Robert Kraft
Die Vestalinnen, Band 1
Robert Kraft

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37.

Im Dienste des Meisters

Es war Abend; die Taucher ruderten die Boote ans Land, schafften die letzte Ladung Muscheln nach den Stapelplätzen und gingen dann ins Dorf zu Weib und Kind, froh, daß der Friede der Nacht die gefährliche Arbeit des Tages abgelöst hatte.

Unter den Bäumen, welche vom Geschäftshaus nach dem Walde zu liefen, wandelten zwei Männer, in ein leises Gespräch vertieft.

»Ich sage Ihnen, Esplanza,« fuhr der eine in seiner Rede fort, »heute nacht noch muß es geschehen, denn möglicherweise kann die ganze Gesellschaft schon morgen früh wieder zurückkommen, und wir würden dann auf Hindernisse stoßen, die schwer zu überwinden wären. Also diese Nacht!«

»Aber warum warten Sie denn nicht, Henrico,« unterbrach ihn Kapitän Esplanza, »bis diese verwünschten Fremden fort sind? Sie treiben ja, als könnten Sie durchaus nicht erwarten, ein reicher Mann zu werden.«

Der andere lachte heiser.

»Das kann ich auch nicht. Setzen Sie sich hier auf die Bank,« er deutete auf ein roh gezimmertes Holzgestell, »ich habe noch etwas anderes mit Ihnen zu besprechen.«

»Sie sehen,« fuhr Henrico nach längerem Besinnen fort, nachdem beide nebeneinander Platz genommen, »ich will, daß wir ehrlich gegen einander sind. Das heißt, wir teilen das, was uns das Geschäft einbringt, brüderlich. Sie die Hälfte, ich die Hälfte! Nicht wahr?«

»Natürlich, so haben wir es ausgemacht, und dabei bleibt es. Das Amt, welches Sie mir dabei aufgetragen haben, ist freilich noch bedeutend schwieriger, als das Ihrige.«

»Hm,« brummte Henrico, »aber die Sache ist diese. Wenn Sie den Raub ausgeführt haben und nicht nach dem Strand kommen, wo ich mit dem Segelboot auf Sie warte, sondern sich einstweilen im Walde verstecken und später mit einer anderen Gelegenheit nach dem Kontinent gehen oder sonstwohin, was soll ich dann machen? Dann sitze ich mit langer Nase da und warte, bis mich der Direktor und dessen Sippschaft am Kragen packt!«

Der Kapitän lachte leise auf.

»Erst machen Sie mir den Vorwurf, daß ich mißtrauisch gegen Sie sei, und jetzt plagen Sie mich fortwährend mit Zweifeln. Gut, wenn Sie lieber den ersten Teil ausführen wollen, so werde ich im Boot auf Sie warten, mir soll dies auch recht sein.«

Dem jungen Manne schien aber dieser Vorschlag nicht zu gefallen, denn er schüttelte energisch den Kopf.

»Das geht nicht,« erwiderte er, »ich bin nicht kräftig genug, die eisernen Kisten emporzuheben, sie könnten mir entfallen und würden einen Höllenspektakel machen. Das meinte ich auch eigentlich nicht, aber sehen Sie, ich muß doch eine Sicherheit oder doch wenigstens eine Entschädigung haben, wenn Sie mich im Stich lassen.«

Der Kapitän sah den Sprecher nachdenklich an.

»Wohinaus wollen Sie mit ihren Worten?«

Henrico war in sichtlicher Verlegenheit, wie er diesen besonderen Punkt erörtern sollte.

»Nun,« sagte er endlich, »wir haben also ausgemacht, alles brüderlich zu teilen. Sie haben aber bereits von den Perlen eine ansehnliche Zahl beiseite gebracht. Wieviel würden Sie aus deren Erlös wohl herausschlagen?«

Jetzt hatte Esplanza verstanden, was sein Gefährte bezweckte. Wie dieser aber keine Heimlichkeit hatte, so mußte auch er ihm gegenüber offen sein.

»Mindestens 1000 Pfund.«

»Ohne die, welche bei Matale gefunden worden sind? Denn diese kleinen Dingerchen waren höchstens 20 Pfund wert.«

»Ohne diese.«

»Gut! Um die Hälfte dieses Betrags würden Sie mich also schon geschädigt haben,« lachte Henrico, »denn sie fehlt bei den anderen Perlen.«

»Ach so! Sie meinen, ich soll Ihnen die Hälfte davon abgeben? Sie haben in der That recht, ich bin gern dazu bereit, so bald wir mit unserem Raub in Sicherheit sind.«

»Das geht nicht,« rief Henrico erregt und sprang auf, »Sie geben mir jetzt die Hälfte und behalten die andere, sonst habe ich schließlich doch das Nachsehen. Ehrlich wäre es sogar, wenn Sie mir alle gäben, denn dann wäre ich auch mehr beruhigt, wenn ich Sie dort im Geschäftshaus mit einem Schatz hantieren weiß, der hundertmal mehr Wert besitzt als das, was ich von Ihnen fordere.«

»Ich bin damit einverstanden, Ihnen die Hälfte zu geben,« schlug Esplanza vor, »aber etwas muß ich haben, für den Fall, daß ich ertappt werde und fliehen muß. Sie haben mir zwar sehr genau beschrieben, wo ich den Schatz im Kellergewölbe finden werde, und wie ich die Platte abheben kann, aber wer weiß, ob mir das nicht unmöglich wird. Wie gesagt, es wäre besser, wenn sie selbst ins Haus gingen und den Raub ausführten und mich dafür im Boote auf Sie warten ließen; ich passe überhaupt besser als Sie in dieses.«

»Aber ich erkläre Ihnen, meine Kraft reicht nicht, die Platte emporzuheben. Sie sind bedeutend stärker als ich.«

»Seit wann werden überhaupt die Perlen nicht mehr oben in den Kassenschränken aufbewahrt?«

»Seit dem letzten Diebstahl. Kein Beamter weiß darum, nur ich habe ausspioniert, daß der Direktor Varvas mit einem seiner Diener, auf dessen Ehrlichkeit er schwört, diesen Platz im Keller eingerichtet hat, in den sehr leicht einzudringen ist, ohne daß es irgend eine Menschenseele merkt.«

Henrico schwieg eine Weile, dann fuhr er fort:

»Aber ich will sogar Ihre letzten Bedenken zerstreuen. Ich will mit Ihnen gehen und Ihnen den Ort genau zeigen, ja, sogar bei Ihnen bleiben, bis Sie den Schatz in Händen haben. Dafür aber mache ich mir zur Bedingung, daß Sie Ihre Perlen mit mir teilen, ehe wir ans Unternehmen gehen, damit ich, sollten wir doch dabei überrascht und vertrieben werden, Mittel zur weiteren Flucht habe. Einverstanden?«

»Einverstanden!« rief der Kapitän und schlug in die dargebotene Hand. »Nun habe ich kein Mißtrauen mehr gegen Sie.«

»Und wann geben Sie mir die Perlen?«

»In meinem Hause habe ich sie natürlich nicht,« lachte der Kapitän leise, »unsereins steckt solche Schätze nicht unter das Bett. Ich muß sie erst bei Nacht ausgraben. Wann wollen Sie die Arbeit beginnen? Sie können sie dann jederzeit erhalten.«

»Hören Sie mich an, Esplanza! Ich komme heute nacht Punkt zwölf Uhr in Ihr Haus, und Sie halten sich um diese Zeit bereit, sofort mit mir nach dem Geschäftshaus zu schleichen. Bevor wir aus Ihrem Zimmer gehen, geben Sie mir meinen Anteil, und die Sache ist abgemacht. Bis dahin werde ich mein Boot bereitmachen, um scheinbar eine kleine Segelfahrt zu unternehmen, es dann aber in eine Bucht bringen, wo es im Schilf völlig versteckt liegt. Haben wir nur einigermaßen guten Wind, so können wir morgen mittag auf dem Festlande sein, wo ich wie zu Hause bin, und alle Gelegenheiten kenne, erst nach Australien und dann, wenn Sie mit mir gehen wollen, unentdeckt nach Amerika zu kommen.«

Der Kapitän erhob sich.

»Es bleibt also dabei, heute nacht um zwölf Uhr bei mir!«

Mit kurzem Gruß entfernte er sich.

Der junge Verbrecher blieb auf der Bank sitzen und sah dem Fortgehenden nach, bis dieser seinen Blicken entschwunden war.

»Ist das ein Narr,« murmelte er zwischen den Zähnen, »er beißt an jeden Köter. Ein Glück ist es, daß er diesen Perlendiebstahl begangen hatte, ehe wir damit beauftragt wurden. Unser Chef weiß ganz genau, wieviele Perlen hier aufgestapelt sind, und ebensoviel müssen wir abliefern, aber die schon geraubten giebt er natürlich verloren, während sie nun in meine Hand kommen.«

»Es ist das erste Mal,« fuhr er nach längerer Pause in seinem Selbstgespräch fort, »daß ich unsere Bande um einen Raub betrüge, aber diese Gelegenheit ist zu günstig. Der Chef rechnet nicht mehr auf die Perlen, Esplanza hat sie, giebt mir die Hälfte davon, die andere nehme ich mir, und tausend Pfund habe ich an diesem Geschäft Nebenverdienst gehabt.«

Er schlug sich vergnügt auf den Schenkel, stand auf und wollte gehen.

Da raschelte es neben ihm im Laube. Zusammenfahrend drehte er sich um und sah vor sich einen mit Lumpen bekleideten Menschen stehen, die Züge eingesunken, die Augen hohl. Er sah nur noch, daß die Kleider solche waren, wie sie die Sträflinge in Colombo trugen, dann fuhr er vor der Gestalt zurück, als hätte er ein Gespenst vor sich.

Aber auch der Mann hatte ihn erkannt. Wie ein Raubtier, das sich zum Sprunge vorbereitet, krümmte er sich, krallte die Finger zusammen, und sein Gegenüber mit kleinen Augen betrachtend, stieß er zischend über die Lippen:

»Carlos Cassero, habe ich dich endlich – –«

Er hatte nicht gemerkt, wie der elegante Herr blitzschnell einen Revolver aus der Rocktasche hervorholte, sein Auge hing nur an den verhaßten Zügen des Mannes, der ihn ins Unglück gestürzt hatte.

Der Revolver entlud sich und lautlos sank der entsprungene Sträfling in das dichte Buschwerk.

Da kamen eilende Schritte durch das Unterholz, der Portugiese sah rote Jacken sich zwischen den Bäumen bewegen, und rasch entschlossen sprang er ihnen entgegen.

Ein Gedanke war ihm durch das Gehirn geblitzt: Die Verfolger dürfen den Entsprungenen nur tot, nicht aber lebendig finden, sonst bin ich verloren, denn Selby hat mich erkannt.

»Haben Sie einen Mann in der Kleidung der Sträflinge von Colombo gesehen?« fragte ihn der Unteroffizier.

»Ja, jetzt eben, er versuchte einen Raubanfall auf mich, ich habe nach ihm geschossen und ihn gefehlt. Es deuchte mir, als hätte ich ihn dort hinter den Bäumen verschwinden sehen.«

Dabei deutete Henrico kaltblütig nach einem dichten Geflecht von Schlingpflanzen, welches wie ein Teppich zwischen zwei Bäumen niederhing. Dabei aber schielte er dahin, wo er Selby hatte fallen sehen, und zu seinem Schrecken bemerkte er das graue Sträflingskleid zwischen den Blättern.

Wehe ihm, wenn die Soldaten den Mann fanden, und zwar noch lebend, dann war er verloren!

»Wenn Sie sich beeilen, können Sie ihn einholen,« sagte er wieder, um das Militär loszuwerden.

Einige Minuten verstrichen noch; der Unteroffizier ließ sich genau das Aussehen des Flüchtlings beschreiben, dann schritten die Häscher in der angegebenen Richtung davon.

Kaum hörte Henrico die knackenden Schritte verhallen, kaum waren die Gestalten hinter dem grünen Teppich verschwunden, so zog er mit krampfhaft zusammengepreßten Lippen wieder den Revolver aus der Tasche und ging zu dem Sträfling zurück.

Ein neuer Schreck – der Platz war leer.

»Carracho! Wenn er die Soldaten trifft!«

Er zog die Uhr.

»Ein halb vor neun, noch drei Stunden Zeit also. Mag es nun kommen, wie es will, meine Pflicht muß ich thun, sonst hänge ich morgen am höchsten Baume.«

Mit finster gerunzelten Brauen schritt er nach der Bucht, wo an der Plattform die Boote lagen. Er suchte sich das größte der Gesellschaft aus und brachte es in Ordnung, um mit Segeln fahren zu können.

Neben dem seinen lag das große schwarze Boot des ›Blitz‹ in dem der zurückgebliebene Georg mit seinen Kameraden saß und ein Segel flickte.

»Sie haben wohl Eidechsen geschossen, Mister Henrico?« sprach Georg durch die Zähne, zwischen denen er seine kurze Pfeife hielt.

Der Portugiese würdigte ihn keiner Antwort, heftig riß er an einem Tau, welches sich in einem Ringe festgehakt hatte.

»Nix englisch verstehe?« fragte der Bursche weiter, der mit spöttischen Blicken das Gebahren des Beamten in dem Segelboote beobachtete, dann fuhr er in fließendem Spanisch fort: »Sie dürfen nicht auf den Bindfaden treten, wie Sie thun, sonst kriegen Sie ihn nicht los.«

Der Portugiese hißte das Segel, setzte sich ans Steuer und warf dem Schiffer, einen wütenden Blick zu. Als sich das Boot vom Lande entfernte, rief ihm Georg noch nach:

»Kippen Sie nicht draußen um, Herr Henrico, in einer Stunde schlägt der Wind um, und wenn Sie dann nicht wenden können, so sind Sie übermorgen in Afrika.«

»Diese Nacht wird dir dein Spott vergehen, Bursche,« knirschte Henrico und lenkte sein Boot dem Ausgange der Bucht zu.

Es wehte ein schwacher Westwind, also zum Fortkommen vom Land sehr ungünstig, und wenn der Matrose recht hatte, und der Wind wirklich umsprang, so war es schwer, wieder in die Bucht einzufahren. Dennoch kreuzte Henrico die Küste auf und ab, bald nach Norden hinunter, bald nach Süden hinauf, konnte sich aber nicht weit entfernen.

Er schien auch etwas ganz anderes im Sinne zu haben, als zum Vergnügen eine Segelpartie zu machen, denn ab und zu suchte er mit einem kleinen Fernrohr den Horizont ab.

Die Dunkelheit brach an, und noch immer kreuzte der Portugiese vor der Bucht. Er hatte eine Laterne im Boot und hätte sie eigentlich hissen müssen, aber er unterließ es; seine ganze Aufmerksamkeit war auf einen Punkt des Horizontes gerichtet, an dem er vorhin durch das Fernrohr ein Segel bemerkt hatte.

Da stieg plötzlich dort, wohin er spähte, langsam eine Rakete in die Luft. Das Schiff mußte sich während der Dunkelheit sehr der Küste genähert haben, denn man konnte das aufsteigende Signal sehr deutlich wahrnehmen.

»Teufel, die benehmen sich sehr ungeniert. Aber es wird auch Zeit, daß ich mein Licht hisse.«

Er zündete das Licht an, band die Laterne an ein Tau, welches oben am Mast durch einen Ring lief, und zog sie hoch. Nur einige Sekunden ließ er sie oben, dann holte er sie wieder herunter, zog sie nochmals hoch und wieder herunter, und als er sie schließlich zum dritten Mal unten hatte, schlug er eine Scheibe der Laterne entzwei.

»So,« lachte er, »wenn jemand dies für ein Signal gehalten haben sollte, dann werde ich dem Bootswächter den Kopf heiß machen, warum er die Lampe nicht besser in stand hält, sodaß sie der Wind immer zu verlöschen droht.«

Er wartete noch eine Weile, bis wieder am Horizont eine Rakete aufstieg, dann fuhr er mit dem Westwind, der noch nicht umgesprungen war, direkt in die Bucht hinein.

Im Dorfe war alles still, nicht einmal ein Feuer war zwischen den Hütten zu erblicken, nur in einigen der Beamtenwohnungen brannte noch Licht.

Henrico band das Boot an seine Stelle und bemerkte dabei, daß der Matrose, der vorhin mit ihm gesprochen hatte, noch immer in dem schwarzen Boote saß und seine Pfeife rauchte.

»Hübsches Feuerwerk da draußen, nicht?« begann derselbe auch jetzt wieder die Unterhaltung. »Möchte wissen, wem die zwei Raketen galten!«

Der Portugiese antwortete nicht, sondern stieg aus dem Boote und schritt nach seiner Wohnung.

»Verflucht!« knirschte er. »Der Bursche hat Witterung bekommen. Aber es hilft ihm nichts, es ist zu spät für ihn und sie alle.«

Er schloß in seiner Arbeitsstube sorgsam alle Fensterflügel und begann aus einem Schreibsekretär Papiere zu nehmen und dieselben über der Lampe zu verbrennen.«

»Bis jetzt ist alles gut gegangen,« murmelte er während dieser Beschäftigung, »es ist schon zehn Uhr. Die Soldaten habe ich diese Nacht also nicht mehr zu erwarten. Und kämen sie wirklich, so brächte mir ein Schuß Hilfe. Es wird ein Blutbad geben, aber kann ich es ändern? Mit List ist den Perlen nicht beizukommen, die Beamten und Diener des Direktors wachen über sie wie bissige Hunde über Knochen. Dieser dumme Esplanza, hahaha!«

Er entleerte einen Kasten mit Geld in seine Taschen, untersuchte seinen Revolver, versah sich mit Patronen, löschte dann das Licht aus und schlüpfte wieder zur Hausthüre hinaus.

Alles war draußen still, nur noch in einem Hause brannte Licht – es war das des Kapitäns.

Unhörbar schlich er sich um dasselbe herum, am Waldessaume entlang, wo er dann seinen Schritt bis zum Laufen beschleunigte, bis er nach zehn Minuten direkt nach der Küste abbog.

Jetzt erreichte er das mit hohem Schilf bewachsene Meeresufer.

Vorsichtig bog er die Halme auseinander, schnell, aber doch lautlos bewegte er sich darin vorwärts, aber sein Nahen war dennoch bemerkt worden.

Plötzlich stand, wie aus der Erde gewachsen, eine Gestalt vor ihm und drückte dem Kommenden eine Pistole vor die Brust.

»Wer seid Ihr?« fragte eine rauhe Stimme.

»Ich bin es, seid Ihr bereit?« gab Henrico zurück.

»Gebt das Zeichen!«

»Seewolf.«

»Richtig, aber Ihr irrt, wenn Ihr glaubt, der Seewolf läge hier mit seiner Mannschaft.«

»Nicht der Seewolf mit dem ›Friedensengel‹? Wer denn?« fragte Henrico erstaunt.

»Der Seewolf hat einen anderen Auftrag bekommen, er kann aber auch nicht weit von hier kreuzen. Es ist Kapitän Broker, der vor Euch steht!«

»Ah, Kapitän Blutfinger wollt Ihr wohl sagen?«

»Meinetwegen auch,« lachte der Mann heiser, »Kapitän Blutfinger von der ›Evangeline‹, der Name paßt wie die Faust aufs Ange. Wann soll der Tanz losgehen?«

»Um zwölf Uhr, wenn in der Ansiedlung ein Schuß fällt und eine Feuerflamme hoch aufschlägt. Ihr werdet aber einen heißen Kampf bestehen müssen. Habt Ihr genug Leute mit?«

»Zwanzig Mann, alle gut bewaffnet. Warum?«

»Es sind etwa vierundzwanzig fremde Matrosen in der Bucht.«

»Teufel, wie kommt das?«

»Eine Gesellschaft von fünfzig Personen wollte sich die Perlenfischerei besehen, ist aber jetzt nach dem Inneren der Insel aufgebrochen, um zu jagen; vor morgen abend kommen diese Leute nicht zurück, aber die Matrosen haben sie zurückgelassen.«

»Aus wem besteht diese Gesellschaft?«

»Aus verrückten Engländern und noch verrückteren Amerikanerinnen.«

»Alle Wetter,« lachte der Kapitän, »hinter denen ist ja der Seewolf her; aber der arme Kerl wird von ihnen immer noch an der Nase herumgeführt.«

»Können Eure Leute den Kampf bestehen?«

»Pah,« sagte der Kapitän Broker oder Blutfinger, »einen gegen zehn. Haben die Burschen eine Ahnung?«

»Ich glaube nicht, nur einer hat vorhin das Signal bemerkt, aber er denkt sich nichts weiter dabei, sonst hätte er es mir nicht erzählt.«

»All right, es ist elf Uhr! Habt Ihr in einer Stunde alles vorbereitet?«

»Gewiß, ich gehe zurück, Kapitän! Paßt hauptsächlich auf den Schuß auf, die Flamme könnte auf sich warten lassen, und haltet Euch bis dahin der Ansiedelung nahe!«

Henrico machte denselben Weg zurück, den er gekommen war. Angesichts der Ansiedelung blieb er stehen, bis die Uhr füuf Minuten vor Zwölf zeigte, dann schritt er rasch auf das Haus des Kapitäns Esplanza zu und klopfte nur einmal schwach mit dem Finger an den verschlossenen Fensterladen, durch dessen Ritzen Licht schimmerte.

Sofort öffnete ihm der Kapitän und ließ ihn einschlüpfen. »Ich habe Sie sehnsüchtig erwartet,« flüsterte er, als er Henrico ins Zimmer geleitete.

»Bin ich nicht pünktlich gewesen?« antwortete dieser. »Es ist alles bereit, ich habe Sägen bei mir, um hinten am Haus die Gitterstäbe des Kellerfensters zu zerfeilen. In einer halben Stunde können wir reiche Leute sein.«

»Und das Boot? Ich sah Sie vorhin wegfahren, aber Sie kamen mit demselben Fahrzeuge zurück. Wie soll ich mir das deuten?«

Henrico lachte auf.

»Das muß ich doch thun, sonst schöpfte man Verdacht. Ich habe schon lange am Schilfufer ein Boot versteckt gehalten und jenes vorhin nur seebereit gemacht.«

Der Kapitän gab sich mit dieser Erklärung zufrieden.

»Und die Perlen?« fragte Henrico lauernd.

Esplanza holte aus der Brusttasche ein Säckchen und hielt es dem verbrecherischen Kameraden hin.

»Hier,« sagte er, »es ist genau die Hälfte, ich habe sie vorhin geteilt.«

»Das kann jeder sagen,« höhnte Henrico. »Sie haben wohl die Anzahl abgezählt und mir die kleinsten zugeteilt?«

»Ueberzeugen Sie sich selbst,« sagte der Kapitän entrüstet und zog aus der Brusttasche einen anderen Beutel, »ich kann Sie wählen lassen.«

Der Kapitän wollte den Beutel öffnen, aber ehe er noch die Schnur gelöst hatte, fiel er ihm aus der Hand zu Boden.

Das war eine günstigere Gelegenheit, als Henrico erhofft hatte.

Esplanza bückte sich, den Beutel aufzuheben, da aber sauste ihm ein Schlag auf den Kopf, daß er bewußtlos niederstürzte.

»Besser so, als ein voreiliger Schuß!« flüsterte Henrico, hob den Beutel auf, nahm die Lampe vom Tische und goß das Petroleum über den Bewußtlosen. Er setzte das über den Boden fließende Oel in Brand und stürzte zur Thür hinaus, den Unglücklichen dem unabwendbaren Verbrennungstode überlassend.

Draußen blieb der Verbrecher aufatmend stehen, den Revolver in der Hand, aber nur eine Viertelminute, denn schon drang aus den Fugen des eben verlassenen Hauses eine stickige Rauchluft, und in der nächsten Sekunde flammte aus dem von sonnenverdorrten Brettern erbautem Hause eine hohe Feuersäule in die Luft.

Sofort war Henrico von einer Menge Gestalten umringt.

»Nach dem Geschäftshaus dort! Schießt alles nieder, was herauskommt!« schrie er und stürzte selbst nach dem bezeichneten Gebäude.

Ehe sie dieses noch erreicht hatten, sprangen wohl schon zehn Männer heraus. Sie blieben erst wie versteinert stehen und eilten dann nach den an der Plattform angebundenen Booten.

»Ihr Dummköpfe,« hörte man eine Stimme schreien, »habe ich es euch nicht gesagt!«

Da krachte schon eine Salve, und die den Booten am nächsten Befindlichen wälzten sich in ihrem Blute; wieder feuerten die Räuber, und auch die anderen Matrosen, welche erst jetzt das Haus verließen, brachen zusammen.

»Haltet das Boot!« schrie Henrico und sprang selbst auf die Plattform.

Aber er kam zu spät. In der finsteren Nacht verriet nur ein leises Reiben an den Holzpfosten, daß eben noch ein Boot dagelegen hatte, wo jetzt ein freier Platz war.

Mehrere Salven wurden über die Bucht gesendet, aber auf dem von den Feuerstrahlen erhellten Wasser war kein Boot zu sehen.

»Unsinn,« überschrie Kapitän Blutfinger den Tumult, »es ist nichts gewesen! Auf, ins Geschäftshaus, Henrico! Plündert, Jungens, und gebt keinen Pardon, wir haben auch keinen zu erwarten.«

Die eben noch so friedliche Bucht war mit einem Male zum blutigen Kampfplatze, nein, zum Schlachtplatz geworden. Ueberall knallten Schüsse den Beamten entgegen, die verstört die Häuser verließen; noch gar nicht wissend, was dieser nächtliche Lärm bedeute, eher an eine Feuersbrunst, als an einen Ueberfall denkend, sanken sie schon, mit einer Kugel in der Brust, zusammen. Ihre Häuser wurden geplündert und dann an allen Ecken angezündet, damit man bei der Arbeit sehen konnte, und nicht lange dauerte es, so flammte es auch in dem Dorfe der Perlenfischer auf.

Die Matrosen waren einmal im Morden, sie hatten Blut gekostet und metzelten nun unter den Eingeborenen weiter.

»Monika, mein Schatz,« heulte Henrico, der bereits seine Arbeit, den Raub der Perlen, besorgt hatte und auch nach dem Dorfe geeilt war. »Nimm mich einstweilen für Esplanza, bis dein Mann dich abholt.«

Er schleuderte die Halbbetäubte einem Matrosen zu, der sie nach der Bucht schleppte, wohin andere Leute die Boote der ›Evangeline‹ gebracht hatten.

Eine halbe Stunde hatte dieses blutige Gemetzel gedauert, als die Pfeife des Kapitäns Blutfinger – er und seine Mannschaft hatten diesem Namen Ehre gemacht – in die Boote rief. Sie brachten die geraubten Eisenlasten, welche die Perlen enthielten, hinein, sowie alles, was in den Häusern des Mitnehmens wert gefunden worden war, und schließlich wurde auch noch Monika, Matales Weib, trotz des Kapitäns Gegenrede, hineingeschleppt.

Der junge Verbrecher, Henrico, schien unter den Piraten einen gewissen Rang einzunehmen, denn seinen Befehlen wurde sofort Folge geleistet. Sein Boot nahm auch das braune Weib auf.

Zur Vorsicht bohrten die Piraten noch alle Boote an bis auf das kleinste, welches sie selbst mitnehmen wollten, und Henrico konstatierte dabei, daß wirklich das große, schwarze unter ihnen fehlte. Einigen war es also doch gelungen, zu entschlüpfen, obgleich Henrico fest behauptete, höchstens ein einziger hätte es erreichen können, wahrscheinlich durch Kriechen am Boden, denn er selbst hätte gesehen, wie alle nach den Booten fliehenden fremden Matrosen von den Kugeln getroffen zusammengesunken wären; der Kapitän Blutfinger lachte darüber, daß ein Mann allein ein Boot so schnell von der Stelle bringen wollte, daß er gleich außer Gesichtsweite käme.

Und wieder nach einer halben Stunde war an den Ufern der Bucht Ruhe eingetreten, aber statt einer freundlichen Ansiedelung war jetzt nur eine rauchende Trümmerstätte zu erblicken. Ab und zu wagte es ein dem Gemetzel entgangener Perlfischer, der sich im Walde versteckt gehalten hatte, sich den rauchenden Trümmern zu nähern; tönte aber unter diesen ein wimmernder Ton hervor, so floh er scheu ins schützende Dickicht zurück.

Georg hatte richtig vorausgesagt, der Wind war umgesprungen und wehte schon die ganze Nacht direkt aus West, sodaß am anderen Morgen die ›Evangeline‹ eben erst das Land außer Sicht bekommen hatte, und als endlich Kapitän Blutfinger alle Segel setzen ließ, um nun mit vierzehn Knoten Fahrt erst dem Norden und dann mit dem Wind den Osten zuzustreben, da sprang der Wind wieder um, er kam aus Nordwest, und der Kapitän fluchte das Blaue vom Himmel herunter, daß er bei diesem Katzensprunge nach Australien nicht mit einem guten Wind bedient würde, aber der Teufel, sein Kompagnon hörte diesmal nicht aus das Gebet des Schurken. Die ›Evangeline‹ mußte lange Striche kreuzen und rückte doch nur langsam vorwärts.

Noch wütender über den ungünstigen Wind war Henrico, der ungeduldig an Deck hin- und herwanderte, sodaß ihn schließlich selbst der etwas phlegmatischere Kapitän zu trösten suchte.

»In einigen Stunden passieren wir den Aequator,« meinte er, »und da müßte es mit dem Teufel zugehen, wenn wir nicht in den Monsun kämen. Aber erst einmal darin, dann ade, ›Evangeline‹, uns holt so leicht kein anderer Segler ein.«

»Wenn uns nun aber ein Dampfer folgt?« fragte Henrico zweifelnd.

»Ihr habt doch selbst gesagt, vor heute abend könnten die Jäger nicht zurückkommen.«

»Allerdings, eher nicht.«

»Nun also, bis dahin sind wir schon, wer weiß wie weit. Die kleinen Dingerchen von Dampfern brauchen wir nicht zu fürchten, die sind wohl gut in Flüssen und meinethalben an der Küste, aber auf offener See sind es doch richtige Nußschalen.«

»Sie können aber nach Colombo fahren und dort Hilfe suchen. Jedes englische Kriegsschiff oder überhaupt jedes Kriegsschiff wird bereit sein, uns zu verfolgen,« klagte der ängstliche Henrico weiter.

Der Kapitän brach in ein herzliches Lachen aus.

»Wir sind nicht im mittelländischen Meer, sondern im Indischen Ozean,« erwiderte er, »und das heißt etwa ebensoviel als: Sucht einmal einen Menschen, der sich in Afrika verlaufen hat. Nein, da braucht Ihr keine Furcht zu haben. Und wenn uns wirklich eine Fregatte auf den Hals kommt, nun, Kapitän Blutfinger führt seinen Namen nicht umsonst, und unsere Kanonen sind auch nicht von Kuchen.«

»Ihr würdet es auf einen Kampf ankommen lassen?«

»Selbstverständlich,« antwortete der Kapitän siegesbewußt. »Ihr sollt einmal sehen, wie meisterhaft meine Matrosen die Geschütze bedienen und dem Gegner immer die volle Breitseite geben, während unser Schiff das andere gar nicht zum Schuß kommen läßt.«

»Heh, Jim,« rief der Kapitän einem vorübergehenden Matrosen zu, »was macht denn Willy, wird er aufkommen? Sag's ihm, er soll sich ein bißchen beeilen, unnütze Esser können wir an Bord nicht brauchen, und die Haifische wollen auch gefüttert sein.«

Der Kapitän lachte laut auf über seinen rohen Witz.

»Was ist es mit diesem Willy, er ist verwundet worden?« fragte Henrico.

»Er ist selbst daran schuld gewesen, der einzige, der blessiert worden ist. Weiß der Teufel, was den Burschen dazu veranlaßt hat, in ein lichterloh brennendes Haus zu kriechen und sich die Arme halb verkohlen zu lassen; mag wohl Schätze darin vermutet haben, oder nein, wahrscheinlich Wisky.«

»War das vorhin Euer Ernst wegen des unnützen Brotessers, mit dem die Haifische gefüttert werden können?«

»Ja und nein,« entgegnete gleichgiltig der Kapitän, »das hängt nicht von mir ab. Ich bringe einen Verunglückten nach dem ersten Hafen und empfange dort die Weisung, was ich mit dem Kerl anfangen soll. Zum ersten Male wäre es nicht, daß ein Krüppel, der sonst zu allem unfähig war, auf diese Weise in ein besseres Leben geschickt wurde.«

»Entsetzlich!«

»Du lieber Gott, was soll man denn auch mit einem Menschen anfangen, dem beide Beine oder Arme abgeschlagen, abgequetscht oder abgebrüht sind. In ein Hospital kann er natürlich nicht geschafft werden, denn da kommen die Betschwestern zu ihm und reden ihm soviel von der Bibel und der Liebe Gottes vor, bis er selbst wie ein Buch zu sprechen anfängt und aus der Schule plaudert. Das wäre ein schöne Geschichte, wenn wir unsere Verwundeten bei barmherzigen Schwestern unterbrächten! Hahaha.«

Der abgeschickte Matrose kam aus dem Zwischendeck.

»Dem Willy geht es sehr elend,« sagte er zum Kapitän, »er wirds wohl nicht mehr lange treiben. Jetzt ist er zum ersten Male zu sich gekommen und will Euch sprechen, Kapitän; er scheints furchtbar eilig zu haben.«

»Na, wollen mal sehen, was sich thun läßt,« und zu Henrico gewendet fuhr er fort, »ich bin auch ein so halber Doktor, hätten mal dabei sein sollen, wie ich vor einem Monat einem meiner Leute das Bein abgesägt habe – wunderschön, sage ich Euch, so glatt wie einen Baumast.«

»Lebt der Mann noch?«

Der Kapitän blickte ihn erstaunt an.

»Nein, natürlich nicht, er schrie sich dabei tot.«

Und Doktor Eisenbart ging nach dem Zwischendeck, um mit dem verbrannten Willy eine lindernde Kur vorzunehmen.

Henrico blickte nach Osten.

Dort lag Australien, in vierzehn Tagen war es erreicht, und dann adieu, Verbrecherleben, in dem man nicht einmal für sich selbst arbeiten kann, sondern wie ein Sklave vor der Peitsche des Herrn zittern muß. Was war aus ihm geworden! Einer guten portugiesischen Familie entstammend, hatte er die beste Erziehung genossen, aber durch angeborene Genußsucht und schlechte Kameraden war er tiefer, und tiefer gesunken, bis er sich eines Nachts in einer Bande von Verbrechern wiedergefunden. Wie bei einer heiligen Zeremonie, aber unter Lachen und Zoten wurde er als Mitglied aufgenommen, man sagte ihm, er könne seine Talente besser anwenden, als nur für andere zu arbeiten, in einem Jahre könne er ein reicher Mann sein ...

Henrico blickte sich um, überall sah er nur die vertierten Gesichter der Matrosen, er gedachte der eben gehörten Rede des Kapitäns, und es schauderte ihn.

Fort, fort, nur fort von ihnen! Die Perlen, die er auf der Brust barg, hatten nicht einen Wert von tausend Pfund, wie Esplanza gesagt hatte, sie waren wenigstens das Dreifache wert, von ihren Erlös konnte er sich eine Existenz gründen.

Man sagte, die Hand des Meisters reiche überallhin, es gäbe keinen Flecken auf der Erde, kein Inselchen im Meere, wo er nicht den Verräter zu finden wisse. Aber das war gewiß Übertreibung, Henrico glaubte nicht daran. Er hatte zwar selbst schon sehr merkwürdige Fälle erlebt, daß, zum Beispiel ein Mann, der einen Verrat oder eine Flucht mit eigenem Raub vorhatte, plötzlich aufgehangen, ermordet oder sogar gräßlich verstümmelt aufgefunden wurde, meist das Zeichen des Meisters an der Stirn, aber, dachte Henrico, dies kam eben daher, daß der Betreffende niemals seinen Plan geheim gehalten, sondern stets Mitwisser gehabt hatte.

Nein, übernatürliche Dinge passierten nicht auf der Erde, der Meister, wenn überhaupt eine solche Person existierte, war ebensowenig allwissend, wie er, aber jedes Mitglied der über der ganzen Erde verbreiteten Verbrecherbande war ein Spion, der über das Treiben seines Kameraden wachte.

Mit solchen Gedanken war Henrico beschäftigt, als er sich am Heck über Bord lehnte und dem Schaukeln des kleinen Bootes zusah, das mitgenommen worden war und vom Schiff nachgeschleppt wurde.

Da fühlte er sich plötzlich von hinten durch zwei eiserne Arme umschlungen. Der junge Verbrecher, dessen böses Gewissen sofort ängstlich zu schlagen begann, versuchte vergeblich, sich ihnen zu entwinden; im Nu waren ihm die Hände auf dem Rücken gefesselt, und als er herumgerissen wurde, blickte er in die blutunterlaufenen Augen des Kapitäns.

»Henrico,« zischte dieser, »sieh, da haben wir wieder einen Verräter entdeckt. Haha, mein Bürschchen, den feinen Gentleman spielen, an Land in Saus und Braus leben, während unsereins sich auf See den Wind um die Nase pfeifen lassen und Salzfleisch und Hartbrot kauen muß. Komm her,« rief er wütend, »verantworte dich!«

Durch Henricos Kopf zuckte der Gedanke: Sie haben erfahren, daß ich die Perlen für mich behalten habe. Woher wissen sie es? Es ist gleichgiltig, sie haben es erfahren. Lieber in die Krallen von Raubtieren fallen, der Gnade von Haifischen überlassen, als auf die Gerechtigkeit dieser Leute angewiesen sein. Aufschub, nur jetzt Aufschub erzielen, das mußte seine einzige Absicht sein.

Henrico wurde vor den Mast geschleppt und dort angebunden. Mit der Gefahr wuchs sein Mut. Er hatte die erst verlorene Fassung wiedergewonnen.

»Was giebt Euch Grund, Kapitän, mich auf einem Schiff, das ebensogut mir gehört, wie Euch, zu fesseln und zur Verantwortung zu ziehen?«

Statt aller Antwort riß ihm Kapitän Blutfinger die Jacke und Weste auf und untersuchte die Taschen. Auf den ersten Griff hielt er zwei Beutelchen in der Hand.

»Ihr könnt auch noch fragen, was ich für einen Grund dazu habe?« brüllte er mit vor Wut heiserer Stimme. »Wie kommt Ihr zu diesen Perlen, he? Sprecht, oder ich schlage Euch die Antwort aus dem Munde!«

Der Kapitän hob die Faust und hielt sie dem Gefangenen vor die Augen. Dieses Mannes alle Grenzen überschreitende Roheit und Blutgier waren bekannt, sie hatten ihm seinen Spitznamen eingebracht.

»Es sind meine eigenen,« antwortete Henrico, noch ruhig. »Ich habe sie mir von der Gesellschaft nach und nach statt meines Gehaltes auszahlen lassen.«

Klatschend fuhr die Faust ihm ins Gesicht; laut schrie Henrico auf.

»Lügner, elender!« brüllte der Kapitän. »Verschone uns mit solcher Flunkerei, die Wahrheit will ich hören, oder – –«

Henrico begann zu zittern, aber noch einmal versuchte er eine Ausrede zu machen.

»Hütet Euch, Kapitän,« begann er wieder und richtete sich unter Zusammennahme aller Fassung hoch auf. »Da Ihr mich dazu zwingt, so will ich Euch allerdings die Wahrheit gestehen, aber es wird Euer eigener Schaden sein. So wißt denn, daß ich speziell vom Meister beauftragt bin, ihm eine Quantität Perlen zu verschaffen, von denen Ihr nichts wissen sollt. Nun habt Ihr mir das Geheimnis entrissen, und Ihr seid der Rache des Meisters verfallen.«

Auf diese Lüge hatte der junge Verbrecher alle seine Hoffnung gesetzt, sie war ihm eben eingefallen, aber er fühlte sich sofort getäuscht, sie brachte nicht die Wirkung hervor, die er erwartet hatte.

Der Kapitän trat einen Schritt zurück und brach in ein höhnisches Lachen aus.

»Es wird immer besser! Haltet Ihr mich für einen Dummkopf, daß ich Euch solchen Unsinn glaube? Aber wartet, wir wollen Euch jetzt sagen, woher uns Eure Schurkerei bekannt geworden ist.«

Er wandte sich zu den Matrosen.

»Bringt Willy her,« befahl er.

»Willy liegt im Sterben,« sagte einer der Schiffsleute. »Er wird nicht einmal mehr bei Bewußtsein sein.«

Eine neue Hoffnung blitzte in Henrico auf. Ja, das war's. Der Matrose, der bei dem Ueberfall die Brandwunden davongetragen hatte, war in das Haus des Kapitäns Esplanza gedrungen, hatte diesen noch lebend gefunden und von ihm den Perlenraub erfahren, und wie er von seinem vermeintlichen Freund betrogen worden war.

Der verbrannte Matrose hatte also dem Kapitän ein Geständnis gemacht, er war der einzige Zeuge, der gegen ihn auftreten konnte, und starb der Mann, bevor er ihn zu sehen bekam, so war immer noch Hoffnung vorhanden, sich herauszureden.

Der Verbrecher betete zum ersten Male, aber er betete, daß dieser Matrose während des Transports auf Deck sterben oder doch bewußtlos bleiben möchte.

»Das ist mir gleich,« brüllte Kapitän Blutfinger wütend, »und wenn der Kerl bewußtlos ist, so werde ich ihn schon aufrütteln. Her mit ihm!«

Gehorsam verschwanden einige Matrosen im Zwischendeck und brachten nach einigen Minuten den Verunglückten in einer Art von Siechkorb herauf.

Die schrecklich verbrannten Arme des Mannes waren nur einfach mit Tüchern umwunden, und man konnte es in seinem Gesicht lesen, daß der Tod nicht lange mehr auf sich warten ließ.

Willy war nicht bewußtlos. Mit schon halb erloschenen Augen starrte er den an den Mast Gebundenen an.

»Wiederhole, was du mir vorhin erzählt hast.« herrschte der Kapitän ihn an, »damit der Schurke erfährt, daß sein Diebstahl an uns klar zu Tage liegt und wir ihn nach unseren Gesetzen richten können.«

»Kapitän,« schrie Henrico auf, »Ihr dürft mich nicht richten! Habe ich etwas begangen, so verfalle ich dem Meister, aber nicht Euch.«

»Oho,« höhnte der Kapitän, »jetzt pfeift Ihr ja mit einem Male in einem ganz anderen Tone. Wir werden Euch zeigen ob wir dürfen oder nicht.«

»Nein, Ihr dürft es nicht,« schrie der Verbrecher wieder.

Lieber wollte er dem Meister in die Hände geliefert werden, der henkte ihn höchstens lieber selbst über Bord springen und Haifischen zur Beute werden, als der Willkür des Kapitäns Blutfinger und seiner Mannschaft preisgegeben werden, von denen er schon entsetzliche Dinge hatte erzählen hören.

»Wir dürfen es nicht?« höhnte der Kapitän weiter. »Ihr wißt es selbst ganz genau, daß wir allerdings die Berechtigung dazu haben, denjenigen sofort zu töten, der uns bestiehlt, verrät oder sonst in Gefahr bringt. Ihr habt diese Bedingungen oft genug mit angehört.«

Angsterfüllt blickte Henrico den Verwundeten an, den der Kapitän jetzt zu fragen begann:

»Wie heißt der Mann, den du in dem brennenden Hause gefunden hast?«

»Esplanza,« kam es hauchend über die Lippen des Sterbenden.

»Wen bezeichnete er als den Dieb, der die Perlen, die er selbst gestohlen, ihm wieder geraubt hatte, nachdem er ihn zuvor zu einem großen Diebstahl aufgefordert hatte?«

Der Matrose nickte nur nach dem Orte hin, wo Henrico stand. Dessen Hoffnung war erloschen, diese Leute brauchten keine langwierige Beweisführung, die Aussage eines ihrer Kameraden genügte ihnen – er gab sich verloren.

»Kommt alle hier zusammen, meine Burschen!« rief der Kapitän. »Wer den besten Vorschlag macht, wie wir den Verräter mit möglichst viel Pläsier aus der Welt schaffen, erhält eine Flasche extra.«

Hohnlachend scharten sich die Matrosen um den Gefangenen, vor dessen Augen es zu flimmern begann,

»Kapitän,« rief aber der am Steuer Stehende, »gebt acht auf den Wind, er springt gleich um, die Segel stehen schon nicht mehr!«

Der Kapitän musterte den Himmel und erschrak.

Am Horizont waren finstere Wolken aufgestiegen, schon sausten pfeifende Windstöße durch die Takelage, und Segel und Stricke klapperten an den Rallen. Alle waren mit dem Verhör so beschäftigt gewesen, daß niemand den Umschlag bemerkt hatte.

»Nun, Senor Henrico,« wandte er sich an den Gefangenen, »eine Stunde habt Ihr noch Frist bekommen, um Eure Sünden zu bereuen, oder Ihr könnt Euch auch inzwischen die schönste Raae aussuchen, an der Ihr hängen wollt, um uns als Zielscheibe zu dienen.«

Er gab schleunigst Befehle, die Segel anders zu setzen und das Schiff wieder in den Wind zu bringen. Aber es war schon sehr spät geworden, das Schiff begann stark zu schwanken, und den auf den Raaen arbeitenden Matrosen wurden die Segel immer wieder aus der Hand gerissen.

Dazu kam noch, wie es unter dem Aequator öfter geschieht, daß eine pechschwarze Wolke mit einem Male den ganzen Horizont überzog und dadurch den Tag in die finsterste Nacht verwandelte. Alles dies erschwerte das Manövrieren ungemein, und fast zwei Stunden waren vergangen, ehe die Matrosen die Takelage wieder verlassen konnten.

Die schwarze Wolke sandte jetzt einen enormen Regenguß auf die ›Evangeline‹ herab.

»Hölle und Teufel!« schrie plötzlich der Kapitän auf, »wo ist unser Gefangener? Hat ihn jemand etwa aus dem Regen gebracht, damit er nicht naß wird?«

Sprachlos sahen sich die Matrosen an. Niemand hatte Henrico beachtet, niemand denselben sich vom Mast entfernen sehen.

»Sucht ihn, er wird sich befreit und irgendwo versteckt haben, im Zwischendeck, im Ballastraum oder in einem Faß. Schnell her mit ihm, daß wir uns etwas mit ihm amüsieren können! Der Regen wird bald aufhören.«

Ein hastiges Durchsuchen des Schiffes ward vorgenommen, aber es blieb fruchtlos – Henrico war spurlos verschwunden.

»Sollte der Bursche über Bord gesprungen sein, um unserer Rache zu entgehen?« meinte der Kapitän ärgerlich.

Da deutete ein Bursche am Heck ins Wasser, alle folgten seiner Hand und hatten ihn sofort verstanden – das kleine Boot war fort und mit ihm Henrico.


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