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Zehntes Kapitel.

Hong! – Laut schallte der Ruf einer Wildgans durch die wild zerklüfteten Täler. Das Echo gab es vielfach wider.

Hoch in den Steigbügeln seines Pferdes stand ein Mann und ließ noch einmal den eigenartigen Ruf erschallen. Er lauschte ihm nach.

Als das Echo verklungen war, ertönte ihm von weither die Antwort. Befriedigt nickte der Reiter, er spornte sein Pferd an und folgte der Richtung, aus der die Antwort gekommen war. Ab und zu wiederholte er den Schrei und orientierte sich nach dem Schall der Antwort.

In einem Taleinschnitt traf er auf den Mann, den er gerufen. Freudig sprang er vom Pferde.

»Ihr seid ein brauchbarer Mann!« rief er. Er reichte dem ihm zu Fuß Entgegeneilenden die Hand.

»Euer Lob freut mich!« entgegnete dieser. »Ich kenne diese Gegend genau, also war es für mich leicht, das Tal, das Ihr mir angabt, zu finden. Aber Ihr wart noch niemals hier, wie habt Ihr da hierher gefunden? Ich fürchtete schon, wir hätten uns verfehlt. Sehr lange habt Ihr mich auf Euer Kommen warten lassen; mit Gewalt mußte ich meine Ungeduld bezwingen, Euch zu suchen.« Freudig erregt sprudelte es der Mann heraus.

»Ich konnte nicht eher kommen, Carlos. Für Euer Warten sollt Ihr nun aber reichlich entschädigt werden. Ich kann Euch Interessantes berichten! Carlos,« rief er jetzt aus, und Triumph sprach aus seiner Stimme, »wir sind auf der richtigen Fährte! Doch bevor ich erzähle, führt mich vorerst in Euer Versteck.«

Carlos schritt voran. Der Weg führte zwischen zwei glatten Felsmauern hindurch, die sich hier zu einem schmalen Gang verengten, der auf einem Plateau endigte.

Überwältigt von dem Anblick, der sich ihm bot, blieb der hinter Carlos her Schreitende stehen. Eine Quelle ließ ihr Wasser in einer brausenden Kaskade herunter rauschen. Tausend Fünkchen flimmerten sprühend in der Sonne auf. Der Abhang des Plateaus führte in ein kleines Tal. Von drei Seiten von Felsen umgeben schlängelte sich nur ein schmaler Weg aus ihm heraus, wenn man dem Lauf des Wildbaches folgte. Unten im Tal weideten zwei Pferde.

»Schön ist es hier, Carlos!«

Einfach wurde der Satz ausgesprochen, doch so tief empfunden, daß Carlos, der seine Heimat liebte, es dankbar empfand.

Langsam das Pferd hinunterführend, das den Weg ins Tal auf den Hinterbeinen rutschend zurücklegte, stiegen sie abwärts.

Unten angelangt wandte der Reiter sich an Carlos.

»Zum Ausruhen ist keine Zeit. Gebt mir schnell mein Zeug und helft mir, mich aus dieser Verkleidung zu schälen.«

Nun begann eine fieberhafte Tätigkeit, bei der der Angekommene sich langsam aus dem Weidereiter Pedro in Lefty Coolper verwandelte.

Während diese Wandlung vor sich ging, erzählte er dem aufmerksam zuhörenden Carlos, was er in den vier Wochen, seitdem sie sich in Salgueiro getrennt, erlebt hatte.

Lefty verzehrte dann hungrig, was Carlos von seinem letzten Mahle übrig gelassen hatte. Seit einer geraumen Weile war Carlos immer schweigsamer geworden. Lefty beobachtete ihn.

»Na, was ist los, mein Lieber; wo drückt der Schuh?« fragte er schließlich den bedrückt Dasitzenden.

Ein Aufatmen ging über Carlos' Gesicht.

»Gott sei Dank, Senhor, daß Ihr mich auch einmal reden laßt. Ich habe so viel zu fragen; doch ich weiß ja nicht, ob es Euch recht ist.«

»Carlos,« ernst klang Leftys Entgegnung »wir sind hier nicht Untergebener und Vorgesetzter sondern zwei Kameraden, die auf Leben und Tod zusammenhalten müssen. – Sprecht, was gibt es?«

»Ich danke Euch, Senhor. Also sagt mir, was ist nun zunächst Eure Absicht? Dies ist mir nämlich völlig unklar.«

Es dauerte eine Zeit, bevor er eine Antwort erhielt. Mehr zu sich selbst als zu Carlos begann Lefty endlich zu sprechen:

»Als ich vor Tagen die Unterredung belauschte, hörte ich so viel, daß mir alles wirr durch den Kopf ging, und ich mir erst alles reiflich überlegen mußte. Langsam kam Ordnung in meine Gedanken. Seht, Carlos, alles wäre einfach, wenn nicht dieser Schuft Carrasco existierte. Dann könnten wir jetzt bald am Ziel sein. Hier haben wir aber einen der Gründe, warum es bisher immer unmöglich war, de Silvas habhaft zu werden. Wie diesen gekauften Schuft wird es wohl noch mehrere geben. Also auf ihn können wir nicht rechnen; im Gegenteil, wir müssen ihn unschädlich machen. Das Wie, ist mir selbst noch unklar; aber kommt Zeit, kommt Rat.

»Meine Ansicht ist bestätigt worden, Carlos, daß Miguel de Silvas Versteck in diesem Landstreifen liegt.« Warum, äußerte Lefty nicht. Unbestimmtes hielt ihn davon ab, zu oft den Namen Almares mit hineinzuziehen und Carlos preis zu geben, daß Almares scheinbar wußte, wem er sein Vieh lieferte. Daß Silva sicher an einen Fazendero herangetreten war, der seinem Versteck am nächsten lag, war für Lefty klar, denn die Viehtransporte durften nicht allzu sehr auffallen. »Hilfe für uns beide heranzuholen,« fuhr er fort »war es zu spät. Auch hätten wir dann noch immer nicht gewußt, ob wir diesen Leuten trauen durften. Wir können, wenn wir wirklich Erfolg haben wollen, es uns nicht leisten, Fehler zu machen oder gar eine Niederlage zu riskieren. Darum verlasse ich mich lieber auf mich und – auf Euch, Carlos. Wir beide allein müssen es schaffen. Es sieht wie eine Vermessenheit aus, aber bisher ist gegen Silva nur gekämpft, wenn viele gegen ihn auszogen, und der Erfolg war gleich Null. Nun wollen wir beiden einzelnen Menschen es einmal versuchen.

»Dieses alles überlegte ich mir, Carlos. So leid es mir tat, wußte ich, Pambu war nicht mehr zu retten! Durch Carrasco, diesen Verräter, wissen sie, daß einer zu ihrer Vernichtung ausgeschickt ist. Heute lachen sie noch darüber und machen Scherze.

»Ihr schildertet mir selbst Silvas Kampfweise; er wird also von Pambu in kleinen Trupps abrücken, um durch die vielen, in alle Himmelsrichtungen führenden Spuren seine eventuellen Verfolger zu verwirren ... Mit einem dieser Trupps will ich versuchen, zusammenzustoßen. Sie oder ich – wird es gelten! Es soll meine Feuertaufe hier werden.« Lefty sagte nicht, daß es seine Feuertaufe überhaupt sein sollte. Dieses Treffen sollte ihm selbst zeigen, ob er überhaupt der Aufgabe gewachsen war. Entweder er ging dabei zu Grunde, oder er erreichte sein sich gestecktes Ziel. Carlos kamen keine Zweifel, glaubte er doch, in Lefty den ›reitenden Tod‹ zu sehen.

»Dadurch will ich erreichen,« sprach Lefty weiter »daß de Silva unruhig wird. Stellt Euch vor, Carlos, was muß die Bande denken: ein einziger Mann gegen sie alle! Das wirkt unverständlich und deshalb beunruhigend, denn ein Einzelner hinterläßt keine Spuren und ist leicht verschwunden. Einen weiteren Plan habe ich vorläufig noch nicht. Ich bin aber zufrieden mit dem Erfolg der vergangenen vier Wochen, denn wir kennen jetzt einige unserer Feinde.

»Also, Carlos, wollt Ihr mit mir gehen, und kann ich mich auf Euch verlassen?«

Stumm reichte dieser Lefty seine Hand.

»Ich bin stolz, mit Euch zusammen arbeiten zu dürfen!«

»Paßt auf, Carlos! Wir reiten jetzt zusammen los. Wenn wir annehmen können, daß wir auf einen der Trupps stoßen, trennen wir uns. Ihr nehmt ›Black Night‹ und meine Pedroausrüstung mit Euch. Führen wird der Hengst sich von Euch lassen, wenn Ihr ihm nicht zu nahe kommt. Später werden wir uns wieder treffen. Aber nun vorwärts, wir wollen keine Minute mehr zögern.«

*

Lefty mußte beide Hände schützend über die Augen halten, so flimmerte und brannte die rote Abendglut. Drüben hinter der Waldlinie schoß eine dünne Garbe von Flammen hoch.

»Carlos,« wandte er sich um »ich scheine eher in die Feuertaufe zu kommen, als wir glaubten. Sie sind schon bis hierher gekommen.«

»Sieht aus, als ob dort die Bande hauste!« bestätigte Carlos aufgeregt.

»Wir werden uns also hier schon trennen. Verbergt Euch im Walde, ich muß Euch jetzt Eurem Schicksal überlassen. Lebt wohl, Carlos!«

Ohne dem Zurückbleibenden noch einen Blick zu gönnen, gab Lefty seinem Pferde die Sporen und sprengte davon. Er sah nicht die Handbewegung, mit der ihn Carlos zurückhalten wollte; doch dessen Hand sank schon auf halbem Weg zurück. Besorgnis und Erregung spiegelte sich auf seinen Zügen, als er Lefty nachsah. In den gemeinsam verlebten Wochen auf ihrem Weg hierher hatte er ihn schätzen gelernt und hing nun an ihm.

Leftys Ritt führte ihn durch den Wald. Schon als er in die Nähe des Ortes kam, hörte er Geschrei und Getrappel. Dann sah er eine große, breite Straße, von der mehrere kleinere abzweigten, vor sich liegen.

Über die Straße hasteten mehrere Männer, Gesichter erschienen in allen Türen und Fenstern. Am Ende der Straße sah Lefty eine kleinere Gruppe von Männern stehen; dort unter ihnen mußte sich der Anführer dieser Truppe befinden.

Ruhig fühlte Lefty sein Blut durch die Adern fließen. Eine unendliche Gleichgültigkeit erfaßte ihn plötzlich; er verstand auf einmal Carlos' Erregung nicht mehr, die er wohl bemerkt hatte.

Blitzschnell zog er eine schwarze Maske über sein Gesicht und ritt langsam in den Ort hinein.

Fernando sammelte gerade seine Leute um sich, die aus fünfzehn Mann der Bande bestanden. Er hatte den Befehl von ›Laternenpfahl‹ erhalten, schnell zu reiten, aber zwei von ihm bezeichnete Orte mitzunehmen und gehörig dort aufzuräumen. Da sie noch niemals in dieser Gegend gewesen waren, mußte sich der Ritt lohnen. Jahre sollten dann vergehen, ehe man sie wieder heimsuchte. Die Angelegenheit war hier eigentlich nun erledigt; nur noch schnell sammeln und dann wie der Teufel fort.

Plötzlich sah Fernando einen einzelnen Reiter in der Mitte der Straße auf sich zu kommen. Sein Gesicht konnte er nicht erkennen; ein schwarzer, breitrandiger Sombrero verdeckte es fast vollkommen.

Auch die anderen, die Fernando umstanden, schienen jetzt auf den völlig schwarzgekleideten Reiter aufmerksam zu werden. Plötzlich flüsterte einer von seinen Begleitern: »Seht, er trägt zwei Revolver – tief an den Hüften.«

»Ein Revolverheld!« flüsterte ein zweiter. »Jungen, vorsichtig jetzt!«

Langsam kam der Mann näher. Wild strömten die Gedanken durch Fernandos Gehirn, was war zu tun? Wer war der Mann, was wollte er hier?

Fernando sah aus einem Hause zwei seiner Leute treten; sie führten einen gefesselten Mann in ihrer Mitte. Als sie den Reiter sahen, ließen sie den Gefangenen los, und ihre Hände griffen zum Revolver. In demselben Augenblick sah Fernando den Reiter eine blitzschnelle Bewegung nach seinen Hüften machen, Schüsse blitzten auf, und seine zwei Leute sanken zu Boden.

Im gleichen Augenblick stand auch schon der Fremde neben seinem Pferde und schritt auf sie zu. Mit weit aufgerissenen Augen starrten alle auf den näherkommenden Mann. Plötzlich fuhr Fernando eine Erkenntnis durch den Kopf. Er wußte nicht, daß er seine Ahnung laut flüsterte: »Der ›reitende Tod‹ ist es, der da die Straße entlang kommt – mit den rauchenden Revolvern in der Hand ...«

Sie hatten alle durch Mercedes von diesem Manne gehört aber sich nichts unter ihm vorstellen können. Gefestigt durch das Bewußtsein, stets in der Überzahl zusammen zu sein, hatten sie lachend die Nachricht verworfen, besonders da Mercedes am meisten darüber spottete, und keiner weniger Mut zeigen wollte als eine Frau.

Als Fernando merkte, daß seine ihn umstehenden Leute kopflos die Flucht ergreifen wollten, trat er entschlossen aus ihrem Kreis heraus und ging dem Manne entgegen.

Langsam tastete seine Hand nach seinem Revolver, da tönte ein Schuß hinter ihm auf, einer seiner Leute mußte mit der weittragenden Flinte auf den Näherkommenden gefeuert haben. Das schien das Signal für den Fremden zu sein, denn dieser schnellte vorwärts. Im Sprung blieb er plötzlich stehen, seine Revolver blitzten auf, Fernando fühlte einen Schlag durch seinen Körper gehen; seine Kugel irrte über den sich Nähernden hinweg. Noch im Stürzen schoß er seinen Revolver leer, dann wurde es Nacht um ihn.

Das war das Zeichen zu einer tollen Schießerei. Doch die Gelegenheit, eine sichere Kugel anzubringen war schon verpaßt, der schwarze Reiter duckte sich hinter einen umgeworfenen Wagen. Dafür bildeten sie, ungedeckt, wie sie dastanden, eine sichere Zielscheibe für ihn. Vier ihrer Leute forderten noch die todbringenden Waffen dieses Mannes als Opfer. Da gab es kein Halten mehr. Paulo gab den Befehl zum Rückzug.

»Zurück!« rief er gellend. »Laßt Euch doch nicht wie die Hasen hier abschießen!«

Er schwang sich auf sein Pferd; die anderen folgten seinem Beispiel. Einige liefen neben ihren Pferden her, ehe sie die Sättel erreichten.

Jetzt kam Leben in den Ort, aus allen Türen stürzten bewaffnete Männer und Frauen. Sie versuchten, den Fliehenden den Rückweg abzuschneiden. Hetzende Wutschreie wurden laut. Die ausgestandene Angst tobte sich im heißen Temperament der Südländer und im wahnsinnigen Haß auf die Bande aus.

Als Paulo mit dem Rest seiner Leute den Ort im Rücken hatte, zählten sie noch acht Männer, darunter drei Schwerverwundete, die sich nur mit Mühe auf ihren Pferden hielten. Ein furchtbarer Verlust für die Bande! – Wie würde Miguel toben!

Aber noch durfte keine Rücksicht auf die Verwundeten genommen werden. Sicher hatten sie Verfolger hinter sich, die sie erst abschütteln mußten. Paulo, der jetzt die Verantwortung für die Leute hatte, trieb sie unentwegt vorwärts.

Nachdem sich die erste, ungeheure Erregung im Ort gelegt hatte, war es das erste der Besonneneren, sich nach ihrem Retter umzusehen. Doch alles Fragen und Suchen nach ihm war vergebens; ebenso schnell und unvermutet, wie er aufgetaucht, war er wieder verschwunden. Schließlich fand einer auf dem umgestürzten Wagen einen Zettel, der ihnen viel Kopfzerbrechen machte. Von Hand zu Hand ging er, bis ihn schließlich der Ortsälteste in seinen Besitz nahm, um ihn sorgfältig als Dokument aufzubewahren.

Auf diesem Zettel stand:

Es grüßt Euch – ›der reitende Tod‹!


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