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Achtzehntes Kapitel.

Der Morgen fand Luiza am Bett Josés sitzend. Der Knabe war schließlich in einen unruhigen Schlaf gefallen, aus dem er jeden Augenblick aufschreckte, um dann noch fester ihre Hand zu erfassen.

Nur langsam begannen sich Luizas wirre Gedanken zu ordnen. Zu viel war am gestrigen Tage auf sie eingestürmt. Noch hatte sie den Verlust in seinem ganzen Umfang nicht begriffen und sich ihrem Schmerz darüber hingeben können. Josés Art, den Tod seines Vaters aufzunehmen, erschreckte sie unsagbar.

Alle Weidereiter und arbeitenden Männer auf den Feldern, denen José auf seinem Heimritt begegnet war, hatten sich ihm schweigend angeschlossen. Es war ein großer Trauerzug, der den toten Henrique Almares nach seinem Heim begleitete.

Keiner hatte den Knaben anzureden gewagt, um ihn zu fragen, wie das Unglück geschehen konnte. So furchtbar erstarrt sah das Knabengesicht aus. Ihm war auch dann keine Träne gekommen, als ihm Luiza fassungslos entgegentrat.

Unter drückendem Schweigen hatte man den Toten in seinem Arbeitszimmer aufgebahrt. Seine Weidereiter hielten nun die letzte Wacht bei ihm.

Hand in Hand hatten José und Luiza im Wohnzimmer gesessen. Luiza wagte auch jetzt noch nicht, ihn zu fragen. Sie wartete geduldig bis er zu sprechen anfangen würde.

Wie lange sie so gesessen hatten, wußte Luiza später nicht zu sagen, Plötzlich wurde die Tür aufgerissen, und in ihrem Rahmen stand der alte Franco.

Mit seinen Händen war er sich verzweifelt in sein schütteres Haar gefahren.

»Senhora Luiza! – der Herr – unser Herr ...!« hatte er schließlich stammelnd hervorgebracht.

Als die Geschwister regungslos verharrten, hatte er plötzlich die Fäuste geballt.

»Ich ahnte es – der ›reitende Tod‹ –« hatte er geflüstert.

Luiza meinte, eine kalte Hand fasse nach ihrem Herzen, als sie plötzlich einen Ruck verspürte; José hatte seine Hand aus der ihren gerissen und sich aufgerichtet.

»Franco, ist der ›reitende Tod‹ ein schwarzer Reiter mit Maske?«

Fast atemlos hatte Franco ihm zugenickt. Luiza fühlte, er war jetzt zu erregt, um eine Antwort über seine trockenen Lippen zu bringen. Sie hatte ihre Hände wie zur Abwehr fest auf ihre Brust gedrückt; ihr war, als müsse sie ihr wild schlagendes Herz mit beiden Händen festhalten. Sie wußte selbst nicht, war dies Angst über das, was sie nun vernehmen sollte, oder entsetzte sie so sehr Josés völlig veränderte Stimme?

»Franco – der ›reitende Tod‹ hat meinen Vater nicht erschossen!« erklärte er feierlich. Luiza fühlte bei diesen Worten Bergeslasten von ihrem Herzen gleiten.

»Er war der Mann, der meinen Vater rächte, und mein Leben rettete. Henrique Almares' Mörder war ein Mitglied – der Silva-Bande. Kalt fielen die Worte von Josés Lippen.

Mit angehaltenem Atem war der Alte seinen Worten gefolgt; plötzlich stammelte er erschüttert: »Mein kleiner Junge – mein Jungchen!«

Kurz hatte sich José umgedreht und sich ruhig wieder an Luizas Seite gesetzt. Er tastete nach ihrer Hand und starrte vor sich hin.

Später hörte Luiza leise eine Tür ins Schloß fallen; Franco hatte die Stube verlassen. –

Sie schreckte hoch. José sprach plötzlich, er lag mit offenen Augen im Bett. Leise begann er zu erzählen: wie er seinen Vater vom Hof hatte abreiten sehen, sein kindliches Spiel und dann – – –

Ruhig, als ob er ihr die Geschichte eines Fremden erzählte, sprach er. Luiza ergriff es mehr, als wenn er in kindlichem Weinen seiner Trauer Luft gemacht hätte. Sie fühlte, daß er von der Schuld seines Vaters wußte und ebenso darunter litt wie unter seinem Tode. War José seinem Alter immer weit voraus gewesen, so erschreckte sie jetzt doch seine Art. José mußte sehr behütet werden, wenn dieses Erlebnis ohne furchtbare Einwirkung und ohne Schaden an seiner Seele bleiben sollte. In dieser Stunde gelobte sich Luiza, niemals von seiner Seite zu weichen, bevor er nicht für sich selbst einstehen könnte. Am besten erschien es ihr, er käme in eine andere Umgebung, um so das Furchtbare zu vergessen. Aber wie dies zu bewerkstelligen sei, wußte sie im Augenblick selbst noch nicht. In diesen Stunden reifte sie vom jungen Mädchen zur Frau.

Josés Finger lösten sich langsam von ihrer Hand; sie beugte sich über sein Bett – er war eingeschlafen. Jetzt, wo er der Schwester sein ihn quälendes Erlebnis berichtet hatte, fiel er in einen festen, erlösenden Schlaf.

Leise und vorsichtig erhob sich Luiza und glitt aus der Tür. Auf dem Treppenabsatz blieb sie erschrocken stehen; aus dem Dunkel des Ganges löste sich eine Männergestalt und trat auf sie zu. Es war Pedro. Erstaunt blickte sie zu ihm auf.

In seinen blauen Augen sah sie ehrliches Mitgefühl; plötzlich stiegen Tränen in ihr auf. Als nun seine Hand nach der ihren tastete, überließ sie sie ihm. Wie es kam, wußte Luiza nicht, aber plötzlich saßen sie beide auf der Treppe, und mit leiser Stimme sprach sich Luiza ihre Sorge und ihre Angst um José vom Herzen herunter. Immer noch hielt Pedro ihre Hand in den seinen; leicht und sie beruhigend streichelte er sie.

Als Luiza schwieg, fühlte sie sich unendlich erleichtert; es war zu viel für sie allein zu tragen gewesen. Ihr Köpfchen sank herunter, und plötzlich lag es an Pedros Schulter. Keine Bewegung Pedros störte sie. Er betrachtete ihr fein geschnittenes, blasses Gesicht, die lang gebogenen Wimpern und sah den müden Zug um ihren Mund. Ihn packte Rührung. Am liebsten hätte er schützend die Arme um sie geschlungen, um sie nicht wieder frei zu geben.

Ein Geräusch im Hause ließ Luiza aufschrecken; verwirrt sah sie um sich. Sie erhob sich verlegen, und nach einem flüchtigen Händedruck ging sie in Josés Zimmer zurück. Er blickte ihr nach. Allein gelassen, hatte Pedro das Gefühl eines soeben erlittenen Verlustes. Er empfand, daß er etwas verloren habe, was er in seinem Leben nicht mehr entbehren konnte.

Leise ging er die Treppe hinunter. Sein Fuß stockte, als er an dem Zimmer Henrique Almares' vorbeikam; dann schritt er aus dem Hause.

Heute morgen lag der Hof nicht verlassen da, keiner dachte an Arbeit. Überall standen in Gruppen Männer umher, die sich leise unterhielten. Pedro schritt zwischen ihnen hindurch und ging den Heckenweg entlang, auf dem er Almares' Bekanntschaft zuerst gemacht hatte. Sein Weg endigte im Korral bei ›Black Night‹. Bei ihm blieb er stehen; müde vergrub er seinen Kopf in ›Black Nights‹ Mähne.

Plötzlich hörte Pedro Schritte den Heckenweg aus der Richtung des Hofes kommen; er sah nicht auf; es war ihm jetzt gleichgültig, wer sich ihm näherte. Die Schritte blieben vor dem Korral stehen; unwillig ob der Störung hob er nun doch den Kopf und erstarrte vor Schreck. In der Tür des Korrals lehnte völlig erschöpft – Carlos.

Ein Schritt brachte ihn an Carlos Seite.

»Carlos, Ihr hier! was bedeutet das!?«

»Drei Pferde habe ich zu schanden geritten. Das letzte ist eben im Hof unter mir zusammengebrochen!« Keuchend kam es von Carlos vor Anstrengung zitternden Lippen.

Lefty fühlte, wie er ganz ruhig wurde.

»Was ist passiert?«

»Ich ritt nach Pernambuco. Ehe ich die zutreffenden Persönlichkeiten dort antraf und ihnen unseren Plan aus einander setzen konnte, verlor ich kostbare Zeit. Als ich endlich zum Militärkommando gelangte, hörte ich, daß der Munitionstransport in der vergangenen Nacht bereits abgegangen war. Nun auf einmal kam Leben in die Herren!! Ich bekam den Brief von Carrasco zu lesen, in dem er dringend gegen die Silva-Bande um Munition bat. Er begründete seine Forderung damit, daß er einen Überfall auf Floresta befürchte. Seit Tagen, so wurde mir berichtet, war schon ein Bote zu Carrasco unterwegs, um ihm die Ankunft des Transports anzukündigen. Jetzt ging alles in Rieseneile. Man gab mir einen Offizier und zehn Mann mit; ohne Verzug brachen wir auf. Nach Stunden holten wir den Transport ein, der wegen der zwei schweren Wagen nur langsam vorwärts kam. Der begleitende Offizier des Transports wurde von mir verständigt, er setzte jetzt nur langsam seinen Weg fort. Wir vereinbarten den Treffpunkt, wo Sie, Senhor, auf den Zug stoßen sollen – dann jagte ich los! Unterwegs tauschte ich die Pferde – das heißt, ich betätigte mich als Pferdedieb!« grinste Carlos. »Senhor, ich konnte keine Rücksicht nehmen,« fuhr er fort »und so lange warten, bis Ihr zufällig in das Tal, das Ihr mir bezeichnetet, kommen würdet. Ich konnte ja nicht ahnen,« sagte er in vorwurfsvollem Staunen »daß hier eine Volksversammlung auf der Fazenda sein würde.«

»Laßt nur, Carlos, Ihr habt Euer Bestes getan. Aber traft Ihr niemanden in dem Tal an?«

»Nein, Senhor!« Erstaunen prägte sich in Carlos Zügen. »Ich sah nur Euer Pferd; da es nicht ›Black Night‹ war, mußtet Ihr hier sein, folgerte ich.«

»Es ist gut; ich komme!«

In Windeseile wurde ›Black Night‹ gesattelt. Carlos erzählte inzwischen, wie erstaunt die Leute auf dem Hof gewesen seien, als er auf dem völlig ermatteten Pferde herangesprengt war und nach Pedro geforscht hatte.

»Ihr müßt ja noch ein Pferd haben, Carlos!«

Ratlos zuckte dieser mit den Schultern. Pedro verließ den Korral. Müde streckte sich Carlos auf dem Boden aus; im Augenblick war ihm alles gleichgültig, die Müdigkeit überwältigte ihn.

Er fuhr aus seinem Schlaf heraus, als er energisch an den Schultern gerüttelt wurde.

»Tut mir leid, Carlos, aber Ihr müßt jetzt auf,« hart klang Leftys Stimme.

Noch verschlafen nickte Carlos und raffte sich hoch.

»Geht diesen Weg weiter, Ihr kommt dann auf eine Weide, dort steht Josés Stute. Ich habe sie gesattelt, sie ist verläßlich und ausdauernd. Wir müssen sie, ohne José zu fragen, von ihm leihen. Wüßte er, zu welchem Zwecke, würde er sie uns eigenhändig gesattelt haben,« setzte Lefty ingrimmig hinzu.

Carlos schritt voran; er sah nicht, daß Lefty noch einen verabschiedenden Blick nach dem Hause zurückwarf. Er empfand es als bitter, daß er heute nicht an Luizas und Josés Seite sein konnte. Ob Luiza ihn wohl überhaupt entbehren würde? Lefty wußte, er ging Gefahren entgegen; aber, ob er noch einmal zurückkehren würde, wußte er nicht.

Die Gedanken an Luiza und an die Zukunft der Geschwister wollten ihm das Herz schwer machen. Er riß sich jedoch zusammen; er mußte hart sein. Ohne noch einen Blick rückwärts zu werfen, folgte er Carlos. Sie gelangten auf eine kleine, eingezäunte Weide, dort stand gesattelt ›Chola‹.

Carlos fühlte sich sonderbar erfrischt, als er sich in den Sattel schwang, und so folgte er Lefty, der die Einzäunung mit ›Black Night‹ in elegantem Sprunge nahm.


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