten bin ich zu schwach, und ich habe niemanden, der sich um mich kümmert.«

Ellen sah die Heilsschwester fragend an.

»Wir haben ihr täglich reichliches Essen gebracht,« entgegnete diese, »aber –«

»Soll ich Eure verdammten Wassersuppen hinunterspülen?« fuhr die Todkranke wütend auf. »Ich bin eine reiche Frau und etwas Besseres gewöhnt.«

Sie wandte sich an Ellen und begann in einem langen Wortschwall zu erzählen, wieviel Vermögen sie besitze, und was sie einst alles besessen habe.

»Aber jetzt haben Sie doch nichts, ich sehe es Ihnen an, daß Sie Hunger leiden. Warum verschmähen Sie denn die einfache Kost, anstatt sich mit dieser zu begnügen?«

»Hahaha,« lachte das Weib, »Sie sind also auch so eine, die mir Moral predigen will! Dann gehen Sie zum Teufel, ich will von Ihnen nichts mehr hören!«

Sie wandte das Gesicht der Wand zu und blieb wie tot liegen.

»Nehmen Sie Vernunft an, Mistreß Forbes!« fuhr Ellen unbeirrt fort. »Wir kamen nicht hierher, um Ihnen Vorwürfe zu machen, sondern um Ihnen zu helfen. Sehen Sie denn nicht ein, daß Sie ein ganz elendes Leben führen, während Sie von der Rente, die Sie monatlich erhalten, wunderschön leben können? Raffen Sie sich auf, sagen Sie der schlechten Gesellschaft Lebewohl und verkehren Sie mit solchen, die nur Ihr Bestes im Auge haben! Sagen Sie nur ein Wort, daß Sie ein anderes Dasein anfangen wollen, und augenblicklich soll Ihnen geholfen werden. Sie werden sofort so versorgt, wie es sich für Sie schickt.«

Das Weib drehte sich um und blickte die Sprecherin an.

»Wieviel wollen Sie mir geben?« fragte sie und streckte die Hand aus. »Aber gleich, gleich, gleich! Ich brauche es, ich habe Hunger.«

»Ihr Hunger scheint doch nicht so groß zu sein, wie Sie angeben. Geld bekommen Sie von mir nicht, ich würde es jemandem geben, der für Sie sorgt.«

»Da haben wir es ja,« lachte das Weib gellend auf, »für mich sorgen und immer für mich sorgen! Behalten Sie Ihr Geld und gehen Sie zum Teufel! Sie sind auch nicht besser als die anderen!«

»Sie ist wahnsinnig geworden,« murmelte die Schwester am Fenster mit gefalteten Händen.

»Sie würden sich doch nur Branntwein dafür kaufen, der sie unglücklich macht,« sprach Ellen weiter und schleuderte die Flasche, welche durch Verschieben des Tuches sichtbar geworden war, mit der Fußspitze vom Strohsack fort, »aber ich möchte, daß Sie wieder zum Menschen würden und eine solche Stellung einnehmen, wie Sie sie haben könnten. Zu spät ist es dazu immer noch nicht.«

Wieder heftete das Weib die gläsernen Augen starr auf Ellen. Dann aber brach es wiederum in ein gellendes Lachen aus.

»Ich und eine Stellung einnehmen,« höhnte sie, »ja, allerdings, vielleicht morgen schon können Sie mich in Sammet und Seide fahren sehen. Dann werde ich einmal Ihr Schiff besichtigen, und wenn Sie keinen Champagner darauf haben, so werde ich welchen mitbringen! Hahaha!«

»Erwartet sie ihr Geld?« fragte Ellen die Schwester.

»Das ist es eben, was sie plötzlich so unsinnig gemacht hat. Als sie mir sagte, daß ich Sie zum Besuche auffordern sollte, wußte sie davon noch nichts, inzwischen aber hat sie die Nachricht empfangen, daß es bereits unterwegs ist, und nun ist es wieder vollständig mit ihr aus.«

»Kann man ihr das Geld nicht nehmen?«

Die Schwester schüttelte den Kopf und legte den Finger warnend auf die Lippen, aber schon hatte das Weib die leisen Worte vernommen. Wütend richtete es sich auf und schrie:

»Haha, mir das Geld nehmen? Wagt das hier einmal! Ich bin nicht umsonst nach Australien gegangen. Meine Verwandten wollten mich nicht mehr in ihrer Heimat behalten, sie haben mich selbst von sich gestoßen, und es soll mir gerade eine Wollust sein, ihnen Schande zu machen, Schande, daß man vor dem Namen Forbes ausspucken soll.«

Erschöpft sank sie auf das Lager zurück.

»Sie irren sich, wenn Sie glauben, daß niemand von Ihren Verwandten Teilnahme für Sie hat,« sagte Ellen und winkte Miß Staunton, die bisher im Hintergrunde des Zimmers gestanden, näherzutreten. »Kennen Sie vielleicht diese Dame, welche sie besuchen will?«

Die Frau blickte das junge Mädchen an.

»Es sind die Züge meiner Schwester, aber ich kenne sie nicht. Ich will sie auch gar nicht kennen,« schrie sie dann plötzlich auf, »weg mit der Verfluchten, die sich nur an meinem Elende weiden will, ich habe keine Verwandten mehr, will keine mehr haben. Morgen giebt's Geld, juchhe, morgen bin ich wieder reich.«

Das Weib begann Zotenlieder zu singen, so gemein, daß die drei Mädchen sich nicht anzusehen wagten.

»So ist's recht, Lucy,« ließ sich da eine Stimme im Thürrahmen vernehmen, »immer lustig, wenn man auch gehängt wird. Hast du schon das Geld?«

Herein trat ein junger Kerl, schäbig elegant gekleidet, als hätte er etwa die abgelegten Kleider eines Gentlemans an, den Hut schief auf dem Kopfe und im Knopfloch eine Rose. In dem stark geröteten, aber hübschen Gesicht konnte man lesen, daß er angetrunken war.

»Jimmy!« schrie das Weib, sprang auf und warf sich dem Manne an den Hals, »Gott sei Dank, daß du kommst, schmeiß' die ganze Gesellschaft hinaus, sie wollen mich wieder einmal heilig machen! Hahaha.«

»Gehen Sie, Miß Staunton,« sagte Ellen zu ihrer Gefährtin, »der Wagen wartet noch unten. Fahren Sie nach dem Hafen und begeben Sie sich an Bord! Ich komme bald nach.«

Ellen wollte nicht, daß das junge Mädchen, fast noch ein Kind, Zeuge einer etwaigen, frivolen Scene würde, während sie selbst entschlossen war, noch einmal einen Angriff auf das Herz dieses Weibes zu machen, vielleicht konnte sie durch Geld sogar diesen Mann, wahrscheinlich den Geliebten, für ihre Sache gewinnen.

»Wollen Sie hier bleiben?« fragte aber Hope. »Dann gehe ich auch nicht. »Ich lasse Sie nicht mit diesen Menschen allein.«

»Fürchten Sie nichts für mich, ich bin denselben schon gewachsen,« lächelte Ellen. »Gehen Sie nur, in einer halben Stunde bin ich an Bord.«

Hope warf noch einen Blick auf die beiden, die mitten im Zimmer standen und sich in lächerlicher Weise umschlungen hielten, als liebten sie sich innig, dabei Zoten reißend und in jedem Satze einige Flüche vorbringend, dann ging sie. Für dieses Weib konnte sie kein Gefühl der verwandtschaftlichen Liebe hegen, nicht einmal heucheln, jedes Wort stieß sie von ihm ab, und für Ellen brauchte sie keine Besorgnis zu haben, sie war von deren Ueberlegenheit vollkommen überzeugt.

Wie ein gescheuchtes Reh floh sie die Treppe hinab, nur fort von diesem Ort des Lasters, wo sie ihr eigenes Geschlecht so tief gesunken gesehen hatte, und noch dazu in der Person ihrer eigenen Tante.

Ihr nach folgte die Heilsschwester, welche jetzt hier nichts mehr hielt.

Ellen war schon gesonnen, zu dem Manne zu sprechen, als plötzlich wieder Schritte auf der Treppe hörbar wurden, sich die Thür öffnete und ein Postbote hereintrat.

»Das Geld, das Geld,« schrie die Frau auf und schwang sich mit ihrem Geliebten im Kreise herum, dann aber machte sie sich von ihm frei und trat ans Fenster, zitternd vor Aufregung, um die Summe in Empfang zu nehmen.

Der Postbote mochte schon mehrere Male eine solche Szene in diesem Zimmer erlebt haben, er wunderte sich nicht, daß ein halbnacktes Weib, in Lumpen gekleidet, mit bebenden Händen seine Unterschrift auf die Anweisung kritzelte. Ruhig zählte er einige Kassenscheine auf das Fensterbrett.

Kaum lagen sie vollzählig darauf, so streckten sich drei Hände gleichzeitig nach den Papieren aus, die erste war die von Ellen, welche es sich fest in den Kopf gesetzt hatte, dem Weibe kein Geld in die Hände zu geben, und sollte sie sich gegen die beiden mit dem Revolver verteidigen müssen, sie wollte sich schon für ihre That verantworten.

Aber ehe sie die Hand auf die Scheine gelegt hatte, war die Bewegung schon von dem Weibe bemerkt und vereitelt worden, mit der einen Hand stieß sie das Mädchen fort, mit der anderen griff sie nach den Papieren – und kam dennoch zu spät. Blitzartig zuckte die Hand ihres Geliebten vor, erfaßte die Papiere und ließ sie im nächsten Augenblicke in seiner Brusttasche verschwinden.

Das Weib war erst vor Schreck gelähmt, als die blauen Scheine seinen Augen entrückt waren. Dann aber stürzte es wie eine Pantherin auf den ruhig Dastehenden und versuchte, ihn mit beiden Händen am Halse zu fassen, aber es erhielt einen solchen Stoß, daß es zurücktaumelte und auf den Strohsack fiel.

»Das Geld, mein Geld her, oder ich erwürge dich,« schrie es mit heiserer Stimme, sprang auf und wollte sich mit erneuter Wut auf den frechen Räuber seines Eigentums werfen.

Dieser aber griff kaltblütig in seine Brusttasche und hielt ihm die Kassenscheine hin.

»Kannst du denn keinen Spaß verstehen, Lucy?« lachte er. »Wer von uns das Geld hat, ist doch schließlich ganz egal, Hauptsache ist, daß es möglichst lustig durchgebracht wird.«

Das Weib ließ die blauen Scheine zählend durch die zitternden Finger gleiten und steckte sie dann in sein Brusttuch.

»Das war ein böser Scherz. Jimmy,« sagte es, »der Teufel mag den aushalten. Na, was wollen Sie denn noch hier, Madame, nun möchten Sie wohl auch etwas davon abhaben? Oder darf ich Sie vielleicht dazu einladen, mit uns zu fahren? In einer halben Stunde können Sie mit mir Staat machen.«

Sie machte dabei vor Ellen einen spöttischen Knix.

Diese ganze Szene war so blitzähnlich vor sich gegangen, daß letztere sich noch gar nicht gesammelt hatte. Das Benehmen des Mannes konnte sie nicht begreifen, aber so viel wußte sie jetzt, daß sie sich auf dessen Hilfe nicht verlassen konnte.

»So sind Sie also nicht gewillt, mir das Geld zu übergeben?« begann sie nochmals, sich an das Weib wendend, welches übrigens jetzt, da es aufrecht dastand, noch gar keinen so üblen Eindruck machte, mit etwas Puder und Schminke konnte es sich noch recht gut zu einer allerdings schon verblühenden Schönheit machen.

»Wollen Sie nicht? Es soll Ihr Schade nicht sein!«

Die beiden hatten sie erst gar nicht verstanden, so unfaßbar schien es ihnen, das einmal empfangene Geld wieder herauszugeben. Jetzt aber brachen sie in ein schallendes Gelächter aus.

»Hahaha, gottvoll,« schrie Lucy, »ich glaube, sie phantasiert, das Geld ihr zum Aufheben geben, hahaha!«

»Miß, bemühen Sie sich nicht weiter,« sagte der Mann, einen gutmütigen Ton annehmend. »Fragen Sie in acht Tagen wieder einmal vor. Was dann noch übrig ist, das können Sie meinetwegen für uns aufheben.«

Er ging zur Thür und öffnete dieselbe.

Ellen hielt ihre Rolle hier für verloren, wortlos schritt sie hinaus, ärgerlich, so viel Zeit verloren zu haben. Als sie auf dem Korridor stand, zündete der Mann ein Streichholz an, um ihr die Treppe etwas zu erleuchten.

»Sie fassen die Sache ganz falsch an,« sagte er leise zu dem erstaunt aufhorchenden Mädchen, »mischen Sie sich nicht in solche Dinge, die Sie nicht verstehen. Wilde Tiere kann man nur mit der Peitsche, aber nicht durch sanfte Worte bändigen.«

Die über den Sinn dieser hastig hervorgestoßenen Worte völlig bestürzte Ellen wollte noch etwas fragen, aber schon wurde sie die Treppe hinabgeschoben.

»Seien Sie unbesorgt,« hörte sie noch in ihr Ohr raunen, »sie hat das Geld nicht, wertlose Papiere, weiter nichts. Jetzt aber muß ich zurück, sonst wird meine Braut eifersüchtig.«

Lachend sprang der Mann die Treppe hinauf.


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